Es gibt einen Zustand, den mag ich besonders: physisch noch da zu sein, aber gedanklich schon weg. Dinge, zu denen man genötigt wird, erledigt man mit dem erwärmenden Gefühl, dass einen das alles in Wahrheit gar nichts mehr angeht. Eben wie James Garner, der Film-Sheriff wider Willen, der bei jeder Gelegenheit betont, ja eigentlich auf der Durchreise nach Australien zu sein. Das letzte Jahr meines alten Lebens fühlte sich an, als befände ich mich auf der Durchreise. Oder im Bardo, wie die Buddhisten den Zustand zwischen Diesseits und Jenseits nennen. In einer Art «Verpuppungsstadium» zwischen Raupe und Schmetterling. Ich lief nur noch mit Walkman herum, ständig berieselte mich Musik, sodass jeder Tag einem nicht enden wollenden Strom von Videoclips glich, wie sie damals in Sendungen wie «Formel Eins» gespielt wurden. Musikclips waren eine Erfindung der 80er, Sender wie MTV machten unsere Musik endlich auch sichtbar. Punk war angesagt, aber auch Synthie-Pop, mit The Cure auch die ersten Anfänge von Gothic, Migge steuerte noch Reggae bei. Wir klebten am Fernseher, der endlich auch ein ordentliches Farbbild hatte. Jedes Detail der neuesten Clips von Depeche Mode, Public Image Limited oder David Bowie wurde registriert. Vor allem Koma und ich waren wie besoffen von diesem ganzen 80er-Hype. Freunde aus dem Eden, die professionell als Friseure arbeiteten, färbten uns fachmännisch die Haare, die dilettantische «Rostphase» hatten wir hinter uns. Wir entfärbten unsere Jeans mit Chlorbleichlauge und behandelten sie anschließend wieder mit einer roten oder gelben Textilfarbe, sodass ihre Farbeffekte an die Haut der Meeresechsen auf den Galapagosinseln erinnerten, die ich allerdings erst Jahrzehnte später mit eigenen Augen sehen durfte. Farbe, ob im Fernseher, auf dem Kopf oder an den Hosen – Farbe musste sein. Wir hatten das ewige Grau so satt.
Von einer der West-Tanten hatte uns ein Paket mit mehreren weißen Jeans erreicht. Koma und ich zogen Linien und färbten sie anschließend mit schwarzen, im anderen Fall roten Längsstreifen, sodass unsere Beinkleider an Nenas Hosen im Clip «99 Luftballons» erinnerten. Oma Eisermann, die Großmutter meines Freundes Dirk, hatte mir von einem Besuch in Westberlin, natürlich gegen Cash, nicht nur den Walkman mitgebracht, sondern auch ein Paar angesagte Adidas-Sneakers. Das waren alles immens wichtige Dinge. Der Soundtrack meines Lebens war gigantisch, nur der Ort, an dem dieser Clip spielte, war falsch. Und weil ich nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Regisseur in diesem Clip war, wurde es Zeit, die Location zu ändern – so viel stand fest.
Überspielt von meinem Röhrenradio, dudelte aus meinem Grundig C450 jetzt viel Depeche Mode, dazu Howard Jones, Duran Duran, Synthesizer-Akkorde aus den Laboren der sich in diesem Jahrzehnt besonders ungehemmt austobenden digitalen Klangdesigner. Wir guckten zusammen «Miami Vice» oder «Dallas», veranstalteten Monopoly-Partys, die dem Ball der Ölbarone aus der Kultserie «Dallas» nachempfunden waren, inklusive Anzugspflicht, Whisky und dem Hutständer in Form eines mannshohen Bohrturms, den der Klops eigenhändig nachgebaut hatte.
Wir hatten enorm an Selbstbewusstsein zugelegt und gingen zum System auf finalen Krawall-Kurs, indem wir zum Beispiel auf lange Metallpfosten, die wie Raketen aussahen, mit Farbe «SS-20 Nein Danke» schrieben oder eine junge SED-Abgeordnete, die man uns im Vorfeld unserer Premiere als «Erstwähler» bei den Kommunalwahlen 1984 in die Schule schickte, mit Fragen über Sinn und Unsinn dieser Demokratie-Farce beinahe zum Heulen brachten.
«Welche Wahl habe ich denn, wenn ich auf dem Wahlzettel nicht zwischen echten Alternativen wählen kann?», fragten wir die junge Frau. Sie antwortete, was zu antworten sie gelernt hatte: «Der eigentliche demokratische Vorgang findet im Vorfeld der Wahl statt, in dem sich die Werktätigen auf eine Liste der Kandidaten der Nationalen Front geeinigt haben», flötete sie wirklich gut meinend. «Dann ist der Wahltag gar nicht der ‹eigentliche demokratische Vorgang›? Warum sollte ich dann hingehen?», hakte ich nach.
«Doch, doch …», entfuhr es der jungen Frau, jetzt sichtlich nervös. «Die Wähler vollenden diesen demokratischen Prozess, indem sie der Liste zustimmen …»
«Aber wenn ich mit den Kandidaten und ihrem ‹Programm› nicht einverstanden bin, wann und wo kann ich das denn äußern?», fragte jetzt Lauge.
«Da hättet ihr euch im Vorfeld beim zuständigen Wahlausschuss melden können», sagte sie jetzt, der Verzweiflung nahe.
«Also haben wir am 6. Mai gar keine ‹Wahl› mehr, sondern können am ‹Wahltag› nur noch zustimmen?», fragte jetzt Koma.
«Es ist der Tag, der den Prozess des demokratischen Zentralismus abschließt, daher ist es eine Pflicht für euch als Demokraten.»
Wir lachten. Das war es vorerst.
Wieder einmal drohte man uns anschließend mit Schulrauswurf. Was wollt ihr denn eigentlich?, dachte ich bei mir. «Sag mir, wo du stehst», war das nicht ihre als Folksong gesungene Aufforderung an die Menschen im Land, sich zu bekennen, den Dialog zu suchen? «Auch nickende Masken, die nützen uns nicht», hieß es da weiter. «Ich will beim richtigen Namen dich nennen. Und darum zeig mir dein wahres Gesicht.» Das taten wir und wurden dafür bestraft.
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, wir balancierten permanent am Abgrund, an anderen Bildungseinrichtungen waren Schüler wegen geringerer Vergehen vor die Tür gesetzt worden. Irgendwer in unserer Schule schien aber immer wieder seine schützende Hand über uns zu halten – scheute man das Aufsehen? Oder waren wir als Gruppe einfach zu groß?
Am Ende wurde auch diese Situation entschärft, indem wir uns bei der Abgeordneten mit einem Blumenstrauß entschuldigten. Und ich bin dafür den damaligen Verantwortlichen in Schule und Lehrfirma noch heute dankbar, dass sie sich angesichts dessen, was wir ihnen zumuteten, sehr fair verhielten und jene Hardliner, die uns rauswerfen wollten, regelmäßig überstimmten.
Koma und ich verbrachten viele Nächte im Eden, einst als «Popper-Disco» verschrien, längst aber ein Tempel der Vielfalt mit Musik, Drinks, Licht – und Mädchen. Mädchen, die kurze Röcke und hochhackige Schuhe trugen, sich schminkten und sich nicht die Haare oder Klamotten hässlich zerschnitten wie die Punks. Im Eden verkehrte damals eine Art Parallelwelt, die am nächsten Morgen nicht in die düsteren, zugigen Hallen der volkseigenen Betriebe flutete. Und falls doch, dann mit Augenringen, Kopfschmerzen und einem riesigen Schlafdefizit.
Mann, Frau und Menschen irgendwo dazwischen beeindruckten mit filigranen Frisur-Kreationen, hell-dunkel abgesetzten Haarfontänen, ausrasierten Nacken, breiten Seitenscheiteln. Punk, Wave, Synthie-Pop, New Romantic – was immer an Leipziger Ablegern durch diese irren 80er-Jahre schwirrte, fand im Eden vorübergehend Asyl. Ins Eden kam, wer Spaß haben, tanzen und sich zeigen wollte. Und natürlich, wer im Besitz der begehrten Eintrittskarten war. Denn egal, ob an Wochen- oder Wochenendtagen: Vor dem Eden bildete sich stets eine Traube von Jugendlichen, die hoffte, in diese Oase des Vergnügens im ansonsten spaßfreien Arbeiterparadies vorgelassen zu werden. Viele von ihnen vergeblich. Dass sich für uns diese Tore wie von Geisterhand stets öffneten, verdankten wir in erster Linie meinen FDJ-Kontakten seit der Polenreise. An allen Wartenden vorbei ins Eden gelassen zu werden, fühlte sich an wie ein gutes Omen des Kommenden, wenn sich die ganz großen Tore öffnen würden. Reingelassen zu werden und einfach besser auszusehen als die meisten anderen, hatte etwas Erhabenes, Elitäres.
Wir waren Teil der Eden-Community, die ein bisschen dekadent war – zumindest für ostdeutsche Verhältnisse. Während das Volk des Arbeiter-und-Bauern-Staates auf harten Matratzen in beengten Wohnungen schlafend Kraft für die Frühschicht tankte, wurde hier durchgefeiert. Die Mädchen waren sexy, viele Jungs waren schwul, die Alten, also jene ab 30, hatten Geld und hatten es vermutlich auf die notorisch klammen Jungs und Mädchen abgesehen. Man tat immer furchtbar aufgeregt, wenn man sich begrüßte, obwohl man sich ja erst am Abend zuvor gesehen hatte. Es wurde viel umarmt, geherzt, und zur Begrüßung gab es Bussis. Wir tranken abscheuliche Mixgetränke, Kirsch-Whisky-Cola zum Beispiel. Und wenn wir kein Geld hatten, dann bestellten wir einen Eisbären-Flip. Der bestand aus Eiswürfeln und Wasser, wurde im Longdrink-Glas serviert, kostete nix und war wie alles im Eden: gut aussehend, wenn auch inhaltsleer. Der DJ war ein merkwürdiger Typ mit Nietzsche-Bart und Brille, der sich «Mäuschen» nannte und zwischen den Titeln dummes Zeug redete.
Aus heutiger Sicht kam das Eden nicht über das Niveau einer Dorfdisco im Spessart hinaus, doch was wussten wir schon vom New Yorker «Studio 54» oder anderen Club-Legenden dieser flirrenden Welt. Für uns war das Eden der Laden, in dem das «Saturday Night Fever» die Menschen auch werktags befiel. Für Koma und mich war es die ideale Bühne für unsere lange Abschiedstournee durch die ostdeutsche Realität. Migge, Klops und Lauge kamen nur gelegentlich mit.
Was wohl aus Toni geworden ist? Aus Amado und den anderen? Wir lernten eine Gruppe Mosambikaner in der Leipziger Innenstadt kennen. Lauge hatte seinen Ghettoblaster dabei, Produkt einer No-Name-Marke von Quelle – klobig, mit einem scheppernden Klang, er verbrauchte alle halbe Stunde einen Berg dieser salzstreuergroßen Batterien. Zudem fielen immer wieder die abnehmbaren Boxen herunter, die Halterung tat ihren Dienst nicht mehr ordentlich. Aber im Osten der frühen 80er-Jahre war man selbst mit einem Quelle-Ghettoblaster ganz weit vorn. Zumal wenn die Lautsprecher scheppernd den Sound der Hip-Hop-Pioniere freigaben, der Rock Steady Crew, Grandmaster Flash oder Sugarhill Gang.
Wir hatten uns sogar bei einem Hochzeitsausstatter weiße Handschuhe gekauft und versuchten uns an einem kalten Novembertag 1983, nicht zum ersten Mal, in aller Öffentlichkeit im Breakdance, so wie wir das in den Clips der legendären ARD-Jugendsendung «Formel Eins» oder in «Breakdance-Lessons» mit dem skurrilen bayerischen Tanzpantominen Eisi Gulp gesehen hatten. Während aus den Quelle-Speakern «Rappers Delight» rasselte, versuchten wir uns in «Moonwalk» und «Robotdance» – zugegebenermaßen auf erbarmungswürdigem Niveau. Wir waren die vermutlich schlechtesten Breakdancer des Abendlandes, aber das spielte keine Rolle.
Und dann standen da diese Jungen aus dem fernen Afrika plötzlich vor uns und schauten zu. Anders als die typischen DDR-Passanten, die mit herunterhängenden Mundwinkeln den Kopf schüttelnd «Was soll’n der Bledsinn» brabbelten, waren die Jungs aus Afrika sofort dabei, sie machten mit. Auch sie hatten Lust, die November-Tristesse in dieser traurigen Stadt mit guter Laune zu fluten. Einen Wimpernschlag lang fühlten wir uns wie in Harlem oder der Bronx. Wir lachten und feierten uns, weil es ja sonst nicht viele Gründe zu feiern gab.
Die Mosambikaner waren sogenannte Vertragsarbeiter, die in einem heruntergekommenen Leipziger Betrieb, dem VEB Baumwollspinnerei, einfache Jobs erlernten – und ansonsten ein von der Bevölkerung isoliertes Leben in einem beengten Wohnheim im Stadtteil Schönefeld führten. Wir freundeten uns an und verbrachten Zeit miteinander. Das war außergewöhnlich, die meisten Ostdeutschen hielten Abstand zu den als «Mosis» (Mosambikaner) oder «Fidschis» (Vietnamesen) gescholtenen Fremden aus den sozialistischen «Bruderländern», auch das N-Wort war noch allgegenwärtig. Man sprach nicht mit, dafür umso mehr über sie. Und verbreitete Gerüchte: dass sie zum Beispiel alle möglichen Privilegien genössen, von denen der Ossi-Normalprolet nur träumen könne – Bezahlung in Devisen und Reisefreiheit zum Beispiel. Und dass sie die «Gastfreundschaft» missbrauchen würden – indem sie Frauen belästigten oder in Diskotheken für Ärger sorgten.
Dazu hätten unsere neuen Freunde nicht einmal die Gelegenheit gehabt, denn sie waren unter strengen Auflagen in gesonderten Wohneinheiten untergebracht. Ihre «Reisefreiheit» beschränkte sich auf das Recht, sich nach der täglichen Schufterei innerhalb einer bestimmten Tageszeit in Leipzig bewegen zu dürfen. Wir besuchten sie und amüsierten uns über die lange Verbotsliste, die im Hausflur aushing und an die Regeln in einem DDR-Kinderferienlager erinnerte – nur dass hier eben Erwachsene wohnten.
Für jeweils drei Jahre wurden die Mosambikaner in der DDR ausgebildet und beschäftigt; das wurde als «solidarischer Akt» im Rahmen der sozialistischen Bruderhilfe verkauft. Sie waren mit dem Versprechen von Bildung und Studium nach Europa gelockt worden, doch in Wahrheit hatte sich die unter Arbeitskräftemangel leidende DDR Ende der 70er-Jahre ein preiswertes Heer von Billigarbeitern organisiert, denen man viele Grundrechte verweigerte und die man um ihre Löhne betrog, indem man ihnen ein lächerliches Almosen bezahlte – den Rest sollte es nach ihrer Rückkehr geben. Was aber, wie man heute weiß, nie geschah. Sie durften die Stadt nicht ohne Genehmigung verlassen, mussten in den Betrieben niedere Arbeiten verrichten, der Zutritt zu Gaststätten oder öffentlichen Diskotheken war ihnen verwehrt. Bei geringsten Vergehen, politischer Betätigung oder «Schwangerschaftsvorfällen» drohte Abschiebung. Doch das wussten wir natürlich damals alles nicht. Insgesamt 90000 Menschen aus Algerien, Kuba, Mosambik, Angola und Vietnam kamen so in den letzten beiden Jahrzehnten ihres Bestehens in die DDR.
Für uns waren Toni, Amado und die anderen die Botschafter der unerreichbaren Welt da draußen, einer Welt, in der wir Palmenstrände, Sonne und Lebensfreude vermuteten. Ja, wir Kinder des Kalten Krieges sehnten uns nach Wärme. Dass wir ihre Nähe suchten – machte uns das zu besseren Menschen? Um Gottes willen, nein! Ich kann nur für mich sprechen: Ich war nicht frei von rassistischen Vorurteilen, von stereotypem Denken, davon, zu unterscheiden zwischen «uns» und «denen» – also jenen, die anders aussahen, anders sprachen, anders glaubten, anders aßen, anders liebten. Aber in uns pulsierte etwas, das wollte einen Blick über diese künstlich errichteten Mauern werfen, wir interessierten uns für die «anderen». Wir wollten wissen, wie sie dachten, fühlten, sprachen. Und diese Kraft ist geeignet, künstlich errichtete Mauern einzureißen, weil man beim Blick in «ihre Welt» irgendwann merkt, dass wir uns bei allen Unterschieden doch ähnlicher sind als gedacht.
Weil ich Silvester 1983/84 «sturmfreie Bude» hatte, meine Mutter war mit Freunden verreist, meine Schwester studierte längst in Jena, feierten wir mit Toni und den anderen Mosambikanern Silvester in unserer Plattenbauwohnung in Lößnig, tranken viel Bier und stießen auf bessere Zeiten an. Denn sie fühlten sich nicht wohl in diesem kalten Land. Und das lag nicht nur am Winter. Man hatte sie mit einem «Studium» geködert – in ein unbekanntes Drei-Buchstaben-Land, welches den Afrikanern als das ersehnte Europa verkauft wurde, gar als das bessere Deutschland. Entsprechend hoch waren die Erwartungen gewesen. Und entsprechend ernüchternd war das, was sie vorfanden. Es gab in der DDR keine gesellschaftliche Debatte über Rassismus, über Vorurteile in dieser Gesellschaft mit ihrem subkutanen Wertekanon aus der Vorkriegszeit. Per Akklamation war in der DDR der Rassismus für überwunden erklärt worden – so wie die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Also ersparte man sich die überfällige gesellschaftliche Auseinandersetzung damit.Das führte dazu, dass die DDR auch in Sachen Diversität ein «Potemkin’sches Dorf» errichtete, ein Scheinidyll – mit Folgen, die bis in die Gegenwart reichen. Denn in Wahrheit waren rassistische Überzeugungen weit verbreitet. Die Behörden registrierten damals schon Tausende Vorfälle mit Verletzten und auch Todesopfern rassistisch motivierter Gewalt: Antonio Manuel Diogo und Carlos Conceição aus Mosambik, Delfin Guerra und Raúl García Paret aus Kuba starben, weil sie Ausländer waren, anders aussahen, sich anders benahmen. Für viele Ostdeutsche waren Schwarze «Bimbos», «Sams», das weltweit längst ungebräuchlich gewordene N-Wort war hier noch in aller Munde. Fehlte es schlicht an Informationen, dass diese Sprache verletzend und auch gesellschaftlich längst kompromittiert war?
Unser Freund Frank, einer von wenigen Leipzigern mit schwarzer Hautfarbe, der später auch noch seinen Wehrdienst in der DDR absolvierte, hatte das Gefühl, «in einem zu Land leben, das mich nicht akzeptiert», wie er heute sagt. Gegen die offen rassistischen Schikanen, denen er während seines Wehrdienstes durch einen diensthabenden Offizier ausgesetzt war, gab es keine Möglichkeit der Beschwerdeführung – weil es das Problem des Rassismus schlicht nicht geben durfte.
Wir lernten auch Syrer kennen; sie waren etwas ernster als die Mosambikaner, was vielleicht daran lag, dass sie für das syrische Militär arbeiteten – oder vielleicht den Geheimdienst? Jedenfalls hatten sie Reisepässe und fuhren an den Wochenenden regelmäßig nach Westberlin und kauften dort ein. Das durften höherrangige «Aufpasser», wie sie selbst zumeist Mitglieder der sozialistischen Baath-Partei, nicht wissen. Unsere Späße über die Mullahs, den irakischen Irren Saddam Hussein und Gaddafis Libysch-Arabische Volks-Dschamahirija, so die offizielle Bezeichnung Libyens, kamen bei unseren syrischen Freunden nicht so gut an, zumeist lächelten sie nur gequält.