Zwei
Wir brachten die Spearhafoc heim. Es war nicht einfach. Gerbruht hatte das Leck abgedichtet, doch der schlanke Rumpf schlingerte noch immer auf der nachmittäglichen See. Ich ließ das Schiff von einem Dutzend Mann ausschöpfen und fürchtete, schlechteres Wetter könne sein Untergang sein, doch der böige Wind war gnädig, wurde zu einer stetigen Brise aus Westen, und die kabbelige See beruhigte sich, und das Wolfssegel der Spearhafoc trug uns langsam nach Norden. Der Abend dämmerte, als wir die Farnea-Inseln erreichten und uns zwischen ihnen und dem Westhimmel dahinschleppten, einem rot gestreiften Glutofen aus wildem Feuer, vor dem sich schwarz die Befestigungsanlagen von Bebbanburg abhoben. Die Mannschaft war erschöpft, als sie das angeschlagene Schiff durch die enge Fahrrinne in den Hafen von Bebbanburg ruderte. Wir setzten die Spearhafoc auf den Strand, und am Morgen würde ich sie mit Ochsengespannen über die Flutlinie ziehen lassen, wo ihr Bug ausgebessert werden konnte. Die Banamaðr und das erbeutete Schiff folgten uns durch die Hafenzufahrt.
Ich hatte auf unserem mühsamen Nachhauseweg mit Pater Ceolnoth gesprochen, doch er hatte sich als mürrisch und verstockt erwiesen. Wistan, der junge Mann, der geglaubt hatte, sein Gott wünsche meinen Tod, war in kläglicher Stimmung und ebenfalls keine Hilfe gewesen. Ich hatte sie beide gefragt, wer sie in den Norden geschickt habe, um mich zu töten, doch keiner wollte antworten. Ich hatte Wistan von dem Mast losgebunden und ihm einen Stapel erbeuteter Schwerter gezeigt. «Du kannst eines nehmen und noch einmal versuchen, mich zu töten», erklärte ich ihm. Er wurde rot, als meine Männer lachten und ihn aufforderten, das Angebot anzunehmen, doch er unternahm keinen Versuch mehr, Gottes Werk zu tun. Stattdessen setzte er sich auf eine Ruderbank, bis ihn Gerbruht zum Schöpfen aufforderte. «Willst du am Leben bleiben, Bursche? Dann fang an, Wasser rauszuschütten!»
«Ist Euer Vater», sagte ich zu Ceolnoth, «Ceolberht?»
Er wirkte überrascht, dass ich es wusste, doch in Wahrheit hatte ich nur geraten. «Ja», sagte er knapp.
«Ich kannte ihn als Jungen.»
«Das hat er mir erzählt», sagte der Priester, hielt inne, und fügte hinzu, «Herr.»
«Er hat mich damals nicht gemocht», sagte ich, «und ich wage zu behaupten, dass er mich immer noch nicht mag.»
«Unser Gott lehrt uns zu verzeihen», sagte er, allerdings in dem bitteren Ton, den Christenpriester anschlagen, wenn sie gezwungen werden, eine unbequeme Wahrheit einzugestehen.
«Und wo ist Euer Vater jetzt?», fragte ich.
Er schwieg eine Weile, doch dann entschied er offenkundig, dass er mit seiner Antwort keine Geheimnisse verriet. «Mein Vater dient Gott in der Klosterkirche von Wintanceaster. Ebenso wie mein Onkel.»
«Es freut mich, dass sie beide noch leben!», sagte ich, obwohl es nicht zutraf, weil ich sie alle beide nicht mochte. Sie waren Zwillinge aus Mercien, glichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie waren zusammen mit mir als Geiseln gehalten worden, in Gefangenschaft der Dänen, und während Ceolnoth und Ceolberht mit diesem Schicksal haderten, hatte ich es begrüßt. Ich mochte die Dänen, die Zwillinge aber waren glühende Christen, Söhne eines Bischofs, und man hatte sie gelehrt, alle Heiden seien Ausgeburten des Teufels. Nach ihrer Freilassung hatten sie sich beide für das Priesteramt ausbilden lassen und einen inbrünstigen Hass auf das Heidentum entwickelt. Das Schicksal hatte gewollt, dass sich unsere Wege recht häufig kreuzten, und sie hatten mich immer verabscheut, mich einen Feind der Kirche und Schlimmeres genannt, und irgendwann hatte ich ihnen eine Beleidigung mit einem Fußtritt heimgezahlt, der Pater Ceolberht die meisten seiner Zähne gekostet hatte. Ceolnoth sah seinem Vater bemerkenswert ähnlich, aber ich hatte erraten, dass der zahnlose Ceolberht seinen Sohn nach seinem Bruder nennen würde. Und so war es.
«Und was hat der Sohn eines zahnlosen Vaters in northumbrischen Gewässern zu tun?»
«Gottes Werk», war alles, was er sagte.
«Fischer foltern und töten?», fragte ich, und auf diese Frage hatte der Priester keine Antwort.
Wir hatten all jene als Gefangene mitgenommen, von denen wir glaubten, dass sie auf den besiegten Schiffen den Befehl geführt hatten. In dieser Nacht sperrten wir sie in einen leerstehenden Stall, der von meinen Männern bewacht wurde, Pater Ceolnoth und den elenden Wistan jedoch hatte ich zum Essen in den großen Palas eingeladen. Es war kein Festmahl, die meisten Angehörigen der Garnison hatten schon früher gegessen, und so war es lediglich ein Mahl für die Männer der Schiffsbesatzungen. Die einzige anwesende Frau, abgesehen von den Dienstmägden, war Eadith, meine Gemahlin, und ich setzte Pater Ceolnoth an ihre linke Seite. Auch wenn ich den Priester nicht mochte, gestand ich ihm die Würde seines Amtes zu, eine Geste, die ich sofort bedauerte, als er seinen Platz auf der Bank der Ehrentafel einnahm. Er hob die Hände zu den rauchgeschwärzten Deckenbalken und begann mit lauter, durchdringender Stimme zu beten. Ich schätze, das war mutig von ihm, aber es war der Mut eines Narren. Er bat seinen Gott darum, Feuer auf diese «pestilenzialische Festung» herabregnen zu lassen, sie zu verwüsten und den Schändlichkeiten, die innerhalb ihrer Mauern vor sich gingen, ein Ende zu bereiten. Ich ließ ihn einen Moment geifern, bat ihn dann, still zu sein, und als er einfach nur lauter wurde und seinen Gott anflehte, uns in die Jauchegrube des Teufels hinabzuschleudern, winkte ich Berg zu mir. «Bring den heiligen Bastard zu den Schweinen», sagte ich, «und kette ihn dort an. Er kann den Säuen predigen.»
Berg zog den Priester aus dem Palas, und meine Männer, selbst die Christen, jubelten. Wistan sah nur schweigend und niedergeschlagen zu. Er machte mich neugierig. Sein Helm und sein Kettenhemd, die nun mir gehörten, waren von hochwertiger Machart und verwiesen auf eine hohe Geburt. Zudem spürte ich, dass er trotz all seiner Torheit ein nachdenklicher junger Mann war. Ich machte Eadith auf ihn aufmerksam. «Wenn wir fertig sind», erklärte ich ihr, «bringen wir ihn in die Kapelle.»
«In die Kapelle!» Sie klang überrascht.
«Er möchte wahrscheinlich beten.»
«Tötet das Jüngelchen einfach», warf Egil fröhlich ein.
«Ich glaube, er wird reden», sagte ich. Wir hatten schon viel von den anderen Gefangenen erfahren. Die kleine Flotte aus vier Schiffen war in Dumnoc in Ostanglien zusammengestellt und mit gemischten Mannschaften von diesem Hafen, von anderen ostanglischen Häfen und aus Wessex besetzt worden. Die meisten Männer stammten aus Wessex. Sie wurden gut bezahlt, und man hatte ihnen eine Belohnung in Aussicht gestellt, wenn es ihnen gelang, mich zu töten. Die Anführer der Flotte, so hatten wir erfahren, waren Pater Ceolnoth, der Jüngling Wistan und ein westsächsischer Krieger namens Edgar gewesen. Ich hatte nie von Edgar gehört, auch wenn die Gefangenen behaupteten, er sei ein berühmter Krieger. «Ein großer Mann, Herr», hatte mir einer erklärt, «sogar größer als Ihr! Mit einem vernarbten Gesicht!» Der Gefangene war furchtsam erschauert, als er sich an ihn erinnerte.
«War er auf dem Schiff, das untergegangen ist?», hatte ich gefragt. Wir hatten niemanden gefangen genommen, der Edgars Beschreibung entsprach, also nahm ich an, dass er tot war.
«Er war auf der Hælubearn , Herr, dem kleineren Schiff.»
Hælubearn bedeutete «Kind der Heilung», aber es war auch ein Begriff, mit dem sich die Christen selbst bezeichneten, und ich fragte mich, ob alle vier Schiffe fromme Namen getragen hatten. Wahrscheinlich schon, denn ein weiterer Gefangener, der das Holzkreuz umklammerte, das vor seiner Brust hing, sagte, Pater Ceolnoth habe sämtlichen Männern versprochen, dass ihnen all ihre Sünden vergeben würden und sie geradewegs in den Himmel kämen, wenn es ihnen gelänge, mich niederzumachen. «Warum sollte Edgar auf dem kleinsten Schiff gewesen sein?», hatte ich mich laut selbst gefragt.
«Es war das schnellste, Herr», erklärte mir der Gefangene. «Die anderen Schiffe sind saumäßig zu segeln. Die Hælubearn ist vielleicht klein, aber sie ist wendig.»
«Was hieß, dass er entkommen konnte, wenn es Schwierigkeiten gab», hatte ich säuerlich angemerkt, und die Gefangenen hatten nur genickt.
Aus Ceolnoth würde ich vermutlich nichts herausbringen, Wistan jedoch war anfällig für Freundlichkeit, und deshalb brachten ihn Eadith und ich nach dem Essen zur Kapelle von Bebbanburg, die neben dem großen Palas auf einem niedrigen Felsvorsprung steht. Sie ist aus Holzbalken erbaut, wie der größte Teil der Festung, aber die Christen unter meinen Männern hatten sie mit einem Boden aus Steinplatten ausgelegt und Teppiche darauf ausgebreitet. Die Kapelle ist nicht groß, vielleicht zwanzig Schritt in der Länge und halb so breit. Es gibt keine Fenster, nur einen hölzernen Altar am östlichen Ende, ein paar Melkschemel und an der Westwand eine Bank. Drei der Wände sind mit einfachem Wollstoff verhängt, um die Zugluft abzuhalten, während auf dem Altar ein silbernes, blankpoliertes Kreuz und zwei stets brennende Kerzen stehen.
Wistan schien verwirrt, als ich ihn hineinführte. Besorgt sah er Eadith an, die wie er ein Kreuz um den Hals trug. «Herr?», fragte er, unruhig.
Ich setzte mich auf die Bank und lehnte mich an die Wand. «Wir dachten, du möchtest vielleicht beten», sagte ich.
«Es ist ein geweihter Ort», versicherte Eadith dem Jungen.
«Wir haben auch einen Priester», ergänzte ich. «Pater Cuthbert. Er ist unser Freund und wohnt hier in der Festung. Er ist blind und alt und fühlt sich an manchen Tagen unwohl, dann bittet er einen Priester aus dem Dorf, ihn zu vertreten.»
«Im Dorf gibt es eine Kirche», sagte Eadith. «Du kannst morgen hingehen.»
Nun war Wistan vollends ratlos. Man hatte ihn gelehrt, ich sei Uhtred der Gottlose, ein starrsinniger Heide, ein Gegner seiner Kirche und ein Priestertöter, doch nun zeigte ich ihm eine christliche Kapelle in meiner Festung und erzählte ihm von christlichen Priestern. Er starrte mich an, dann Eadith, und ihm fehlten die Worte.
Schlangenhauch trug ich selten, wenn ich in der Festung war, doch ich hatte Wespenstachel an der Hüfte hängen, und nun zog ich das Kurzschwert und drehte es um, sodass das Heft zu Wistan zeigte. Dann schob ich ihm die Klinge über die Steinplatten auf dem Boden zu. «Dein Gott sagt, du musst mich töten. Warum tust du es dann nicht?»
«Herr…», begann er, dann fiel ihm wieder nichts ein, das er sagen konnte.
«Du hast mir erklärt, dass ihr geschickt worden seid, um die Welt von meiner Sündhaftigkeit zu befreien», betonte ich. «Weißt du, dass man mich Uhtredærwe nennt?»
«Ja, Herr.» Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
«Uhtred der Priestertöter?»
Er nickte. «Ja, Herr.»
«Ich habe Priester getötet», sagte ich, «und auch Mönche.»
«Nicht vorsätzlich», warf Eadith ein.
«Manchmal auch vorsätzlich», sagte ich, «zumeist aber im Zorn.» Ich zuckte mit den Schultern. «Erzähl mir, was du sonst noch über mich weißt.»
Wistan zögerte, dann fand er seinen Mut wieder. «Ihr seid ein Heide, Herr, und ein Kriegsherr. Ihr seid mit den Heiden gut Freund, Ihr ermutigt sie!» Wieder zögerte er.
«Sprich weiter», sagte ich.
«Es heißt, Ihr wollt Æthelstan als König von Wessex, weil Ihr ihn verhext habt. Dass Ihr ihn benutzen werdet, um Euch selbst des Throns zu bemächtigen.»
«Ist das alles?», fragte ich belustigt.
Er hatte mich nicht angesehen, nun aber hob er den Blick und schaute mir geradewegs in die Augen. «Sie sagen, Ihr habt Æthelhelm den Älteren umgebracht und seine Tochter gezwungen, Euren Sohn zu heiraten. Und dass sie geschändet wurde! Hier, in Eurer Festung.» Sein Gesicht war voller Wut, und in seinen Augen standen Tränen, und einen Herzschlag lang dachte ich, er würde Wespenstachel an sich reißen.
Dann lachte Eadith. Sie sagte nichts, lachte einfach nur, und ihre augenscheinliche Erheiterung verblüffte Wistan. Eadith sah mich fragend an, und ich nickte. Sie wusste, was dieses Nicken bedeutete, und ging in die windgepeitschte Nacht hinaus. Die Kerzen flackerten heftig, als sie die Tür öffnete und schloss, brannten aber weiter. Sie bildeten die einzige Beleuchtung der kleinen Kapelle, somit sprachen Wistan und ich in beinahe völliger Dunkelheit miteinander. «Es wird kaum ein Tag, an dem kein Wind geht», erklärte ich sanft. «Wind und Regen, Regen und Wind, das ist das Wetter von Bebbanburg.»
Er schwieg.
«Erzähl mir», sagte ich, noch immer an der Wand der Kapelle sitzend, «wie habe ich Aldermann Æthelhelm getötet?»
«Wie soll ich das wissen, Herr?»
«Was wird in Wessex darüber gesagt, wie er gestorben ist?» Er antwortete nicht. «Du bist doch aus Wessex, oder?»
«Ja, Herr», murmelte er.
«Also erzähl mir, was die Männer in Wessex über den Tod von Aldermann Æthelhelm sagen.»
«Sie sagen, er wurde vergiftet, Herr.»
Ich musste beinahe lächeln. «Von einem heidnischen Zauberer?»
Er zuckte mit den Schultern. «Das müsst Ihr wissen, Herr, nicht ich.»
«Dann, Wistan aus Wessex», fuhr ich fort, «lass mich dir erzählen, was ich weiß. Ich habe Aldermann Æthelhelm nicht getötet. Er ist trotz all unserer Fürsorge am Fieber gestorben. Er hat die Sterbesakramente eurer Kirche erhalten. Seine Tochter war bei ihm, als er starb, und sie wurde weder geschändet noch in die Ehe mit meinem Sohn gezwungen.»
Er sagte nichts. Das Licht der hohen Kerzen spiegelte sich in Wespenstachels Klinge. Der Abendwind rüttelte an der Kapellentür und fuhr klagend um das Dach. «Erzähl mir, was du von Prinz Æthelstan weißt», sagte ich.
«Dass er ein Bastard ist», erklärte Wistan, «und Ælfweard den Thron rauben will.»
«Ælfweard», sagte ich, «der ein Neffe des gegenwärtigen Aldermanns Æthelhelm und König Edwards zweitältester Sohn ist. Ist Edward noch am Leben?»
«Ja, Lob sei Gott.»
«Und Ælfweard ist sein zweitgeborener Sohn. Dennoch fordert ihr, dass er nach seinem Vater König werden soll.»
«Er ist der Ætheling, Herr.»
«Der älteste Sohn ist der Ætheling», betonte ich.
«Und vor den Augen Gottes ist Ælfweard der älteste Sohn König Edwards», beharrte Wistan, «weil Æthelstan ein Bastard ist.»
«Ein Bastard», wiederholte ich.
«Ja, Herr», sagte er dickköpfig.
«Morgen», erklärte ich, «mache ich dich mit Pater Cuthbert bekannt. Du wirst ihn mögen! Ich sorge hier in der Festung für seine Sicherheit, weißt du, warum?» Wistan schüttelte den Kopf. «Weil Pater Cuthbert», fuhr ich fort, «vor vielen Jahren närrisch genug war, um den jungen Prinz Edward mit einem hübschen Mädchen aus Cent zu verheiraten, der Tochter eines Bischofs. Dieses Mädchen ist im Kindbett gestorben, aber es hat zwei Kinder geboren, Eadgyth und Æthelstan. Ich sage, Pater Cuthbert war närrisch, weil Edward von seinem Vater keine Erlaubnis zur Heirat hatte, trotzdem wurde diese Ehe von einem christlichen Priester in einer christlichen Kirche gesegnet. Und diejenigen, die Æthelstan sein wahres Erbe absprechen, haben seither versucht, Pater Cuthbert zum Schweigen zu bringen. Sie würden ihn töten, Wistan, damit die Wahrheit niemals bekannt wird, und das ist der Grund, aus dem ich dafür sorge, dass er in dieser Festung sicher ist.»
«Aber…», begann er, und wieder wusste er nicht, was er sagen sollte. Sein ganzes Leben lang, was meiner Schätzung nach etwa zwanzig Jahre waren, hatte ihm jedermann in Wessex erklärt, Æthelstan sei ein Bastard und Ælfweard der Thronerbe Edwards. Er hatte diese Lüge geglaubt, er hatte geglaubt, Æthelstan sei von einer Hure in die Welt gesetzt worden, und nun zerstörte ich diesen Glauben. Er glaubte mir, obwohl er mir nicht glauben wollte, und deshalb schwieg er.
«Und du denkst, dein Gott hätte dich geschickt, um mich zu töten?», fragte ich.
Noch immer sagte er nichts, schaute nur auf das Schwert hinunter, das vor seinen Füßen lag.
Ich lachte. «Meine Frau ist Christin, mein Sohn ist Christ, mein ältester und engster Freund ist Christ, und mehr als die Hälfte meiner Männer sind Christen. Hätte dein Gott da nicht einen von ihnen damit beauftragt, mich zu töten, statt dich zu schicken? Warum hätte er dich den ganzen Weg von Wessex bis hierher senden sollen, wenn es hier hundert oder mehr Christen gibt, die mich niedermachen könnten?» Er rührte sich nicht. «Der Fischer, den ihr gefoltert und getötet habt, war auch Christ», sagte ich.
Bei diesen Worten fuhr er auf und schüttelte den Kopf. «Ich habe versucht, es zu verhindern, aber Edgar…»
Seine Stimme erstarb, doch ich hatte das winzige Zögern vor dem Namen Edgar bemerkt. «Er heißt in Wahrheit nicht Edgar, oder?», fragte ich. «Wer ist er?»
Bevor er antworten konnte, öffnete sich mit einem Knarren die Kirchentür, und Eadith führte Ælswyth in das flackernde Kerzenlicht. Ælswyth blieb stehen, sobald sie eingetreten war, starrte Wistan an, und dann lächelte sie entzückt.
Ælswyth ist meine Schwiegertochter, die Tochter meines Gegners und die Schwester seines Sohnes, der mich ebenso sehr hasst, wie es sein Vater getan hatte. Ihr Vater, Æthelhelm der Ältere, hatte vorgehabt, sie zur Königin zu machen, ihre Schönheit gegen irgendeinen Thron der Christenheit einzutauschen, doch mein Sohn hatte ihr Herz gewonnen, und seither hatte sie in Bebbanburg gelebt. Bei ihrem Anblick musste man denken, dass ein so zartes, blasses und dünnes Mädchen niemals die harten Winter und erbarmungslosen Stürme Northumbriens überleben konnte, ganz abgesehen von den Qualen einer Kindsgeburt, doch Ælswyth hatte mir zwei Enkelsöhne geschenkt, und sie schien die Einzige in der ganzen Festung zu sein, die unempfänglich für die Gliederschmerzen, das Niesen, Zittern und Husten war, die unsere Wintermonate begleiteten. Sie wirkte schwach, aber sie war stark wie Stahl. Ihr liebliches Gesicht strahlte vor Freude, als sie Wistan sah. Sie hatte ein Lächeln, mit dem sie das Herz des gröbsten Rohlings schmelzen lassen konnte, doch Wistan erwiderte ihr Lächeln nicht, sondern starrte sie mit offenem Mund an, als hätte er einen Schock erlitten.
«Æthelwulf!», rief sie aus und ging mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.
«Æthelwulf!», wiederholte ich belustigt. Der Name bedeutete «edler Wolf», und der junge Mann, der sich Wistan nannte, mochte zwar edel aussehen, doch wölfisch wirkte er ganz und gar nicht.
Æthelwulf errötete. Er ließ sich von Ælswyth umarmen, dann sah er mich verlegen an. «Ich bin Æthelwulf», räumte er in einem Ton ein, der anklingen ließ, dass ich den Namen erkennen sollte.
«Mein Bruder!», sagte Ælswyth glücklich. «Mein jüngster Bruder!» In diesem Moment entdeckte sie Wespenstachel auf dem Steinfußboden. Stirnrunzelnd sah sie mich an, wartete auf eine Erklärung.
«Dein Bruder», sagte ich, «wurde geschickt, um mich zu töten.»
«Euch töten?», gab Ælswyth erschrocken zurück.
«Als Rache dafür, wie ich dich behandelt habe», fuhr ich fort. «Wurdest du nicht geschändet und in eine unerwünschte Ehe gezwungen?»
«Nein!», widersprach sie.
«Und all das», sagte ich, «nachdem ich deinen Vater ermordet hatte.»
Ælswyth sah zu ihrem Bruder auf. «Unser Vater ist am Fieber gestorben!», erklärte sie mit scharfer Stimme. «Ich war während seiner gesamten Krankheit bei ihm. Und niemand hat mich geschändet, niemand hat mich zur Ehe gezwungen. Ich liebe diesen Ort!»
Der arme Æthelwulf. Er sah aus, als wären ihm gerade die Grundfesten seines Lebens entrissen worden. Er glaubte Ælswyth natürlich, wie hätte er das auch nicht tun können? Ihre Miene war freudig und ihre Stimme begeistert, während Æthelwulf aussah, als würde er gleich anfangen zu weinen.
«Lass uns schlafen gehen», sagte ich zu Eadith, dann wandte ich mich an Ælswyth. «Und ihr beide könnt miteinander reden.»
«Das werden wir!», sagte Ælswyth.
«Ich schicke einen Diener, der dir zeigt, wo du schlafen kannst», erklärte ich Æthelwulf, «aber du weißt, dass du hier ein Gefangener bist, oder?»
Er nickte. «Ja, Herr.»
«Ein Gefangener, der mit allen Ehren behandelt wird», fügte ich hinzu, «aber wenn du versuchst, die Festung zu verlassen, wird sich das ändern.»
«Ja, Herr», sagte er wieder.
Ich hob Wespenstachel auf, klopfte meinem Gefangenen auf die Schulter und ging schlafen. Es war ein langer Tag gewesen.
Also hatte Æthelhelm der Jüngere seinen jüngsten Bruder ausgeschickt, um mich zu töten. Er hatte eine Flotte ausgestattet, der Besatzung Gold geboten und einen widerwärtigen Priester auf den Schiffen eingesetzt, um Æthelwulf rechtschaffenen Zorn einzuflößen. Æthelhelm wusste, dass es nahezu unmöglich wäre, mich zu töten, solange ich in der Festung war, und ebenso wusste er, dass er nicht genügend Männer schicken konnte, um mich auf meinen Ländereien in einen Hinterhalt zu locken, ohne dass diese Männer entdeckt und von meinen northumbrischen Kriegern niedergemacht wurden, also war er schlau gewesen. Er hatte Männer geschickt, um mich auf See in einen Hinterhalt zu locken.
Æthelwulf war der Anführer der Flotte, doch Æthelhelm wusste, dass sein Bruder, auch wenn ihn der Hass seiner Familie gegen mich erfüllte, kein besonders rabiater Mann war, und so hatte er Pater Ceolnoth mitgeschickt, um Æthelwulf zu heiliger Torheit anzutreiben, und darüber hinaus hatte er einen Mann geschickt, den sie Edgar nannten. Nur war dies nicht sein wirklicher Name. Æthelhelm hatte gewollt, dass niemand erfuhr, wem die Flotte in Wahrheit Gefolgschaft leistete oder dass mein Tod mit seinen Befehlen in Verbindung stand. Er hatte gehofft, man würde Seeräubern die Schuld geben, oder einem norwegischen Schiff auf der Durchfahrt, und deshalb hatte er die Anführer angewiesen, nicht ihre eigenen Namen zu benutzen. Æthelwulf war zu Wistan geworden, und ich erfuhr, dass Edgar in Wahrheit Waormund war.
Ich kannte Waormund. Er war ein hünenhafter Westsachse, ein brutaler Mann, dessen Gesicht von der rechten Augenbraue bis zum linken Unterkiefer von einer Narbe gezeichnet war. Ich erinnerte mich an seine Augen, die so ausdruckslos waren wie Steine. In der Schlacht war Waormund ein Mann, den man an seiner Seite haben wollte, denn er war zu schreckenerregender Gewalt fähig, doch er war auch ein Mann, der in dieser Grausamkeit schwelgte. Ein starker Mann, sogar noch größer als ich, und erbarmungslos. Er war ein Krieger, und auch wenn man seine Unterstützung im Kampf begrüßen mochte, würde nur ein Narr Waormund zum Feind haben wollen.
«Warum», fragte ich Æthelwulf am nächsten Morgen, «war Waormund auf eurem kleinsten Schiff?»
«Ich habe ihm befohlen, auf dieses Schiff zu gehen, Herr, weil ich ihn aus meiner Nähe haben wollte! Er ist kein Christ.»
«Er ist ein Heide?»
«Er ist ein Tier. Es war Waormund, der die Gefangenen gefoltert hat. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten.»
«Aber Pater Ceolnoth hat ihn ermutigt?»
«Ja.» Æthelwulf nickte kläglich. Wir gingen auf dem seewärts gelegenen Befestigungswall von Bebbanburg entlang. Die Sonne glitzerte auf dem leeren Meer, und eine leichte Brise trug den Geruch von Tang und Salz heran. «Ich habe versucht, Waormund aufzuhalten», fuhr Æthelwulf fort, «und er hat mich verflucht, und er hat Gott verflucht.»
«Er hat Euren Gott verflucht?», fragte ich erheitert.
Æthelwulf bekreuzigte sich. «Ich sagte, Gott würde ihm seine Grausamkeit nicht verzeihen, und er sagte, Gott sei noch viel grausamer als der Mensch. Also habe ich ihm befohlen, auf die Hælubearn zu gehen, weil ich seine Anwesenheit nicht ertragen konnte.»
Ich ging ein paar Schritte. «Ich weiß, dass mich dein Bruder hasst», sagte ich dann, «aber warum hat er dich in den Norden geschickt, um mich zu töten? Warum gerade jetzt?»
«Weil er weiß, dass Ihr einen Eid darauf abgelegt habt, ihn zu töten», sagte Æthelwulf, und diese Antwort erschreckte mich. Ich hatte diesen Schwur tatsächlich geleistet, aber ich hatte geglaubt, er wäre ein Geheimnis zwischen Æthelstan und mir, und doch wusste Æthelhelm davon. Wie hatte er es erfahren? Kein Wunder, dass mich Æthelhelm tot sehen wollte, bevor ich versuchte, diesen Eid zu erfüllen.
Der Bruder meines geschworenen Feindes sah mich unruhig an. «Ist das wahr, Herr?»
«Ja», sagte ich, «aber nicht, bevor König Edward stirbt.»
Æthelwulf war zusammengezuckt, als ich ihm diese grausame Wahrheit sagte. «Aber warum?», fragte er. «Warum wollt Ihr meinen Bruder töten?»
«Hast du deinen Bruder gefragt, warum er mich töten will?», gab ich erzürnt zurück. «Antworte nicht, ich weiß, warum. weil er glaubt, ich hätte euren Vater getötet, und weil ich Uhtredærwe bin, der Heide, Uhtred der Priestertöter.»
«Ja, Herr», sagte er leise.
«Dein Bruder hat versucht, Æthelstan zu töten», sagte ich, «und er hat versucht, mich zu töten, und da fragst du dich, warum ich ihn töten will?» Dazu sagte er nichts. «Erklär mir, was geschieht, wenn Edward stirbt», forderte ich ihn schroff auf.
«Ich bete, dass er am Leben bleibt.» Æthelwulf bekreuzigte sich. «Er war in Mercien, als ich ging, Herr, aber er war bettlägerig. Die Priester haben ihn aufgesucht.»
«Um ihm die Letzte Ölung zu geben?»
«So hieß es, Herr, aber er hat sich zuvor erholt.»
«Und was geschieht, wenn er sich nicht mehr erholt?»
Er hielt inne, wollte mir nicht die Antwort geben, von der er wusste, dass ich sie nicht hören wollte. «Wenn er stirbt, Herr», erneut bekreuzigte er sich, «wird Ælfweard König von Wessex.»
«Und Ælfweard ist euer Neffe», sagte ich, «und Ælfweard ist ein Stück Wieseldreck mit einem Spatzenhirn, aber wenn er König wird, glaubt dein Bruder, ihn lenken zu können, und er glaubt, dass er Wessex durch ihn regieren kann. Nur gibt es dabei ein Problem, nicht wahr? Nämlich dass Æthelstans Eltern wirklich verheiratet waren, was heißt, dass Æthelstan kein Bastard ist. Und deshalb wird es Aufstände geben, wenn Edward stirbt. Sachsen werden gegen Sachsen kämpfen, Christen gegen Christen. Ælfweard gegen Æthelstan. Und ich habe vor langer Zeit einen Eid darauf abgelegt, Æthelstan zu schützen. Ich wünschte manchmal, ich hätte es nicht getan.»
Überrascht blieb er stehen. «Wirklich, Herr?»
«Wirklich», sagte ich ohne weitere Erklärungen. Ich zog ihn weiter auf dem langen Festungswall. Es stimmte, dass ich geschworen hatte, Æthelstan zu schützen, doch ich wusste immer weniger, ob ich ihn mochte. Er war zu fromm, zu sehr wie sein Großvater, und, das wusste ich auch, zu ehrgeizig. Es ist nichts Falsches am Ehrgeiz. Æthelstans Großvater, König Alfred, war ebenfalls ein Mann von großem Ehrgeiz gewesen, und Æthelstan hatte den Traum seines Großvaters geerbt, den Traum von der Vereinigung der sächsischen Königreiche Britanniens. Wessex war in Ostanglien eingefallen, es hatte Mercien geschluckt, und es war kein Geheimnis, dass Wessex Northumbrien regieren wollte, mein Northumbrien, das letzte britische Königreich, in dem Männer und Frauen die Gottheit ihrer eigenen Wahl anbeten durften. Æthelstan hatte geschworen, niemals in Northumbrien einzurücken, solange ich lebte, aber wie lange konnte das sein? Kein Mensch lebt für immer, und ich war schon alt, und ich fürchtete, dass ich mit der Unterstützung Æthelstans mein Land der Herrschaft südlicher Könige und ihrer habgierigen Bischöfe auslieferte. Und doch hatte ich jenem Mann einen Eid geschworen, der dies am wahrscheinlichsten wahr werden lassen würde.
Ich bin Northumbrier, und Northumbrien ist mein Land. Meine Leute sind Northumbrier, und Northumbrier sind entschlossen und zäh, aber wir sind ein kleines Land. Nördlich von uns liegt Alba mit all seinen unersättlichen Schotten, die uns berauben, beleidigen und unser Land stehlen wollen. Im Westen liegt Irland, wo die Norweger leben, die niemals mit dem Land zufrieden sind, das sie haben, und immerzu mehr wollen. Auf der anderen Seite der See im Osten sind die ruhelosen Dänen, und sie trachten weiterhin nach meinem Land, in dem sich schon so viele Dänen angesiedelt haben. Also haben wir im Osten, im Westen und im Norden Gegner, und wir sind ein kleines Land. Und im Süden sind die Sachsen, ein Volk, das unsere Sprache spricht, und auch sie wollen Northumbrien.
Alfred hatte immer geglaubt, dass alle, die Englisch sprechen, in demselben Land leben sollten, dem Land seiner Träume, dem Land, das er Englaland nannte. Und das Schicksal, dieses Luder, das unser Leben lenkt, hatte gewollt, dass ich für Alfred und seinen Traum kämpfte. Ich hatte Dänen getötet, ich hatte Norweger getötet, und jeder Tote, jeder Schwerthieb hatte die Herrschaft der Sachsen erweitert. Northumbrien konnte nicht überleben, das wusste ich. Es war zu klein. Die Schotten wollten das Land, aber die Schotten hatten andere Gegner; sie kämpften gegen die Norweger von Strath Clota und von den Inseln, und diese Gegner lenkten König Constantin ab. Die Norweger von Irland waren furchterregend, doch sie konnten sich kaum jemals auf einen gemeinsamen Anführer einigen, was ihre Krieger allerdings nicht daran hinderte, mit ihren drachenköpfigen Schiffen über die Irische See zu kommen und sich an der wilden Westküste Northumbriens niederzulassen. Die Dänen waren Britannien gegenüber inzwischen vorsichtiger. Die Sachsen waren zu stark geworden, und deshalb fuhren die dänischen Schiffe auf der Suche nach leichter Beute weiter nach Süden. Und die Sachsen wurden immer noch stärker. Ich wusste also, dass Northumbrien eines Tages fallen würde, und ich hielt es für wahrscheinlich, dass es an die Sachsen fallen würde. Das wollte ich nicht, aber dagegen anzukämpfen hieß, das Schwert gegen das Schicksal zu erheben, und wenn dieses Schicksal unausweichlich war, und das glaubte ich, dann war es besser, wenn Æthelstan Wessex erbte. Ælfweard war mein Gegner. Seine Familie hasste mich, und wenn er Northumbrien eroberte, würde er mit der gesamten Macht des sächsischen Britanniens gegen Bebbanburg ziehen. Æthelstan dagegen hatte geschworen, mich zu schützen, ebenso wie ich geschworen hatte, ihn zu schützen.
«Er benutzt dich!», hatte mir Eadith bitter vorgehalten, als ich ihr meinen Schwur gestand, bei Edwards Tod Æthelhelm den Jüngeren zu töten.
«Æthelstan?»
«Gewiss! Und warum unterstützt du ihn? Er ist nicht dein Freund.»
«Ich mag ihn recht gern.»
«Aber mag er dich auch?», hatte sie gefragt.
«Ich habe geschworen, ihn zu schützen.»
«Männer und Schwüre! Glaubst du, Æthelstan wird seinen Schwur befolgen? Glaubst du, er wird nicht in Northumbrien einrücken?»
«Nicht solange ich lebe.»
«Er ist ein Fuchs!», hatte Eadith gesagt. «Er ist ehrgeizig! Er will König von Wessex sein, König von Mercien, König von Ostanglien, König von allem! Und es kümmert ihn nicht, wen oder was er vernichtet, um das zu bekommen, was er will. Ganz gewiss wird er seinen Schwur brechen! Er hat nie geheiratet!»
Ich starrte sie an. «Was hat das damit zu tun?»
Sie hatte unmutig gewirkt. «Er hat keine Liebe in sich!», hatte sie beharrt und mich dann ratlos angesehen, weil ich nicht verstand, was sie sagen wollte. «Seine Mutter ist gestorben, als sie ihn auf die Welt gebracht hat.» Sie bekreuzigte sich. «Jedermann weiß, dass der Teufel solchen Kindern seinen Stempel aufdrückt.»
«Meine Mutter ist auch gestorben, als sie mich auf die Welt gebracht hat», erwiderte ich.
«Du bist anders», hatte sie gesagt. «Ich traue ihm nicht. Und du solltest hier bleiben, wenn Edward stirbt!» Das war ihr letztes Wort gewesen, und sie hatte verbittert geklungen. Eadith war eine starke, kluge Frau, und nur ein Narr lässt den Rat einer solchen Frau außer Acht, doch ihr Ärger machte mich wütend. Ich wusste, dass sie recht hatte, aber ich war starrsinnig, und ihr Unmut bestärkte mich nur noch darin, den Schwur zu halten.
Finan hatte Eadith zugestimmt. «Wenn du nach Süden gehst, werde ich mitkommen», hatte der Ire zu mir gesagt, «aber wir sollten nicht gehen.»
«Willst du, dass Æthelhelm am Leben bleibt?»
«Ich würde ihm gern die Augäpfel ausstechen, indem ich ihm Seelenräuber in seinen fauligen Hintern ramme», hatte Finan gesagt und dabei von seinem Schwert gesprochen. «Aber dieses Vergnügen sollte ich besser Æthelstan überlassen.»
«Ich habe einen Schwur geleistet.»
«Du bist mein Herr», hatte er gesagt, «aber du bist dennoch ein verdammter Narr. Wann brechen wir auf?»
«Sobald wir von Edwards Tod hören.»
Ein Jahr lang hatte ich darauf gewartet, dass einer von Æthelstans Kriegern die Nachricht vom Tod des Königs aus dem Süden brachte, doch drei Tage nach meinem ersten Gespräch mit Æthelwulf kam stattdessen ein Priester. Er traf mich im Hafen von Bebbanburg an, wo die Spearhafoc , frisch instand gesetzt, zu Wasser gelassen wurde. Es war heiß an diesem Tag, und ich half mit nacktem Oberkörper den Männern, die den schlanken Rumpf zum Strand hinunterschoben. Im ersten Moment glaubte der Priester nicht, dass ich Herr Uhtred war, doch Æthelwulf, angetan mit der Kleidung eines Edelmannes, versicherte ihm, ich sei tatsächlich der Aldermann.
König Edward, erklärte mir der Priester, war noch am Leben. «Lob sei Gott», fügte er hinzu. Der Priester war jung, erschöpft und hatte sich wundgeritten. Sein Pferd war eine schöne Stute, aber wie ihr Reiter war sie staubig, schweißüberströmt und am Ende ihrer Kräfte. Der Priester war angestrengt geritten.
«Ihr habt diesen weiten Ritt auf Euch genommen, um mir zu sagen, dass der König noch lebt?», fragte ich ruppig.
«Nein, Herr, ich bin gekommen, um Euch eine Nachricht zu bringen.»
Ich hörte mir seine Nachricht an, und in der Morgendämmerung des nächsten Tages ging ich nach Süden.
Ich verließ Bebbanburg mit nur fünf Mann als Begleitung. Finan war einer von ihnen, das versteht sich, während die anderen vier alle gute Krieger waren, geschickt mit dem Schwert und mir treu ergeben. Ich ließ den Priester, der mir die Nachricht gebracht hatte, in Bebbanburg und erklärte meinem Sohn, der aus den Bergen zurückgekehrt war und während meiner Abwesenheit die Garnison befehligen sollte, ihn gut zu bewachen. Ich wollte nicht, dass sich die Neuigkeiten des Priesters verbreiteten. Ich wies meinen Sohn zudem an, Æthelwulf mit allen Ehren, aber als Gefangenen zu behandeln. «Auch wenn er vielleicht nur ein unschuldiger Narr ist», sagte ich, «will ich nicht, dass er in den Süden reitet und seinen Bruder davor warnt, dass ich komme.»
«Sein Bruder wird es trotzdem erfahren», hatte Finan trocken bemerkt. «Er weiß ja auch schon, dass du geschworen hast, ihn zu töten.»
Und das, dachte ich, während ich im Trab über die lange Straße nach Eoferwic ritt, war seltsam. Æthelstan und ich hatten uns gegenseitig Schwüre geleistet und vereinbart, diese Schwüre geheim zu halten. Ich hatte diese Vereinbarung gebrochen, indem ich Eadith, Finan, meinem Sohn und seiner Frau davon erzählt hatte, aber sie alle besaßen mein Vertrauen, dass sie das Geheimnis bewahren würden. Wenn Æthelhelm davon wusste, dann musste Æthelstan es jemandem verraten haben, der seinerseits Æthelhelm von der drohenden Gefahr berichtet hatte, und das ließ darauf schließen, dass es unter Æthelstans Dienstleuten Spitzel gab. Das war keine Überraschung, in der Tat hätte es mich gewundert, wenn Æthelhelm niemanden gehabt hätte, der ihm aus Mercien Bericht erstattete, doch es bedeutete, dass mein Gegner vorgewarnt war und wusste, welche Bedrohung ich darstellte.
Es gab noch einen weiteren Menschen, dem ich von meinem Schwur erzählen musste, und ich wusste, dass er nicht glücklich darüber sein würde. Ich hatte recht. Er tobte.
Sigtryggr war mein Schwiegersohn gewesen, und nun war er König von Northumbrien. Er war ein Norweger, und er hatte seinen Thron mir zu verdanken, was hieß, dachte ich reumütig, dass ich für Sigtryggr dasselbe war wie Æthelhelm für Edward. Ich war sein mächtigster Edelmann, der einzige Mann, den er entweder besänftigen oder töten musste, aber er war auch mein Freund, wenngleich er vor Wut schäumte, als ich ihn in dem alten Römerpalas von Eoferwic aufsuchte. «Ihr habt versprochen, Æthelhelm zu töten?», knurrte er mich an.
«Ich habe einen Schwur abgelegt.»
«Warum!» Es war keine Frage. «Um Æthelstan zu schützen?»
«Es ist Jahre her, dass ich diesen Schwur zu seinem Schutz…»
«Und er will, dass Ihr wieder nach Süden geht!», unterbrach mich Sigtryggr. «Um Wessex vor seinem eigenen Durcheinander zu retten! Um Wessex zu retten! Das ist es, was Ihr letztes Jahr getan habt! Ihr habt diesen Bastard Æthelstan gerettet. Dabei hätte uns sein Tod genutzt! Aber nein, Ihr habt dem elenden Pisser das Leben gerettet. Ihr werdet nicht gehen, ich verbiete es.»
«Æthelstan», betonte ich, «ist dein Schwager.»
Darauf stieß Sigtryggr ein einzelnes Wort aus, dann versetzte er dem Tisch einen Fußtritt. Ein römischer Krug aus blauem Glas fiel zu Boden und zersplitterte, was einen von Sigtryggrs Wolfshunden zum Winseln brachte. Er richtete seinen Zeigefinger auf mich. «Ihr dürft nicht gehen. Ich verbiete es!»
«Brichst du deine Eide, Herr König?», fragte ich.
Er knurrte nur und ging wütend auf dem Fliesenboden auf und ab, dann drehte er sich wieder zu mir um. «Wenn Edward stirbt», sagte er, «werden die Sachsen anfangen, sich untereinander zu bekriegen. Ist es nicht so?»
«Wahrscheinlich», sagte ich.
«Dann lasst sie kämpfen!», sagte Sigtryggr. «Betet, dass sich die Bastarde gegenseitig umbringen! Das ist nicht unsere Angelegenheit. Und während sie untereinander kämpfen, können sie nicht gegen uns kämpfen!»
«Aber wenn Ælfweard gewinnt», erklärte ich, «wird er uns doch noch angreifen.»
«Glaubt Ihr, Æthelstan würde das nicht tun? Glaubt Ihr, er würde kein Heer über die Grenze führen?»
«Er hat versprochen, das nicht zu tun. Nicht, solange ich lebe.»
«Und das kann nicht mehr allzu lange sein», sagte Sigtryggr und ließ es wie eine Drohung klingen.
«Ihr habt seine Zwillingsschwester geheiratet», gab ich zurück.
«Denkt Ihr, das wird ihn hindern?» Sigtryggr starrte mich finster an. Er war zuerst mit meiner Tochter verheiratet gewesen, die bei der Verteidigung Eoferwics umgekommen war, und nach ihrem Tod hatte König Edward die Heirat von Sigtryggr und Eadgith erzwungen, indem er mit einem Einmarsch drohte, falls sich Sigtryggr weigern sollte, und Sigtryggr, der gerade von anderen Gegnern überfallen worden war, hatte zugestimmt. Edward behauptete, ihre Ehe sei ein Symbol für den Frieden zwischen den sächsischen Königreichen und dem norwegisch regierten Northumbrien, aber nur ein Narr erkannte nicht, dass der wahre Grund für diese Heirat darin bestand, eine sächsische, christliche Königin in einem gegnerischen Land einzusetzen. Falls Sigtryggr starb, wäre sein Sohn, mein Enkel, zu jung, um die Regierung zu übernehmen, und die Dänen und Norweger würden sich niemals mit der frommen Eadgyth als Regentin einverstanden erklären, sondern an ihrer statt einen aus ihren eigenen Reihen auf den Thron Northumbriens setzen und damit den sächsischen Königreichen einen Grund zum Einmarsch liefern. Sie würden vorgeben, Eadgyths rechtmäßige Stellung wiederherstellen zu wollen, und so würde Northumbrien, mein Land, von Wessex geschluckt werden.
All das war wahr. Und trotzdem würde ich in den Süden gehen.
Ich hatte einen Schwur geleistet, und nicht nur Æthelstan, sondern auch Æthelflæd, die König Alfreds Tochter gewesen war und einst meine Geliebte. Ich hatte geschworen, Æthelstan zu schützen, und ich hatte geschworen, seine Feinde zu töten, wenn Edward starb. Uns mag Reichtum, Land und Erfolg vorherbestimmt sein, und all das war mir beschieden worden, doch wenn wir sterben, treten wir in das Nachleben mit nichts als unserem Ansehen ein, und ein Mann ohne Ehre hat kein Ansehen. Ich würde meinen Eid halten.
«Wie viele Männer nehmt Ihr mit?», fragte Sigtryggr.
«Nur vierzig.»
«Nur vierzig!», wiederholte er höhnisch. «Und was ist, wenn Constantin von Schottland einfällt?»
«Das wird er nicht. Er hat zu viel mit dem Kampf gegen Owain von Strath Clota zu tun.»
«Und die Norweger im Westen?», wollte er wissen.
«Die haben wir letztes Jahr geschlagen.»
«Und sie haben neue Anführer, es kommen neue Schiffe an!»
«Dann schlagen wir sie nächstes Jahr», sagte ich.
Er setzte sich wieder, und zwei seiner Wolfshunde kamen zu ihm, um gestreichelt zu werden. «Mein jüngerer Bruder ist aus Irland gekommen», sagte er.
«Bruder?» Ich hatte gewusst, dass Sigtryggr einen Bruder hatte, aber er war kaum je erwähnt worden, und ich hatte gedacht, er würde in Irland bleiben.
«Guthfrith», er sprach den Namen mürrisch aus. «Er erwartet, dass ich ihn kleide und ernähre.»
Ich sah mich in dem großen Raum um. Einige Männer hatten ihre Blicke auf uns gerichtet. «Ist er hier?»
«Wahrscheinlich in einem Hurenhaus. Ihr geht also nach Süden», sagte er verdrossen. Er sah alt aus, fand ich, und doch war er jünger als ich. Sein einst gutaussehendes Gesicht mit dem fehlenden Auge war faltig, sein Haar grau und strähnig, sein Bart dünn. Ich hatte seine neue Königin nicht im Palast gesehen, es hieß, sie würde viel Zeit in einem Kloster verbringen, das sie in der Stadt gegründet hatte. Sie hatte Sigtryggr kein Kind geschenkt.
«Wir gehen nach Süden», bestätigte ich.
«Von wo der größte Ärger kommt. Aber reist nicht durch Lindcolne.» Er klang bedrückt.
«Nicht?»
«Es gab einen Bericht von der Pest dort.»
Finan, der neben mir stand, bekreuzigte sich. «Ich werde Lindcolne umgehen», sagte ich mit leicht erhobener Stimme. Es waren etwa ein Dutzend Bedienstete und Hauskrieger in Hörweite, und sie sollten meine Worte mitbekommen. «Wir werden die westliche Straße durch Mameceaster nehmen.»
«Kommt bald zurück», sagte Sigtryggr, «und kommt lebend zurück.»
Er meinte, was er sagte, nur klang er nicht, als würde er es so meinen. Am nächsten Tag brachen wir auf.
Ich hatte nicht vor, auf irgendeiner Straße nach Süden zu gehen, aber ich wollte, dass alle Zuhörer an Sigtryggrs Hof meine Worte weitergaben. Æthelhelm hatte seine Spitzel in Sigtryggrs Hausstand, und ich wollte, dass er die Römerstraßen überwachen ließ, die von Northumbrien nach Wessex führten.
Ich war nach Eoferwic geritten, weil es meine Pflicht war, mit Sigtryggr zu sprechen, doch während unseres Ritts hatte Berg die Spearhafoc die Küste hinunter zu einem kleinen Hafen am Nordufer des Humbres gesegelt, wo er auf uns wartete.
Früh am Morgen nach meinem Treffen mit Sigtryggr führte ich mit einem üblen Gefühl nach dem Ale und dem Wein des Vorabends meine fünf Männer aus der Stadt. Wir ritten südwärts, doch sobald wir außer Sichtweite der Befestigungsanlagen von Eoferwic waren, wandten wir uns nach Osten, und am Abend desselben Tages erreichten wir die Spearhafoc , die mit vierzig Mann Besatzung bei Ebbe vor Anker lag. Am darauffolgenden Morgen schickte ich sechs Männer mit den Pferden zurück nach Bebbanburg, während wir übrigen mit der Spearhafoc ausliefen.
Æthelhelm würde erfahren, dass wir in Eoferwic gewesen waren, und man würde ihm berichten, dass wir die Stadt durch das südliche Tor verlassen hatten. Er würde vermutlich annehmen, ich wäre auf dem Weg nach Mercien zu Æthelstan, aber es würde ihm Kopfzerbrechen bereiten, dass ich mit nur fünf Begleitern unterwegs war. Ich wollte ihn beunruhigen, und er sollte die falschen Stellen bewachen lassen.
Unterdessen hatte ich niemandem, nicht Eadith, nicht meinem Sohn und nicht einmal Finan gesagt, was wir taten. Eadith und Finan hatten damit gerechnet, dass ich nach Süden gehen würde, wenn die Nachricht von Edwards Tod kam, doch obwohl der König noch lebte, war ich in aller Hast aufgebrochen. «Was hat dir der Priester gesagt?», fragte Finan, als die Spearhafoc im sommerlichen Wind Richtung Süden glitt.
«Er hat mir erklärt, dass ich in den Süden gehen muss.»
«Und was», fragte Finan, «werden wir tun, wenn wir dort sind?»
«Ich wünschte, das wüsste ich.»
Das brachte ihn zum Lachen. «Vierzig von uns», sagte er und nickte zu dem vollbesetzten Deck der Spearhafoc , «sollen in Wessex einmarschieren?»
«Mehr als vierzig», gab ich zurück und verfiel in Schweigen. Ich schaute auf das sonnenüberglänzte Wasser, durch das der schlanke Rumpf der Spearhafoc glitt. Wir hätten uns keinen besseren Tag wünschen können. Wir hatten Wind, der uns vorantrieb, und eine See, die uns trug, und diese See flimmerte in blendendem Licht, durchbrochen nur von kleinen Schaumkronen auf den niedrigen Wellenkämmen. Dieses Wetter hätte ein gutes Omen sein sollen, doch mich ergriff Unbehagen. Ich war aus einem schnellen Entschluss heraus auf diese Reise gegangen, hatte geglaubt, eine günstige Gelegenheit zu ergreifen, nun aber wurden Zweifel in mir wach. Ich berührte den Thorshammer, der um meinen Hals hing. «Der Priester», sagte ich zu Finan, «hat mir eine Botschaft von Eadgifu gebracht.»
Einen Moment lang sah er mich verwirrt an, dann konnte er den Namen einordnen. «Die Lavendel-Titten!»
Ich lächelte leicht bei der Erinnerung daran, dass ich Finan einmal erzählt hatte, dass Eadgifus Brüste nach Lavendel rochen. Eadith hatte mir erklärt, dass viele Frauen Lavendel in Wollfett ziehen ließen und sich damit den Brustansatz einrieben. «Eadgifus Brüste riechen nach Lavendel», bestätigte ich, «und sie bittet um unsere Hilfe.»
Finan starrte mich an. «Jesus am Kreuz!», sagte er schließlich. «Was in Gottes Namen tun wir hier?»
«Eadgifu aufsuchen, natürlich», sagte ich.
Er starrte mich immer noch an. «Warum wir?»
«Wen kann sie sonst bitten?»
«Jeden!»
Ich schüttelte den Kopf. «Sie hat in Wessex sicher nur wenige Freunde, und in Mercien oder Ostanglien gar keine. Sie ist verzweifelt.»
«Aber warum bittet Sie dich um Hilfe?»
«Weil sie weiß, dass ich der Gegner ihres Gegners bin.»
«Æthelhelm.»
«Der sie hasst», sagte ich.
Dieser Hass war leicht verständlich. Edward war Eadgifu begegnet, als er noch mit Ælflæd, Æthelhelms Schwester und Ælfweards Mutter, verheiratet gewesen war. Die neue, jüngere und schönere Frau hatte den Wettstreit gewonnen, Ælflæds Platz im Bett des Königs erobert und Edward sogar dazu gebracht, sie zur Königin von Mercien zu ernennen. Dass sie Edward zwei Söhne gebar, Edmund und Eadred, hatte Æthelhelms Hass noch weiter gesteigert. Beide Jungen waren noch Kleinkinder, doch der ältere, Edmund, hatte Anspruch auf den Thron, sofern, wie manch einer glaubte, Æthelstan unehelich war und Ælfweard, wie vielen bewusst wurde, zu einfältig, zu grausam und zu unzuverlässig, um der nächste König zu werden. Æthelhelm war sich dieser Gefahr für die Zukunft seines Neffen bewusst, und das war der Grund, aus dem Eadgifu in ihrer Verzweiflung den Priester nach Bebbanburg geschickt hatte.
«Sie weiß, was Æthelhelm mit ihr vorhat», erklärte ich Finan.
«Das weiß sie?»
«Sie hat Spitzel, ebenso wie er, und man hat ihr berichtet, dass Æthelhelm sie nach Edwards Tod sofort nach Wiltunscir schaffen wird. Sie soll in einen Nonnenkonvent, und ihre beiden Jungen sollen in Æthelhelms Hausstand aufwachsen.»
Finan blickte über das sommerliche Meer. «Was heißt», sagte er langsam, «dass beiden Jungen die Kehle durchgeschnitten wird.»
«Oder dass sie an einer passenden Krankheit sterben, ja.»
«Was werden wir also tun? Sie retten?»
«Sie retten», bestätigte ich.
«Aber Gott im Himmel! Sie wird von den Haustruppen des Königs bewacht! Und Æthelhelm wird sie im Auge behalten wie ein Falke.»
«Sie hat sich schon selbst in Sicherheit gebracht», sagte ich. «Sie ist mit ihren Kindern nach Cent gegangen. Hat ihrem Mann erklärt, sie würde am Schrein von Sankt Bertha für ihn beten, aber in Wahrheit will sie Truppen aufstellen, die sie und die Jungen beschützen.»
«Gütiger Gott», sagte Finan entsetzt. «Gibt es denn Männer, die ihr folgen werden?»
«Warum nicht? Erinnere dich, dass Sigehelm ihr Vater war.» Sigehelm war der Aldermann von Cent gewesen, bis er in Ostanglien beim Kampf gegen die Dänen umkam. Er war reich gewesen, allerdings nicht annähernd so reich wie Æthelhelm, und Sigulf, Sigehelms Sohn, hatte diesen Reichtum zusammen mit den Hauskriegern seines Vaters geerbt. «Sigulf hat vermutlich dreihundert Mann», sagte ich.
«Und Æthelhelm hat wenigstens zweimal so viele! Und noch dazu hat er die Krieger des Königs!»
«Und diese Krieger werden Æthelstan in Mercien beobachten», sagte ich. «Davon abgesehen, wenn Eadgifu und ihr Bruder gegen Æthelhelm ziehen, werden sich ihnen andere anschließen.» Das, dachte ich, war eine sehr schwache Hoffnung, aber unmöglich war es nicht.
Finan sah mich stirnrunzelnd an. «Ich dachte, du hättest Æthelstan deinen Eid geleistet. Und jetzt ist es Lavendel-Titte?»
«Mein Eid gilt Æthelstan», sagte ich.
«Aber Eadgifu wird von dir erwarten, ihren Sohn zum nächsten König zu machen!»
«Edmund ist zu jung», sagte ich entschieden. «Er ist ein Kleinkind. Der Witan wird ihn niemals zum König ernennen, solange er nicht mündig ist.»
«Und wenn er es ist», gab Finan zu bedenken, «wird Æthelstan bereits auf dem Thron sitzen und eigene Söhne haben!»
«Bis dahin bin ich schon tot», sagte ich und berührte erneut den Thorshammer.
Finan stieß ein freudloses Lachen aus. «Wir segeln also, um uns einem Aufstand in Cent anzuschließen?»
«Um ihn anzuführen. Es ist meine beste Gelegenheit, um Æthelhelm zu töten.»
«Warum schließen wir uns nicht Æthelstan in Mercien an?»
«Weil die Westsachsen es als eine Kriegserklärung von Sigtryggr ansehen werden, wenn sie hören, dass Æthelstan northumbrische Truppen einsetzt.»
«Das wird keine Rolle spielen, wenn Æthelstan gewinnt!»
«Aber er hat weniger Männer als Æthelhelm, er hat weniger Geld als Æthelhelm. Die beste Art, ihm zum Sieg zu verhelfen, ist Æthelhelm zu töten.» Weit östlich war der Fleck eines Segels aufgetaucht. Ich hatte es schon eine Weile beobachtet, erkannte nun aber, dass das weit entfernte Schiff nordwärts fuhr und nicht in unsere Nähe kommen würde.
«Deine Schwüre sollen verflucht sein», sagte Finan milde.
«Da gebe ich dir recht. Aber vergiss nicht, dass Æthelhelm versucht hat, mich zu töten. Ob mit oder ohne Schwur, ich schulde ihm einen Tod.»
Finan nickte, weil ihm diese Erklärung einleuchtete, obwohl er die Fahrt, die wir angetreten hatten, für Wahnwitz hielt. «Und sein Neffe? Was ist mit ihm?»
«Ælfweard töten wir ebenfalls.»
«Hast du geschworen, ihn auch zu töten?»
«Nein», gab ich zu, doch dann berührte ich ein weiteres Mal meinen Thorshammer. «Aber ich schwöre es jetzt. Ich töte diesen kleinen Earsling zusammen mit seinem Onkel.»
Finan grinste. «Eine Schiffsmannschaft, was? Vierzig von uns! Vierzig Mann, um den König von Wessex und seinen mächtigsten Aldermann zu töten?»
«Vierzig Mann», sagte ich, «und die Truppen von Cent.»
Finan lachte. «Manchmal denke ich, du bist nicht ganz bei Trost, Herr», sagte er, «aber, Gott weiß, du hast noch nie verloren.»
Wir verbrachten die nächsten beiden Nächte im Schutz ostanglischer Flüsse. Wir sahen keine Menschenseele, nur die Schilflandschaft. In der zweiten Nacht frischte der Wind auf, und der Himmel, der den ganzen Tag klar gewesen war, zog sich vor den Sternen zu, während weit im Westen Blitze zuckten und das Grollen Thors durch die Dunkelheit hallte. Die Spearhafoc lag gut vertäut in einer sicheren Bucht, und doch erbebte sie unter dem Ansturm des Windes. Regen spritzte aufs Deck, der Wind wurde böig, der Regen stärker. Kaum einer von uns konnte schlafen.
Der Morgen brach mit niedrig hängenden Wolken und heftigem Wind an, doch ich hielt die Witterung für sicher genug, um das Schiff umzudrehen und uns vom Wind flussab tragen zu lassen. Wir zogen das Segel halb auf, und die Spearhafoc machte einen Satz voran wie ein Wolfshund, der von der Leine gelassen wird. Von achtern trieb der Wind heftigen Regen schräg über das Schiff. Das Steuerruder bog sich knarrend, und ich rief Gerbruht, den großgewachsenen Friesen, zu meiner Unterstützung heran. Die Spearhafoc fuhr gegen die auflaufende Flut, schnellte an Sandbänken und Schilf vorüber, dann endlich hatten wir die Untiefen hinter uns und konnten uns an der Flussmündung nach Süden wenden. Das Schiff neigte sich beunruhigend tief in den Wind, und ich ließ die Backbord-Schot lösen, doch die Spearhafoc jagte mit gischtschäumendem Bug weiter voran. Das, so dachte ich, war Irrwitz. Die Ungeduld hatte mich aufs Meer getrieben, während jeder vernünftige Seemann an einem sicheren Ort abgewartet hätte. «Wohin fahren wir, Herr?», rief Gerbruht.
«Wir überqueren die Mündung der Temes!»
Der Wind nahm zu. Im Westen krachte Donner. Diese Küste war flach, kappte die Wellen, die sich an unserem Schiffsrumpf brachen und die durchnässte Mannschaft in Gischt tauchten. Die Männer klammerten sich an die Ruderbänke, während sie Wasser von Bord schöpften. Sie beteten. Ich betete. Sie beteten ums Überleben, während ich die Götter bat, mir meine Torheit zu vergeben, in der ich gedacht hatte, ein Schiff könne diesen wütenden Sturm überstehen. Es war dunkel, die Sonne vollständig hinter aufgewühlten Wolkenmassen verborgen, und wir sahen keine anderen Schiffe. Die Seefahrer ließen den Sturm vorüberziehen, wir aber plagten uns über die breite Mündung der Temes weiter südwärts.
Das südliche Ufer des Mündungstrichters erschien als unwirtlicher, von Gischt umtoster Sandstreifen, hinter dem schwarze Wälder auf niedrigen Hügeln lagen. Der Donner kam näher. In der Ferne war der Himmel über Lundene schwarz wie die Nacht, manchmal durchzuckt von einem gezackten Blitz. Der Regen strömte herab, und ich suchte am Ufer eine Landmarke, irgendeine Landmarke, die ich möglicherweise erkennen würde. Das Steuerruder, das Gerbruht und mir alle Kräfte abverlangte, zitterte wie ein lebendiges Wesen.
«Dort!», rief ich Gerbruht zu und deutete voraus. Ich hatte die Insel vor uns gesehen, eine Insel aus Schilf und Schlamm, und links davon lag der breite, windgepeitschte Zugang zum Swalwan, einem Gezeitenfluss. Die Spearhafoc stampfte weiter, kämpfte sich auf die Sicherheit des Swalwans zu. «Ich hatte einmal ein Schiff, das Middelniht hieß!», brüllte ich Gerbruht zu.
«Herr?», fragte er verwirrt.
«Es ist auf dieser Insel gestrandet», rief ich, «auf Sceapig! Und die Middelniht hat sich als gutes Schiff erwiesen! Ein friesisches Schiff! Das ist ein gutes Omen!»
Er grinste. Wasser lief aus seinem Bart. «Das hoffe ich, Herr!» Besonders zuversichtlich klang er nicht.
«Es ist ein gutes Omen, Gerbruht! Vertrau mir, bald sind wir in ruhigerem Gewässer!»
Wir pflügten weiter voran, und der Schiffsrumpf erbebte bei jeder anrollenden Welle, doch schließlich waren wir um die Westspitze der Insel herum und sahen vor uns die vom Sturm schiefgeblasenen Weidenruten, mit denen die Fahrrinne markiert war. Sobald wir in dem Wasserlauf waren, beruhigten sich die Wogen zu einem tückischen Kabbeln, und wir ließen das tropfnasse Segel herunter, und unsere Riemen brachten uns in den breiten Swalwan, der zwischen der Insel Sceapig und dem Festland von Cent verlief. Auf Sceapig sah ich Bauerngehöfte, und der Rauch aus den Abzugslöchern in den Dächern wurde vom Wind ostwärts getrieben. Der Swalwan wurde schmaler. Noch immer gingen Wind und Regen auf uns nieder, doch das Gewässer hier war geschützt, und die Ufer hatten die bedrohlichen Wellentürme gezähmt. Wir fuhren langsam, die Riemen hoben und senkten sich, und ich dachte daran, wie einst die Drachenboote diesen Wasserweg hinaufgeschlichen waren, mit erbarmungslosen Männern an Bord, die kamen, um die reichen Felder und Städte von Cent zu plündern, und welches Grauen die Dorfbewohner erfasst haben musste, wenn die schlangenköpfigen Kriegsschiffe aus dem Flussnebel auftauchten. Nie habe ich Pater Beocca vergessen, meinen Lehrer aus Kindheitstagen, wie er allabendlich die Hände gefaltet und gebetet hatte: «Vor der Raserei der Nordmänner, Herr, bewahre uns.» Und nun trug ich, ein Mann aus dem Norden, Schwerter, Speere und Schilde nach Cent.
Der Priester, der mit Eadgifus Nachricht zu mir gekommen war, hatte gesagt, sie habe zwar angekündigt, am Schrein von Sankt Bertha in Contwaraburg beten zu wollen, sei in Wahrheit aber in ein Städtchen namens Fæfresham geflüchtet, wo sie ein Kloster gestiftet hatte. «Dort wird die Königin sicher sein», hatte mir der Priester erklärt.
«Sicher! Im Schutz von Nonnen?»
«Und im Schutz Gottes, Herr», hatte er mich getadelt, «die Königin steht unter dem Schutz Gottes.»
«Aber warum ist sie nicht nach Contwaraburg gegangen?», hatte ich ihn gefragt. Contwaraburg war eine ansehnliche Stadt mit starken Befestigungsanlagen und, so nahm ich an, Männern zu ihrer Verteidigung.
«Contwaraburg liegt landein, Herr.» Der Priester hatte damit gemeint, dass Eadgifu für den Fall einer drohenden Niederlage, für den Fall, dass Æthelhelm sie entdeckte und Truppen schickte, an einem Ort sein wollte, von dem aus sie übers Meer entkommen konnte. Von dem aus sie ins Frankenland übersetzen konnte. Und Fæfresham lag sehr dicht bei einem Hafen am Swalwan. Es war vermutlich eine kluge Wahl.
Wir ruderten westwärts, und ich sah am Südufer die Masten von einem halben Dutzend Schiffen über den durchweichten Strohdächern eines kleinen Dorfes aufragen. Das Dorf, so wusste ich, hieß Ora und war nicht weit von Fæfresham entfernt. Ich war oft genug an dieser Küste mit ihrem ausgedehnten Marschland, den von der Flut unter Wasser gesetzten Sandbänken und den verborgenen Wasserläufen gesegelt, ich hatte an ihren Ufern gegen Dänen gekämpft und gute Männer auf Weiden im Inland begraben.
«In den Hafen», wies ich Gerbruht an, und wir steuerten die Spearhafoc herum, und meine erschöpfte Mannschaft ruderte sie in den seichten Hafen von Ora. Es war ein heruntergekommener, armseliger Vorwand von einem Hafen mit verrottenden Anlegeplätzen zu beiden Seiten eines Gezeitenflusses. An seinem westlichen Ufer, an dessen Anlegeplätzen Zeichen von Instandsetzung sichtbar waren, hatten vier gedrungene Handelsfahrer mit fassartigen Rümpfen festgemacht, die üblicherweise dazu eingesetzt wurden, Nahrungsmittel und Tierfutter stromauf nach Lundene zu bringen. Der Hafen lag zwar vor dem Sturm geschützt, doch das Wasser war kabbelig und gischtgefleckt, schlug unruhig gegen das Pfahlwerk und gegen drei weitere Schiffe, die am südlichen Ende des Hafens vertäut waren. Diese Schiffe waren lang, schlank, und ihr Bug ragte hoch auf. Und auf jedem war ein Kreuz angebracht. Bei ihrem Anblick stieg Finan zu mir auf die Steuerplattform. «Wem gehören die?», fragte er.
«Sag du es mir», gab ich zurück und überlegte zugleich, ob es Schiffe waren, die Eadgifu für den Fall bereithielt, dass sie fliehen musste.
«Das sind Kampfschiffe», erklärte Finan verdrießlich, «aber wem gehören sie?»
«Sie sind sächsisch, so viel ist sicher.» Das sagten mir die Kreuze.
Auf beiden Ufern des Hafens standen Gebäude. Die meisten waren Schuppen, vermutlich wurde dort die Ausrüstung von Fischern oder Fracht zum Verschiffen gelagert, doch einige der Gebäude waren größer, und aus den Abzugslöchern in ihren Dächern strömte ostwärts ziehender Rauch. Eines davon, das größte, stand in der Mitte des westlichen Kais, und über seinem breiten, strohgedeckten Vordach hing ein Fass. Ein Wirtshaus, nahm ich an, und dann wurde die Tür unter dem Vordach geöffnet. Zwei Männer tauchten auf und starrten zu uns herüber. Da wusste ich, wer die Kampfschiffe in den Hafen gebracht hatte.
Auch Finan wusste es und fluchte leise vor sich hin.
Denn die beiden Männer trugen gleichartige Umhänge in stumpfem Rot. Diese Sitte hatte Æthelhelm der Ältere bei seinen Männern eingeführt, und sein Sohn, mein Gegner, hatte sie fortgeführt.
Also hatten Æthelhelms Männer diesen Teil Cents vor uns erreicht. «Was machen wir?», fragte Gerbruht.
«Was denkst du wohl?», knurrte Finan. «Wir töten die Scheißer.»
Denn wenn eine Königin um Hilfe ruft, ziehen Krieger in den Kampf.