Hitze strömte von der roten Asche des Tennisplatzes. Die Hemden der Männer waren gesprenkelt von Schweißflecken, vor allem dort, wo der Stoff über den großen Bäuchen spannte. Ihre fast neuen Schläger glänzten in der Sonne. Als Kate ihnen zuwinkte, ließen sie den Ball fallen und kamen zu ihr an die Seitenlinie, Schweiß rann ihnen über die Gesichter.
»Und? Wie läuft das Spiel?«, fragte sie.
Victor wischte sich mit einem kleinen Handtuch übers Gesicht. »Ihr Onkel macht mich fertig. Spielen Sie auch?«
»Nein, ehrlich gesagt nicht. Hier, ich hab Ihnen was mitgebracht.« Sie fischte zwei Flaschen Gatorade aus ihrer Tasche und reichte sie den Männern.
»Schmuggelware!« Victor griff freudig zu. »Lieber Gott, ich vermisste dieses Zeug. Leah lässt mich das nicht mehr trinken, müssen Sie wissen.«
Kate nickte. »Ja, das haben Sie erwähnt.« Sie zwang sich abzuwarten, bis er einen Schluck getrunken hatte. Dann platzte es aus ihr heraus: »Ich würde Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen.«
Frank wollte gerade seine Flasche öffnen, hielt aber inne.
»Mir?« Victor klang überrascht.
»Ja.« Sie lächelte Frank an, wollte ihm so mitteilen, dass seine Aufgabe hier erfüllt war. Er hatte das Treffen arrangiert, jetzt konnte er getrost nach Hause gehen. Aber er schien den Wink nicht zu verstehen. Zu Victor sagte sie: »Es geht um Miranda.«
»Oh.« Er zuckte mit den Schultern. »Okay.«
Ihr gefiel sein gleichgültiger Ton nicht. Irgendwie musste sie ihm klarmachen, wie wichtig das war. Nur wo sollte sie ansetzen? Alles drehte sich so schnell in ihrem Kopf.
»Ich weiß, dass Miranda Angst vor Jake hatte«, sagte sie. »Sie war in ihrer Ehe nicht mehr glücklich.«
»Okay«, wiederholte Victor und wartete.
Wut überrollte sie wie ein Erdrutsch. Ihm schien das alles so egal zu sein, als hätte er seit ihrem Besuch keinen Gedanken mehr an Miranda verschwendet.
»Ich habe mit Kid Wormshaw gesprochen«, sagte sie, und da zeigte sich — endlich — eine Regung auf seinem Gesicht. Panik? »Er hat mir erzählt, dass er eine Affäre mit Miranda hatte. Er hat Sie darauf aufmerksam gemacht, dass Miranda Angst vor Jake hatte, aber Sie haben das nie geprüft.«
Victor hob die Augenbrauen und schielte zu Frank, als müsse er sich Bestätigung holen. »Selbstverständlich haben wir das geprüft. Wir haben bloß keinerlei Beweise dafür gefunden.«
»Was für Beweise brauchen Sie denn?« Ihr Herz fing an zu rasen. »Ich kann sie finden. Da oben ist so viel Material. Briefe, Fotos, Skizzenbücher, Tagebücher … Was immer Sie suchen, ich kann das auftreiben. Ich habe jetzt alles geordnet, müsste nur noch mal ganz genau hinsehen, bräuchte noch ein bisschen mehr Zeit.«
»Kate …«, sagte Frank und tippte mit dem Schläger langsam gegen die Bank. »Alles in Ordnung?«
Kate schnaubte frustriert und fuhr zu ihm herum. »Warum?«
»Du wirkst irgendwie … aufgewühlt.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Mir geht es gut«, sagte sie. »Ich interessiere mich einfach sehr dafür.«
Sie schaute zu Victor, hoffte auf seine Bestätigung. Er musste schließlich wissen, wie es war, sich so intensiv in Ermittlungen zu vertiefen. Wie es war, so intensiv nach einer Antwort zu suchen. Aber er nickte nicht.
»Hören Sie, Kate«, sagte er. »Vielleicht habe ich den falschen Eindruck erweckt, als Sie bei mir waren. Ich habe keine Absicht, den Fall wieder aufzurollen, und ich bin mir sicher, dass das auch für den Sheriff gilt.«
»Warum nicht? Mord verjährt nicht.«
»Aber gegen wen soll denn ermittelt werden?«, fragte Victor. »Gegen Jake? Der ist längst tot.«
»Das ist doch egal«, beharrte sie stur. »Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was Miranda zugestoßen ist. Und sie verdient das, oder etwa nicht? Aber vielleicht drücken Sie sich auch nur vor den wirklich schwierigen Fragen, weil es leichter ist, sie als verrückt abzustempeln.«
Victor runzelte die Stirn. »Es wäre politisch suboptimal«, sagte er.
Er klang wie Theo, würgte sie ab, wenn sie der Wahrheit zu nahekam. Sie war es leid, unterschätzt und abgewiesen zu werden. Wie viele Männer hatte sie nun überreden müssen, mit ihr über Miranda zu sprechen? Victor, Kid, Theo, Hal. Die Männer verfügten über die Geschichten, gaben sie aber nur an jene heraus, die sie für würdig erachteten.
Sie machte einen Schritt auf Victor zu.
»Wegen dem, was Kid angetan wurde?«, wollte sie wissen. »Weil Sie verhindern wollen, dass herauskommt, wie ein Polizist jemanden krankenhausreif geschlagen hat?«
Victors Gesicht wurde ausdruckslos.
»Frank«, sagte er zu Kates Onkel, der zunehmend nervös aussah. »Gibst du uns eine Minute?«
Frank blinzelte. »Äh, klar.« Er entfernte sich ein Stück und hob mit dem Schläger einen Ball vom Boden auf, schielte aber immer wieder in ihre Richtung.
Victor trank ein paar große Schlucke Gatorade, versuchte offenbar, Zeit zu schinden.
»Also gut«, sagte er schließlich und wischte sich den Mund ab. »Während Kid in Gewahrsam war, gab es einen … Zwischenfall. Wir hätten ihn schon am Vortag freilassen müssen — es wurde schließlich keine Anklage gegen ihn erhoben —, aber er hatte keinen Anwalt, deshalb meinte Barb, behalten wir ihn einfach noch über Nacht. Am Morgen wurde sein Alibi bestätigt, also gingen wir zu seiner Zelle, wo wir ihn blutüberströmt vorfanden.« Er zögerte. »Letztes Mal wollten Sie wissen, warum wir die Ermittlungen so schnell eingestellt haben. Das ist der Grund. Er wäre ein PR-Albtraum geworden. Also haben wir den Fall schnell abgehakt, damit die Journalisten nicht anfingen rumzuschnüffeln.«
»Als Sie sagten, die Ermittlungen wären reine Formsache gewesen, meinten Sie also, Sie haben sie zu einer Formsache gemacht. Der Fall hätte noch wochenlang weitergehen können. Sie wissen gar nicht, was Sie über Jake herausgefunden hätten, weil Sie lieber eine schwere Körperverletzung vertuschen wollten.«
Victor wurde wütend. »Ich habe getan, was ich tun musste. Wenn das rausgekommen wäre, wären Köpfe gerollt. Ich konnte meinen Job nicht riskieren, ich hatte zwei kleine Kinder zu Hause.«
»Aber Sie haben Kid doch nicht verletzt, weshalb sollte Ihr Job in Gefahr gewesen sein?«
Er seufzte. »Ich war neu auf dem Revier. Der einzige Latino. Ich weiß, wie das läuft, Kate. Und ich schätze, das wissen Sie auch.«
Er sprach es nicht aus, aber Kate war klar, was er meinte, und ihr stieg die Röte ins Gesicht. Leonard. Die Redaktion. Nichts davon war so geheim, wie sie gedacht hatte. Würde sie diesem Desaster je entkommen? Das Schlimmste war, es hatte ihre Sicht auf Dinge dieser Art verändert. Sie hatte Leute, die mit Anschuldigungen nicht an die Öffentlichkeit gehen wollten, für Feiglinge gehalten. Mittlerweile erkannte sie die unterschiedlichen, sich überlagernden Machtstrukturen, die alles unter sich begruben.
»Was dieser Kollege mit Kid gemacht hat, war fürchterlich«, sagte Victor. »Und für den Rest meines Lebens werde ich mich dafür schämen, ihn gedeckt zu haben. Aber eins kann ich Ihnen versichern, selbst wenn wir länger ermittelt hätten, wäre nichts Belastendes über Jake an die Oberfläche gekommen. Der Mann hat seine Frau geliebt. Sein ganzes Leben bestand daraus, sich um sie zu kümmern, sie zu beschützen. Ihr Tod hat ihn zerstört.«
»Aber ich habe Hinweise gefunden. Einmal hat sie ihn wegen seiner Motivwahl konfrontiert, und er ist ausgerastet und …«
»Haben Sie Beweise dafür gefunden, dass er sie getötet hat? Eindeutige Beweise?«
Kate öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Das Tagebuch. Hätte sie es doch nur zu Ende lesen können.
»Wenn das alles ist«, sagte Victor, »dann gehe ich jetzt nach Hause.«
Er winkte Frank zu, griff dann nach seiner Sporttasche und entfernte sich über den Platz. Nach einem kurzen Zögern folgte Kate ihm. Ihn einzuholen war nicht schwer, und sie erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, ihn nicht zu überholen. Männer mochten es nicht, wenn man sie überholte. Sie gingen sofort in Abwehrhaltung.
Schweiß bildete ein schwarzes Kreuz auf seinem Rücken, und Kate richtete ihre flehentliche Bitte genau darauf. »Miranda ist mir wichtig. Ich glaube nicht, dass sie sich erschossen hat. Sie haben gesagt, Sie haben getan, was Sie mussten. Ich mache gerade nichts anderes. Ich weiß, dass viele Leute über den Fall reden und dann mit ihren eigenen Theorien ankommen wollen, um daraus eine Geschichte zu spinnen. Das ist mir egal. Ich werde niemandem etwas erzählen. Weder über Kid. Noch über Miranda. Ich muss einfach wissen, wie sie gestorben ist. Ich muss das wissen.«
Victor wurde langsamer, blieb dann stehen. Kate wäre fast in ihn hineingestolpert. Als er sich zu ihr umdrehte, konnte sie nicht ausmachen, ob auf seinem Gesicht Mitgefühl oder Mitleid lag. Aber das war Kate egal. Ihr Puls raste schnell, so, so schnell.
»Vielleicht wird Ihnen nicht gefallen, was Sie herausfinden«, sagte er.
Sie schrie fast vor Erleichterung auf. »Das heißt, Sie wissen die Wahrheit?«
»Nein, nicht die Wahrheit. Eher ein Bauchgefühl.«
»Okay, dann ein Bauchgefühl. Sagen Sie schon.«
»Ihr Chef«, antwortete er. »Oder Freund. Was immer er nun ist.«
»Theo?«
Victor nickte. »Er war komisch, als wir seine Aussage aufgenommen haben. Dazu kam all das, was die Schule über ihn zu berichten hatte. Er hat andere gehänselt, sich geprügelt. Aber Jake wollte nicht, dass wir noch mal mit ihm sprechen, hatte Angst, dass er seelische Wunden davonträgt. Lippland hielt es sowieso für überflüssig, sich mit ihm zu befassen. Kinder waren nun mal komisch, sagte sie, weil sie das alles für Zeitverschwendung hielt. Ich habe nicht darauf beharrt. Stand mir auch nicht zu. Ich sollte den Anordnungen folgen. Dann wiederum … ich hatte ja selbst Söhne. Wann immer ich Theo betrachtete, sah ich sie und dachte … wenn sie anders aufgewachsen wären, wenn sie keine gute Mutter gehabt hätten — wozu wären sie fähig?«
Kate war einen Moment lang sprachlos. Dann schüttelte sie den Kopf. »Bei unserem letzten Gespräch haben Sie doch gesagt, Theo konnte es gar nicht gewesen sein.«
Er hob die Schultern, ließ sie wieder fallen. »Ich wollte niemanden beschuldigen, so ganz ohne Beweise. Besonders nicht mit Ihrer Tante im Raum. Ist ja kein Geheimnis, wie gern sie tratscht.«
»Aber Theo konnte es doch rein körperlich gar nicht gewesen sein.« Ihre Stimme überschlug sich. »Er war viel kleiner als Miranda.«
»Und?«
»Sie haben uns doch gezeigt, in welchem Winkel die Kugel in ihren Kopf eingedrungen ist. So hoch konnte er gar nicht zielen.«
Victor wirkte kurz irritiert, dann glätteten sich seine Stirnfalten.
»Offenbar habe ich vergessen, etwas zu erwähnen«, sagte er. »Als der Schuss abgefeuert wurde, hat Miranda gekniet.«
Plötzlich war da Druck auf Kates Rippen, als würde jemand auf ihrer Brust sitzen. Sie brauchte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass sie zu atmen aufgehört hatte. Sofort holte sie Luft, zog den kreidigen Geruch des roten Aschenplatzes tief in die Lunge.
Damals, als sie Victors Haus verlassen hatten … als sie vor Louise so von Theos Unschuld getönt hatte, davon überzeugt war, dass er es nicht gewesen sein konnte … ein großer Fehler. Alles. Ihr selbstgefälliges Grinsen fehl am Platze. Ihr Gefühl, eine überlegene Ermittlerin zu sein. Ihre plötzliche Milde Theo gegenüber, ihr Vertrauen in ihn. Alles falsch, falsch, falsch. Und das Schlimmste: Wenn sie damals nur ein wenig von ihrem Verdacht hätte durchschimmern lassen oder gewusst hätte, welche Frage ihm diese wichtige Information hätte entlocken können, hätte sie sich das ganze Fiasko erspart. Die ganze Zeit glaubte sie, sie hätte etwas herausgefunden, das vor ihr noch niemand bemerkt hatte. Dabei war sie einer Tatsache gefolgt, die gar keine Tatsache war. Sondern ein Phantom.
»Ich weiß immer noch nicht, wieso wir kein Blut an ihm gefunden haben«, sagte Victor, »oder wie er so lügen konnte. Deshalb ist es nur ein Bauchgefühl. Nicht die Wahrheit.«
»A-aber …« Sie hörte eine Stimme, ihre eigene Stimme, stotternd, stolpernd. »Aber wieso hätte er das tun sollen?«
Er. Theo. Weil sie nicht glaubte, dass er es getan hatte. Miranda getötet. Sie glaubte es doch nicht? Sie wusste es nicht. Wieder wurde ihr schlecht, wieder konnte sie kaum atmen, als würden all die Fragen ihr System überfluten und überfordern.
»Es muss ein Motiv gegeben haben«, beharrte sie.
Victor sah über ihre Schulter zu Frank, sagte dann leise: »Ich bin von Eifersucht ausgegangen.«
Sie konnte nicht folgen. »Eifersucht? Worauf?«
Diesmal war das Mitleid auf seinem Gesicht unmissverständlich.
»Miranda war schwanger«, sagte er. »Im dritten Monat. Sie und Jake erwarteten ein weiteres Kind.«