Kapitel 19

RYDER

Ich bin so müde, als ich den Aufzug betrete und einen Blick auf mein Handy werfe. Alex hat mir eine Nachricht geschrieben und mir ein Update darüber gegeben, was sie alles über den Gouverneur und seine Handlanger herausgefunden hat. Auch wenn ich ihre harte Arbeit zu schätzen weiß, habe ich die Dinge, die sie mir erzählt, schon von der Polizei erfahren. Ich lehne mich gegen die Wand des Aufzugs, und er schießt hinauf in den vierten Stock. Währenddessen tippe ich rasch meine Antwort: Such weiter. Besorg mir etwas, das Tobias vor Angst zittern lässt.

So gut wie erledigt ist ihre Antwort.

Als die Türen des Aufzugs wieder aufgehen, stecke ich mein Handy wieder in meine Hosentasche und schlurfe über den gekachelten Boden des Flurs. Meine Schritte sind langsam, und ich habe das Gefühl, mein Körper ist sehr viel schwerer, als er eigentlich ist. Und das liegt nicht nur an der Erschöpfung. Ich bin nicht dort, wo ich sein will, nicht einmal ansatzweise. Früher wäre es mir egal gewesen, denn meine Pflicht galt dem Senator. Aber jetzt will ich bei seiner Tochter sein, nicht hier.

Es gibt tausend Dinge, die ich Hadley sagen will. Ich wollte sie in Besitz nehmen, wollte, dass sie mir gehört, wollte der Welt sagen, sie soll sich verpissen, damit ich sie ganz für mich allein haben kann. Ich wollte sie gerade nehmen, so, wie sie mich angefleht hat, es zu tun, wollte ihr Verlangen stillen.

Aber ich kann ihr diese Versprechen nicht geben. Noch nicht. Und ich weigere mich, sie zu verletzen, indem ich ihr etwas anbiete, was ich nicht einhalten kann. Verdammt, sie hat so viel durchgemacht. Der Autounfall mit ihren Freunden, der Anschlag auf ihren Vater, ihre Entführung und die verfickte Waffe, die ihr an den Kopf gehalten wurde. Ich kann nicht noch ein Handlungsstrang in ihrer Geschichte sein, der nicht gut endet, und ich kann nicht weiter hin- und hergerissen zwischen dem sein, was mein Kopf und was mein Herz will.

So kann es nicht weitergehen.

Aus dem Grund bin ich auf dem Weg zum Zimmer ihres Vaters im Krankenhaus.

Als ich den Raum betrete, sitzt Hadleys Mutter auf dem dunkelblauen Plastikstuhl neben dem Bett ihres Mannes und liest ein Buch. Hadley ist das genaue Ebenbild ihrer Mutter. Die gleiche Haarfarbe. Die gleiche Augenfarbe. Sie haben sogar beide die gleiche Körperform. Der einzige Unterschied ist, ihre Mutter trägt das Haar in einem kurzen Bob.

Da sie meine Ankunft noch nicht bemerkt hat, werfe ich einen Blick auf das Krankenhausbett. Der Senator liest einige Dokumente, die auf seinem Schoß liegen. Offensichtlich arbeitet er wieder, was keine wirkliche Überraschung ist. Auch wenn er sich viel ausruht, um wieder gesund zu werden, ist er doch nicht der Typ Mann, der herumsitzt und den ganzen Tag fernsieht.

Ich klopfe an die Tür und Mrs Winters hebt den Kopf, und sofort breitet sich ein warmes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Oh, Ryder. Hallo.« Sie legt das Buch auf das Bett und kommt eilig auf mich zu, schlingt die Arme in einer festen Umarmung um mich. »Es gibt keine Worte, die ausdrücken, wie dankbar wir Ihnen sind, dass Sie Hadley gefunden haben. Die Vorstellung, was der Gouverneur ihr hätte antun können –«

»Es war mir ein Vergnügen, Ma’am«, unterbreche ich sie, lasse nicht zu, dass dieser Gedanke weiter ausgeführt wird als nötig. Diese Familie hat bereits genug durchgemacht. Außerdem habe ich Hadley nicht nur aus Pflichtgefühl gefunden; der Grund geht sehr viel tiefer und ist nichts, wofür ich Dank will.

Als sie mich wieder loslässt und zurücktritt, fragt sie: »Ist Hadley jetzt wach?«

»Ja, und ich bin mir sicher, sie würde sich sehr freuen, wenn Sie sie besuchen.«

»Oh, wie wundervoll. Ich habe immer wieder nach ihr gesehen, aber die Krankenschwestern haben gesagt, sie rufen mich, sobald sie aufwacht.« Mrs Winters geht wieder zurück zum Senator und küsst ihn auf die Wange. »Ich bin bald wieder da, mein Lieber.«

»Keine Eile«, sagt der Senator mit einem Schmunzeln. »Ich gehe nirgendwo hin.«

Nein, das wird er wahrscheinlich für eine Weile nicht mehr machen. Obwohl er die Operation unglaublich gut überstanden hat und keine wichtigen Organe verletzt wurden, wurde er dennoch angeschossen und braucht Zeit, um sich zu erholen. Aber das ist nichts, was ich einem Mann wie Gary Winters sagen werde.

Ich stehe an der Seite, als Hadleys Mutter auf mich zukommt und mir noch eines ihrer warmen Lächeln schenkt, bevor sie das Zimmer verlässt. Nachdem sie im Flur verschwunden ist, gehe ich weiter ins Zimmer hinein und trete neben das Bett des Senators.

Gary deutet auf den Stuhl, in dem seine Frau gesessen hat. »Setzen Sie sich, Blackwood. Sie sehen aus, als würden Sie gleich umfallen.«

»So fühle ich mich auch, Sir.« Ich lasse mich auf den Stuhl fallen, verschiebe ihn ein wenig, damit ich meine Beine neben dem Bett ausstrecken kann, lege die verschränkten Hände hinter meinen Kopf und sehne mich auf sehr ungute Weise nach meinem Bett und Schlaf.

Der Senator nimmt seine Lesebrille ab und deutet auf mein Gesicht. »Haben Sie sich diese Verletzungen heute Nacht zugezogen?«

Ich nicke, lasse meine Hände sinken und verschränke meine Arme. »Glauben Sie mir, der andere sieht schlimmer aus.«

Gary legt den Kopf schief, der Blick in seinen Augen wird neugierig. »Sie haben den Mann heute Nacht getötet, nicht wahr?«

»Ja, Sir.«

Der Senator kichert. »Na ja, dann ja, dann sieht er schlimmer aus.« Ich stimme in sein Lachen ein, aber es verebbt, als er hinzufügt: »Wissen Sie mehr über diesen Schützen?«

Ich berichte ihm, was ich auf der Polizeiwache erfahren habe, während ich darauf gewartet habe, dass Hadley aufwacht. »Sein Name ist Viktor Sokolov. Er ist nie auf unserem Radar erschienen, aber der Ermittler hat mir gesagt, er stand eine Weile auf der Liste des FBIs mit den am meisten gesuchten Verbrechern. Tobias Harrington hat sich einen ziemlich bekannten Killer aus Russland angeheuert, und wie es aussieht auch noch ein paar Handlanger, die ihm assistieren sollten.«

»Herrgott«, knurrt der Senator, reibt sich mit der Hand über die Bartstoppeln auf seinem Gesicht. »Die Medien werden wegen dieser Geschichte Freudensprünge machen.«

Ich nicke zustimmend und fahre fort: »Aber wie es aussieht, war es das auch schon. Mein Team hat keine Beweise dafür gefunden, dass sonst noch jemand in dieser Sache mit drinsteckt.«

»Ich bin froh, das zu hören. Diese furchtbare Sache kommt endlich zu einem Ende.« Er sammelt die Unterlagen zusammen und legt sie ordentlich auf dem Nachttisch ab, bevor er sich wieder mir zuwendet. »Die Polizei war dreimal bei mir. Ich bin mir sicher, sie wird noch einmal bei mir auftauchen, und dann wird sich alles weitere zeigen.« Ich nicke wieder zustimmend, und sein Gesichtsausdruck wird weicher. »Jetzt, wo wir das aus dem Weg geschafft haben, sagen Sie mir: Wie geht es meiner Tochter?«

»Sie liegt eine Etage unter Ihnen, und es geht ihr gut«, erwidere ich.

Gary schweigt einen Moment lang, benutzt die Fernbedienung, um sein Bett in eine etwas aufrechtere Position zu bringen, und sieht mich mit einem Stirnrunzeln an. »Das hätten mir auch die Ärzte erzählen können, Ryder. Ich will, dass Sie mir sagen, wie es Hadley geht.«

Ich schweige, denke darüber nach, wie ich diese Frage beantworten soll. »Ich bin mir nicht sicher, Sir.«

Seine Augenbrauen runzeln sich über seinen eindringlichen Augen. »Und warum? Sind Sie beide kein Paar mehr?«

»Ich schätze, das ist ein Gespräch, das Sie besser mit ihrer Tochter führen, Sir.«

»Schwachsinn«, bellt Gary, was dafür sorgt, dass ich aufhöre auf dem Stuhl hin und her zu rutschen und stattdessen erstarre. »Ich habe Sie gefragt.«

Ich muss dem Senator gehorchen, daher wähle ich meine Worte mit Bedacht. »Es ist kompliziert, Sir.«

»Wenn Frauen involviert sind, tendieren die Dinge dazu, kompliziert zu sein«, sagt Gary. »Sind Sie so freundlich, mir zu verraten, was genau daran so kompliziert ist?«

Auf der einen Seite denke ich, dass es notwendig ist, Gary zu erzählen, was los ist, auf der anderen Seite weiß ich nicht, wie er reagieren wird, wenn ich es tue. Aber als ich den Mann ansehe, den ich schon so lange respektiere, wird mir klar, dass wir immer ehrlich zueinander waren, und das darf nicht hier enden. »Ihre Vergangenheit macht es kompliziert. Wegen ihr bin ich vorsichtig, wenn es um meine nächsten Schritte geht. Und sie sorgt dafür, dass ich nicht so tun will, als gäbe es keine Hindernisse für uns.«

Wie es aussieht, überrascht ihn meine Antwort, denn seine Augenbrauen heben sich. »Mir war nicht klar, dass die Dinge so … schwierig zwischen Ihnen beiden sind. Was an ihrer Vergangenheit bereitet Ihnen Probleme?«

Vor uns liegt eine Linie, die wir dabei sind zu übertreten, und ich bin mir nicht sicher, ob wir das jemals wieder ungeschehen machen können, sobald wir es getan haben. Aber genau diese Linie habe ich bereits mit Hadley übertreten. Es gibt kein Zurück mehr. »Hadley hat mir von ihrem Autounfall erzählt.« Ich bin vorsichtig, will ihm mit meinen nächsten Worten nicht die Schuld zuschieben, als ich sage: »Sie hat mir auch erzählt, dass Sie damals dachten, es wäre besser, den Unfall zu vertuschen und ihren Namen aus den Medien herauszuhalten.«

Die Wangen des Senators röten sich, und sein Ausdruck wird hart. »Und Sie denken, ich habe die falsche Entscheidung getroffen?«

Ich schweige für einen Moment. Dann: »Ja, Sir. Es war die völlig falsche Entscheidung.«

Gary sieht mich lange an, bis er seine aufblitzende Wut wieder unter Kontrolle bekommt, und er mäßigt seine Stimme: »Die Zeiten waren damals anders. Vielleicht war ich auch ein anderer Mann. Aber sagen Sie mir, was hat meine Entscheidung, sie aus den Medien herauszuhalten, mit heute zu tun?«

»Irgendwann wird ihr das, was sie letzte Nacht durchgemacht hat, mit aller Macht bewusst werden«, erkläre ich, stehe auf, gehe zum Fenster und blicke in den sonnigen Tag hinaus. »Die Tatsache, dass sie nicht einmal etwas gesagt hat oder auch nur eine einzige Träne vergossen hat, weil sie jemand entführt und ihr eine Waffe an den Kopf gehalten hat, bereitet mir Sorge. Sie wirkt sehr unberührt von alldem, und das zeigt mir, dass sie sich damit überhaupt nicht auseinandersetzt.« Ich halte kurz inne, füge dann hinzu: »Sie setzt sich mit überhaupt nichts von dem auseinander, was sie durchmachen musste.«

»Okay«, sagt Gary hinter mir. »Reden Sie weiter.«

»Ich werde nicht zulassen, dass sie sich wieder verkriecht wie zuvor, Sir.« Ich drehe mich wieder zu ihm um und lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Wand. »Ich will kein weiterer schlimmer Zwischenfall in ihrem Leben sein. Aber ich kann ihr auch nicht den sicheren Ort bieten, den sie braucht, um sich fallen lassen zu können. Und bis ich das kann, gehe ich sehr vorsichtig vor.«

Er sieht mich lange an; er sagt sehr viel mit diesem Schweigen. Dann: »Ich nehme an, Sie sind heute aus einem bestimmten Grund hergekommen?«

»Ich bin hergekommen, um einen Wandel anzustoßen und um eine wichtige Frage zu stellen«, ist meine einzige Antwort.

Der Blick des Senators ruht aufmerksam auf mir. Irgendwie, und ich bin mir nicht sicher, wie er meinen Gedankengang nachverfolgen konnte, denn ich bin mir nicht sicher, ob meine Worte irgendeinen Sinn ergeben, beantwortet er meine ungestellte Frage. »Das Größte, was Sie für mich tun könnten, Ryder, ist, sie glücklich zu machen. Wenn es eine Pflicht mir gegenüber gibt, dann ist es diese.«

HADLEY

Mom und ich schlendern Arm in Arm den Flur entlang. Wir sind auf dem Weg zum Zimmer meines Vaters, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Bevor wir mein Zimmer verlassen haben, bin ich, nachdem die Krankenschwester den Verband um meinen Kopf entfernt hat, noch einmal unter die Dusche gesprungen und habe den Handspiegel aus der Tasche meiner Mutter benutzt, um einen Blick auf die Nähte zu werfen. Um ehrlich zu sein, hätte man glauben können, da sind gar keine Nähte, außer man sah ganz genau hin.

Auch wenn meine Verletzungen im Vergleich zu denen in Ryders Gesicht ziemlich gut verheilt sind, will ich doch nichts lieber, als jetzt nach Hause zu gehen. Na ja, ein Burger und ein paar Pommes wären auch nicht schlecht. Aber im Moment klingt ein langes heißes Bad wie ein Stück vom Paradies.

Als wir das Ende des Flures, nahe dem Zimmer meines Vaters, erreichen, hält meine Mom mich zurück und fragt mit ihrer sanften Stimme: »Ist zwischen Ryder und dir alles okay?«

»Warum fragst du das?«, will ich wissen.

Sie zuckt mit den Achseln und hält mit ihren Händen meine umfasst. »Bevor ich zu dir gekommen bin, kam er, um deinen Vater zu besuchen, und sein Gesicht wirkte unter den blauen Flecken und Schnittwunden … angespannt, um es milde auszudrücken.«

Jetzt ist es an mir, mit den Achseln zu zucken. »Die Dinge sind … na ja, kompliziert.«

Mom schenkt mir eines ihrer süßesten Lächeln. »Das sind Herzensangelegenheiten immer, mein Liebling. Aber wenn ich eines über die Liebe gelernt habe, dann das: Wenn ein Mann aus irgendeinem Grund so aussieht, ist er Hals über Kopf in dich verliebt.«

Ich schnaube. »Ja, aber woher willst du überhaupt wissen, dass er an mich denkt? Vielleicht war er wegen etwas ganz anderem so angespannt.«

Mom beugt sich zu mir und sagt leise: »Weil ein Mann nur so betreten aussieht, wenn es um eine Frau geht.«

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das ist ja das Problem. Ich weiß nicht, was er gerade denkt.

Ich wünschte, ich könnte meiner Mutter das alles erklären, aber sie würde diese Situation, in der ich stecke, niemals verstehen. Ryder und ich haben gemeinsam eine solch mächtige Lust geteilt, die Feuerwerkskörper hätte entzünden können. Aber Liebe … Liebe sollte nicht so kompliziert sein. Das ist nicht die Art von Liebe, die ich will.

Ich schätze, einige Frauen würden ihm nachjagen. Um seine Liebe betteln. Aber ich bin keine dieser Frauen. Ich muss in alldem ich selbst sein, und ich bin nicht die Art von Frau, die sich selbst aufgibt, wenn das Leben steinig wird.

Selbst wenn seine Abwesenheit und die unbekannten Umstände an meinem Herzen reißen, muss ich doch diese Abschirmung aufrechterhalten, um mich zu schützen. Denn es gab Schwierigkeiten zwischen uns, und Ryder konnte mich mit seiner Zurückweisung tief verletzen und hat das manchmal auch getan. Wir hatten Hindernisse auf unserem Weg. Ich habe mich ihm auf mehr als eine Weise angeboten. Aber ich habe ihm niemals mein Herz geschenkt, und bevor ich nicht weiß, dass er es nicht zerbrechen wird, würde ich das auch nie tun.

»Wir werden sehen, was passiert«, ist die einzige Antwort, die ich ihr gerade geben kann.

Ich ziehe sie vorwärts, will nicht zu viel daran denken, wie sehr ich Ryder will und wie unmöglich das erscheint, und führe Mom in Dads Krankenzimmer. Er liegt im Bett, die Augen geschlossen, aber als ich versehentlich gegen die Tür trete, reißt er sie auf.

»Sorry.« Ich zucke zusammen.

»Schon in Ordnung«, sagt er, winkt mich zu sich, und auf seinem Gesicht liegt ein warmes Lächeln. »Ich bin so froh, dass du mich besuchen kommst. Sie haben mich nicht nach unten zu dir gelassen.« Er breitet die Arme aus, und ich lasse Moms Hand los und gehe sofort zu ihm, umarme ihn vorsichtig. »Geht es dir gut?«, fragt er.

»Jetzt ja.« Ich drücke meinen Kopf gegen seine Schulter, weil ich weiß, dort wurde er nicht angeschossen. »Nur ein paar Stiche, mehr nicht. Und du?«

Ich richte mich auf, und er sagt mit einem Grinsen: »Nichts kann dieses Biest bezwingen.«

Ich lache ebenfalls, vielleicht weil das alles ist, was wir angesichts des Irrsinns dieser Situation tun können. Wir beide wären fast durch die Hand eines Wahnsinnigen gestorben, und die Tatsache, dass wir überlebt haben, ist eindeutig etwas, was wir feiern müssen. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht«, sage ich leise zu ihm.

Dads Augen werden dunkler. »Es tut mir leid, dass du mich so finden musstest.«

»Falls ich dich nicht gefunden hätte –« Ich zwinge mich, zu lächeln, verschlucke den Rest des Satzes, weil ich mir das nicht einmal vorstellen will.

Er lächelt als Erwiderung, Tränen in den Augen. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«

»Es geht mir gut«, sage ich zu ihm, weil ich weiß, er muss das von mir hören. Die Schuld auf seinem Gesicht ist ein seltener Anblick, und ich will nicht, dass mein Vater glaubt, er hätte mir das angetan. Tobias Harrington hat das getan, und wirklich, es geht mir gut.

»Wirklich?«, fragt mein Vater. »Du kommst wirklich damit zurecht, was mit dir passiert ist?«

Ich zucke mit den Achseln. »Ja, alles in Ordnung.«

Dad beginnt die Stirn zu runzeln, und ich bin mir nicht sicher, warum. Ich seufze, vielleicht ist das auch einfach das Motiv dieser Nacht. Alle Männer in meinem Leben sind verstimmt mit mir, wenn sie lieber froh sein sollten, mich zu sehen.

Bevor ich ihn fragen kann, was mit ihm los ist, piepst Moms Handy auf dem Tisch neben Dads Bett, und sie nimmt es und blickt auf den Bildschirm. »Oh … oh.« Ihre Wangen röten sich ein wenig, und in ihre Augen tritt ein Funkeln; dann beginnt ihr Handy zu klingeln. »Ich muss da rangehen«, sagt sie und wendet sich ab. »Ich bin in einer Minute wieder zurück.«

Das bringt mich zum Kichern, und ich schüttle den Kopf, weil ich weiß, dass es sich wahrscheinlich um einen Reporter handelt, der nach einer Story sucht. Mom liebt die Klatschpresse, vor allem, wenn sie die Titelstory ist. Das ist eines der Dinge, die ich nicht von meiner Mutter geerbt habe. Ich hasse das Rampenlicht.

Nachdem sie das Zimmer verlassen hat, wende ich mich wieder meinem Vater zu, und er nimmt meine Hände in seine. »Süße, es tut mir leid, dass du in das alles reingezogen wurdest.«

»Es war nicht deine Schuld, Dad.«

»Dennoch.« Mein Vater drückt meine Hände fest. »Es tut mir trotzdem leid. Es hätte nicht geschehen dürfen. Der Gouverneur wird die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen und bestraft werden, und wir werden da sein und zusehen, wie er für eine lange Zeit verschwindet.«

Ich lächle weich. »Ja, das werden wir.«

Offensichtlich sind wir durch mit den ernsten Themen, die wir aus der Welt schaffen mussten, denn er fügt mit fröhlicherer Stimme hinzu: »Ich habe noch ein paar Neuigkeiten, die dich vielleicht überraschen werden.«

»Was für Neuigkeiten?«

Er deutet auf eine Handvoll Blätter mit gedruckter Schrift, die auf dem Tisch neben seinem Bett liegen. »Nimm dir bitte die Dokumente dort, wärst du so lieb?«

Ich nehme sie, setze mich neben meinen Dad auf das Bett und beginne die Worte auf dem Papier zu lesen. Es ist das Briefpapier des Weißen Hauses. »Was ist das?«

»Das ist die Bestätigung für meine Nominierung als Richter am Obersten Gerichtshof.«

Ich reiße den Kopf in die Höhe, die Dokumente fallen mir fast aus der Hand, bevor ich wieder fester zupacke. »Was?«

Dad lacht leise, dann zuckt er zusammen, offensichtlich vor Schmerz. »Au, Lachen ist eine schlechte Idee.« Als die Farbe in sein Gesicht zurückkehrt, fährt er fort: »Na ja, das ist mehr Reaktion, als ich erwartet habe, wenn man bedenkt, was du alles durchgemacht hast. Ich dachte, du würdest dich freuen, dass ich mich aus der Politik zurückziehe?«

»Ich freue mich für dich.« Wieder blicke ich auf das oberste Blatt; der Brief kommt vom Präsidenten persönlich. Es ist ein formelles Schreiben, in dem der Präsident darlegt, dass er meinen Vater für einen freien Posten am obersten Gerichtshof nominieren wird. »Ich bin nur sehr überrascht«, sage ich, als ich ihn endlich wieder anspreche. »Ich wusste nicht, dass du den Senat verlassen willst.«

»Ich habe nichts zu dir oder jemand anderem gesagt, weil ich nicht sicher war, was ich machen will. Der Vorgang verlief bisher sehr diskret.« Ich lege die Dokumente wieder auf seinen Nachttisch, und er fährt fort: »Bei meinem letzten Besuch in Washington habe ich mich mit dem Präsidenten getroffen, und dort hat er mir seine Wünsche genannt.«

»Ich nehme an, nach alldem hast du beschlossen, es zu versuchen?«

Er nickt. »Ich denke, es wäre für alle Beteiligten das Beste, wenn ich mich aus dem Spiel der Politik zurückzuziehe. Und das wird geschehen, wenn der Senat dem Präsidenten zustimmt, und er glaubt, dass sie das werden.« Er hält kurz inne, legt sich seine Worte offensichtlich genau zurecht. »Nach alldem bin ich mir nicht sicher, ob ich es über mich bringe, zurückzugehen. Es hinterlässt …«

»Einen schalen Geschmack im Mund?«, springe ich ein.

»Einen sehr schalen«, erwidert er und seufzt tief. »Ich hatte gehofft, ich bekomme ein Zeichen, in welche Richtung es gehen soll. Ich hatte nur nicht mit einem so deutlichen Zeichen gerechnet. Aber ich habe das Gefühl, es ist für deine Mutter und mich die beste Entscheidung.«

Meine Gedanken überschlagen sich. Es gibt eine Menge, worüber ich mir Gedanken machen muss. Zum einen meinen Job. Ja, ich könnte ohne Schwierigkeiten auch für einen anderen Senator arbeiten oder vielleicht meinen Dad begleiten und in seinem neuen Büro als seine Assistentin arbeiten. Aber die größte Sorge in meinem Kopf schiebt alle anderen Fragen beiseite. »Deinen Schutz übernimmt dann der Secret Service, nicht wahr?«

Natürlich kann mein Dad zwischen den Zeilen lesen. »Du fragst dich, was mit meiner Beziehung zu Ryder wird?«

Ich nicke.

Er fügt hinzu: »Wir haben unsere professionelle Bindung beendet, weil ich seine Firma nicht mehr brauche, um mich zu beschützen.«

Ich verarbeite, was ich gerade gehört habe, und selbst als ich es verarbeitet habe, verstehe ich es immer noch nicht. Warum ist Ryder nicht zu mir gekommen und hat mir das selbst erzählt, nachdem er meinem Vater gegenüber nicht mehr verpflichtet ist? War es nicht das, was uns im Weg stand?

»Oh …« Meine Gefühle schnüren mir den Hals zu. »Ihr beide habt lange gut zusammengearbeitet. Ich bin mir sicher, es wird ein wenig dauern, bis du dich an deine neuen Leibwächter gewöhnt hast.«

Die Augenbrauen meines Vaters heben sich. »Das ist alles, was du dazu sagst, dass wir nicht mehr zusammenarbeiten?«

Ich zucke mit den Achseln und stehe auf. »Ich würde zu gerne noch hier sitzen bleiben und mich mit dir darüber unterhalten …«

»Nein, das willst du nicht«, unterbricht mich mein Vater.

»Du hast recht, das will ich nicht.« Ich grinse. »Also ziehe ich jetzt los, um den saftigsten Burger aufzutreiben, den ich finden kann, gehe nach Hause und trinke eine ganze Flasche Wein.«

»Das ist nicht klug«, bemerkt er. »Es ist eine ganz furchtbare Idee, nach einem traumatischen Erlebnis zu trinken, Hadley.«

Ich beuge mich herunter und küsse ihn auf die Wange. »Ich komme dich morgen besuchen. Versprochen. Hab dich lieb.«

Er ruft mir etwas nach, aber ich bin bereits aus der Tür.