Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, seit die Männer mich wieder allein gelassen haben. Minuten? Stunden? Es ist unmöglich, das zu sagen. Der Raum ist trostlos, nur die flackernden Neonröhren über und das tropfende Wasser neben mir. Hier unten, wo auch immer hier unten sein mag, existiert keine Zeit. Ich weiß nur, dass ich schon eine Weile hier bin, und das weiß ich auch nur, weil meine Hände begonnen haben, sich blau zu verfärben.
Bondage Regel Nummer 1: Nicht zulassen, dass die Haut sich blau verfärbt.
Ich seufze, strecke die Finger aus, um die Schmerzen zu lindern, und in der Hoffnung, dass der Blutfluss dadurch angeregt wird. Es wäre so einfach, den Gefühlen nachzugeben, die drohen, mich zu zerreißen. Plötzlich höre ich männliche Stimmen, die von irgendwoher kommen. Mehrmals wurde die schwere Tür geöffnet und dann wieder geschlossen, aber niemand ist zu mir hereingekommen.
Aber das ist nicht das erste Mal, dass ich Stimmen gehört habe, und jetzt beginne ich mich in der Stille meines eigenen Kopfes zu fragen, ob ich mir diese Stimmen womöglich nur einbilde und sie gar nicht da sind. Ich zwinge mich, meine Aufmerksamkeit von dem nervenden Wassertropfen neben mir loszureißen, das einfach nicht aufhören will, und bald beginne ich zu glauben, dass die Stimmen doch real sind, denn sie kommen näher.
Und näher …
Und näher …
Dann öffnet sich die Tür, und Gestalten schälen sich aus den Schatten.
Ich bin mir sicher, es gibt die passenden Worte für das Auftauchen des Gouverneurs im Raum, aber in meinem Kopf herrscht Leere. Ist er hier, um mich zu retten? Aber Moment mal, woher weiß er, dass ich hier bin? Bedeutet das, die Cops sind auch hier? Aber warum ist er mit dem Typ hier, der mir eine Pistole an den Kopf gehalten hat? Und wo ist der andere Mann?
Langsam wird mir das Offensichtliche klar, aber erst als ich dem Gouverneur ins Gesicht blicke, muss ich mir eingestehen, dass er eindeutig nicht hier ist, um mich zu retten. Er ist hier, um das genaue Gegenteil zu tun.
Mein Schweigen wird von meiner Wut, die ich unmöglich weiter im Zaum halten kann, weggefegt. »Wie konntest du nur, Tobias?«, fauche ich und wünsche mir, ich könnte das Seil um meine Handgelenke dazu benutzen, um ihn zu erwürgen.
Tobias zuckt bei meinen Worten nicht einmal zusammen oder nimmt sie überhaupt zur Kenntnis, während er in den Raum stolziert kommt und direkt vor mir stehen bleibt. »Hallo Hadley.« Sein Blick zuckt zu meinen Handgelenken, bevor er mir wieder ins Gesicht sieht. Sein Mundwinkel wandert in die Höhe. »Dieses Mal macht es nicht so viel Spaß, gefesselt zu sein, was? Auch wenn ich denke, du siehst wunderschön damit aus.«
Mir bleibt die Luft weg. »Du warst der andere …« Mein Magen zieht sich zusammen, will meine letzte Mahlzeit hervorwürgen und ihn damit anspucken. Denn jetzt kenne ich eine Wahrheit, die ich mir niemals hatte eingestehen wollen: Ich wurde in einem Mordkomplott gegen meinen Vater benutzt, und ich habe mit dem Mann gefickt, der ihn tot sehen will. »Steckst …« Ich kann die Worte kaum aussprechen. »Steckst du hinter alldem?«
»Nimm es nicht zu persönlich«, erklärt er, ohne auch nur einen Hauch von Reue in der Stimme. »Es war ein notwendiges Übel. Du warst für mich ein Mittel zum Zweck, um zu bekommen, was ich will.« Er tritt an die Stelle, an der das Wasser herabtropft und streckt seine Hand aus, um die Tröpfchen aufzufangen. »Als wir erfuhren, dass du und der Kongressabgeordnete regelmäßig diesen Club besucht, fiel mir der Plan geradezu in den Schoß.«
»Du bist widerwärtig«, fauche ich ihn an.
»Vielleicht.« Er senkt seine Hand und wischt sich die Handfläche an der Hose ab. »Vielleicht hast du als junge Frau an einem Ort, der für Männer gemacht ist, einfach nur nach Schwierigkeiten gesucht.«
Jetzt ist er auch noch ein sexistischer Idiot? Ich habe Tobias Harrington noch nie gemocht, und mein Vater war auch nie besonders gut auf ihn zu sprechen. Aber jetzt? Jetzt weiß ich, dass meine Instinkte richtig waren.
Er schiebt seine Hände in die Taschen seines Anzugs, und ich beginne zu zittern. Diese Geste lässt ihn neben dem anderen Typen völlig fehl am Platz wirken. Es ist wie die Schöne und das Biest, nur ist das hier kein Märchen. Es ist mein Albtraum. »Und was wäre dieser Plan?«
Tobias beginnt den Stuhl zu umrunden, fährt mit dem Finger über meinen Arm. »Weißt du, es gab Gerüchte …« Ich weigere mich, mich zu bewegen, will nicht zulassen, dass er noch etwas von mir nimmt, und er fährt fort: »Unsere Partei braucht einen Kandidaten für die Präsidentschaftsvorwahlen im nächsten Jahr. Es ging das Gerücht um, dass die Partei deinen Vater dafür vorgesehen hat, und ich wäre die zweite Wahl.«
Von all den Dingen, die ich im Verdacht hatte, der Grund für all das zu sein – das stand nicht auf der Liste. »Du machst Witze«, keuche ich ungläubig. »Du hast versucht, meinen Vater zu töten, damit sie dich stattdessen aufstellen? Ist dir klar, wie verrückt das ist? Herrgott, Tobias, warum hast du ihn nicht erst einmal gefragt, ob er überhaupt antreten will?«
»Es war egal, was dein Vater vorhatte«, sagt Tobias kühl und stellt sich wieder vor mich. Gott, seine Augen sind seelenlos. »Er hätte umgestimmt werden können. Die Leute, die wollen, dass er antritt, sind reich und haben mehr Macht als ich.«
Ich schüttle den Kopf, versuche zu verstehen, wie ein Mann wie Tobias, dem ganz Kalifornien an den Lippen hängt, so etwas Verrücktes tun konnte. Dad lebt für die Politik, aber hätte er auch genügend Ausdauer für die Präsidentschaftswahl? Ich kann es mir nicht vorstellen. Außerdem hat Dad Ziele, und das Land zu regieren ist keines davon. Er genießt seinen Nine-to-five-Job, der dafür sorgt, dass er meistens unter der Woche zu Hause ist und an den Wochenenden Zeit hat, um mit Mom ins Napa Valley zu fahren. Er ist dieser Typ Mensch.
Tobias fährt fort, und daher behalte ich diese Gedanken für mich. »Du kennst deinen Vater. Wenn er denkt, andere brauchen ihn, ist er zur Stelle.«
Ja, so ist mein Dad. Er ist ganz anders als dieser verabscheuungswürdige Mann vor mir. Ich formuliere meine Frage sehr sorgfältig, um die Antwort zu bekommen, die ich brauche. »Also war deine einzige andere Option, zu versuchen, ihn umbringen zu lassen?«
»Ich habe versucht, ihn leise beiseitezuschaffen. Und als das nicht funktioniert hat, na ja …« In seinen Augen ist kein Funken Reue zu erkennen, bis er hinzufügt: »Du hättest nicht zum Haus kommen sollen. Du hättest deinen Vater dort sterben lassen sollen, dann wärst du jetzt nicht hier. Du warst niemals die Zielperson.«
Erst seufze ich vor Erleichterung auf, denn seine Antwort sagt mir, dass mein Vater die Operation überlebt hat und sich nicht mehr in Gefahr befindet. Dann erstarre ich aber vor Angst, denn jetzt befinde ich mich in Gefahr. »Aber jetzt bin ich die Zielperson?« Ich hasse es, das zu fragen.
»Mir bleibt keine Wahl mehr«, sagt Tobias. Er steht breitbeinig da, die Hände wieder in seine Taschen gesteckt. »Dein Vater wäre ein Märtyrer. Falls irgendjemand zuvor noch an ihm gezweifelt hat, würde er sich jetzt auf seine Seite stellen. Er würde allein aus dem Grund zur Wahl aufgestellt werden, weil er der ideale Kandidat ist. Die Öffentlichkeit würde die Geschichte vom Senator lieben, der fast gestorben wäre und sich dann zurück ins Leben gekämpft hat, um Präsident zu werden.«
Ich traue meinen Ohren nicht. Ich versuche Tobias’ Plan zu verstehen. »Und du denkst, das wird ihn dazu zwingen, in den Ruhestand zu gehen?«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.«
Ich kann es an seinem festen Blick sehen: Er hat sich bereits entschieden. Und ich erkenne, dass alles, was ich getan habe, um mich und meinen Vater zu beschützen, mich am Ende mein Leben kosten wird. »Bitte erklär mir, wie du denkst, dass das ablaufen soll.« Ich muss ihn dazu bringen weiterzureden. Ich brauche mehr Zeit.
Ryder, schreit mein Herz.
Tobias’ Gesichtsausdruck ist ruhig und kalt. »Es ist zu bezweifeln, dass er jetzt die Unterstützung für die Präsidentschaft bekommen würde. Ein trauernder Vater. Seine Unterstützer werden nicht glauben, dass er sich zu hundert Prozent auf die Kandidatur konzentrieren kann, wahrscheinlich kann er, nach alldem, was geschehen ist, die Lage nicht mehr gut einschätzen, und das wird seine Kandidatur schwächen«, sagt Tobias und tritt zur Seite, um dem anderen Mann Platz zu lassen, damit er neben ihn treten kann. »Aber gleichzeitig ist mir klar geworden, dass keine Zeit mehr bleibt. Ich kann kein Risiko mehr eingehen.«
Mein Herzschlag wird langsamer, was, wie selbst mir klar ist, ungewöhnlich in einer Situation wie dieser ist. Es muss an der Angst liegen, sage ich mir selbst. Es ist die Angst um mein eigenes Leben und die Erkenntnis, dass ich in diesem Moment absolut nichts kontrolliere. »Was soll das heißen?«, frage ich, gefangen in einem Starrwettbewerb mit dem Mann, der nun vor mir steht.
»Es tut mir leid, dass es so weit kommen musste«, sagt Tobias weich, und dann ist mein Herzschlag nicht mehr langsam, er wird schneller, als er sogar noch weiter zurückweicht. »Aber dein Vater muss endgültig beseitigt werden. Im Moment hat die Sache zu viel Aufmerksamkeit erregt, und mit diesem neugierigen Bodyguard, der seine Nase in alles reinsteckt, was ihn nichts anzugehen hat, kann ich das nicht weiter tolerieren.«
Die Zeit fließt langsamer, und jede Bewegung scheint eine Minute anzudauern. Tobias drückt die Hände auf die Ohren, der andere Mann tritt vor, und da sehe ich, dass er einen Ganzkörper-Overall trägt.
»Nein. Gott. Nein. Tu das nicht!«, flehe ich, als er seine Pistole aus dem Holster an seiner Seite zieht.
Tobias ignoriert mein Flehen und starrt zu Boden. Dann sagt er: »Es gibt jetzt kein Zurück mehr.«
Dann ist dort nichts mehr. Kein Tobias Harrington. Kein Killer. Kein kalter und trostloser Raum.
Es gibt nur mich und die Waffe, die auf meinen Kopf zielt.
Ich hebe meine Pistole, laufe an dem BMW des Gouverneurs entlang, der vor der verlassenen Psychiatrie im Süden der Stadt parkt, und mit meinem Team im Rücken eile ich durch die Eingangstür. Im Innern führt eine Treppe nach oben und nach unten, und ich bedeute Shawna und den beiden anderen Teammitgliedern, dass sie nach oben gehen sollen, Lee und ich werden runtergehen. Die Logik sagt mir, dass der Keller der perfekte Ort ist, um Hadley dort festzuhalten – perfekt, weil das Gebäude dafür gebaut wurde, keine Schreie nach außen dringen zu lassen.
Langsam, Stufe für Stufe, gehen wir hinunter, die Waffen auf jede mögliche Gefahr gerichtet, die uns entgegenkommen könnte, und wir beginnen mit der quälenden Aufgabe, alles sicherzustellen, Raum für Raum. Einige sind leer. Andere sind auf gespenstische Art noch voll mit Krankenhaus-Equipment. Und in einem Zimmer befinden sich sogar noch Spielzeuge für Kinder. Aber die Stille hält an, bis wir das Ende des Flurs erreicht haben. Dort kann ich Stimmen hören. Nicht nur männliche Stimmen, sondern auch Hadleys Stimme, und sie klingt nach Angst.
Ich zögere nicht. Ich bewege mich hastig auf die Tür zu.
Es gibt eine Menge, womit ich als Mann fertig werden kann. Aber selbst ich habe meine Grenzen, und darum stürme ich in den Raum, Lee im Rücken. Und meine Grenzen sind erreicht, als ich zum zweiten Mal eine Waffe sehe, die auf Hadleys Kopf zielt. Ich verstehe nicht einmal, was dieser Anblick mit mir macht, denn meine ganze Ausbildung und all meine Logik verschwinden, und es bleibt nur eine brennende Wut zurück, die keine Grenzen mehr kennt.
Meine Ausbildung sagt mir, ich sollte sofort schießen. Aber der Wunsch, zu beschützen, will, dass ich anders handle.
Ich ramme den Mann, der die Waffe auf Hadleys Kopf gerichtet hält. Hinter mir höre ich, wie Lee dem Gouverneur einen Befehl zubrüllt, aber der ist nicht die eigentliche Gefahr hier. Er ist schwach, und er ist auch nicht derjenige, dem ich gerade eine Lektion erteilen will. Er ist nicht der Mann, der eine Pistole in der Hand hält und damit die Frau bedroht, die meine Seele für sich beansprucht hat.
Als er sich umdreht, springe ich nach vorn, und er schießt. In dem kleinen Raum klingt es ohrenbetäubend. Ich renne zur Seite, aber nicht schnell genug, und die Kugel streift meine Schulter. Ich beiße die Zähne zusammen, lasse nicht zu, dass das Brennen in meinem Fleisch mich ablenkt. Fast in der gleichen Sekunde bin ich wieder auf den Füßen und mache einen Satz nach vorn, entschlossen sicherzustellen, dass die einzige Person, der hier wehgetan wird, der Mann vor mir ist.
Hadley schreit meinen Namen, und das Feuer in mir brennt stärker und immer stärker. Ich versuche mich zu konzentrieren, ignoriere sowohl die Angst als auch die Erleichterung in ihrer Stimme. Der Mann und ich prallen auf den Boden, und ich bleibe ganz auf ihn konzentriert.
Er macht seinen nächsten Schritt, versucht die Pistole anzuheben. Mir rutscht die eigene Waffe aus der Hand, als ich nach seinen Handgelenken greife und darum kämpfe, seine Arme auf dem Betonboden zu fixieren. Aber der Druck meiner Hände um seine bringt seine Finger dazu, den Abzug zu ziehen, und die Kugel schlägt in die Wand, viel zu nah an Hadley.
Ich habe genug von den Waffen, verlasse mich lieber auf mein Mixed-Martial-Arts-Training und schlage ihn hart ins Gesicht. Tag um Tag hat die Wut sich aufgestaut, und heute werde ich sie komplett an dem einen Mann auslassen, der sie verdient. Das sollte eigentlich eine logische Entscheidung sein – ihn außer Gefecht setzen und entwaffnen –, aber Logik verliert im direkten Vergleich mit Emotionen. Ich will, dass dieser Mann leidet.
Ich will, dass er blutet.
Ich nutze meine Aggression und knalle meinen Schädel gegen seinen, sodass sein Kopf auf den Beton schlägt. Er hebt den Ellenbogen, schlägt ihn gegen meine Nase. Das laute Knacken und der Schwall von Blut sagen mir, sie ist gebrochen, aber das ist nicht das erste Mal, und ich bezweifle stark, dass es das letzte Mal gewesen ist.
Ich spucke das Blut aus, stöhne, weil ich zwei weitere Schläge gegen den Kopf abbekomme. Aber ich schaffe es schließlich, ihm die Waffe abzunehmen, leider landet sie aber auch nicht in meiner Hand. Sie rutscht von uns beiden weg und ich springe auf, bereit, zu ihr zu rennen.
Der andere Typ erreicht sie als Erster, wirft mich zu Boden, und ich stöhne angesichts der Wucht, mit der sein Gewicht auf mir landet, als ich auf den Beton knalle. Er will mir einen weiteren Schlag versetzen, aber ich rolle mich zur Seite, wehre den Schlag ab und springe rasch wieder auf die Füße.
Dieses Mal ist er langsamer, und das ermöglicht es mir, im Bruchteil einer Sekunde zu sehen, dass Lee seine Waffe an den Kopf des Gouverneurs hält, während er sein Knie in dessen Rücken drückt und den Gouverneur so auf dem Boden festhält.
»Töte. Ihn. Nicht«, brülle ich Lee zu, in dem Augenblick, als mein Gegner wider auf mich losgeht.
Es gibt noch zu viele Unklarheiten. Ich brauche Antworten, nicht nur für mich, sondern auch für den Senator, wenn er wieder erwacht und wissen will, warum seiner Familie das angetan wurde. Ich will den Gouverneur für alles, was er getan hat, im Gefängnis leiden sehen, er soll nicht durch den Tod davonkommen.
Der Killer greift mich wieder an, benutzt die volle Kraft seiner Muskeln, und wir fliegen beide gegen die Wand. Ich sehe Sterne. Ich schüttle den Kopf und lasse nicht zu, dass die Dunkelheit mich verschlingt. Über mir höre ich ein ersticktes Stöhnen.
Ein Krachen ertönt, gefolgt von einem spitzen Schrei, der die Luft zerreißt, und mir wird plötzlich klar, ich habe ihn nicht verletzt. Eine Sekunde später bin ich wieder auf den Beinen und werde von Hadleys Anblick begrüßt, die in den Überresten des kaputten Stuhls liegt. Blut bildet eine Lache um ihre Wange herum, das aus einer klaffenden Wunde an ihrer Stirn stammt.
Und da sehe ich es. Das Aufblitzen von Metall, das auf ihren Kopf zielt. »Verfluchte Schlampe«, knurrt der Mann.
Ich bin mir sicher, was als Nächstes geschieht, wird nicht länger als einige Sekunden dauern, aber als ich zu meiner Pistole an der Tür springe, scheint die Zeit stillzustehen. Ich habe einen Schuss. Mehr nicht. Und dieser Schuss wird entweder aus meiner Waffe kommen oder aus der meines Gegners.
Als ich mich dem Boden nähere, legen sich meine Finger um das kühle Metall, ich rolle mich herum und deute mit der Pistole in die Richtung des Mannes. Das laute Echo hallt schmerzhaft von den Wänden wider, meine Arme werden von dem machtvollen Rückstoß der Pistole durchgeschüttelt.
Langsam sinkt er zu Boden. Dann brüllt ein Mann »Polizei« und betritt den Raum. »Auf den Boden.«
Ein Dutzend Männer umrunden mich binnen kürzester Zeit, und ich lasse mich mit dem Gesicht auf den Boden fallen, lege meine verschränkten Finger hinter meinen Kopf und starre Hadley an, unsicher, ob meine Pistole die einzige war, die abgefeuert wurde.
Jetzt ist da mehr Blut auf ihrem Kopf als noch zuvor. Aber ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie die Wunde schlimmer gemacht hat, weil sie den Mann angegriffen hat, oder ob sie angeschossen wurde. Ich bin auch klug genug, mich nicht in der Anwesenheit der Polizei, die ihre Waffen auf mich gerichtet haben, zu bewegen, aber ich stoße aus reiner Verzweiflung hervor: »Das ist die Tochter des Senators. Helfen Sie ihr.«
»Keine Bewegung«, sagt ein Cop, tritt hinter mich, und zwei weitere bewegen sich auf Hadley zu. »Identifizieren Sie sich.«
»Ryder Blackwood. Sicherheitschef von Senator Winters.«
»Wo ist Ihre Waffe?«, fragt der Cop, legt seine Hände auf meine auf meinem Kopf.
»Zu meiner Linken, auf dem Boden.«
Der Cop bewegt sich dann langsam, hebt die Pistole auf und nimmt das Magazin heraus. »Irgendwelche anderen Waffen?«
»Nein, Sir.«
Ich sehe nach links, sehe, dass Lee ebenfalls die Waffe abgenommen wurde, und die Cops legen dem Gouverneur Handschellen an.
»Alles sauber, Blackwood«, sagt der Cop schließlich. »Gute Arbeit.« Ich stehe auf, nachdem der Cop sein Sturmgewehr gesenkt hat, und deute auf den schlaffen Körper, der einige Meter entfernt von mir liegt. »Ich nehme an, das ist unser Täter.«
»Ja, Sir.«
»Dein Team hat oben noch einen unschädlich gemacht.« Der Cop schaltet sein Funkgerät ein. »Eine Person bereits tot bei Ankunft. Hier unten ist alles sauber.« Er geht zu dem Mann, dreht ihn auf den Rücken. »Wir haben nach diesem Mann gefahndet. Das FBI hat einen Haftbefehl für ihn ausgestellt. Soweit ich weiß, ist er ein Killer und verantwortlich für über zwanzig Morde in ganz Nordamerika. Der andere Typ oben hat ein Vorstrafenregister, das mindestens eine Meile lang ist.«
Mir läuft ein eisiger Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, dass Hadley sich in der Nähe von Typen wie ihnen hatte aufhalten müssen.
Alex rennt plötzlich in den Raum, packt meine Arme, mustert mich. »Gott sei Dank, du bist in Ordnung. Ich habe vor Ort angerufen und erklärt, dass wir den Attentäter gefunden haben, der auf den Senator geschossen hat, als ich hörte, dass du Hadley gefunden hast.« Sie lächelt, ein breites stolzes Grinsen. »Ich wusste, ein SWAT-Team war auf dem Weg, um ein Drogenversteck um die Ecke hochzunehmen, also habe ich sie abgefangen.«
Ich umfasse ihre Schultern, froh, weil sie offensichtlich durch mein Headset mitgehört hat. Die Situation lässt sich mit den Cops vor Ort sehr viel leichter klären, als wenn ich sie ihnen später erklären muss. »Du hast das Richtige getan.« Aber es sind nicht die Cops, die ich gerade sehen will. Und es ist auch nicht Alex, so sehr ich sie auch zu schätzen weiß. Rasch gehe ich zu Hadley, die auf dem Boden liegt, und kämpfe gegen das Zittern meiner Hände an.
Zwei Cops sind bei ihr: Einer untersucht ihren Puls. Ich komme noch näher, auch wenn meine Bewegung möglicherweise unangemessen erscheinen könnte. »Geht es ihr gut?«
»Ihr Puls ist kräftig.« Der Cop spricht wieder in sein Funkgerät. »Wir brauchen hier unten einen Arzt.«
Dann weichen beide Männer zurück, und ich strecke die Hand zu Hadleys Kopf aus, halte ihn sanft fest, fahre mit den Fingern über ihr warmes klebriges Blut. »Hadley«, sage ich sanft, sehe die Menschen, die sich um mich herum bewegen, aber meine Aufmerksamkeit gilt allein ihr. »Hadley. Süße. Wach auf.«
Ihre Augenlider flattern. »Ryder«, flüstert sie kaum hörbar.
»Du bist in Sicherheit«, sage ich zu ihr, meine Brust entspannt sich endlich, und ich kann leichter atmen. »Ich habe dich.«