Als wir eine halbe Stunde später am Firmensitz von Blackwood Security ankommen, überrascht mich der Anblick, der sich mir bietet. Das Gebäude am nördlichen Ende der Stadt ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich hatte vermutet, Ryder würde sich ein Gebäude auf einer Anhöhe oder in der Nähe der Regierungsgebäude suchen. Was ich nicht erwartet hatte, ist eine alte Fabrik, und als ich das verwitterte Wort CHOCOLATE seitlich auf dem grauen Stein lese, muss ich davon ausgehen … »Dein Firmengebäude ist eine alte Schokoladenfabrik?« Ich blicke über die Schulter zu Ryder und sehe, dass er den Blick seiner eindringlichen smaragdgrünen Augen auf mich gerichtet hat.
Er nickt, geht dann voraus, läuft die wackelige alte Treppe hinauf und bleibt vor einer Stahltür stehen. Mir fallen die Kameralinsen und der Fingerabdruck-Scanner auf, die mir sagen, dass wir uns am richtigen Ort befinden. Nur Ryder würde dieses Maß an Sicherheitssystemen auffahren. »Ich habe das Gebäude gekauft, als ich Blackwood ins Leben gerufen habe. Damals brauchte ich ein billiges Gebäude, und das hier war ein guter Deal.« Er drückt seinen Finger auf den Scanner, und nach einem Klicken öffnet sich die Tür. »Als ich später die Mittel hatte, um in etwas Moderneres ziehen zu können, wurde mir klar, dass mir dieses Gebäude ans Herz gewachsen ist, und ich entschied mich, es stattdessen zu renovieren.«
Er betritt das Gebäude, und ich folge ihm; ich bin mir nicht sicher, was mich erwartet, da die Außenfassade bereits eine Überraschung gewesen ist. Soweit ich weiß, ist Blackwood Security eine Firma, die mehrere Millionen Dollar wert ist. Ryder hat etwas aus sich gemacht. Als die schwere Tür fest hinter mir ins Schloss fällt, bemerke ich die alten Maschinen, die überall herumstehen. »Ich kann verstehen, warum es dir hier gefällt«, sage ich und blicke aus dem Augenwinkel zu ihm. »Es hat Charakter; sogar Charme.«
Er passt sich meinen Schritten an, lächelt, und dabei kommt ein Grübchen zum Vorschein. »Gefällt es dir?«
Gott, dieses Grübchen lässt mir die Knie weich werden, aber eigentlich löst alles an seinen ein Meter neunundachtzig diese Wärme in meinem Bauch aus. Ich will an seinem wie aus Stein gemeißeltem Kiefer knabbern und seine rauen Gesichtszüge erkunden, will mit den Händen durch seinen dunkelblonden Kurzhaarschnitt fahren.
Leider lässt er mich nicht.
Ich beobachte ihn, und er ist offensichtlich überrascht, dass ein Mädchen wie ich einen Ort wie diesen mögen kann – einen Ort, der mehr Charakter hat, als dass er neu und modern ist. »Okay, es ist ein bisschen heruntergekommen, aber …« Ich blicke zu den großen schmutzverkrusteten Fenstern, dem Holzfußboden und den Industrierohrleitungen unter dem Dach, »… es ist auch ganz schön cool«.
»Es ist ziemlich cool«, sagt er mit einem weichen Lachen, einem, von dem ich nicht weiß, wie ich es einordnen soll, und wir gehen weiter zu dem Zimmer im hinteren Bereich.
Es macht mir Spaß, mehr aus ihm herauszukitzeln und mehr über ihn zu erfahren. Und vielleicht will ich nicht nur herausfinden, was in seinem Kopf vor sich geht, sondern auch, wie sein Körper ist. Wie er sich unter meinen Händen anfühlt, was für Geräusche er macht, wenn er verwöhnt wird, wie er aussieht, wenn er tief zustößt … Okay, wahrscheinlich kann ich das vielleicht streichen und Verdammt noch mal, ja! einfügen, denn ich will ihn ganz kennenlernen.
Als wir das Zimmer betreten, kehren meine Gedanken zurück in die Realität, in der Ryder nicht nur schwer, sondern unmöglich zu kriegen spielt, und dann höre ich eine weibliche Stimme, die sagt: »Hi, Boss.«
»Morgen«, erwidert Ryder.
Er tritt beiseite, und vor mir steht eine Frau, etwa in meinem Alter schätze ich. Mir fällt ihr schwarzes T-Shirt auf, auf dem BLACKWOOD SECURITY gedruckt ist. Sie hat ihr langes Haar in einen hohen Pferdeschwanz gebunden und ihre intelligenten bernsteinfarbenen Augen sind von dichten schwarzen Wimpern umgeben. Und diese Augen reißt sie gerade weit auf, als sie mich sieht, bevor sie sie wieder zusammenkneift und Ryder ansieht.
Er lacht leise und legt seine Hand auf ihre Schulter. »Alex McCoy, das ist Hadley Winters.« Er blickt über die Schulter zu mir und deutet auf sie. »Hadley, das ist Alex.«
Ich ignoriere ihre offensichtliche Überraschung, weil Ryder mich mitgebracht hat, und strecke ihr meine Hand entgegen. »Hi, schön, dich kennenzulernen.«
Alex hat sich schnell wieder im Griff, aber jetzt, wo die Überraschung verschwunden ist, ist in ihren Augen nur noch Misstrauen übrig. »Ähm … auch schön, dich kennenzulernen.« An Ryder gewandt fügt sie hinzu: »Ich glaube, wir müssen über etwas reden, also … äh … soll das gleich hier stattfinden?«
»Wahrscheinlich keine gute Idee.« Er deutet mit dem Kinn über Alex’ Schulter. »Gehen wir in den Beratungsraum.«
Kaum, dass Alex auf dem Absatz umgedreht und vorausgegangen ist, legt Ryder sanft seine Hand auf meinen Steiß und schiebt mich vorwärts. »Sie hat nicht damit gerechnet, dass ich dich mitbringe«, sagt er, und als ich zu ihm aufsehe, fährt er fort: »Mehr war das nicht.«
»Na ja, ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass ich hierherkommen würde.« Und hier ist ein ziemlich beeindruckender Ort. Die Längsseite des Raumes ist voller Monitore, einer über dem anderen, alle verbunden mit Straßenkameras. Unter den Monitoren zähle ich zehn Männer und Frauen. Sie arbeiten alle an Computern an Fällen, von denen ich mir sicher bin, dass sie alle streng geheim sind.
Ich folge Ryder, der einen Raum aus schwarzem Glas betritt; im Raum setzt sich Alex an den runden Glastisch und öffnet ihren Laptop. Ich blicke hinter mich, und da wird mir klar, es handelt sich bei den Wänden um Spiegelglas, was dafür sorgt, dass ich mich ein wenig sicherer fühle, denn das bedeutet, ich stehe nicht derart auf dem Präsentierteller, wenn wir über das Video reden.
Ryder zieht für mich einen Stuhl heran. »Setz dich, Hadley.«
Ich schenke ihm ein kleines Lächeln und setze mich in den Drehstuhl, unter dem Tisch balle ich meine Hände, lasse niemanden mein Unwohlsein sehen. Verdammt, ich bin die Frau in dem Video. Ich habe wilde und verrückte Dinge getan. Das war ich.
Aber als ich zu Ryder schaue, der sich neben Alex setzt, so stark und selbstbewusst und wirklich höllisch heiß, schätze ich, dieses Gespräch wird nicht der stolzeste Moment in meinem Leben sein.
»Also …«, beginnt Alex und legte ihre Hände auf ihre Tastatur. »Würde es dir etwas ausmachen, mich einzuweihen, was hier los ist?«
Sie muss nicht mehr sagen. Denn du musst den Verstand verloren haben, wenn du glaubst, es war eine gute Idee, die mitzubringen steht förmlich auf ihre Stirn geschrieben, seit ich den Raum betreten habe.
Ryders Mundwinkel heben sich, und ich stelle mir vor, wir denken dasselbe. »Es haben sich ein paar Entwicklungen ergeben …« Dann erzählt er ihr alles, was er über meinen Vater und die Korruption, gegen die er kämpft, weiß und auch, dass mir das Video ebenfalls geschickt wurde, ganz so, als wäre ich gar nicht anwesend und als wäre das nicht mein verrücktes Leben.
Als er fertig ist, murmelt Alex: »Verstehe.« Sie kneift konzentriert die Augen zusammen, und ihre Finger fliegen über die Tastatur. »O ja, da ist das Pop-up-Fenster.«
Ich zähle zwei und zwei zusammen und runzle die Stirn. »Hackt sie gerade meinen Computer?«
Ryder dreht den Kopf zur Seite und mustert mich eingehend, bevor er mich wieder anspricht: »Würde es dich ärgern, wenn es so wäre?«
»Ich weiß es nicht«, ist meine ehrliche Antwort.
»Dann macht sie es nicht.« Er grinst.
Ich rolle mit den Augen. Wie es aussieht, arbeitet Ryder in der Grauzone zwischen richtig und falsch. Held oder Krimineller? Ich schätze, das beantwortet auch meine Frage, warum Alex denkt, es wäre eine schlechte Idee, dass ich hier bin.
Bevor ich mich entscheiden kann, ob ich Alex die Erlaubnis geben würde, sich in meinen Computer einzuklinken, hört sie plötzlich auf zu tippen und sagt zu mir: »Es wäre wahrscheinlich einfacher, wenn du mir einfach die Namen der Männer in dem Video geben würdest.« Sie schweigt für einen Moment, und ihr Blick wandert in die Höhe. »Ich meine, es ist wahrscheinlich, dass die beiden nichts damit zu tun haben, denn so dumm kann man nicht sein. Aber ich habe das schon einmal erlebt, also –«
»Sie kennt die Männer im Video nicht«, unterbricht Ryder sie.
Alex runzelt die Stirn und sieht mich mit hartem Blick an. »Wie ist das überhaupt möglich?«
Mein Gesicht wird von heißer Röte überzogen und ich rutsche auf meinem Stuhl herum. »Na ja, dieses Date war eine Falle, man könnte sagen, es war arrangiert. An einem Abend im Afterglow habe ich eine Einladung in meinem Spind gefunden.«
»Von wem wurde es arrangiert?«, fragt Alex.
»Ich erkenne nur einen der Männer und das auch nur an seiner Maske«, sage ich und zuckte mit den Achseln.
»Also warst du schon einmal mit ihm zusammen?«, fragte Alex.
»Mit dem einen Typen, ja«, bestätige ich. »Er wird Meister M genannt. Aus dem Grund bin ich auch zu dem Hotel gefahren, um mich mit ihm zu treffen. Er war ein Mitglied des Clubs. Gesund und auch sonst in Ordnung.«
Ryder hebt eine Braue und fragt: »Und der andere Typ?«
»Ich dachte, er wäre ein Freund oder so etwas in der Art.«
»Aber du kennst Meister Ms richtigen Namen nicht?«, hakt Alex nach.
»Leider nein.« Sie wechselt einen langen Blick mit Ryder. »Das wirft die Frage auf, ob der andere Mann wirklich dahinterstecken könnte.« Als sie ein zustimmendes Nicken von ihm erhält, sieht sie endlich mich an. »Na gut, das ändert unsere Richtung, aber wir haben immer noch Mittel und Wege, um herauszufinden, wer die Person hinter alldem ist.« Sie lässt die Knöchel knacken, und ihre Finger beginnen wieder über die Tastatur zu fliegen. »Richten wir unseren Fokus auf denjenigen, der sich in deinen Computer gehackt hat.«
Angesichts Alex’ brüsker Stimme verzieht Ryder seine Lippen zu einer dünnen Linie, dann fragt er mich: »Gibt es irgendetwas auf deiner Festplatte, weswegen wir uns Sorgen machen müssten?«
Ich zucke mit den Achseln und verschränke die Arme. »Der Terminplan meines Vaters und andere Arbeitsdinge. Aber auch wenn sich nichts Persönliches auf dem Computer befindet, greift es in meine Privatsphäre ein und es ist unheimlich, dass jemand in meinen Sachen herumschnüffelt.« Ich drehe mich um und konzentriere mich wieder auf Alex; mir wird klar, dass sie mir gerade dasselbe antut, und ich schlinge die Arme noch ein wenig fester um mich. Wann wurde das Leben so verdammt verrückt?
Ryder schiebt seine Hand zu mir, will mich offensichtlich trösten, aber auf halber Strecke hält er inne und zieht die Hand schnell wieder zurück. Er wendet sich Alex zu und fragt: »Irgendeine Idee, wo der Hacker sich befindet?«
Ich sehne mich nach seiner Berührung, wie schon seit dem Augenblick, als mir klar wurde, dass sich die Dinge zwischen uns plötzlich verändert hatten. An einem Tag war er noch der Chef der Security meines Dads. Am nächsten Tag war er mehr. Gott, ich brauche ihn so sehr, dass die Zurückweisung in mir brennt, weil er seinen verdammten Job nicht vergessen und darum nicht für mich auf die Weise da sein kann, von der wir beide wissen, dass wir sie wollen. Seit über einem Jahr werfe ich mich ihm an den Hals, und immer zeigt er mir die kalte Schulter. Normalerweise komme ich damit klar, weil ich ihn verstehe. Er fühlt sich meinem Vater gegenüber verpflichtet. Ich bin eine Komplikation. Und normalerweise gefällt es mir einfach, einen heißen, toughen Typen wie Ryder ins Schwitzen zu bringen und ihn zu reizen, einfach weil ich es kann. Es ist nicht so, dass er mich nicht mögen würde. Und auch nicht so, als ob er mich nicht wollen würde. Ich kann das sehen und kann es fühlen, und das schon seit einer ganzen Weile. Aber heute, nach alldem, was vorgefallen ist, fühlt sich die Welt sehr, sehr einsam an. Ich fühle mich sehr einsam.
Ryder mustert mich und ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann, breitet sich auf seinem Gesicht aus, dann sieht er weg, denn Alex sagt: »Ich habe im Moment noch keine Spur zum Aufenthaltsort des Hackers, aber ich werde ihn finden.«
Ryder nickt, als wäre das die einzige Antwort, die er braucht.
Ich brauche sehr viel mehr als nur das Wort von jemandem, den ich nicht kenne. »Wie kannst du dir so sicher sein, dass du ihn findest, bevor er das Video postet?«
»Weil das mein Job ist.« Sie lächelt leicht und zuckt mit den Achseln. »Ich kann dir nicht versprechen, dass ich denjenigen finde, der dich erpresst. Aber ich kann dir versprechen, dass ich diesen Hacker finden werde.«
Ihr Selbstbewusstsein beruhigt mich. Aber ihre Worte verwirren mich. »Du denkst nicht, dass der Hacker und der Erpresser ein und dieselbe Person sind?«
»Das ist sehr unwahrscheinlich«, sagt Alex und richtet ihre Konzentration wieder auf ihren Monitor. »Wer auch immer deinen Computer gehackt hat, ist ein Profi. Alles, was ich machen muss, ist seine Signatur herauszufiltern, und dann schnappe ich ihn.«
Meine Kehle wird mir eng, als ich höre, wie Ryder sich räuspert. O ja, ich weiß, was als Nächstes kommt, und ich würde mich am liebsten unter dem verdammten Tisch verkriechen.
»Wo wir gerade von dem Video sprechen, werfen wir einen Blick darauf.« Seine Stimme ist kühl und gefasst. Ich weiß nicht, ob er nur so tut als ob oder nicht, aber mein Herz rast, und mein Magen fühlt sich flau an, als er sich zu mir dreht und sagt: »Ich muss mir das ansehen, um so viel wie möglich über die Männer herauszufinden. Du musst dabei nicht anwesend sein.«
»Ich bleibe.« Verdammt, ich will den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen, wenn er mir zusieht.
»Alles klar«, sagt Ryder und nickt dann Alex zu. »Leg los.«
Alex klickt das Video an, und das muss ich ihr lassen: Sie bleibt absolut professionell, auf ihrem Gesicht ist keinerlei Ausdruck, man kann nicht sehen, ob sie mich verurteilt, als sie die Lustschreie und das maskuline Stöhnen hört. Ich schäme mich, als ich zu Ryder blicke. Er ist vorgebeugt und betrachtet das Video eingehend.
Aber nach dem ersten Schock wird mir klar, dass er nicht mich in diesem Video ansieht. Er betrachtet die Männer. Sein Gesicht ist nah am Bildschirm, die Augenbrauen sind zusammengezogen, und ich erkenne, dass er nach jedem Makel, jeder Unvollkommenheit sucht und sich diese Male ganz genau einprägt.
Als wieder Stille den Raum ausfüllt, richtet Ryder sich auf und sagt: »Spiel es noch einmal ab.«
Wieder und wieder und wieder muss ich ertragen, wie sie das gesamte Video abspielen. Irgendwann ist keine Scham mehr in mir, weil ich mittlerweile vollkommen dagegen abgestumpft bin.
Ryder lehnt sich schließlich wieder zurück, und sein zärtlicher Blick trifft meinen. Ich frage mich, ob das Absicht gewesen ist. Aber das verhindert nicht, wie entblößt ich mich fühle, auf eine Weise, die ich mir niemals gewünscht habe. Ich wollte nie, dass er mich so sieht. Vor Scham bekomme ich eine Gänsehaut.
Ryder runzelt die Stirn, als er sieht, was auch immer sich auf meinem Gesicht abspielt. In der Tiefe seiner Augen sehe ich Enttäuschung. Nicht nur ich wurde bestraft, als er dieses Video ansehen musste.
Was auch immer er fühlt, spielt keine Rolle, seine Stimme ist sanft, als er sagt: »Wir werden die Person finden, die hinter alldem steckt, Hadley.«
»Ich weiß«, erwidere ich.
Denn ich kenne Ryder. Er wird mich aus dieser Bedrängnis befreien, denn das ist es, was er tut. Ich kann nicht anders, ich hoffe, dass er mir nur einmal sagen wird, er tut das für mich, nicht aus Pflichtgefühl meinem Vater gegenüber.
Als unsere Blicke sich treffen kann ich in seinen Augen Gefühle brennen sehen. Aber dann macht er, was er immer macht – er wendet kalt den Blick ab und nimmt ein kleines Stück meines Herzens mit sich.
Während Alex versucht, die Identität des Hackers herauszufinden, muss ich meine eigenen Untersuchungen anstellen. Aus dem Grund bin ich auf dem Weg zu O’Keefe’s Irish Pub. Ich parke meinen Truck am Bordstein und blicke zu Hadley, die neben mir auf dem Beifahrersitz sitzt. Sie sieht nicht in meine Richtung, sondern starrt aus dem Fenster zu dem burgunderfarbenen Schild des O’Keefe’s, das mit einem goldenen keltischen Knoten geschmückt ist. »Du musst hierbleiben«, sage ich zu ihr.
Da dreht sie sich zu mir, die Augenbrauen zusammengezogen. »Du gehst da rein?«
»Ja, und ich denke, es ist das Beste, wenn du nicht mitkommst.« Ich steige aus dem Truck, und als ich durch die offene Wagentür blicke, sehe ich ihren genervten Gesichtsausdruck. »Ich muss ein privates Gespräch mit jemandem führen, dem es nicht gefallen würde, wenn du dabei wärst. Mehr ist es nicht.«
Sie sieht mich lange an, lehnt sich schließlich zurück und verschränkt die Beine übereinander. »Aber sonst ist alles okay?«
Ich hasse es, sie so besorgt zu sehen, und verspreche ihr: »Das wird es sein.« Ich schließe die Tür, umrunde die Motorhaube und kann dabei Hadleys Blicke auf mir spüren; mit jedem Schritt, den ich mache, wird meine Haut heißer. Egal, was mein Kopf mir auch sagen mag, mein Körper widerspricht aus ganzem Herzen. Nimm sie, brüllt er.
Ich schüttle den Gedanken ab, und als ich den Pub betrete, werde ich sofort von dem Lärm der Menge und der lauten Folk-Musik getroffen, die die Band am anderen Ende des Pubs neben den Billardtischen spielt. Aber die Fremden sind nicht der Grund, aus dem ich hier bin. Ebenso wenig wie das gute Essen oder das kühle Stout.
Der Grund für meinen Besuch steht hinter der Bar und sieht aus wie ein 34-jähriger sorgloser Typ, dem nichts die Laune verderben kann. Aber ich weiß wie weit das von der Wahrheit entfernt ist. In letzter Zeit macht Gabe sich um eine Menge Dinge Sorgen, obwohl er ein Multimillionär ist. Denn diese Berühmtheit hat die Aufmerksamkeit der Klatschpresse geweckt. Und wir alle wissen, dass die Klatschblätter in letzter Zeit echte Nervensägen gewesen sind.
Als Gabes Blick auf meinen trifft, deutet er auf das Ende der Bar. Ich gehe dorthin, und als ich bei ihm angekommen bin, sage ich: »Wir müssen reden.«
Er nickt, in seinen haselnussbraunen Augen sehe ich Besorgnis, weil er weiß, hier können wir nicht reden. Hinter der Bar, direkt dort, wo ich stehe, befindet sich seine Wanze, die unsere Gespräche aufzeichnet. Ich weiß auch, dass sich eine weitere Wanze an dem Tisch neben den Billardtischen befindet, an dem wir immer sitzen. An mir nagt, dass ich keine Ahnung habe, wer sie dort platziert hat und warum jemand unsere Gespräche verkauft.
Gabe versteht, sieht über die Schulter und ruft: »Kenna.« Die Frau mit dem dunkelblonden Haar und Augen, deren Farbe zwischen Grün und Gelb changiert, serviert gerade einem Gast ein Bier, sieht aber dann in Gabes Richtung, und er fügt hinzu: »Ich bin in zehn Minuten wieder da.«
Sie nickt und geht schnell zu dem nächsten Gast, der mit einem Zwanzig-Dollar-Schein in der Hand wartet.
Vor nicht allzu langer Zeit hat es Gabe nach dieser Frau verlangt. Ich habe es oft gesehen. Aber die Tatsache, dass er ihre Anwesenheit jetzt kaum wahrnimmt, zeigt mir, wie sehr die Sorge ihn belastet.
Von all meinen Freunden ist er immer der sorgloseste gewesen. Was das, was ich ihm zu sagen habe, umso härter macht.
Gabe legt seinen Wischlappen hinter der Bar ab, hebt hastig die hölzerne Absperrung und tritt schnell hinaus. Stumm folge ich ihm, und wir bahnen uns den Weg durch die Menge bis zu der Seitentür, die in die Küche führt. Das Klirren von Geschirr und die laute Stimme des Küchenchefs hallen in dem kleinen Raum wider; wir durchqueren ihn und gehen eine Treppe hinauf.
Dort benutzt Gabe den Fingerabdruck-Scanner, den ich für ihn installiert habe, als er das Gebäude renoviert hat, das noch aus den Fünfzigerjahren stammt. Als wir in seinem Apartment sind, gehe ich gar nicht erst ins Wohnzimmer. Dieses Gespräch wird nicht lange dauern. »Hör zu, ich habe Neuigkeiten –«
Gabe hebt die Hand und bringt mich zum Schweigen. »Ich kann mir vorstellen, dass, was immer du mir zu sagen hast, nichts Gutes sein wird, also lass mich dir erst etwas zeigen.« Er geht zum Couchtisch und kehrt mit einem Klatschblatt, der Gotcha!, zurück.
Nachdem er einige Seiten durchgeblättert hat, reicht er mir die Zeitschrift, und ich lese den Artikel.
Ist Micah Holt korrupt? Unsere Quellen sagen uns, dass gegen ihn wegen elektronischer Geldwäsche und Steuerhinterziehung ermittelt wird.
Ich werfe Gabe einen Blick zu. »Also hat der Plan endlich funktioniert?«
Er nickt. »Hat er.«
Erleichtert und in der Hoffnung, dass das bedeutet, Hadley ist für den Moment vor der Klatschpresse sicher, reiche ich Gabe die Zeitschrift. »Kommt Micah damit klar?«
»Ja«, sagt Gabe und bringt die Zeitschrift zurück zum Couchtisch. »Im Augenblick hält er sich bedeckt, um die Geschichte so lange auszureizen wie möglich.«
Was verrückt wirkt, aber es sind verrückte Zeiten. Ich muss unseren Spion finden, und ich glaube immer noch, dass das bedeutet, ich muss die Person finden, die hinter der Drohung an Hadley steckt. Aber die Vorstellung, sie benutzen zu müssen, widerstrebt mir zutiefst.
»Bald«, fügt Gabe grimmig hinzu, »ich bin mir sicher, die Polizei wird sich einschalten und der Stadt erklären, dass nicht gegen Micah ermittelt wird, denn sie werden sicherlich auch die Polizei nach Informationen ausquetschen, und die wird ein Statement abgeben müssen. Aber der Plan, den Fokus in dieser Woche auf ihn gerichtet zu lassen, funktioniert genau so, wie wir es geplant haben.«
»Gut.« Die verdammte Klatschpresse ist das Letzte, woran ich gerade denke. Ich kann mich nur auf Hadley konzentrieren. Und angesichts dieser Gefahr, die das Video für sie darstellt, muss ich diesen Hacker finden, und das schnell. »Wir müssen ihnen weitere Storys liefern, um sie unter Kontrolle zu halten.«
Gabe nickt als Zustimmung. »Da bin ich ganz bei dir. Alles klar. Überlass das mir. Was wolltest du mir erzählen?«
»Du hast einen Erpresser im Afterglow.«
Sein bereits angespannter Gesichtsausdruck verzieht sich vor Sorge. »Woher weißt du das?«
Er tut mir leid, wirklich. »Zwei männliche Mitglieder haben Hadley Winters beim Sex mit ihnen gefilmt und erpressen sie jetzt mit der Aufnahme.«
Gabe geht zur Couch und lässt sich darauf fallen, als würde ein tausend Pfund schweres Gewicht auf ihm lasten. Er senkt den Kopf und fährt sich mit beiden Händen durch seine verwuschelten Haare. »Wie sicher bist du, dass es sich dabei um Mitglieder meines Clubs handelt?«
»Sehr sicher«, sage ich zu ihm und bleibe an der Tür stehen. »Hadley hatte eine Einladung in ihrem Spind im Club gefunden, von jemandem, mit dem sie schon einmal zusammen war.« Und ich weiß sehr sicher, dass Nicht-Mitglieder niemals einfach so den Club betreten könnten.
»Verfluchte Hölle.« Gabe kommt taumelnd auf die Füße und geht zu dem Fenster auf der anderen Seite seines Studio-Apartments. Er presst die Hände gegen die offen liegenden roten und schwarzen Ziegelsteine der Wand. »Wann wird diese Scheiße endlich aufhören?«
Ich bleibe stumm, lasse ihm Zeit, das zu verarbeiten. Seine Welt gerät außer Kontrolle. Ich schätze, sein Vertrauen schwindet und bei diesem Mann, der Kontrolle und Macht so sehr liebt, kann ich sehen, wie die ersten Geister beginnen, sich um ihn zu versammeln.
Es ist erst eine Minute vergangen, da dreht Gabe sich endlich wieder zu mir um. »Zuerst haben die Klatschblätter begonnen, Geschichten über uns abzudrucken. Dann finden wir Wanzen in meinem gottverdammten Pub. Und jetzt das?«
»Es tut mir leid, dass ich dir das sagen musste.« Ich kann seine Sorgen verstehen, vor allem, weil ich ihn nicht für das Ziel halte, sondern lediglich für eine Ablenkung, die dazu dienen soll, dem Senator eine Falle zu stellen. »Aber ich denke, wir sollten uns nicht von unseren Gefühlen leiten lassen. Das ist nichts Persönliches. Der Erpresser will den Senator zerstören, und er benutzt dich und Hadley dafür.«
Gabe blickt finster drein. »Die Klatschpresse druckt unsere privaten Informationen ab, also erklär mir bitte, wie das nichts Persönliches sein kann.«
»Natürlich sieht es so aus, als würden sich die Dinge gegen dich verschwören, und ich bin mir immer noch unsicher, wie die Klatschpresse und die Drohung Hadley gegenüber zusammenhängen, aber ich sage dir, es ist so. Zumindest daran habe ich keinen Zweifel.« Ich kann einfach nicht glauben, dass die Klatschpresse zu solch extremen Mitteln greifen würde, nur um Informationen aus unserem Privatleben auszubuddeln. Ja, meine Freunde und ich haben mächtige Positionen in San Francisco inne, aber dennoch … es ist seltsam, dass wir Schlagzeilen machen. Das muss alles irgendwie mit dem Senator zusammenhängen, und ich muss nur die Verbindung finden, damit alles Sinn ergibt. »Die Zeitschriften hätten nie die finanziellen Ressourcen, um deinen Pub mit den Geräten zu verwanzen, die wir gefunden haben. Sie hätten auch nicht das Geld, um einen Privatdetektiv zu engagieren, der Hadley folgt und herausfindet, dass sie im Afterglow unterwegs ist.«
Gabe reißt die Augen auf. »Denkst du, sie wird immer noch beschattet?«
»Ich habe niemanden gesehen, der ihr gefolgt ist, also nein, aber ganz ausschließen würde ich es auch nicht.« Und falls ich jemanden sehe, der ihr folgt, wird derjenige seine Entscheidung sehr schnell bereuen. Denn egal ob es Sinn macht oder nicht, wenn es um Hadley geht, sind die einzigen Blicke, die ich auf ihr wissen will, meine eigenen.
»Also haben wir unter dem Strich immer noch nichts?«, fragt Gabe. Offensichtlich ist er frustriert. »Wir haben keine Ahnung, wer den Pub verwanzt hat. Wir haben einen Erpresser, der in meinem Club war. Und irgendwie betrifft das uns alle oder vielleicht auch nicht – an diesem Punkt wissen wir nur, dass wir Bauernfiguren in dem korrupten Spiel von jemandem sind. Habe ich das richtig zusammengefasst?«
Er hat recht. Bei jedem einzelnen Punkt. »Na ja«, sage ich und versuche, unsere aktuelle Situation aus einem positiven Blickwinkel zu sehen, »bald haben wir den Namen des Hackers, und dort können wir ansetzen. Noch sind wir nicht in einer Sackgasse angelangt.«
»Und du glaubst, der Hacker ist ein Mitglied des Afterglow?«
»Da bin ich mir noch nicht sicher. Entweder ist er Teil des Ganzen, oder er wurde angeheuert. So oder so, er wird etwas wissen und er ist der Typ, mit dem wir reden müssen.«
Gabe nickt zustimmend.
Ich überdenke meine nächsten Schritte, bevor ich hinzufüge: »Aber erst müssen wir herausfinden, ob noch jemand eine von diesen Einladungen bekommen hat, oder nur Hadley. Von dort aus können wir der Spur weiter folgen.« Ich stoße mich von der Tür ab. »Ist das für dich machbar?«
»Natürlich«, sagt Gabe, dann hält er kurz inne; offensichtlich wählt er seine Worte mit Bedacht. »Was weißt du bisher über diesen Typ? Vielleicht erkenne ich ihn, wenn du mir das Video zeigst.«
Ich schüttle den Kopf. Dieses gottverdammte Video wird niemand sonst zu Gesicht bekommen. »Die Männer haben alle Masken getragen, die das gesamte Gesicht verdecken. Einer hat eine halbmondförmige Narbe an der Hand aber mehr Identifikationsmerkmale habe ich im Video nicht gefunden.«
»Gewicht? Größe?«
»Beide sind über einen Meter achtzig, sportlich.«
Gabe seufzt und kommt auf mich zu. »Noch etwas, was mir helfen könnte?«
»Jeder, der in so eine Sache verwickelt ist, wird wahrscheinlich schon einmal straffällig gewesen sein und eine Akte haben.« Herrgott, selbst Alex hatte eine Akte, bevor die Regierung sie gelöscht hat, damit sie ihnen bei einer Untersuchung half. »Wenn du mir Namen besorgen kannst, bin ich zweifellos sicher, dass jemand auffällig ist.« Oder Alex wird genug über sie in Erfahrung bringen, bis jemand auffällig ist.
»Auch wenn das wahr ist«, sagt Gabe und bleibt neben mir stehen, »sollte ich dir sagen – und das ist wahrscheinlich das Letzte, was du hören willst –, dass ich nicht denke, es wird dich weiterbringen, selbst wenn du die Namen kennst.«
»Warum glaubst du das?«
Gabe legt den Kopf schief und seine Stimme wird sanfter. »Weil Hadley dafür bekannt ist, von den zwielichtigsten Typen des Clubs angezogen zu werden, und ich kann mir vorstellen, sie alle haben ein Strafregister.«
Ich verstehe immer noch nicht, warum Hadley sich in solche Situationen begibt. Sie hat Gefühle für mich. Sie will mich. Also, was zur Hölle treibt sie dann mit Männern, die den Abschaum der Gesellschaft darstellen?
Es ergibt keinen Sinn und ich beschließe, es wird Zeit, dass sie mir sagt, warum.
»Ja, möglicherweise sind sie vorbestraft«, stimme ich ihm zu und fokussiere meine Gedanken für den Moment auf diese Sache. »Aber aus genau diesem Grund habe ich eine eigene Hackerin. Sie wird diese Typen aussieben.«
Gabe reicht mir seine Hand, und als ich sie ergreife, sagt er: »Ich besorge dir diese Namen.«