Freitagmorgen verlasse ich schon früh das The Harrison, ein Hochhaus neben der Bay Bridge. Die Eigentumswohnung darin strahlt modernen Luxus aus und ist seit vier Jahren mein Zuhause. Meine Absätze klackern auf dem Asphalt der First Street, und ich werde von Sonnenschein und frischer Luft begrüßt.
Harold, der Mann am Zeitungsstand, der schon an der Ecke Market Street arbeitet, seit ich klein war, ruft mir etwas zu. Ich winke ihm rasch zu, aber heute bin ich ein bisschen spät dran. Ich habe keine Zeit, stehen zu bleiben und mit ihm zu plaudern, wie ich es sonst morgens auf dem Weg zur Arbeit mache.
Als ich die T-Kreuzung erreiche, biege ich scharf nach links und erreiche Peet’s Coffee & Tea. Der örtliche Coffeeshop befindet sich im Erdgeschoss eines Hochhauses im Herzen des Finanzdistrikts, und dort gehe ich hin, wenn ich morgens einen heißen, starken Kaffee brauche. Das ist ein Teil meines morgendlichen Rituals, ohne den ich nicht leben kann.
Als ich den kleinen Laden mit den hohen Fenstern an der Front und einer Handvoll Tische, die ihm Raum verteilt sind, betrete, ist es, wie immer, voll. Ich gehe an einer Schlange Kunden vorbei zu der Theke an der Seite. »Morgen«, sage ich zu Sam, der sein charmantes Lächeln für mich aufblitzen lässt. Er ist ein süßer braunhaariger Hipster, der seit der Eröffnung des Cafés hier arbeitet und meine Koffeeinsucht voll und ganz unterstützt.
»Hey Hads.« Er reicht mir meinen üblichen Caramel Caffè Latte.
Ich schätze, es sollte mir peinlich sein, derart vorhersehbar zu sein, aber das ist es mir nicht. Ich liebe den Kaffee hier und kann absolut nichts dagegen machen. »Danke. Du bist der Beste.« Ich lächle, reiche ihm die Bezahlung und sein Trinkgeld und werfe ihm noch einen Kuss zu, bevor ich das Café verlasse. Sam ist die zwei Dollar Trinkgeld, die ich ihm jeden Tag gebe, weil er immer meinen Kaffee fertig zubereitet hat, wert.
Nur Sekunden später betrete ich das Hochhaus, passiere rasch die Sicherheitskontrolle und betrete das Treppenhaus neben dem Aufzug. Ich trotte in den dritten Stock hinauf, wobei ich vorsichtig meinen Latte vor mir her trage, und betrete die San-Francisco-Zweigstelle des Büros meines Vaters. Sofort werde ich von dem geschäftigen Gewusel in Empfang genommen, das hier herrscht. Zwischen neun Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags sitzt hier nie jemand einfach nur herum.
Ich begrüße meine Kollegen mit einem Lächeln, während ich den Flur entlanggehe, und verschwinde rasch hinter der sechsten Tür auf der rechten Seite. An meinem Büro ist nichts besonders. Darin steht ein schlichter Büroschreibtisch, dahinter ein schwarzer Drehsessel und in der Ecke ein Aktenschrank, dazu ein paar Pflanzen und Fotos auf der Fensterbank, und das war es. Mein Gehalt ist nicht extra hoch, nur weil ich für meinen Vater arbeite; hier werde ich nicht als etwas Besonderes behandelt, auf keine Weise. Selbst mein Blick auf den Finanzdistrikt ist nicht der Beste. Dad gehört nicht zu denen, die Almosen verteilen, nicht einmal, wenn es um mich geht. Um ehrlich zu sein ist es das, was ich am meisten an ihm respektiere. Nur durch harte Arbeit kann man sich ihm gegenüber beweisen.
Ich setze mich in meinen Bürostuhl, nehme einen Schluck von meinem Kaffee und genieße den Energieschub, den er mir verpasst. Ich fahre meinen Computer hoch und bin bereit, Dads Termine für die kommende Woche zu planen, damit ich am Wochenende entspannen kann.
»Ist er hier?« Owen betritt mein Büro.
Ich unterdrücke einen Schauer des Ekels und sehe von meinem Schreibtisch auf. »Meinst du den Senator?«
»Ja.« Owens Stimme ist tief und rau, als hätte er über die Jahre zu viele Zigaretten geraucht. »Ist er da?«
Die Falten um seine Augen sind tief und sein Stirnrunzeln hässlich. Aber so ist Owen Cook, der Handlanger des Gouverneurs. Ich bin mir nie ganz sicher, was er genau für den Gouverneur macht oder warum er so oft vorbeikommt, um meinen Dad zu sehen, aber dieser Typ und seine eingesunkenen dunklen mandelförmigen Augen verursachen mir eine Gänsehaut. »Er sollte bald im Büro sein, aber ich fürchte, er hat keine Zeit für Sie …«
»Ich brauche nur fünf Minuten …«
Ich schätze, einige Frauen würden sich von diesem Typ einschüchtern lassen. Aber ich schätze, das ist der Grund, warum mein Vater mich während seiner letzten Kampagne als Koordinator eingestellt hat – weil ich mit solchen aufdringlichen Menschen fertig werde. Er sagt immer, dass ich die letzte Kampagne für ihn gewonnen habe. Ich wusste, wann er Zeit brauchte, um sich zu sammeln und sich auf den kommenden Tag vorzubereiten. Ich kannte seinen privaten Terminkalender mit meiner Mom, auch wenn sie oft wegen der Publicity da war, und ich hatte seine politischen Termine im Blick und kümmerte mich um einige der härtesten Staatsmänner. »Mr Cook, wenn Sie einen Termin mit dem Senator haben wollen, müssen Sie mindestens einen Tag vorher Bescheid geben. Morgen wäre …«
Owens Stirnrunzeln vertieft sich. »Sie haben die Macht, mich dazwischenzuquetschen, Miss Winters.«
Ja, die habe ich. Aber auf meiner To-do-Liste steht nichts davon, mir wegen dieses Trottels ein Bein auszureißen. »Geben Sie mir einen Moment, ich werfe einen Blick auf seine Termine.« Ich greife rasch nach dem Handy in meiner Handtasche und schreibe meinem Vater: Bleib weg vom Büro und dem Haupteingang. Cook ist hier und hat schlechte Laune.
Nachdem ich die Nachricht verschickt habe, lasse ich Owen mein professionellstes Lächeln sehen. »Ich fürchte, sein Tag ist vollkommen ausgebucht. Aber wie gesagt, würde auch morgen passen?«
Owen schnauft auf eine Weise, auf die kein erwachsener Mann schnaufen sollte. Dann ist er weg, und ich bin froh, meine gute Laune kommt langsam wieder zurück. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, mir von niemandem den Tag ruinieren zu lassen. Menschen in der Politik können sehr leidenschaftlich sein und das nicht auf die angenehme Weise.
Wieder nehme ich mein Handy und texte Dad: Er ist weg, aber bleib auf der Hut. Er könnte dich finden. Als ich das Handy neben meine Tastatur lege, kann ich fast das Lachen meines Vaters hören. Dann mache ich mich an die Arbeit.
Wie immer ist mein Postfach voll, und ich beginne, mich durch die E-Mails zu graben und schnappe mir dabei meinen Kaffeebecher, um die letzten Reste meiner Erschöpfung fortzuspülen. Gerade als der Kaffee meine Lippen berührt, erscheint ein Pop-up auf meinem Bildschirm, auf dem steht: Dein Vater muss sich zur Ruhe setzen. Du hast bis Montag um Mitternacht Zeit, dafür zu sorgen.
Auf einmal habe ich das Gefühl, in einem Albtraum zu stecken.
Ein Video erscheint, das mich mit geöffneten Lippen zeigt –von einem Lustschrei, den ich nicht hören kann. Ein Mann hat mich fest am Haar gepackt und zwingt meinen Mund über seinen mit einem Kondom verhüllten Schwanz. Ein zweiter Mann steht hinter mir und stößt leidenschaftlich in mich. Mein Herz beginnt in meiner Brust zu rasen, und die Welt verschwindet. Mein Gesicht ist deutlich zu sehen, aber die Männer tragen Masken, die ihre Gesichter vollständig bedecken. Ich kenne sie nicht, zumindest nicht persönlich, aber das Video ist echt. Ich hatte eine Einladung erhalten, mit ihnen die Nacht zu verbringen. Die Bedingungen der Einladung waren unmissverständlich gewesen: vollkommene Verschwiegenheit und volle Unterwerfung. Und auch wenn ich es jetzt bereue, hatte ich diese Einladung akzeptiert, weil der Mann, den ich will, mich nicht will.
Ich streife meine schweißnassen Hände an meinem schwarzen Bleistiftrock ab. Meinen Vater dazu bringen, sich zur Ruhe zu setzen?
Offensichtlich werde ich gerade erpresst, und ich schätze, es sollte mich nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass mein Vater Politiker ist. Aber warum will irgendjemand, dass mein Vater sich zur Ruhe setzt und warum benutzt derjenige mich dazu? Ich weiß es nicht, und ich habe auch nicht vor, meinem Vater etwas von diesem Video zu erzählen, um es herauszufinden. Er würde es nicht verstehen. Niemand würde das. Das weiß ich, weil niemand es bisher verstanden hat.
Ich starre mich selbst in dem Video an, wie ich die Augen fest zusammengekniffen und den Mund vor Lust geöffnet habe, und ich weiß, dieses Video könnte nicht nur mich ruinieren, sondern auch meinen Vater.
»Hadley.«
Ich blicke auf. Mein Vater steht in der Tür und sieht mich an, auf seinem Gesicht zeichnet sich Sorge ab. Ich schalte den Monitor aus und lege die Hände flach auf den Schreibtisch. »Ja. Entschuldige.«
»Ich habe dich dreimal gerufen«, sagt er, betritt mein Büro und schließt die Tür hinter sich. »Alles in Ordnung?«
Ich zwinge mich, zu lächeln. »Alles bestens.«
Natürlich glaubt mein Vater mir nicht. Dafür ist er zu intelligent. »Hat Owen dir Probleme bereitet?«
»Er war nur wieder ein Ekel, wie immer.« Ich hasse es, meinen Vater anzulügen und ihm nicht zu sagen, was wirklich los ist, was es mit dem Video auf meinem verdammten Monitor auf sich hat, aber eher friert die Hölle zu, als dass ich meinen Dad da mit hineinziehe.
Niemand kann sich mit dem Mann, der vor mir sitzt, messen. Ich stelle meinen Dad nicht auf ein Podest, er hat sich den Weg dort hinauf selbst erarbeitet, und aus genau diesem Grund arbeite ich für ihn. Es gefällt mir, jeden Tag Teil seines Lebens zu sein, vor allem, nachdem ich ausgezogen bin. Ich war schon immer ein Papakind und das hat sich mit dem Älterwerden nicht geändert. Ich bezweifle, dass sich das ändern wird. Aber ich bin auch eine erwachsene Frau, die Bedürfnisse hat, die meinen Vater ganz sicher nichts angehen.
Meine Eltern wären sicher nicht begeistert, wenn sie hören würden, dass ich in einem Sexclub und Teil einer Ménage à trois war, aber ich kann nicht immer nach den Werten meines Vaters leben. Er steht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, ich nicht, und ich habe alle Vorkehrungen getroffen, damit mein Privatleben auch privat bleibt.
Schuld beginnt, ihr hässliches Haupt zu erheben, darum rufe ich mir ins Gedächtnis, dass mich jemand ohne meine Zustimmung gefilmt hat. Und damit schiebe ich die Schuld demjenigen zu, der sie verdient hat, nämlich dem Erpresser.
»Was gibt es?«
Er sieht mich wieder lange an, bevor er fragt: »Deine Mutter hat sich gefragt, ob du bald mal wieder ins Napa Valley kommst?«
Jetzt, wo ich mich mit diesem Video herumschlagen muss … »Nicht dieses Wochenende. Aber möglicherweise bald.«
»Sie würde dich gerne sehen«, drängt mein Vater mich sanft. »Sie vermisst dich.«
Mom verbringt den Sommer immer im Napa Valley. Sie kostet das Rentnerleben voll aus und bittet meinen Dad immer, sich ihr anzuschließen. Aber er war bisher nicht bereit, in Rente zu gehen. Das Bedürfnis meiner Mom, aus der Stadt rauszukommen, kann ich gut verstehen.
Als ich den Mund öffne, um wieder abzusagen, fügt er hinzu: »Skype reicht deiner Mutter nicht mehr aus.«
Um ehrlich zu sein, skype ich mit ihr nicht einmal so oft, wie ich sollte. Auch wenn ich es vermisse, sie jeden Tag zu sehen, so ist sie doch glücklich, und das macht Dad glücklich. Wie könnte ich etwas dagegen sagen? »Ich gehe sie bald besuchen. Versprochen.«
»Gut.« Offensichtlich ist er mit meiner Antwort zufrieden; er lächelt, schlägt die Beine übereinander und wendet sich anderen Themen zu. »Wie sieht mein Leben in der nächsten Woche aus?«
»Beschäftigt.« Ich nehme den ersten Entwurf seines Terminplans, den ich gestern Abend noch ausgedruckt habe, bevor ich gegangen bin, und reiche ihn ihm. Während ich ihm dabei zusehe, wie er die Seiten, eine nach der anderen, durchgeht, kann ich nicht anders, ich muss schnauben. »Weißt du, es wäre sehr viel einfacher, wenn ich dir deinen Kalender auf deinem Handy einrichten könnte.«
Er schüttelt den Kopf und liest weiter. »So wie ich mich kenne, würde ich bestimmt versehentlich etwas löschen. Warum also etwas ändern, was bisher funktioniert?«
Um ganz ehrlich zu sein, ich will nicht, dass er sich jemals ändert, nicht wirklich. Auch wenn mein Leben sehr viel einfacher wäre, wenn die Dinge auf elektronischem Weg bearbeitet würden, ist er doch oldschool, und in der heutigen geschäftigen und verrückten Welt gefällt mir das an ihm.
Schließlich legt mein Vater die Papierseiten auf seinem Schoß ab und mustert mich wieder. Ich habe diesen Blick schon tausend Mal gesehen. Er macht sich Sorgen um mich. Darum überrascht es mich auch nicht, als er fragt: »Sollen wir über die Tatsache reden, dass du und Blackwood in der Klatschpresse aufgetaucht seid?«
Ich schüttle den Kopf. »Blackwood hat deutlich gemacht, dass er sich um das Problem kümmern wird.«
»Daran hege ich keinen Zweifel«, sagt Dad sanft. »Aber macht es dir keine Sorgen, dass du in den Zeitschriften aufgetaucht bist?«
»Nicht wirklich«, gebe ich zu. Denn im Augenblick sind die Klatschblätter mein geringstes Problem.
»Was stimmt dann nicht?«, drängt er mich.
»Nichts.«
Dad runzelt die Stirn. »Hadley.«
»Vater.«
Er lacht schnaubend. »Heißt das, du besprichst das mit deiner Mutter?«
Was bei Dad bedeutet, er hält es für ein Frauenproblem. Und ich schätze, er denkt, es liegt daran, dass ich mich Hals über Kopf in Ryder verliebt habe und die Dinge kompliziert sind. Was sie, natürlich, sind, aber das muss er nicht wissen. »Ja, ich werde mit ihr reden.« Aber natürlich nicht über Ryder. Oder über das Video. Ich werde mit ihr über meinen Alltag plaudern, also zählt das nicht als Lüge, richtig?
Dad presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Du würdest mich doch nicht anlügen, oder?«
Natürlich entgeht ihm nichts. »Ich?« Ich deute auf meine Brust und versuche entsetzt auszusehen. »Deine Prinzessin? Niemals.«
Dad erhebt sich von seinem Sitz und lacht trocken. »Du bist eine Menge Dinge, Hadley, aber ich denke, Prinzessin gehört nicht dazu.« Er klopft gegen die Rückenlehne des Sessels, als er ihn umrundet, dann hält er die Papierseiten hoch. »Danke dafür.«
»Gern geschehen. Jetzt beeil dich, du hast in zehn Minuten ein Meeting.«
Er boxt in die Luft, so wie er es immer macht, wenn ich ihn antreibe und grummelt irgendetwas vor sich hin, während er mein Büro verlässt.
Es ist still, meine Kollegen laufen an meiner Bürotür vorbei, und meine Gedanken wandern zu dem, was er gesagt hat: Ich denke, Prinzessin gehört nicht dazu. Er hat recht – ich war noch nie eine Prinzessin. Ich habe immer schon auf eigenen Füßen gestanden. Ich habe meine eigenen Entscheidungen getroffen. Und mir wurde auch nie etwas geschenkt.
Ich kann mich von so einer Drohung nicht ins Bockshorn jagen lassen. Ich muss mich wehren. Aber wie stelle ich das an?
Sofort kommt mir Ryder in den Sinn. Er würde das für mich in Ordnung bringen. Er ist der Mann, von dem ich weiß, dass er jede Bedrohung aus dem Weg schaffen würde, nicht aus Pflichtgefühl, sondern weil jemand es gewagt hat, mich in Gefahr zu bringen.
Es gibt nur ein Problem: Er ist der letzte Mensch, von dem ich will, dass er von diesem Video weiß.
Später am Abend, als mein Arbeitstag vorbei ist, parke ich meinen blauen Ram Truck zwischen dem schnittigen Audi und dem Bentley vor der alten Fabrik, in der sich jetzt Blackwood Security befindet. Heute habe ich nicht vor, zum Vordereingang zu gehen und dort auf meine Angestellten zu treffen. Der Tag war lang, und ich bin erschöpft. Ich muss mir einen runterholen und Hadley endlich aus meinen Gedanken vertreiben und dann schlafen, um so erholt zu sein, dass ich mich in ihrer Nähe unter Kontrolle habe.
Ich seufze, steige aus meinem Truck und höre Stimmen, die von der Hintertür der Fabrik kommen. Ich gehe auf sie zu, und im Licht der Lampe über der Tür stehen drei imposante Männer: Micah Holt, Gabe O’Keefe und Darius Bennett.
Micah und Darius tragen heute Abend maßgeschneiderte Anzüge; Gabe bleibt seiner Rolle als Außenseiter der Gruppe treu und trägt schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift O’KEEFE’S PUB. Sein braunes Haar ist sorgfältig verwuschelt, und angesichts seines Äußeren käme man nie auf die Idee, dass er ebenso reich ist wie die anderen.
Für die Öffentlichkeit sind das die einflussreichsten Männer San Franciscos. Für mich sind sie langjährige Freunde, voller Abenteuer, die, ebenso wie ich, die Grenzen des Lebens ausloten und wilden Sex genießen. Gut, das war eher in unseren Zwanzigern so, heute nicht mehr so sehr.
Als wir noch ein Haufen 20-jähriger Jungs waren, haben wir eine Geheimgesellschaft gegründet, die wir Dominant’s Council nannten. Wenn dieser Name nicht schon ausgereicht hatte, um die Größe unserer Egos zu zeigen, dann spätestens die Anzahl an Frauen, die wir uns geteilt haben. Aber es waren nicht irgendwelche Frauen. Es waren submissive Frauen, die die vier Sexclubs der Stadt besuchten, die uns gehören. Sex mit mehreren Frauen war das Endspiel.
Aber die Dinge haben sich verändert.
Wir stehen an einer Kreuzung. Jeder von uns hat sich für eine andere Richtung entschieden, und das Leben verändert sich. Wir alle wussten, dass es irgendwann so kommen würde.
Wir hatten Verantwortung in unseren Jobs, und damit trat das, wofür das Dominant’s Council steht, und unsere Clubs in den Hintergrund. Da jemand unsere privaten Gespräche aufgenommen hat, um unsere schmutzigen kleinen Geheimnisse in die Zeitung zu bringen, hätte die Verschiebung unserer Prioritäten und unser nachlassendes Engagement bei unseren Clubs zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Wir müssen Vorsicht walten lassen, bei allem, was wir tun.
Zuerst hatte es das Klatschmagazin Gotcha! auf Micah abgesehen. Dann hatten sie Artikel über Darius abgedruckt. Jetzt bin ich in ihren Fokus gerückt. Ich kann mir vorstellen, dass Gabe verbissen darauf wartet, bis er an der Reihe ist. Aber mit jedem Artikel, der abgedruckt wird, komme ich der Person, die uns auf diese Weise verkauft, näher. Ich kann nicht aufhören bis ich den Ursprung der Gefahr gefunden und ihn aus dem Weg geräumt habe. Denn schlimmer als falsche Geschichten in den Klatschblättern sind echte Geschichten in den Klatschblättern. Private Dinge aus unserem Leben, von denen wir nicht wollen, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen.
Als ich mich nähere, begrüßt mich Gabe als Erster: »Wurde aber auch Zeit, dass du endlich hier auftauchst.«
»Sorry, dass ich zu spät bin«, erwidere ich, und sie treten beiseite und lassen mich an die Tür. Ich drücke den Daumen gegen den Fingerabdruck-Scanner. Ein Piepsen später entriegelt sich die Tür, ich schiebe sie auf und lasse die anderen zuerst eintreten, bevor auch ich mein Zuhause betrete. Ich schalte das Licht an und mache ein paar Schritte in das offene Loft. »Es war ein langer Tag.«
»Hat dein langer Tag irgendetwas mit unserem Problem zu tun?«, fragt Micah, der dicht hinter mir geht.
»Möglicherweise«, gebe ich zu und gehe zu der offenen Küche mit angeschlossener Bar, deren Tresen aus schwarzem Marmor besteht. Die Männer machen es sich auf den Ledersofas in meinem Wohnzimmer bequem, und ich hole vier Bier aus dem Kühlschrank. Ich gehe zurück zu den anderen, reiche ihnen die Getränke, lasse mich in meinen Fernsehsessel fallen und drehe den Verschluss meiner Flasche auf. »Ich habe langsam eine Theorie.«
Darius wirft den Kronkorken seines Biers auf den Couchtisch und fährt sich mit der Hand durch sein braunes Haar. »Was für eine Theorie?«
Ich nehme einen langen, tiefen Schluck von meinem Bier, genieße den frischen Geschmack, bevor ich mich wieder an die anderen wende. »Heute Abend hatte ich ein Gespräch mit dem Senator. Er muss sich mit Korruption in Washington herumschlagen.«
Gabe zieht die Augenbrauen über seinen wachen haselnussbraunen Augen zusammen und fragt: »Und das hat mit uns zu tun, weil …?«
Darius hatte die Aufnahmegeräte entdeckt, nachdem er in den Fokus der Klatschpresse geraten war, und das auch nur, weil ihm klar wurde, dass etwas, was er in Gabes Pub gesagt hatte, fast Wort für Wort in einer der Zeitungen abgedruckt worden war. Aber ich habe eine neue Facette des Wahnsinns entdeckt. »Ich weiß, wir haben gedacht, es ginge dabei um etwas Persönliches, aber ich beginne zu glauben, dass die Klatschpresse und die Wanzen nichts mit euch zu tun haben«, sage ich.
Micah scheint zu ahnen, worauf ich hinauswill, er lehnt sich auf der Couch zurück und stellt das Bier auf der Armlehne ab. »Du glaubst, jemand hat es auf den Senator abgesehen?«
Ich nicke. »Das ist in meinen Augen die logischste Erklärung. Wer auch immer hinter alldem steckt, muss Geld haben, wenn man bedenkt, was für Equipment derjenige benutzt.« Als ich nach Darius’ Enthüllung in Gabes Bar das erste Mal die Wanzen entdeckt hatte, hatten sie sich als Hightech-Abhörgeräte entpuppt, von denen ich bezweifle, dass sie ein einfaches Klatschblatt zur Verfügung hat. »Und derjenige hat einen guten Grund, warum er uns verwanzt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, den wir kennen, nur wegen des Geldes, das diese Informationen bringt, hinter alldem stecken könnte.« Vor allem weil niemand, den wir kennen, dahinterzustecken scheint. »Es muss einen anderen Grund dafür geben.« Ich schweige einen Augenblick lang und lasse sie dann an meinen Gedankengängen teilhaben: »Die Wahrheit ist, dass das Leben von keinem von uns besonders interessant war, bevor das alles angefangen hat.«
Gabe schnaubt und grinst. »Sprich mal nur für dich.«
»Was mich nur bestätigt«, füge ich hinzu. »Die Klatschpresse hätte sich zuerst auf dich konzentrieren sollen. Dein Leben steckt voller Aufregung und Frauen.« An Micah gewandt fahre ich fort: »Du warst lange Zeit Single und bist erst seit Kurzem mit Allie zusammen.« Die gleichzeitig Darius’ kleine Schwester ist.
»Das stimmt«, kommentiert Micah.
Zu Darius sage ich: »Und bei dir war es genauso, bis Taylor kam.« Sie war seine Ex-Freundin, bis sie wieder in sein Leben trat, und jetzt ist sie seine Frau. »Aktuell kann ich verstehen, warum sich die Klatschblätter auf eure Geschichten stürzen. Sie sind spannend. Aber vorher …« Ich beende den Satz nicht, lasse sie ihn in Gedanken zu Ende führen.
Gabe versteht meine Argumentation und nickt. »Also glaubst du, das Motiv ist, den Senator zu Fall zu bringen?«
»Ich denke, der Senator pinkelt jeden Tag Leuten ans Bein«, erkläre ich. »Ich schätze, eben diese Leute haben die Mittel, um diese Art von Technik zu besorgen. Ich glaube ebenfalls, dass ihr Motiv war, meine Unterhaltungen zu belauschen, in der Hoffnung, dass ich etwas sage, was man gegen den Senator verwenden kann, denn wer ist der engste Vertraute des Senators?«
»Du«, antwortet Darius.
Ich nicke. »Und wer sind meine engsten Vertrauten?«
»Wir«, fügt Micah hinzu.
»Genau. Es macht Sinn, dass jemand über mich geht, wenn er nach Schmutzwäsche des Senators sucht. Es macht ebenfalls Sinn, dass derjenige nach meinem Schwachpunkt sucht.« Und Gabes Pub ist der Ort, wo ich alle Mauern fallen lasse. »Aber es fehlen noch ein paar Puzzleteile.« In den Augen der anderen steht deutlich eine Frage: Hat er recht? Aber ich weiß, dass ich recht habe, also spreche ich weiter. »Aber ich habe das Gefühl, ich bin endlich auf der richtigen Spur.«
Darius mustert mich einen Augenblick lang, sein scharf geschnittener Kiefer zuckt zweimal. »Ich weiß, worauf du hinauswillst. Aber warum hat man die Geschichten über uns dann auch abgedruckt?«
»Vielleicht als Tarnung.« Das ist die logische Schlussfolgerung. »Es ist wahrscheinlich, dass sie unsere Schmutzwäsche ans Licht gezerrt haben, damit es aussieht, als würde es um etwas Persönliches gehen, auch wenn das nicht der Fall ist.«
Micah schnaubt. »Genau dafür haben wir es gehalten, als es angefangen hat.« Er schüttelt frustriert den Kopf und stellt sein Bier mit einem Knall auf dem Couchtisch vor ihm ab. »Hat der Senator gesagt, wer genau ihn korrumpieren will?«
»Ich habe den Eindruck, dass es nicht um eine bestimmte Person geht. Ich kann mir vorstellen, dass er als Senator von der anderen Seite bedrängt wird, aber im Augenblick ist es noch ein sanftes Drängen, kein Zwang.«
Darius fragt: »Aber es könnte sich in etwas verwandeln, das dir Sorgen bereitet?«
Ich nicke. »Es kann immer schmutzig werden, so funktioniert das Spiel in der Politik.«
Gabe trommelt rhythmisch mit seinen Fingern gegen seine Bierflasche, die er noch immer auf der Armlehne abgestellt hat. »Was genau bedeutet das für uns?«
»Es bedeutet, dass ihr extrem vorsichtig sein müsst.«
Micah lacht trocken auf. »Noch vorsichtiger als jetzt schon?«
»Noch vorsichtiger als ihr euch wahrscheinlich vorstellen könnt. Wenn wir gegen Politiker anstelle der Klatschpresse spielen, ist es ein ganz anderes Spiel. Hier geht es nicht darum, einen heißen Artikel zu bekommen. Es geht um die Verschiebung von Macht. Und das bedeutet, sie kennen keine Grenzen.«
Schwere Stille erfüllt den Raum, und es ist eine Stille, die ich verstehe. Vor einigen Wochen haben wir uns Sorgen gemacht, dass die Klatschpresse erfährt, dass wir Sexclubs besitzen und das zum nächsten großen Skandal werden würde. Aber das ist die kleinste unserer Sorgen. Micah hat Allie. Darius hat Taylor. Jetzt sind sie in all das verwickelt, und nach ihren angespannten Gesichtsausdrücken zu urteilen, wollen sie nicht, dass ihre Frauen in all das involviert werden. Das kann ich ihnen nicht übelnehmen. Ich will Hadley auch nicht darin verwickelt sehen, und sie gehört mir nicht einmal.
Micah bricht das Schweigen schließlich. »Wirst du weiter nach der Person suchen, die hinter den Wanzen steckt?«
»Um ehrlich zu sein, das ist eine Sackgasse«, gebe ich zu, denn ich habe in alle Richtungen ermittelt, nachdem Darius in der Klatschpresse aufgetaucht war und wir die Wanzen entdeckt hatten. »Wir haben keine Fingerabdrücke gefunden, durch die wir Rückschlüsse auf die Person hätten ziehen können, die sie dort platziert hat. Ja, wenn ich die Person finde, die dahintersteckt, bin ich mir sicher, sie wird mich zu demjenigen führen, der für all das verantwortlich ist, und ich kann mir vorstellen, es handelt sich dabei um einen zwielichtigen Politiker. Aber bisher habe ich keine Hinweise gefunden.« An Gabe gewandt, frage ich: »Bist du mit dem Video weitergekommen?« Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, hatten wir über die Überwachungskameras gesprochen, die Gabe vor dem Pub aufgestellt hat. Bei der Durchsicht des Materials habe ich herausgefunden, dass eine Stunde fehlt, und Gabe hat die Firma angerufen, um herauszufinden, ob sie noch eine Kopie davon besitzen.
Er schüttelt den Kopf. »Traurigerweise bin ich hilflos, was das angeht. Die verlorene Stunde war nicht auf dem Server zu finden.«
Spannung liegt in der Luft, dick genug, um sie zu schneiden. Man könnte meinen, sie wird von den Männern um mich herum ausgestrahlt, aber schließlich fragt mich Darius: »Wie lautet dein Plan?«
»Im Augenblick muss ich mich auf den Senator konzentrieren«, sage ich zu ihnen, wobei ich meine Worte mit Bedacht wähle, damit sie nicht den Eindruck haben, dass ich ihnen gegenüber nicht loyal wäre. »Wenn ich mehr über die Lage des Senators herausfinden kann, denke ich, wird uns das zu der Person führen, die unsere Gespräche aufgezeichnet hat.«
Sie nicken, und es ist ein großartiger Beweis unserer langen Freundschaft, dass niemand meinen Plan infrage stellt oder an meiner Richtung zweifelt.
Gabe fragt: »Was sollen wir machen?«
»Spielt einfach weiter mit«, instruiere ich die Gruppe. »Wir müssen warten, ob die Geschichte über Micahs Untersuchung wegen Betrugs ans Licht kommt.« Vor ein paar Tagen haben wir der Klatschpresse absichtlich eine Geschichte hingeworfen, während wir im Pub saßen, wo wir wussten, dass die Wanzen das gesamte Gespräch aufzeichnen würden. Erstens sollte uns diese Geschichte eine Weile Ruhe verschaffen, damit wir herausfinden können, wer uns abhört. Und zweitens, weil diese Geschichte nicht einen Funken Wahrheit in sich trägt. Das würde die Klatschpresse noch herausfinden. Aber das ist auch der Grund, warum ich die Wanzen noch nicht entfernt habe. Wir müssen kontrollieren, was die Klatschblätter drucken. Niemand von uns will, dass unsere schmutzige Wäsche auf einem Cover ausgebreitet wird, wo jeder darüber lesen kann. Wir haben alle etwas zu verbergen. »Sie haben in letzter Zeit seltsamerweise ein Auge auf mich geworfen, aber ich hoffe, ihr könnt sie ablenken. Sie müssen aufhören, mir an den Hacken zu hängen.« Ich halte inne und denke über meine nächsten Schritte nach. »Geht vielleicht zurück in den Pub, unterhaltet euch wieder an dem Tisch und lasst irgendein saftiges Detail zu der Geschichte mit den Betrugsvorwürfen fallen.«
Micah nickt. »Das kann ich machen, aber da sie die Geschichte noch nicht gedruckt haben, frage ich mich, was könnte sie dazu bringen, es jetzt zu tun?«
»Was auch immer ihr tut, denkt euch etwas Gutes aus«, sage ich und fühle die Verantwortung auf meinen Schultern lasten. »In der Sekunde, in der wir aufhören, ihnen Material zu liefern, wird, wer auch immer verantwortlich für all das ist, klar werden, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Die beste Möglichkeit für uns ist, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass wir keine Ahnung von alldem haben.«
»Und du hast keinen Zweifel daran, dass du denjenigen finden wirst?«, fragt Gabe.
»Finden?« Ich schüttle den Kopf, muss daran denken, in was für eine Situation sie Hadley und meine Freunde gebracht haben und verspreche: »Nein, ich werde ihn in die Ecke drängen, bis er nirgendwo mehr hinlaufen kann.«