Kapitel 12

RYDER

Zehn Minuten später verlassen wir das Hotel durch die Eingangstür und werden von einem Auto, das schnell an uns vorbeifährt, und dem typischen Fußgängerverkehr von San Francisco begrüßt, der die Straßen bevölkert. Die warme Brise streicht über mein Gesicht und trägt den Geruch der Stadt mit sich.

Aber es ist die Frau neben mir, die meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Hadley fummelt an der Seite ihres Kleides herum und wackelt mit den Hüften. »Wenn wir das nächste Mal irgendwohin gehen, erinnere mich daran, einen zusätzlichen Slip in meine Handtasche zu packen«, sagt sie, und ihr amüsierter Blick huscht zu mir.

»Sieh das nächste Mal nicht so schön aus, und dann haben wir das Problem nicht«, erwidere ich, und mir gefällt die Hitze, die in der Tiefe ihrer Augen zu sehen ist. Mir fällt auf, dass ich sehr vieles an ihr mag, abgesehen von der Tatsache, wie sehr ich nach ihrem Körper hungere. In der Öffentlichkeit mit ihr gesehen zu werden, obwohl das heute kein Date war, war nicht schlecht, beschließe ich. Um ehrlich zu sein, fühlt es sich verdammt natürlich an, mit ihr zusammen zu sein, und das fühlt sich seltsam … gut an. »Außerdem«, fahre ich mit tiefer Stimme fort, von der ich weiß, dass sie sehr sinnlich darauf reagiert, »wissen wir beide, dass es mir gefällt, dass du mich noch immer in dir spüren kannst. Und dir gefällt es auch. Also würde ich sagen, verzichten wir das nächste Mal ganz auf das Höschen.«

Ihre Augen blitzen, wie erwartet, vor glühendem Verlangen auf. »Blackwood, Sie sind ein schmutziger, schmutziger Mann.«

»Ich akzeptiere diesen Titel mit Stolz, Süße.« Ich nehme ihre Hand in meine und küsse ihre Handfläche. »Und das gefällt dir auch.«

Sie schenkt mir ein kleines, süßes Lachen, und natürlich schweigt sie zustimmend und beginnt, sich meinem Schritt anzupassen, während wir Hand in Hand die Straße entlanggehen. »Also, zurück zu den nicht-sexy Dingen, wo stehen wir gerade? Sind wir am Arsch?«

Mit der freien Hand greife ich nach meiner Fliege und löse sie, dann öffne ich ein paar Knöpfe und kann endlich wieder atmen. »Nein, wir sind nicht am Arsch«, sage ich mit einem Stirnrunzeln. »Alex wird vor morgen etwas herausgefunden haben.«

Hadley sieht stur geradeaus zu einem Pärchen, das uns auf der Straße entgegenkommt. »Ich verstehe immer noch nicht, wie du dir dessen so sicher sein kannst.«

»Weil Alex mich nicht enttäuscht.«

»Niemals?«

»Nie«, bestätige ich.

Offensichtlich hat Hadley das, was ich ihr gesagt habe, akzeptiert, da sie nichts mehr sagt, während wir an einem weiteren Paar vorbeigehen. Aber kaum, dass wir weiter die Straße entlang in Richtung meines Trucks gehen, merke ich, dass ihr Schweigen kein gutes Schweigen ist. Selbst aus den Augenwinkeln entgehen mir die Anspannung und ihr vor Sorge verzerrtes Gesicht nicht, und das reißt mir das Herz heraus. Es gibt nichts, was ich lieber tun würde, als ihr zu sagen, dass ich das Video habe und sie sich keine Sorgen mehr machen muss.

Schließlich bricht sie das Schweigen. »Es fällt mir sehr schwer, darauf zu vertrauen, dass das alles einfach verschwinden und morgen nicht jeder über mein Leben Bescheid wissen wird.« Ihr Blick findet meinen, ihr Gesichtsausdruck ist verzerrt. »Dir ist klar, wie wenig Zeit wir noch haben, oder?«

Ich gehe beiseite, lasse dem Pärchen auf dem Gehweg Platz, um an uns vorbeigehen zu können. »Alles, was zählt, ist, dass wir Zeit haben. Fünf Minuten, eine Stunde, egal, das Video ist noch nicht publik gemacht worden. Das bedeutet, wir können es noch immer aufhalten.« Ich lasse meine Stimme fest klingen, drücke ihre Hand und gebe ihr den einzigen Trost, den ich ihr jetzt geben kann. »Und ich werde nicht aufhören, bis die Zeit abgelaufen ist.«

Sie nickt leicht und lächelt zärtlich.

Hadley wirkt nicht überzeugt, aber sie kennt Alex auch nicht so gut wie ich. Alex wird mir besorgen, was ich brauche, und wahrscheinlich wird sie mir sogar mehr holen, als ich von ihr verlangt habe. Denn das ist, was Alex macht.

Wir überqueren an einer Kreuzung die Straße, und ich sehe meinen Truck, der in einiger Entfernung hinter einem BMW parkt, genau dort, wo ich ihn abgestellt habe. Hadley fragt mich: »Na gut, was machen wir jetzt? Herumsitzen und hoffen, dass Alex anruft?«

Ihre vor Sorge angespannt aussehenden Augenwinkel lassen mich die Stirn runzeln. Selbst ich weiß, dass unsere Chancen nicht gut stehen. Ich sollte ja sagen. Denn das wäre die ehrliche Antwort. Den Hacker zu finden ist in diesem Augenblick unsere beste Chance, um zu verhindern, dass das Video veröffentlicht wird, vor allem, da wir keine Ahnung haben, wer der andere Mann in dem Video ist oder wer der Erpresser sein könnte. Ich öffne den Mund, um ihr zu antworten, da klingelt mein Handy. Ich ziehe es aus der Hosentasche, blicke auf den Bildschirm und schnaube. »Alex müssen die Ohren geklingelt haben.«

»Ist sie das?«, ruft Hadley aus.

Ich nicke und hebe das Handy an mein Ohr. »Alex, was hast du für mich?«

»Oh, hallo, Alex«, sagt sie mit genervter Stimme. »Danke, dass du so hart arbeitest, während ich mit meiner heißen neuen Geliebten auf Partys herumtanze.«

»Alex«, murmle ich, weil ich nicht in der Stimmung für unser übliches spielerisches Geplänkel bin.

»Na schön. Du bist eine Spaßbremse.« Sie schweigt für einen Moment, und ich kann ihre Finger am anderen Ende der Leitung hören, die auf der Tastatur herumtippen. »Es wird Zeit, Hadley in ein Taxi zu setzen, und du musst dich mit deinem Team treffen …« Weiteres Tippen, diesmal schneller. Dann: »Ich habe dir den Standort des Ziels schon auf dein Handy geschickt. Das Team ist bereits unterwegs.«

Hadley reißt die Augen auf, als ich frage: »Du hast ihn gefunden?«

»Natürlich habe ich das«, stellt Alex klar.

»Du bist ungelogen die Beste, Alex. Gute Arbeit.« Ich kann den Blick nicht von Hadley abwenden, sehe in ihrem Gesichtsausdruck Freude, Erleichterung und Sorge. Und etwas Unbekanntes. Vielleicht ist darin auch Sorge um mich zu sehen, als ihr klar geworden ist, dass ich heute Nacht dem Hacker gegenübertreten werde, der vielleicht, vielleicht aber auch nicht, ein brutaler Krimineller ist. »Sonst noch etwas?«

»An diesem Hacker ist nichts Besonderes. Er muss neu sein. Mein innerer Zirkel hat von ihm noch nie etwas gehört.«

Was mir sagt, dass er entweder gerade erst hergezogen oder ein kleines Kind ist, das in ein Spiel für Erwachsene geraten ist, in dem es nicht sein sollte.

»Das wars. Pass auf dich auf«, sagt Alex, bevor sie auflegt.

Ich schiebe mein Handy wieder in meine Tasche, mein Herzschlag beschleunigt sich um einige Takte. Das Adrenalin, das immer am Ende einer Jagd kommt, beginnt durch meine Adern zu pulsieren. Ich nehme Hadleys Hand, ziehe sie sanft, aber drängend auf den Gehweg zu.

»Okay. Warte. Sie hat ihn gefunden?« Hadley rennt mittlerweile, um mit meinem strammen Schritt mitzuhalten. »Wo ist er? Wer ist es?«

Am Gehsteig bleibe ich stehen, schiebe mir die Finger in den Mund, pfeife laut und winke ein Taxi heran. Der Taxifahrer sieht mich, macht einen U-Turn von der anderen Seite der Straße und verliert keine Zeit, um zu uns zu kommen. Das alles weiß ich gerade sehr zu schätzen. Ich halte ihr die Tür auf. »Steig ein. Ich rufe dich an, wenn das alles vorbei ist.« Dann greife ich in meine Tasche, nehme einen Fünfziger aus der Geldbörse und reiche ihn dem Fahrer durch das heruntergekurbelte Beifahrerfenster.

»Ryder«, sagt Hadley ernst, stemmt die Füße in den Boden um nicht ins Auto steigen zu müssen.

Sanft schiebe ich sie zur Rückbank des Autos, aber sie widersetzt sich mir. Frustriert seufze ich, drehe sie herum und umfasse ihre Schultern. Ich lasse den Kopf sinken, bringe mich auf Augenhöhe mit ihr. »Lass mich gehen und mich darum kümmern. Du musst nicht dabei sein. Bitte geh nach Hause, wo ich weiß, dass du sicher bist. Ich werde dich sofort im Anschluss anrufen. Versprochen.«

Genau hier, mitten auf der Straße, schockiert sie mich bis ins Mark. Sie ist eine Kämpferin, das liegt in ihrer Natur. Aber genau hier, in diesem Moment, weicht sie sichtbar zurück, nur weil sie mir vertraut. Das, genau das, ist es, was mich als Mann verändert. Es berührt mich auf eine Weise, die ich nicht verstehe, sorgt dafür, dass mein Herz aus einem ganz anderen Grund zu rasen beginnt.

»Bitte pass auf dich auf, und komm schnell zu mir zurück.« Sie küsst mich, als würde ich in den Krieg ziehen und vielleicht nicht mehr zurückkehren, bevor sie auf den Rücksitz gleitet.

Ich schlage die Tür hinter ihr zu und sehe dem Taxi nach, wie es in der Entfernung verschwindet, bevor ich zu meinem Truck zurückrenne. Kaum dort angekommen, springe ich hinein, klicke die Karte an, die Alex auf mein Handy geschickt hat, und lasse mich von dem Navi an den richtigen Ort fahren.

Die Straße, zu der es mich führt, ist leer, kein Cop in Sicht, aber das überrascht mich nicht. Alex sorgt immer dafür, dass ich nicht auf Gesetzeshüter treffe.

Als ich die Stelle erreiche, an der die Straße sich gabelt, sagt mir das Navi, ich soll nach links fahren, und nachdem ich das getan habe, sehe ich, dass Alex mich zu einem Yachthafen geführt hat. Sofort entdecke ich mein Team, das in der Nähe der angedockten Segelboote wartet.

Ich parke meinen Truck neben Lees Hummer und zwinge meinen Herzschlag mit einigen tiefen, langen Atemzügen dazu, sich zu beruhigen, und das Adrenalin dazu, seine Wirkung einzuschränken. Schnell steige ich aus, gehe zur Hinterseite des Hummers, wo Lee mit fünf anderen Blackwood-Teammitgliedern steht. »Alex hat mir nur sehr wenige Details verraten. Was wisst ihr?«, frage ich Lee, nehme mein Jackett ab und lege es, mit der Fliege, in seinen Kofferraum.

Er reicht mir eine Pistole und mein Beinholster. »Der Hacker befindet in dem Boot dort drüben.«

Nachdem ich das Holster umgeschnallt und den Sicherheitsbügel meiner Waffe gelöst und sie in das Holster gesteckt habe, nehme ich die Kommunikationsvorrichtung von Lee entgegen und stecke sie mir ins Ohr. Dann blicke ich in die Richtung, in die er deutet, und sehe ein Motorboot. Abgesehen davon ist die Gegend ruhig, bis auf einige andere Boote, die in einiger Entfernung auf dem Wasser schippern. »Irgendwelche Veränderungen?«

»Seit einer Weile nichts«, erklärt Lee und verschränkt die Arme vor seiner kugelsicheren Weste. »Unsere Drohnen haben uns einen guten Blick auf ihn gewährt, als wir noch im Firmengebäude waren, und wir konnten bestätigen, dass Alex den richtigen Ort gefunden hat, aber seit wir hier angekommen sind, haben wir das Ziel nicht mehr gesehen. Ich schätze, er befindet sich unter Deck, wahrscheinlich spielt er mit seinem Laptop herum, den er mit sich herumgetragen hat.«

»Irgendwelche Informationen zur Location?«, frage ich, nehme die kugelsichere Weste entgegen, die Lee mir reicht, streife sie über und schließe sie mit den Klettverschlussstreifen an der Seite.

Lee schüttelt den Kopf, sein Mund formt eine dünne Linie. »Wir gehen blind da rein.«

Ich kann seine Sorge verstehen. Wir arbeiten so nicht. Aber wir haben keine Zeit mehr. »Hat Alex etwas zur Vergangenheit des Ziels gesagt?«

»Keine Vorstrafen«, sagt Shawna, tritt neben Lee, und die anderen vier Mitglieder meines Teams stellen sich um uns. »In seiner Jugend ist nichts geschehen, was uns glauben lassen könnte, er wäre gefährlich.«

Lee fügt hinzu: »Er hat erst vor einem Jahr die Highschool abgeschlossen.«

Was meine früheren Vermutungen bestätigt, und ich schätze, das erklärt, warum Alex ihn nicht kannte. Hacker haben einen eigenen Moralkodex, und dieses Kind folgt ihm nicht. Das ist eine Lektion, die er nach heute Nacht lernen wird, und wenn er mir erzählt, was ich wissen muss, kriegt er nur einen Klaps auf die Hand anstelle des Strafregisters, das die Cops ihm um die Ohren hauen würden.

Ich beende meine Vorbereitungen, indem ich mein Handy auf stumm stelle und es wieder in meine Hosentasche schiebe. Dann wende ich mich an mein Team. »Ich bin mir bewusst, dass wir gegen das Protokoll verstoßen und nicht so viele Informationen gesammelt haben, wie wir es normalerweise tun. Wenn irgendjemand von euch sich unwohl damit fühlt, dass wir blind da reingehen und lieber aussteigen will, werde ich ihm das nicht vorhalten.«

Jedes Mitglied meines Teams, einer nach dem anderen, antwortet mit einem festen Nicken und sagt: »Ich bin an deiner Seite.«

Ich bin stolz auf sie und entschlossen, Hadley endgültig aus dieser Bedrängnis zu befreien, also sage ich zu meinem Team dasselbe, was ich vor jeder Mission sage: »Schnell rein. Sicher wieder raus.«

HADLEY

In dem Moment, in dem der Taxifahrer vor einer roten Ampel hält, klingelt mein Handy. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, denn ich bin sicher, dass Ryder verletzt oder erschossen wurde. Ich reiße den Kopf von der Lehne hoch. Bisher habe ich das Einzige getan, was ich machen konnte: den Geschäftsfronten dabei zusehen, wie sie an uns vorbeirauschen, damit ich nicht krank vor Sorge werde.

Ich ziehe mein Handy aus meiner Handtasche und bete, dass Ryder und sein Team in Sicherheit sind. Dabei hoffe ich, dass dieser Albtraum bald vorbei ist und endlich hinter mir liegt. Aber als ich mich auf den Bildschirm meines Handys konzentriere, weiß ich sofort, dass mein Albtraum dabei ist, noch viel, viel schlimmer zu werden. Ich lese die E-Mail meines Vaters, Wort für Wort, und meine Hände beginnen zu zittern.

Hab meinen Terminplan bekommen. Danke. Ich rufe dich an, sobald ich aus Washington zurück bin. Liebe Grüße, Dad

Von meinem Smartphone gesendet

»Stopp«, schreie ich, und meine Stimme dröhnt durch das Auto.

Die Reifen kommen quietschend zum Stehen, und ich strecke hastig die Hand aus, um zu verhindern, dass ich mit dem Kopf gegen den Vordersitz knalle. Hinter uns hupt jemand wütend. Selbst der Taxifahrer funkelt mich wütend durch den Rückspiegel an. »Fahren Sie mich zu Van Ness and Broadway«, keuche ich. »Beeilen Sie sich bitte.«

Trotz der deutlich hörbaren Verärgerung in seiner Stimme, sagt er: »Sofort, Miss.« Er wendet den Wagen, sehr viel langsamer, als mir lieb ist, in der nächstgelegenen Einfahrt.

Als ich mein Handy hebe und die Nachricht noch einmal lese, kann ich das Zittern meiner Hände kaum kontrollieren. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft mein Vater mir bisher eine E-Mail geschrieben hat. Er sagt immer, es ist ihm lieber, meine Stimme zu hören, und im Grunde ist er einfach dieser Mann im fortgeschrittenen Alter, der sich mit der modernen Technik in seinem Leben schwertut.

Hastig scrolle ich mich durch mein Adressbuch und finde Ryders Handynummer. Ich drücke auf Anrufen, und mir stockt der Atem in der Kehle. Aber nach dem vierten Klingeln wird deutlich, dass er nicht abheben wird. Offensichtlich ist er immer noch mit dem Hacker beschäftigt. Ich brauche Hilfe. Und ich brauche sie schnell.

In diesem Moment ist mein Sexvideo meine geringste Sorge. Irgendetwas fühlt sich falsch an … Dieses Mal werde ich meine Instinkte nicht ignorieren. Mir wird klar, dass ich keine Möglichkeit mehr weiß, wie ich Ryder erreichen kann, und aus reiner Verzweiflung öffne ich meinen Internetbrowser und suche nach »Blackwood Security«.

Nachdem ich den Link angeklickt habe, öffnet sich eine schlichte und moderne Webseite, und ganz oben finde ich die Telefonnummer. Ich drücke den Button neben der Nummer, und bald ertönt das Klingelzeichen und ich bete, dass Hilfe bereits unterwegs ist.

Als das Klingeln aufhört, höre ich eine tiefe Stimme sagen: »Blackwood Security, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich muss mit Alex sprechen«, bringe ich heraus und kann das Zittern in meiner Stimme hören.

Eine Pause. Dann: »Alex wer?«

Ich versuche, mich an Alex’ Nachnamen zu erinnern; Ryder hat ihn mir genannt, als er uns einander vorgestellt hat. Scheiße. »Es tut mir leid«, sage ich zu dem Mann und blicke aus dem Seitenfenster, wir haben gerade die Vorstadt erreicht. »Ich kenne ihren Nachnamen nicht. Sie arbeitet eng mit Ryder zusammen. Hilft das irgendwie weiter?«

»Ich befürchte, nicht.«

Der schroffe Ton in seiner Stimme sagt mir, wie sehr ich es versaut habe. Ich kenne Ryder. Keiner, der am anderen Ende der Leitung wäre, würde mich angesichts der Informationen, die ich ihm gerade gegeben habe, durchstellen. Allerdings habe ich keine Zeit für das Tausend-Fragen-Spiel mit diesem Typ, um zu Alex durchgestellt zu werden.

»Sir, bitte hören Sie mir genau zu. Mein Name ist Hadley Winters, die Tochter des Senators.« Es kommt sehr selten vor, dass ich meinen Namen benutze. Aber ich hoffe, dass er mir in diesem Fall weiterhilft. »Ich muss mit Alex in einer dringenden Angelegenheit sprechen, die meinen Vater betrifft und die nicht warten kann. Lassen Sie mich eines klarstellen: Wenn Ryder herausfindet, dass ich angerufen habe und Sie mich nicht zu ihm durchgestellt haben, dann kann ich Ihnen versichern, wird er Ihren Tag sehr, sehr unangenehm gestalten. Denken Sie einen Augenblick darüber nach. Ist ein angepisster Ryder wirklich etwas, womit Sie sich heute Abend auseinandersetzen wollen?«

Schweigen.

Dann: »Bitte warten Sie, ich leite Sie an Alex McCoy weiter, Miss Winters.«

Fahrstuhlmusik ertönt, und ich seufze erleichtert auf.

Ich blicke zum Taxifahrer und sehe durch den Rückspiegel das Lächeln in seinen Augen. »So macht man das, Mädchen.«

Ich erwidere nichts, ich brauche seine Zustimmung nicht. Jeder Muskel in meinem Körper ist vor Sorge angespannt, und mein Herz ist schwer vor Traurigkeit, während meine Instinkte mir weiterhin Gefahr zubrüllen. Ich starre die Häuser an, an denen wir auf der stillen Straße vorbeifahren, zähle die Sekunden, hoffe in jeder einzelnen davon, dass mein Vater okay ist.

Schließlich wird die Musik leiser, und dann höre ich am anderen Ende der Leitung Alex’ überraschte Stimme. »Hadley?«

»Ja, Alex«, keuche ich. »Gott sei Dank, du bist es.«

»Natürlich bin ich es«, sagt sie, und man kann ihrer Stimme anhören, dass sie amüsiert ist. »Tony hat wegen deines Anrufs die Hosen voll. Er sagte, die Bestrafung durch Ryder, falls dieser Anruf ein Fake ist, wäre schlimmer als mit einer verrückten –«

»Hör zu«, schneide ich ihr das Wort ab, weil ich auch keine Zeit mehr für dieses Gespräch habe. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, mein Vater steckt in Schwierigkeiten.«

Eine Pause. Dann: »Wie bitte?«

»Mein Vater«, wiederhole ich, mein Herz rast, meine Handflächen sind verschwitzt. »Er hat mir heute Abend eine E-Mail geschrieben. Ich glaube, er steckt in Schwierigkeiten.«

Noch eine Pause. »Es tut mir leid, Hadley, aber ich verstehe nicht, wie eine E-Mail auf Schwierigkeiten hindeuten kann.«

»Er schreibt keine E-Mails.«

Trocken fügt sie hinzu: »Na ja, vielleicht hat er sich entschlossen, jetzt damit anzufangen. Was steht darin?«

»Er hat mir gedankt, weil ich ihm seinen Terminplan per Mail geschickt habe und gesagt, er ruft mich an, wenn er aus Washington zurück ist.«

»Das ist nett.«

»Alex«, fauche ich, bin am Ende meiner Geduld und vertraue voll und ganz auf meine Instinkte. »Er weiß nicht, wie man von seinem Handy aus E-Mails schreibt. Er wüsste nicht einmal, welche App er dazu benutzen müsste. Es ist, als wollte jemand sichergehen, dass ich mich nicht bei ihm melde, um zu hören, wie es ihm geht. Bitte«, bettle ich, meine Augen füllen sich mit Tränen. »Bitte, hör auf mich. Irgendetwas stimmt nicht. Ich weiß es einfach.«

Für einen Augenblick ist sie still, und offensichtlich bringt die Sorge in meiner Stimme sie dazu, mir zu glauben, denn als sie wieder spricht, ist ihre Stimme weicher: »Hat er dir nie zuvor eine E-Mail geschrieben? Nicht ein Mal? Kein einziges Mal?«

Ich wische die Tränen weg und blicke aus dem Fenster, wir befinden uns bereits in der Nähe meines Elternhauses. »Er weiß nicht einmal, wie er den Kalender auf seinem Handy bedienen soll, geschweige denn seinen E-Mail-Account.«

»Wann hast du das letzte Mal mit deinem Vater gesprochen?«

»Er kam heute Morgen vorbei« – Gott, ist das wirklich erst heute Morgen gewesen? Es fühlt sich an, als wäre das schon ein ganzes Leben her – »und da hat er mich gebeten, ihm seinen Terminplan zu schicken. Hör zu, das ist normal und gehört zum Job. Er hat mir bereits heute Morgen gedankt. Er würde das nicht noch einmal machen, dafür gibt es einfach keinen Grund. Und das ist nicht mein Vater.« Ich habe nie zuvor eine Frau um etwas angefleht, aber ich werde sie anflehen, bis meine Stimme versagt, so lange, wie sie bereit ist, mir Glauben zu schenken. »Ich bin gerade auf dem Weg zu seinem Haus und fast schon da, aber bitte, schick jemanden, um mir zu helfen.«

»Wenn du glaubst, er ist in Gefahr, solltest du dich besser von seinem Haus fernhalten«, sagt Alex ernst. Im Hintergrund kann ich etwas rascheln hören. Dass sie außer Atem ist, bedeutet wohl, sie rennt gerade irgendwohin. Dann sagt sie zu jemandem, der sich vermutlich mit ihr im Raum befindet: »Schick ein Team zum Haus des Senators.« An mich gewandt schiebt sie hastig hinterher: »Hadley, kannst du mich hören? Ein Team ist unterwegs. Es ist nur eine Minute entfernt. Du solltest nicht –«

»Beeilt euch!« Ich lege auf.

In diesem Augenblick fährt das Taxi in die runde Auffahrt, und gerade als das Auto anhält, fragt der Taxifahrer: »Ist es sicher, zu –«

Ich höre den Rest des Satzes nicht mehr. Ich springe aus dem Taxi und renne die Kalksteinstufen vor der Tür meiner Eltern hinauf, mein Herz rast mit der Geschwindigkeit von drei Kilometern die Minute. Ich verliere keine Sekunde. Ich schließe meine Hand um den kühlen Metallgriff und reiße die Tür auf.

Sofort wird mir klar, meine Instinkte haben nicht gelogen. Ein Blick an die Wand sagt mir, dass die Alarmanlage ausgeschaltet ist. Und meine Eltern lassen die Tür nicht ungesichert. Niemals.

Langsam trete ich ins Foyer, lasse die Tür für Ryders Team offen, damit es eintreten kann, sobald es hier ankommt. Ich blicke von links nach rechts, um mich umzusehen. In diesem jahrhundertalten Haus ist nichts. Keine Bewegung. Keine Stimmen. Nichts.

Mir wird die Kehle eng, als ich mich leise vorwärtsbewege, und es fällt mir schwer, die Luft einzuatmen. Ich lausche auf jedes Geräusch … jedes kleine Knarren in dem alten Haus. Es ist alles normal, genau so, wie ich das Haus in Erinnerung habe, das über drei Generationen hinweg von der Familienseite meines Vaters weitergegeben wurde, bis ich das Wohnzimmer erreiche.

Dort finde ich meinen Dad. Er sitzt in seinem heißgeliebten Sessel, der Fernseher ist an und zeigt ein Baseball-Spiel. Aber das ist nicht das Einzige, was ich sehe.

Blut.

Und es bedeckt meinen Vater.