»Ich dachte, das wird nur ein Tagesausflug«, sagte Kate, die im geöffneten Fenster des vollgepackten Autos lehnte. »Soll ich noch die Schlittschuhe holen? Ein paar Erinnerungsstücke von Elvis? Was brauchst du sonst noch?«
Theo hievte eine Tasche voller Snacks vom Beifahrersitz und winkte sie mit einer Geste ins Auto. »Willkommen im Reich der Kinder. Sehr glamourös und besonders schön mit Jammern unterlegt.«
Jemima schaute von ihrem Buch auf. »Ich jammere nicht.«
Theo zog seine Sonnenbrille ein Stück von der Nase, um Kate einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Sie lachte und öffnete die Tür.
Die Straße nach Point Reyes wand sich durch vor Mohnblumen orange glühende Hügel. Das Meer kam immer wieder in den Blick, weiß und gewaltig in der Mittagssonne. Kate spielte Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst mit den Kindern, bis Jemima auf ihren kleinen Bruder wütend wurde, weil er das Spiel nicht verstand. Also hörten sie den Soundtrack von Die Eiskönigin. Jemima bestand darauf, die ganze Zeit Kates Hand zu halten, was bedeutete, dass sie ihren Arm über die Mittelkonsole nach hinten halten musste. Nach einer Weile schlief alles unterhalb des Ellbogens ein, trotzdem spürte sie Jemimas Hand noch in ihrer, gespenstisch, klein und verschwitzt.
Am Vortag hatte sie in Mirandas Tagebuch von ihrem Streit mit Jake über das Gemälde gelesen, das Nangussett darstellte. Ihr war ganz mulmig geworden, und sie hätte liebend gern gewusst, wie es weiterging, aber ihr Handyalarm hatte sie unerbittlich daran erinnert, dass sie schleunigst wieder runter ins Esszimmer musste, bevor die Brands nach Hause kamen. Jetzt schaute sie zu Theo, der den Blick auf die Straße gerichtet hielt, und fühlte eine innere Zerrissenheit: Einerseits hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie heimlich im Tagebuch seiner Mutter stöberte, andererseits wollte sie dringend weiterlesen. Sie versuchte, ihre Sitzposition zu ändern, damit ihre Hand wieder mit Blut versorgt wurde, was tausend Nadelstiche ihren Arm hochjagte.
Der Parkplatz war gut besucht, doch die meisten waren gekommen, um entlang der Küste zu wandern. Theo führte sie über einen anderen Weg, schummrig und verlassen. Sie überholten ein paar Leute, darunter eine Frau, die Kate anlächelte und sagte: »Wunderschöne Kinder.« Erst als Theo hastig Danke sagte, begriff Kate, dass die Frau sie für eine Familie und Oscar und Jemima für ihre Kinder hielt.
Schließlich zwängten sie sich durch ein verwuchertes Waldstück und erreichten den See. Er war schmal und glasklar, geformt wie ein Fußabdruck, als hätte ein Riese ihn hinterlassen, und dann hatte sich Regenwasser darin gesammelt. Der Wasserpegel war wegen der Dürre gesunken — ein heller Streifen zog sich entlang der Felsen einmal um den ganzen See —, aber er war noch tief genug, um Fische aufblitzen zu sehen. Ein paar Menschen in grellen Badesachen sprangen am gegenüberliegenden Ufer offenbar mithilfe eines Seils ins Wasser, abgesehen davon war niemand am See.
»Wie ruhig es hier ist«, sagte Kate.
»Ich glaube, dieser See ist ein gut gehütetes Geheimnis«, sagte Theo und nahm die Sonnenbrille ab. »Vielleicht ist er absichtlich nicht so leicht zu finden. Mein Vater war oft mit mir hier, als ich noch klein war. Er ist sehr gern geschwommen.«
»Ich möchte auch von dem Seil springen«, verkündete Jemima und zeigte ans andere Ufer.
»Ja, nee«, sagte Theo.
»Bitte, bitte, bitte.«
Theo tat so, als würde er nachdenken. »Nein.«
»Biiiiiiiiiiiiitteeeeeeeeeee.«
»An dem Seil sind Läuse«, sagte Kate. »Wenn du es anfasst, krabbeln die deine Arme hoch und — paff!« Sie wackelte mit den Fingern. »Deshalb fallen die alle ins Wasser. Weil die Läuse sie zwicken!«
»Ih«, machte Jemima entsetzt. Kopfschüttelnd zog sie die Shorts aus und ging ins Wasser.
Während Theo Oscar dabei half, eine winzige gelbe Schwimmweste anzulegen, setzte Kate sich auf einen Felsen und tauchte die Zehenspitzen ins Wasser. An der Oberfläche schwammen Kiefernnadeln und kleine Schmutzpartikel. Ihre Füße schimmerten weiß und fremd im Wasser.
»Kalifornien ist so schön«, sagte sie zu Theo, der gerade mit Oscar ins Wasser stakste. »All die Seen, Berge und das Meer. Gewöhnt man sich je daran?«
»Ich bin ja von klein auf daran gewöhnt. Ich dachte, es sieht überall so aus. Ich bin das erste Mal von hier weggekommen, als ich zum Studieren nach Boston zog. Die Sandstein- und Ziegelhäuser … Ich hatte das Gefühl, ich wohne in einem Puppenhaus. Aber dann hab ich mich daran gewöhnt. Als ich nach der Uni wieder herzog, war ich vier Jahre nicht in Kalifornien gewesen. Vermutlich hab ich es da zum ersten Mal so gesehen wie du.«
Vier Jahre nicht in Kalifornien — dabei wusste Kate, dass Jake nach Mirandas Tod in L. A. gelebt hatte. Sie speicherte die Information für später ab.
»Meinst du, du ziehst noch mal weg?«, fragte sie.
»Nicht in nächster Zeit. Die Kinder sind an einer guten Schule. Und die Bay Area ist ein schönes Fleckchen Erde, hier lebt es sich gut.«
Kate lächelte. »Wenn man’s sich leisten kann.«
»Stimmt«, sagte er peinlich berührt.
Sie schauten Oscar nach, der zu Jemima paddelte und sie nass spritzte. Wütend holte Jemima mit dem Arm aus, als wolle sie ihm einen Tsunami verpassen. Dann schaute sie zu ihrem Vater und überlegte es sich anders. Nahm ihren Arm näher und bespritzte Oscar gerade genug, dass er kicherte. Kate war richtig berührt von ihrer bespielhaften Zurückhaltung.
Theo wirkte nachdenklich. »Was sagst du zu den Kindern?«
»Ich würde mir keine Sorgen machen, das Wasser ist da nicht wirklich tief.«
»Nein, nein, ich wollte eigentlich wissen, ob sie einen verwöhnten Eindruck auf dich machen?«
Kate drehte sich überrascht zu ihm um. »Was? Nein.«
»Mich beschäftigt das. Woher soll ich wissen, wie man bescheiden ist? Ich hatte schon immer alles. Zumindest was Geld angeht. Ich versuche, da klare Grenzen zu ziehen, aber ich fürchte manchmal, dass sie das nicht … verstehen.«
Kate musste sofort daran denken, wie verärgert er über die Sache mit den Muscheln und Tannenzapfen gewesen war, die die Kinder unerlaubt vom Camp mitgenommen hatten. Seine übertriebene Reaktion, als er sie auf der Treppe bei den Zeichnungen entdeckt hatte. Seit er sie allein erzog, musste er jede Entscheidung treffen. Einen Augenblick lang spürte Kate seine Sorge, träge wie Quecksilber: dass er die falschen Entscheidungen getroffen, dass er alles falsch gemacht hatte.
»Ich bin kein Profi, was Kinder angeht«, antwortete Kate. »Und vermutlich auch nicht, was Bescheidenheit betrifft. Ich bin in Greenwich aufgewachsen. In meiner Highschool gab es einen Meditationsraum. Aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich Oscar und Jemima für gute Kinder halte. Du hast sie gut durch eine schwierige Phase gebracht.«
Fünf Meter entfernt von ihnen dümpelte Oscar, während seine Schwester Purzelbäume im Wasser machte. Kate hatte nie darüber nachgedacht, wie sie mal als Erwachsene sein würden, und der Gedanke machte sie ein bisschen traurig.
»Sie mögen dich sehr«, sagte Theo. »Angeblich kannst du sehr gut einen Delfin nachmachen.«
Darüber musste Kate lachen. Sie wackelte mit den Zehen im Schlick. »Magst du mich deshalb auch? Weil ich gut einen Delfin nachmachen kann?«
»Nein«, sagte er automatisch. »Ich mag dich aus anderen Gründen.«
Sie hatte es gar nicht bewusst auf ein Kompliment abgesehen, aber seine Wörter jagten ihr einen zufriedenen Schauer über den Rücken. Da fiel ihr plötzlich auf, wie nah sie sich waren. Er lehnte an dem Felsbrocken, auf dem sie saß, seine Hand dicht neben ihr. Er musste nur den kleinen Finger ausstrecken, dann würde er ihren Rücken berühren.
»Zum Beispiel?«, hörte sie sich selbst fragen.
Er schaute sie an. Fältchen bildeten sich um seine Augen, als er sie anlächelte. »Du bist klug. Du bist scharfsinnig. Du bist mutig. Du bist liebenswürdig. Allerdings ein bisschen gemein.«
Kate lachte überrascht. »Oh, das ist nicht gut.«
»Doch, doch. Ich traue niemandem, der durch und durch gut ist.«
»Sag mehr Gutes. Das ist nicht so schmeichelhaft, wie ich es mir vorgestellt hatte.«
Theo zögerte. Dann ließ er den Blick einmal von ihrem Kopf bis zu den Zehen wandern und zurück. Dann sagte er leise. »Ich kann dir gern schmeicheln, wenn du möchtest.«
Kates Körper schien sich einmal zu verdrehen, als würde sie ausgewrungen.
»Oh, das sagt sich so leicht«, erwiderte sie. »Dabei weißt du doch gar nicht das Schlimmste über mich.«
Er hob eine Augenbraue. »Zum Beispiel?«
Sie könnte es ihm erzählen. Sie sollte es ihm erzählen. Ihre Krankheit. Den wahren Grund dafür, dass sie ihren Job verloren hatte. Die Tatsache, dass sie in seinem Haus herumschlich und jeden Tag heimlich in seinem Schlafzimmer ein Tagebuch las, das er offensichtlich nicht von ihr gefunden wissen wollte. Sie vergaß immer wieder, wie sehr sie ihn eigentlich belog.
Aber. Aber, aber. Es war so lange her, seit sie zuletzt solche Gefühle gehabt hatte. Und diese Sache zwischen ihnen war auch keine Lüge. Sie fühlte sich wie Wasser kurz vorm Siedepunkt. Wie eine Feuerwerksrakete kurz vorm Explodieren. Und das hatte begonnen, lange bevor sie mit dem Lügen angefangen hatte, bevor sie überhaupt etwas zu ihm gesagt hatte … und zwar war in dem Moment, in dem sie sich im Garten umgedreht und ihn gesehen hatte, dort im Nebel, ein Teil von ihr abgebrochen. Schock, Angst, Wiedererkennen.
Deshalb antwortete sie nicht auf seine Frage, sondern stand auf und zog ihr Kleid aus.
»Ich geh ins Wasser«, verkündete sie.
Sein Blick war dem Saum über ihre Oberschenkel, den Bikini, den Bauch und ihre Brust gefolgt. Als das Kleid über den Kopf war und er bei ihrem Gesicht ankam, merkte er, dass auch sie ihn betrachtete, und wurde rot. Ihr Hals wurde so rot wie ihr Bikini, und sie tauchte ins Wasser.
Sie schwamm zu den Kindern und hörte ein Platschen hinter sich: Theo war auch ins Wasser gesprungen. Er kam näher bei ihnen an die Oberfläche, als sie erwartet hatte, eine einzige, flüssige Bewegung, das Wasser perlte ihm von den Schultern, die dunklen Haare klebten schräg an seinem Kopf. Jemima klammerte sich an seinen Rücken, und Oscar paddelte hektisch zu ihnen, griff dann nach seinem Arm. Theo drehte sich immer schneller, bis die Kinder lachend von ihm fielen.
Kate ließ sich so tief sinken, dass Mund und Nase unterhalb der Wasseroberfläche waren. Bis sie nur noch aus einem Augenpaar bestand, das beobachtete, nicht mal mehr atmen musste, sondern von der Luft zehrte, die in ihrer Lunge war. Wie es in ihren Kniekehlen kitzelte, wenn sein Mund sich auf eine ganz bestimmte Art bewegte. Ihr Herz schlug fester in seiner Nähe, wie ein Fisch, der um sein Leben zappelte. Bloß war es gefährlich, wenn man selbst am Haken war. Es tat weh, wenn man sich bewegte. Es tat weh, wenn er entfernt wurde.
Im vergangenen Jahr war sie an eine Grenze gestoßen, von der sie nichts hätte wissen dürfen. Ganz so als hätte sie während einer Ballettvorführung inmitten der Tänzerinnen und Tänzer in ihren schillernden Farben und Formen in die falsche Richtung geschaut und den Bereich hinter der Bühne gesehen. Das alternde Gerüst, die beiseitegezogenen Vorhänge. Die Freude war nur eine Illusion, hatte sie gelernt, die von Klebeband und Seilen hochgehalten wurde. Man musste sich selbst dazu bringen, die Vorführung zu sehen. Man musste sich zwingen, alles zu ignorieren, was auf den Seitenbühnen wartete.
Jetzt erkannte sie diese dunkle Seite von sich, die am Rande dieses wunderschönen Tages schimmerte. Sie verlieh allem mehr Tiefe, macht das Glück schöner, aber auch bedrohlicher. Sie tauchte kurz ganz unter Wasser, im Versuch, einen klaren Kopf zu bekommen, tauchte dann aber wieder auf und rang keuchend nach Luft.
»Kommt, wir spielen Marco Polo«, sagte Jemima und paddelte zu ihr wie ein erwartungsfreudiger Hund. »Daddy, du bist Marco.«
»Marco«, rief Theo folgsam.
»Warte!«, kreischte sie. »Wir müssen erst die Augen zumachen.«
Theo lächelte und spuckte eine kleine Fontäne auf Oscar, der gluckste. Dann zeigte er Oscar, dass er die Augen schließen sollte, und schwamm weg von den Kindern, zu Kate.
»Marco«, sagte er. Seine Augen waren noch immer offen. Kate warf ihm einen Blick zu.
»Polo«, kreischten sie.
Sie formte mit den Lippen: Mach die Augen zu! Aber er hörte nicht auf sie. War jetzt ganz nah, schwamm auf der Stelle. Wenn sie den Arm ausstrecken würde, könnte sie ihn berühren.
»Marco«, sagte er wieder.
»Polo!«
Er tauchte unter. Kate dachte, er würde zu den Kindern schwimmen, aber dann spürte sie einen kühlen Wasserstoß an ihrem Brustkorb, und Theo kam direkt vor ihr wieder an die Oberfläche. Seine Hände ruhten auf ihren Hüften. Ihr Atem setzte aus. Seine Wimpern waren nass, die Iris dunkel. Sie legte die Hände auf seine Schultern, auf den Muskel direkt oberhalb des Schlüsselbeins. Ihr ganzer Körper war erfüllt von einem einzigen, unmöglichen Wunsch: mit ihm zu verschmelzen, eins zu werden, nie wieder loszulassen.
»Marco«, sagte er und schaute sie an.
»Polo«, schrien die Kinder, die Augen noch immer fest geschlossen.
Dann küsste sie ihn.
Schnell, auf den warmen Mund. Er schmeckte nach Sonne. Ein Ruck durchfuhr ihn. Er griff fester nach ihr, seine Daumen pressten sich neben ihren Hüftknochen in den Bauch. Sie keuchte und öffnete den Mund für ihn.
Sie konnte nicht sagen, wer von ihnen sich zuerst löste. Aber es fühlte sich an wie ein Verlust, als würde man an der spannendsten Stelle den Fernseher ausschalten. Sie glitt unter Wasser und entfernte sich von ihm.
Von ihrem Boss, ihrem Boss, ihrem Boss. Nein. Doch.
Sie blieben sicher eine Stunde im Wasser. Die Leute am anderen Ufer ließen sich noch immer vom Läuseseil in den See schleudern, ohne zu wissen, dass sich alles verändert hatte. Vor ihrem inneren Auge spielte sich der Kuss wieder und wieder ab, bis sie das Gesicht ins kalte Wasser tauchen musste. Sie fragte sich, was als Nächstes passieren würde, und ausnahmsweise tat diese Frage mal nicht weh, sondern fühlte sich eher so an, wie im Sturz aufgefangen und vom Wind davongetragen zu werden.
Erschöpft krabbelten die Kinder an Land und fingen an, mit Ästen und Steinen Restaurant zu spielen. Theo schwamm mit kräftigen, langen Zügen bis zur Mitte des Sees, bis er nur noch ein Klecks in der Ferne war. Dann kehrte er um und kam nach Hause.
Sie fuhren durch den sonnigen Abend bis zum Leuchtturm von Point Reyes, der mit einer kleinen Hütte auf einem Felsvorsprung kauerte. Die Treppe würde bald schließen, aber sie schoben sich noch schnell an den Wachposten vorbei und rannten die vielen, vielen Stufen hinunter, bis sie das Geländer erreichten, das den Leuchtturm umgab. Vor ihnen die Felsen und die Weite des Ozeans.
Jede Zelle ihres Körpers war auf Theo gerichtet, sodass sie ihn selbst spürte, als er mit Oscar auf der anderen Seite des Leuchtturms verschwand.
»Kate!« Jemima zupfte an ihrem Kleid. Sie hatte die Hände an den Mund gelegt, als wäre das Meer so laut, dass Kate sie sonst nicht verstehen konnte. »Sind wir am Ende der Welt?«
»Am Ende?« Kate wandte ihr Gesicht dem Horizont zu. Diesem Streifen unmöglichen Blaus. »Natürlich nicht, wir sind am Anfang.«
Sie waren fast wieder in Callinas, die Kinder schnarchten zufrieden auf dem Rücksitz, als Theo sagte:
»Du solltest zum Abendessen bleiben.«
Sie schaute ihn an. Er nahm den Blick von der Straße, um sie mit den wachen Augen eines Jägers zu betrachten. Auf den Wangen zeichnete sich ein leichter Sonnenbrand ab. Er hatte die Natur regelrecht aufgesogen — sie konnte das Salz auf seiner Haut riechen, den Sand unterhalb des Kinns —, und selbst hier im Auto mit dem glatten Leder und dem verstreuten Spielzeug wirkte er halb wild.
Diesmal war unverkennbar, was er meinte.
Sie sagte zu.
Sie erreichten das Haus gegen sieben. Nach einem Festmahl aus Käsebroten steckte Theo die Kinder ins Bett, und Kate packte die Taschen aus. Sie spülte gerade die Tupperdosen, als Theo wieder herunterkam.
»Das hättest du nicht tun müssen«, sagte er.
Sie wedelte mit dem Putzlappen. »Fast fertig.«
Er ging zum Kühlschrank und nahm den Wein heraus. Sie lauschte seinen Bewegungen, während er Gläser holte, die Flasche mit einem leisen Plopp entkorkte. Er kam zu ihr und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche, sodass sie einander zugewandt waren. Sie spülte die letzte Dose aus. Er wartete, bis sie ihre Hände abgetrocknet hatte, reichte ihr dann ein Glas.
Es war guter Wein. Sie konnte eine mineralische Note schmecken. Pfirsich und Stein. Sie bewegte das Glas. Die Farbe glich flüssigem Gold.
»Wir sollten reden«, sagte er.
Kate trank einen weiteren Schluck und schaute zu, wie das Spülwasser davongurgelte. Die nassen Messer warfen das Küchenlicht zurück. Reden bedeutete lügen oder die Wahrheit sagen, was beides keine guten Ideen waren.
»Warum?«
»Kate.«
»Theo.«
»Wir sollten reden, weil das kompliziert ist«, sagte er.
Sie musste an das Glühen denken, das sie gespürt hatte, als sie ihn das erste Mal sah. An seine langen Wimpern, die Intensität, mit der er ihr zuhörte. An seine Ehrlichkeit, seine Ernsthaftigkeit. Daran, dass er jeden Morgen die Tür für sie offen ließ, um sie ungehindert hereinzulassen. In sein Leben. Ein geheimes Leben. Ein abgeschirmtes Leben. An einen Ort, zu dem sonst niemand Zutritt hatte.
Sie schaute zu ihm auf. Ihre Lunge fühlte sich eng an, atemlos. »Ist es das?«
Er öffnete den Mund, schloss ihn. Schon küssten sie sich wieder, die Weingläser schnell auf die Arbeitsfläche geschoben. Seine Hände griffen nach ihr, mutig und sanft. Sein rauer Atem, als würde er verfolgt. Kein Reden. Kein Lügen.
Das war eine schlechte Idee.
Natürlich war es das.
Das wusste sie.
Aber trotzdem.
Trotzdem folgte sie ihm ins Schlafzimmer, dasselbe Zimmer, in das sie sich jeden Nachmittag schlich, und tat so, als wäre sie zum ersten Mal hier. Sie beobachtete aus dem Dunkel, wie er die Tür abschloss und Musik anstellte. Ruhigen Jazz, der etwaige Geräusche dämpfen sollte. Sie ließ sich von der Nacht überfluten, ließ die Knie auseinanderfallen. Die Musik strömte durch ihre Adern, eine heisere Mischung aus Verlangen. Verlust wurde von Akkord zu Akkord erdacht, durchspielt, neu begonnen. Licht schenkte nur die einzelne Lampe vom Nachttisch, in dem Mirandas Tagebuch ruhte. Der Sex war hart, ihr Haar fiel ihr ins Gesicht, seine Finger drückten sich in ihre Oberschenkel. Und sie kam mit schwindelerregender, selbstzerstörerischer Klarheit. Unerklärlicherweise fühlte es sich an wie eine Art von Liebe.