Sieben
Also hatte man uns gehört. Das Weinen verschreckter Kinder hatte Gunnalds Männer in dem Lagerhaus auf uns aufmerksam gemacht, und sie hatten die Hunde losgelassen, die nun wie wild bellten. Ich hörte Schritte, einen Befehlsruf und den hellen, abwehrenden Aufschrei einer Frau. Ich stand bei der Tür, wo Vidarr unseren Gefangenen gegen die Wand drückte und ihm sein Schwert an die Kehle hielt. «Wie viele Männer sind da drin?», knurrte ich ihn an.
«Neun sind drinnen!», gelang es ihm unter dem Druck der Klinge hervorzustoßen.
Er war schon entwaffnet worden. Nun trat ich ihm kräftig zwischen die Beine, und er sackte zusammen und schrie auf, als ihm Vidarrs Schwert beim Fallen einen kleinen Schnitt am Kinn beibrachte. «Du rührst dich nicht», knurrte ich. «Finan?»
«Herr?», rief er von der Stalltür aus.
«Neun Mann übrig», gab ich zurück.
«Und Hunde», sagte er trocken. Auf der Innenseite der Tür hörte ich Pfoten wie rasend über das Holz scharren.
Die Tür war versperrt. Ich hob den schweren Riegel und versuchte, zu ziehen und zu drücken, doch die Tür rührte sich nicht. Und jetzt, dachte ich, würden die Männer drinnen die Ostanglier auf der Brücke zu Hilfe rufen. Ich fluchte.
Und dann wurde die Tür geöffnet. Anscheinend wollten die Männer die Hunde auf uns hetzen.
Zwei Hunde kamen, beide groß, beide schwarzbraun mit geifernden Mäulern, beide mit gelben Zähnen und verfilztem Fell. Sie
stürzten sich auf uns. Der erste versuchte, mir einen Bissen aus dem Bauch zu reißen und erhielt stattdessen ein Maulvoll Kettenhemd. Schlangenhauch stieß ein Mal vor, Vidarr hieb von meiner linken Seite aus zu, dann sprang ich über das arme, sterbende Tier hinweg, sah Finan das andere erledigen, und wir stürmten beide in das riesige Lagerhaus. Drinnen war es dunkel. Ein Speer blitzte links von mir auf und fuhr in den Türpfosten. Schreie hallten durch den Raum.
Die Verteidiger des Lagerhauses hatten die Hunde losgelassen, und Kampfhunde sind beeindruckende Tiere. Sie greifen ungezügelt an, kennen offenbar keinen Schmerz, und auch wenn sie recht leicht zu töten sind, zwingt ihr Angriff Männer, die Kampfordnung zu verlassen. Daher gilt es beim Einsatz von Kampfhunden, im gleichen Moment wie sie anzugreifen. Lass die Hunde den Gegner ablenken, und während er sich gegen Zähne und Klauen wehrt, stich mit Speeren und Schwertern auf ihn ein.
Doch die Verteidiger des Lagerhauses dachten, die Hunde könnten die gesamte Arbeit erledigen, und statt uns anzugreifen, warteten sie einfach in einer Reihe, die sie zwischen zwei Käfigen gebildet hatten. Rechts von mir schrien Frauen, doch ich hatte keine Zeit hinzusehen, weil sich mir die Verteidiger entgegenstellten, Männer mit kleinen Schilden und Langschwertern. Ich konnte sie nicht zählen, dazu war es zu dunkel, also griff ich sie einfach an und stieß dabei einen Kampfruf aus. «Bebbanburg!»
Ich lehre meine jungen Krieger, dass Vorsicht in der Kriegsführung eine Tugend ist. Stets lockt die Versuchung, blindlings anzugreifen, brüllend auf den gegnerischen Schildwall vorzurücken und darauf zu hoffen, ihn mit schierer Wut und Wildheit aufbrechen zu können. Diese Versuchung wird von Angst ausgelöst, und
manchmal besteht die beste Art, die Angst zu überwinden, darin, einen Kampfruf zu kreischen, anzugreifen und zu töten, allerdings wird der Gegner wahrscheinlich von den gleichen Gefühlen und der gleichen Angst getrieben. Auch er wird töten. Vor die Wahl gestellt, würde ich mich lieber von angstbesessenen Männern angreifen lassen, als selbst anzugreifen. Männer im Zorn, Männer, die aus einer blindwütigen Regung heraus handeln, kämpfen wie die Wölfe, doch Schwertgeschick und Selbstbeherrschung werden sie nahezu immer schlagen.
Und doch brüllte ich einen Kampfruf und griff geradewegs eine Gruppe Männer an, die den Durchgang zwischen den Käfigen auf der gesamten Breite versperrten. Sie hatten keinen Schildwall aufgestellt, dazu waren ihre Schilde zu schmal, nur dazu gedacht, Hiebe abzufangen, doch sie bildeten eine Mauer aus Schwertern. Aber sie waren auch Wachen eines Sklavenhändlers, was bedeutete, dass sie bezahlt wurden, um Ordnung zu halten, bezahlt wurden, um andere zu ängstigen, und bezahlt, um mit ihren Peitschen auf wehrlose Opfer einzuschlagen. Nicht bezahlt wurden sie dafür, sich northumbrischen Kriegern entgegenzustellen. Sie hatten ihr Handwerk gelernt, hatten einen gegnerischen Schild niedergeschlagen, hatten getötet, und sie hatten überlebt, doch ich bezweifelte, dass sie sich seitdem noch so in ihren Fähigkeiten geübt hatten, wie es meine Männer taten. Sie verbrachten keine Stunden mehr mit schweren Schwertern und Schilden, weil ihre Gegner unbewaffnete Sklaven waren und viele davon Frauen und Kinder. Das Schlimmste, mit dem sie rechneten, war ein widerspenstiger Mann, der leicht niedergeknüppelt werden konnte. Nun aber hatten sie Krieger vor sich; meine Krieger.
Finan war an meiner rechten Seite und schrie in seiner eigenen
Sprache, während ich Beornoth zu meiner Linken hatte. «Bebbanburg!», brüllte ich wieder, und ganz bestimmt wussten sie nichts damit anzufangen, aber sie sahen Krieger mit Kettenrüstungen und Helmen, Krieger, die furchtlos in den Kampf zu gehen schienen, Krieger, die nach ihrem Leben trachteten, Krieger, die töteten.
Ich rannte auf einen Mann in einer Lederweste zu, einen Mann, der ebenso groß war wie ich, mit einem schwarzen Stoppelbart und einem Schwert, das er wie einen Speer hielt. Er trat einen Schritt zurück, als wir näher kamen, hielt sein Schwert jedoch immer noch gerade von sich weggestreckt. Hoffte er, ich würde mich daran aufspießen? Stattdessen schlug ich ihm die Klinge mit meinem linken, vom Kettenhemd geschützten Arm weg, versenkte Schlangenhauch in seinem Bauch und roch dabei seinen stinkenden Atem. Er war groß, doch ich warf ihn rücklings auf den Mann hinter ihm, und zu meiner Rechten schrie ein Mann, weil ihm Finans flinkes Schwert das Augenlicht geraubt hatte, und da war Beornoth neben mir, die Klinge rot, und ich schnellte rechts herum, zog meine Klinge aus dem fallenden Mann, und trat dem nächsten in den Weg, der einen Sax trug. Mein Kettenhemd hielt seine Klinge auf. Er drückte weiter, wich dabei jedoch schon verängstigt zurück, sodass sein Vorstoß kraftlos wurde. Er begann zu wimmern, wollte den Kopf schütteln, und vielleicht versuchte er, sich zu ergeben, doch ich rammte ihm meinen behelmten Kopf ins Gesicht, aus dem Wimmern wurde ein Grunzen, dann riss er die Augen weit auf, als ihm Beornoths Klinge zwischen die Rippen fuhr. Es war der Blick eines Mannes, der schon die ewigen Höllenqualen vor sich sah. Er fiel, und mit einem weiteren Schritt war ich hinter der notdürftigen Linie, die meine Gegner aufgestellt hatten, und vor mir war eine offene Tür, hinter der
Sonnenlicht auf Wasser und auf dem Schiff glitzerte, das wir brauchten. Ich drehte mich wieder um, brüllte weiter und zog Schlangenhauchs gefräßige Kante über den Nacken eines Mannes, und plötzlich waren da keine Gegner mehr, nur Männer, die um Gnade bettelten, Männer, die sich in Schmerzen wanden, sterbende Männer, Blut auf dem Fliesenboden, und ein massiger Mann, der in kopfloser Angst eine Treppe neben dem Käfig der Frauen hinauffloh.
Wir sind Krieger.
«Gerbruht!»
«Herr?»
«Hol Benedetta und die Kinder.»
Wir hatten neun Männer gegen uns gehabt. Ich zählte sie. Fünf waren tot oder tödlich verletzt, drei lagen auf den Knien, und einer war die Treppe hinauf geflüchtet. Frauen weinten vor Angst hinter den Gitterstreben auf der einen Seite, auf der anderen kauerten Männer in der Düsternis. «Beornoth!» Ich deutete auf die drei Männer, die vor mir knieten. «Bring den Mistkerl, den wir im Hof gefangen haben, zu denen hier, nimm ihnen allen die Kettenhemden ab, sperr sie ein, und stell fest, ob welche von den Sklaven Ruderleute sein wollen!»
Den Mann, der die Treppe hinauf geflüchtet war, hatte ich nur aus dem Augenwinkel gesehen. Er war von beachtlicher Gestalt gewesen, aber nicht groß wie Beornoth oder Folcbald, die hochgewachsen und muskulös waren, sondern fett. Ich hatte mitbekommen, wie er in kopfloser Angst die Treppe hinaufgepoltert war, und nun folgte ich ihm mit der nackten Klinge Schlangenhauchs.
Die Treppe musste von den Römern erbaut worden sein, denn die ersten Stufen waren aus Stein, auch wenn nach diesen säuberlich
gemauerten Stufen eine neuere Treppenflucht aus Holz folgte, die zu einem kleinen Absatz führte, auf dem Staubflocken tanzten. Ich stieg langsam höher. Aus den oberen Stockwerken war kein Geräusch zu hören. Ich nahm an, dass der fette Mann, wer immer er auch war, dort auf mich lauern würde. Finan schloss sich mir an, und zu zweit schlichen wir die Treppe hinauf und zuckten jedes Mal zusammen, wenn das Holz knarrte. «Ein einzelner Mann», flüsterte ich.
Rechts auf dem Treppenabsatz befand sich ein Durchgang mit einem dicken Wollvorhang. Ich ging davon aus, dass bei meinem ersten Schritt auf den Treppenabsatz ein Speer durch die Wolle gerammt werden würde, also streckte ich Schlangenhauch aus und schob den Vorhang behutsam ein Stückchen beiseite. Es erfolgte kein Speerstoß. Ich schob den Vorhang weiter auf und vernahm ein ersticktes Wimmern. Dann hörte ich wieder schwere Schritte, die darauf hinwiesen, dass der fette Mann eine weitere Treppe hinaufstieg.
«Gunnald?», riet Finan.
«Vermutlich», sagte ich und bemühte mich nicht länger darum, leise zu sein. Ich erstieg die letzte Stufe und riss den Vorhang herunter. Ein Aufkeuchen, ein Schrei, und dann sah ich noch einen Käfig, aus dem mich drei Frauen mit schreckgeweiteten Augen anstarrten. Ich legte den Zeigefinger auf meine Lippen, und sie kauerten sich still hin, den Blick auf eine Holztreppe gerichtet, die zum obersten Stockwerk führte. «Gunnald!», rief ich.
Keine Antwort.
«Gunnald! Ich bin gekommen, um ein Versprechen einzulösen!» Ich ging mit betont schwerfälligen Schritten die Treppe hinauf. «Hast du mich gehört, Gunnald?»
Noch immer keine Antwort, nur ein schlurfendes Geräusch in den Tiefen des Speichers. Dieses letzte Stockwerk lag unter dem Dach. Balken zogen sich durch den Raum. Es gab nur schwaches Licht, aber als ich oben ankam, sah ich den fetten Mann am anderen Ende des Speichers stehen. Er hatte ein Schwert in der Hand. Er zitterte. Ich hatte selten einen so verängstigten Mann gesehen.
Finan ging an mir vorbei, stieß den kleinen Fensterladen auf, den ich vom Hof aus gesehen hatte, und in dem zusätzlichen Licht sah ich schwere Holztruhen und ein klobiges Holzbett, auf dem sich Felle häuften. Halb versteckt in dem Bett lag ein Mädchen und beobachtete uns ängstlich. «Gunnald?», fragte ich den Mann. «Gunnald Gunnaldson?»
«Ja.» Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
«Ich würde an deiner Stelle das Schwert niederlegen», sagte ich, «es sei denn, du willst gegen mich kämpfen.»
Er schüttelte den Kopf, hielt die Waffe aber weiter umklammert.
«Mein Name», sagte ich, «ist Uhtred, Sohn des Uhtred, Herr von Bebbanburg.»
Das Schwert fiel aus einer kraftlosen Hand, landete polternd auf dem Holzboden. Gunnald ließ sich ebenfalls fallen, sank auf die Knie und streckte mir die gefalteten Hände entgegen. «Herr!»
In dem Giebel auf der Flussseite war ein weiteres Fenster. Ich ging an dem knienden Mann vorbei und drückte den Fensterladen auf, damit mehr Licht in den Raum kam. «Ich mag keine Sklavenhändler», sagte ich ruhig, während ich wieder zu Gunnald ging.
«Das geht vielen so, Herr», flüsterte er.
«Ist das eine Sklavin?», fragte ich und deutete mit
Schlangenhauch auf das Mädchen in dem Bett.
«Ja, Herr.» Gunnars Flüstern war kaum vernehmbar.
«Von nun an nicht mehr», sagte ich. Gunnar schwieg. Er zitterte noch immer. Ich sah ein Gewand oder einen Umhang auf dem Boden liegen, ein fadenscheiniges Ding aus Leinen. Ich hob es mit Schlangenhauchs blutiger Spitze hoch und schleuderte es zu dem Mädchen hinüber. «Erinnerst du dich an einen Sklavenhändler namens Halfdan?», fragte ich Gunnald. Er zögerte, vielleicht überrascht von der Frage. Sein Gesicht war rund, seine Augen waren klein und sein Bart zu spärlich, um seine feisten Wangen zu bedecken. Sein Haar wurde dünn. Er trug ein Kettenhemd, aber es war zu eng, sodass er die Seiten aufgerissen hatte, damit das Kettengeflecht seinen Bauch überspannen konnte. Einen großen Bauch. «Wir sehen recht selten fette Menschen», sagte ich, «nicht wahr, Finan?»
«Ein paar Mönche», erklärte Finan, «und hier und da einen Bischof.»
«Du musst viel essen», erklärte ich Gunnald, «um so einen Bauch zu bekommen. Deine Sklaven sind alle mager.»
«Ich ernähre sie gut, Herr», murmelte er.
«Tatsächlich?», fragte ich mit gespielter Überraschung.
«Fleisch, Herr. Sie essen Fleisch.»
«Erzählst du mir gerade, dass du mit deinen Sklaven freundlich umgehst?», fragte ich. Dann ging ich vor ihm in die Hocke und ließ Schlangenhauchs Spitze auf dem Fußboden vor seinen Knien ruhen. Er starrte die Klinge an. «Nun?», forderte ich ihn auf.
«Ein zufriedener Sklave ist ein gesunder Sklave, Herr», brachte Gunnald heraus, den Blick auf das Blut gerichtet, das auf der Klinge trocknete.
«Also behandelst du sie gut?»
«Ja, Herr.»
«Dieses Mädchen wurde also nicht in dein Bett gezwungen?»
«Nein, Herr.» Wieder war sein Flüstern kaum hörbar.
Ich richtete mich auf. «Du wirst mich für einen seltsamen Mann halten, Gunnald», sagte ich, «denn es gefällt mir nicht, wenn Frauen geschlagen oder geschändet werden. Hältst du das für seltsam?» Er sah mich einfach nur an, dann senkte er seinen Blick wieder. «Halfdan hat Frauen schlecht behandelt», sagte ich. «Erinnerst du dich an Halfdan?»
«Ja, Herr», flüsterte er.
«Erzähl mir von ihm.»
«Ich soll Euch von ihm erzählen, Herr?»
«Erzähl mir von ihm!», trieb ich ihn an.
Es gelang ihm, mich wieder anzusehen. «Er hatte einen Hof auf der anderen Seite der Brücke, Herr», sagte er. «Er hat mit meinem Vater Geschäfte gemacht.»
«Er ist gestorben, stimmt das?»
«Halfdan, Herr?»
«Ja.»
«Er ist gestorben, Herr. Er wurde getötet.»
«Getötet!» Ich gab mich überrascht. «Wer hat ihn getötet?»
«Das weiß niemand, Herr.»
Ich ging wieder in die Hocke. «Das war ich, Gunnald», flüsterte ich. «Ich habe ihn getötet.»
Die einzige Antwort war ein Wimmern. Dann erklangen Schritte auf der Treppe, und als ich mich umdrehte, sah ich Pater Oda, Vidarr Leifson und Benedetta in den Speicher kommen. Benedettas Gesicht lag
im Schatten ihrer Kapuze. Ein neues Wimmern lenkte meinen Blick wieder auf Gunnald, der nun am ganzen Körper zitterte, allerdings nicht vor Kälte. «Ihr, Herr?»
«Ich habe Halfdan getötet», sagte ich. «Er war auch fett.»
Diese Tötung hatte Jahre zuvor und in einem Hof am Fluss stattgefunden, der Gunnalds Hof nicht unähnlich gewesen war. Halfdan hatte geglaubt, ich wäre gekommen, um Sklaven zu kaufen, und er hatte mich mit überschwänglicher Höflichkeit willkommen geheißen. Ich erinnere mich noch an seinen kahlen Kopf, seinen Bart, der ihm bis zum Gürtel herabhing, sein falsches Lächeln und seinen dicken Wanst. Finan hatte mich an diesem Tag begleitet, und beide hatten wir an die Monate gedacht, in denen wir gemeinsam versklavt gewesen waren, an die Bank eines Sklavenhändlerschiffs gekettet, mit der Peitsche über das eiskalte Meer getrieben und nur am Leben gehalten von unseren Rachegedanken. Wir hatten gesehen, wie unsere Rudergefährten zu Tode gepeitscht wurden, hatten das Schluchzen der Frauen gehört und gesehen, wie schreiende Kinder zum Haus unseres Besitzers gezerrt wurden. Halfdan war für all dieses Elend nicht verantwortlich gewesen, aber er hatte trotzdem dafür bezahlt. Finan hatte ihm die Kniesehnen durchgeschnitten, und ich hatte ihm die Kehle aufgeschlitzt, und an demselben Tag hatten wir Merasa befreit, eine dunkelhäutige junge Frau, die aus den Landen jenseits des Mittelmeers stammte. Sie hatte Pater Cuthbert geheiratet und lebte nun in Bebbanburg. Wyrd bið ful āræd.
«Halfdan», noch immer kauerte ich dicht vor dem zitternden Gunnald, «hat seine Sklavinnen gern geschändet. Schändest du deine Sklavinnen?»
Trotz seiner Angst war Gunnald schlau genug, um zu begreifen,
dass ich diese seltsame Abneigung gegenüber Sklavenhändlern hegte, die ihren eigenen Besitz schändeten. «Nein, Herr», log er.
«Ich kann dich nicht hören», sagte ich und richtete mich wieder auf, dieses Mal mit seinem aufgegebenen Schwert in der Hand.
«Nein, Herr!»
«Und du behandelst deine Sklaven gut?»
«Ja, Herr, das tue ich, Herr!» Inzwischen klang er verzweifelt.
«Es freut mich, das zu hören», sagte ich und warf Gunnalds Schwert Finan zu, dann zog ich Wespenstachel und hielt den Sax mit dem Heft voran Benedetta hin. «Du wirst den Umgang hiermit leichter finden», erklärte ich ihr.
«Danke», sagte sie.
Pater Oda wollte etwas einwenden, dann sah er mich an und überlegte es sich anders. «Eine Sache noch», sagte ich und kehrte zu dem knienden Gunnald zurück. Ich stellte mich hinter ihn und zog ihm das zerrissene Kettenhemd über den Kopf, sodass er nur noch ein dünnes Wollgewand trug. Als das Kettenhemd vor seinem Gesicht vorbeigeglitten war und er wieder sehen konnte, keuchte er auf, denn Benedetta hatte ihre Kapuze zurückgeschoben. Er stammelte etwas, dann wurde das Stammeln zu einem kläglichen Stöhnen, als er den Hass auf ihrem Gesicht und die Klinge in ihrer Hand sah. «Ihr beide kennt euch, glaube ich», sagte ich.
Gunnalds Lippen bewegten sich noch oder bebten zumindest, doch ohne dass ein Laut von ihm kam. Benedetta drehte das Schwert so, dass der Stahl in dem schwachen Licht des Speichers aufblitzte. «Nein, Herr!», brachte Gunnald voll Grauen heraus, während er rückwärts rutschte. Ich versetzte ihm einen kräftigen Tritt, er wurde still, und dann stöhnte er erneut, als seine Blase nachgab.
«Porco
!», fauchte Benedetta.
«Pater Oda», sagte ich, «kommt mit uns nach unten. Vidarr, du bleibst hier.»
«Gewiss, Herr.»
«Greif nicht ein. Sorge nur dafür, dass es ein gerechter Kampf wird.»
«Ein gerechter Kampf, Herr?», fragte Vidarr verdutzt.
«Er hat einen Schwanz, sie hat ein Schwert. Das erscheint mir gerecht.» Ich lächelte Benedetta an. «Es eilt nicht. Bis wir aufbrechen, dauert es noch eine Weile. Komm, Finan! Du, Mädchen!» Ich schaute zu dem Bett. «Bist du angezogen?» Die Kleine nickte. «Dann komm!»
An einem Nagel im Treppenpfosten hing eine aufgerollte Peitsche aus geflochtenem Leder. Ich nahm sie und sah getrocknetes Blut an ihrer Spitze. Ich warf die Peitsche Vidarr zu, dann stieg ich die Treppe hinunter.
Ließ Benedetta, Vidarr und Gunnald allein auf dem Speicher zurück.
Und Gunnald schrie, noch bevor ich das mittlere Stockwerk erreicht hatte.
«Die Kirche», sagte Pater Oda zu mir, als wir unten angekommen waren, «billigt die Sklaverei nicht, Herr.»
«Und doch habe ich Kirchenmänner gekannt, die Sklaven besessen haben.»
«Es widerspricht dem Anstand», fuhr er fort, «allerdings verbietet es die Schrift nicht.»
«Was wollt Ihr mir damit sagen, Pater?»
Er zuckte zusammen, als ein weiterer Schrei erklang, der schrecklicher war als alle anderen, die bei unserem Weg nach unten auf unsere Ohren eingestürmt waren. «Gut gemacht, Mädchen», murmelte Finan.
«Die Rache muss Gott vorbehalten sein», erklärte Pater Oda, «und nur Gott.»
«Eurem Gott», sagte ich schroff.
Wieder zuckte er zusammen. «In seinem Römerbrief», kam es von dem Priester, «sagt uns Paulus, dass wir die Rache dem Herrn überlassen sollen.»
«Der Herr hat sich viel Zeit damit gelassen, Benedetta zu rächen», erwiderte ich.
«Und der fette Bastard hat es verdient, Pater», warf Finan ein.
«Zweifellos, aber indem ihr sie ermutigt habt», nun sah er mich an, «habt Ihr sie dazu ermutigt, eine Todsünde zu begehen.»
«Ihr könnt ihr später die Beichte abnehmen», sagte ich knapp.
«Sie ist eine schwache Frau», sagte Oda, «und ich würde ihrer Schwachheit keine Sünde aufbürden, die sie von der Gnade Gottes ausschließt.»
«Sie ist stärker, als Ihr denkt», gab ich zurück.
«Sie ist eine Frau!», sagte er ernst. «Und Frauen sind die schwächeren Gefäße. Ich habe Schuld auf mich geladen», er hielt deutlich beunruhigt inne, «ich hätte sie aufhalten sollen. Wenn dieser Mann den Tod verdient, dann hätte er ihn von Eurer Hand empfangen sollen, nicht von ihrer.»
Er hatte natürlich recht. Ich bezweifelte nicht, dass Gunnald für seine zahlreichen Untaten den Tod verdiente, doch was ich gerade auf dem Speicher des Sklavenhändlers entfesselt hatte, war grausam.
Ich hatte ihn zu einem langsamen, schrecklichen und qualvollen Tod verurteilt. Ich hätte der Gerechtigkeit mit einem schnellen Töten Genüge tun können, so schnell, wie ich Halfdan vor all den Jahren getötet hatte, doch stattdessen hatte ich mich für Grausamkeit entschieden. Warum? Weil ich wusste, dass Benedetta diese Wahl erfreuen würde. Ein weiterer Schrei ertönte, verklang, stieg wieder auf. «Es widerspricht dem Anstand», wiederholte Pater Oda, «dass Ihr den ewigen Seelenfrieden dieser Frau in Gefahr gebracht habt!» Er klang leidenschaftlich, und ich fragte mich, ob sich der dänische Priester zu Benedetta hingezogen fühlte, und dieser Gedanke versetzte mir einen Stich der Eifersucht. Sie war schön, unbestreitbar schön, doch ihre Schönheit war von etwas Düsterem beherrscht und ihre Seele von Zorn. Ich sagte mir, dass sie sich mit Wespenstachel von diesen Schatten befreien würde.
«Ihr betet für sie, Pater», erklärte ich herablassend, «und ich sehe nach dem Schiff, das uns nach Hause bringen wird.» Ich ging mit Finan in das frühe Sonnenlicht hinaus. Gunnalds Schreie waren verklungen, und die lautesten Geräusche kamen von den Möwen, die um einen Tierkadaver kämpften, der auf dem jenseitigen Ufer der Temes im Schlamm angeschwemmt worden war. Eine leichte Böe, zu schwach, um einem Seemann von Nutzen zu sein, kräuselte den Fluss. Gunnald hatte, als er noch lebte, zwei Anlegeplätze besessen, beide durch Zäune aus Holzstäben geschützt. Sein Schiff lag an der Anlegestelle auf der linken Seite, ein langes Schiff mit breitem Rumpf, gebaut für Fahrten über weite Entfernungen. Das Schiff wirkte schwerfällig. Die Planken waren dunkel, beinahe pechschwarz, und an der Wasserlinie hatte sich ein dichter Algensaum gebildet. Ein Segel war an die Rah gerollt, doch das Tuch wirkte zerlumpt, und es war
mit Vogelkot verkrustet. Ich ging zu der Anlegestelle und blieb dort stehen. Finan war mit mir gekommen, er fluchte, und dann fing er an zu lachen. «Und dieses Schiff bringen wir nach Bebbanburg?», fragte er.
In dem breiten Kielraum des Schiffs stand Wasser. Die dunkle Farbe der Planken rührte nicht von Teer, sondern von Holzfäule. Ein halbes Dutzend Riemen lag in dem Schiff, nur noch als Feuerholz zu gebrauchen, die Schäfte verzogen und die Blätter gesprungen. Eine Möwe kreischte mich an. Ich stieg auf eine beunruhigend ächzende Ruderbank hinunter, stieß mit Schlangenhauch in den Schiffsrumpf, und die Schwertspitze versank in dem Holz wie in einem Schwammpilz. Dieses Schiff konnte den Fluss nicht überqueren, ganz zu schweigen davon, uns nach Bebbanburg zu bringen.
Ich hatte ein Wrack erobert.
Finan grinste. «Wir sind schneller, wenn wir nach Bebbanburg schwimmen!»
«Das könnte uns noch bevorstehen», gab ich schlechtgelaunt zurück. «Es ist meine Schuld. Ich hätte Oswi als Späher schicken sollen. Nicht die Jungen.»
«Ich glaube, es liegt auf Grund», sagte Finan.
Ich stieg wieder auf den Kai und schaute über das unbrauchbare Schiff hinweg zu dem anderen, leeren Anlegeplatz. «Benedetta meinte, er hat zwei Schiffe gehabt.»
Finan folgte meinem Blick und zuckte mit den Schultern. «Ein zweites Schiff nützt uns nicht viel, wenn es nicht hier ist», sagte er. Ich schwieg. «Vielleicht hat er es mit einer Ladung Sklaven ins Frankenreich geschickt», überlegte Finan laut. «Es heißt, dass man dort höhere Preise erzielen kann.»
Das hätte den leeren Anlegeplatz erklärt. «Wie viele Sklaven haben wir hier befreit?»
«Ein Dutzend Frauen, vier Kinder und drei halbverhungerte junge Männer.»
«Ich habe mehr erwartet.»
«Dann ist sein zweites Schiff vielleicht in ein oder zwei Tagen zurück!»
«Vielleicht», knurrte ich. Ich hob meinen Blick über den leeren Anlegeplatz und sah, dass uns vier Wachen von der hohen Brustwehr der Brücke beobachteten, die einen guten Bogenschuss entfernt war. Ich winkte ihnen zu, und nach kurzem Zögern winkte einer der Männer zurück. Ich glaubte nicht, dass sie etwas von der Unruhe bei unserer Eroberung des Hofs mitbekommen hatten, und auch wenn sie Gunnalds verzweifelte Schmerzensschreie wahrscheinlich hatten hören können, würden ihnen solche Töne aus dem Lagerhaus eines Sklavenhändlers sicher nicht ungewöhnlich erscheinen.
«Und was tun wir jetzt?», fragte Finan.
«Wir denken nach», gab ich scharf zurück, aber in Wahrheit hatte ich nicht die geringste Vorstellung davon, was wir tun sollten. Mein Vater, ging es mir durch den Kopf, hatte recht gehabt. Ich handelte unüberlegt, ich hatte mich von den Angriffen auf meine Schiffe aufstacheln lassen, hatte meinen Eid gegenüber Æthelstan als Vorwand genutzt und war in den Süden gekommen, um Æthelhelm aufzuspüren und zu töten. Nun war die Spearhafoc
verschwunden, und ich saß in einer vom Gegner besetzten Stadt in der Falle. «Wir warten auf das zweite Schiff, schätze ich. Zu schade, dass wir Gunnald nicht mehr fragen können, wo es ist.»
«Wir können seine Männer fragen, sie werden es wissen.»
Benedetta kam über den Kai zu uns. Ihre Kapuze war noch immer zurückgeschoben, sodass ihr schwarzes, nun lose fallendes Haar in der Sonne glänzte. In meinen Augen sah sie aus wie eine Walküre, eine der Götterbotinnen, die getötete Krieger zur Festhalle in Walhall bringen. Sie lächelte nicht, ihr graues Gewand wies rote Spritzer auf, und Wespenstachel war bis zum Heft mit geronnenem Blut beschmiert. Ich warf einen schnellen Blick zu der Brustwehr der Brücke, fragte mich, was die Wachen von einer blutbesudelten Klinge halten würden, doch sie hatten uns alle den Rücken zugekehrt. «Ich werde es für Euch abwaschen, Herr», sagte Benedetta und hielt das Schwert vor mir hoch.
«Gib es einem der Jungen», sagte ich. «Aldwyn kann es reinigen.»
«Und danke, Herr.»
Ich sah in ihre graugrünen Augen. «Pater Oda meint, ich habe dich dazu ermutigt, eine Sünde zu begehen.»
«Gerade dafür danke ich Euch, Herr.»
«Habt Ihr den Bastard leiden lassen?», fragte Finan.
«Seine Schreie waren gewiss bis in die Hölle zu hören», sagte sie.
«Dann habt Ihr es gut gemacht, in der Tat!», bemerkte der Ire freudig.
«Ich habe getan, wovon ich seit über zwanzig Jahren geträumt habe. Ich bin glücklich.» Sie musterte das Wrack. «Ist das hier das Schiff?»
«Nein», sagte ich.
«Dann ist es gut», sagte sie ernst und brachte Finan und mich damit zum Lachen.
«Das ist nicht lustig», erklärte Finan.
«Ganz und gar nicht», stimmte ich immer noch lachend zu.
Dann begann jemand, von der Straße aus an das Tor zu hämmern, und einen Moment später rannte Aldwyn zu uns. «Herr, Herr! Da sind Krieger vor dem Tor! Krieger!»
«Gott steh uns bei», sagte Finan.
Denn irgendjemand musste es tun.
Wieder wurde an das Tor gehämmert. Ich war durch das Lagerhaus in den Hof gehastet und öffnete die kleine Luke in dem Tor. Es waren nur zwei Krieger, beide mit Kettenhemden und gelangweiltem Blick, und sie hatten zwei Männer bei sich, offenkundig Bedienstete, denn sie standen neben einem Handkarren, der mit zwei Fässern beladen war. «Ich öffne das Tor!», rief ich.
«Lass dir ruhig Zeit!», gab einer der Männer im Kettenhemd säuerlich zurück.
Finan und Vidarr waren bei mir. Außerdem lagen da noch zwei Tote und zwei abgeschlachtete Hunde auf dem Hof. Ich deutete auf sie und dann auf den Stall, und Finan packte den einen Leichnam, Vidarr den anderen, und sie begannen, die Toten außer Sichtweite zu ziehen.
«Beeilung!», wurde vor dem Tor gerufen.
«Ich beeile mich ja!», rief ich zurück und hob den ersten Sperrbalken. Ich ließ ihn geräuschvoll fallen und sah Vidarr die Hunde in den Stall schleifen. Ich hob den anderen Balken, ließ mir Zeit, wartete, bis Finan die Stalltür geschlossen hatte, und dann drückte ich das Tor auf.
Einer der beiden Männer, die ich für Bedienstete gehalten hatte, war offenbar so von meinem Erscheinen überrascht, dass er einen Schritt zurücktrat. «Wer seid Ihr?», fragte er.
«Und wer bist du?», erwiderte ich grob.
«Ich bin der Hilfsverwalter aus dem Palast», antwortete er unruhig, «und ich liefere die Vorräte, was sonst? Aber wo ist Ælfrin?»
«Krank», sagte ich, während mir mit einem Mal bewusst wurde, dass ich mein Hammeramulett sichtbar trug. Der Mann, der mir die Frage gestellt hatte, sah es und musterte mich misstrauisch.
«Krank?»
«Fieber.»
«Die meisten der Männer schwitzen wie die Schweine», ergänzte Finan meine Geschichte, «und die Sklaven auch. Ein paar sind sogar schon tot.»
Der Mann trat einen weiteren Schritt zurück, ebenso wie die zwei Krieger. Beide wirkten stark und selbstsicher, doch auch der selbstsicherste Krieger, der die Hölle des Schildwalls durchlebt hat, fürchtet sich vor der Pest. Finan fürchtete sie ebenfalls, und er bekreuzigte sich, denn gewiss waren ihm die Gerüchte von der Krankheit im Norden in den Sinn gekommen.
«Schickt euch der Herr Varin?», fragte ich.
«Freilich», sagte der Hilfsverwalter. «In den letzten beiden Wochen konnten wir nichts bringen, weil die Männer des schönen Knaben das Sagen hatten, aber jetzt ist alles wieder normal.»
«Im Namen Christi, beeilt euch», knurrte einer der Krieger.
«Und Gunnald hat Euch angeheuert?», fragte mich der Hilfsverwalter.
Ich deutete auf das Lagerhaus. «Geh und frag ihn.»
«Er schwitzt auch», sagte Finan, «Gott schütze ihn.»
«Vier Schillinge», sagte der Mann, der die Unterhaltung
offensichtlich satthatte. Er deutete auf den Handkarren. «Bezahlt einfach und nehmt die Fässer.»
«Ich dachte, es wären nur zwei.» Finan hatte den Verstand zu feilschen. «Gunnald hat gesagt, zwei Schillinge.»
Einer der Krieger trat auf uns zu. «Vier Schillinge», blaffte er. «Sie haben uns beide angeheuert, um Eure verdammten Vorräte zu bewachen, also ist der Preis gestiegen. Vier Schillinge.»
Ich tastete nach meinem zusehends leichter werdenden Beutel, gab dem Hilfsverwalter vier Schillinge und half Finan und Vidarr, die beiden Fässer in den Hof zu tragen. Sie stanken.
«Bis nächste Woche!», sagte der Hilfsverwalter. Er gab jedem der Krieger einen Schilling, behielt die beiden anderen ein, und dann gingen alle vier davon.
Ich schloss und verriegelte das Tor. «Was hatte das zu bedeuten?», fragte ich.
Finan stieß einen angeekelten Laut aus. Er hatte den Deckel von einem der Fässer gehoben, das zu zwei Dritteln mit trübem Ale gefüllt war. Er tauchte einen Finger hinein und kostete. «Sauer», sagte er, «schmeckt schlimmer als Dachspisse.»
«Woher weißt du das?», fragte Vidarr.
Finan beachtete ihn nicht, sondern öffnete das zweite Fass und wich zurück, als der Gestank im Hof noch schlimmer wurde. «Lieber Herr Jesus! Und dafür haben wir Silber bezahlt?»
Ich ging zu den beiden Fässern hinüber und sah, dass das zweite halb voll mit Fleisch war, das ich für Schwein hielt, allerdings war dieses Schweinefleisch mit ranzigem Fett durchzogen und wimmelte von Maden. «Gunnald hat gesagt, er gibt ihnen Fleisch zu essen», murmelte ich.
«Ist das Baumrinde?» Finan beugte sich über das Fass und stocherte mit dem Zeigefinger in dem vergammelten Fleisch. «Die Bastarde haben es mit Rinde gemischt!»
Ich rammte den Deckel an seinen Platz zurück. «Woher bekommen sie diesen Dreck?» Die Antwort gab uns einer der gefangenen Wachmänner, der uns erzählte, dass Gunnald eine Abmachung mit dem Verwalter des Palastes hatte, der überzähliges Ale und Lebensmittel verkaufte, um die Sklaven zu ernähren. «Die Frauen kochen es in der Küche», sagte er.
«Das hier werden sie nicht kochen», sagte ich und befahl, den Inhalt der Fässer in den Fluss zu kippen. Der gefangene Wachmann erzählte uns noch mehr, nämlich dass Gunnalds Sohn Sklaven ins Frankenreich gebracht hatte und das Schiff nun seit drei Tagen fort war. «Wollte er auch Sklaven kaufen?», fragte ich.
«Nur verkaufen, Herr.» Der Gefangene hieß Deogol. Er war jünger als die drei anderen Gefangenen und eifrig bemüht, es mir recht zu machen. Er war Westsachse und hatte eine Hand im Kampf verloren, als Edward in Ostanglien eingefallen war. «Ich konnte zu Hause nicht arbeiten», hatte er erklärt und den Stumpf seines rechten Armes gehoben, «und Gunnald hat mir Arbeit gegeben. Ein Mann muss essen.»
«Gunnalds Sohn verkauft also Sklaven?»
«Der Krieg ist nicht gut für den Handel, sagen sie. Die Preise in Lundene sind niedrig, deshalb verkauft er die beste Ware drüben auf der anderen Seite der See. Alle, bis auf…» Er hielt inne, entschied, nichts weiter zu sagen, doch ich sah ihn einen Blick zu der Treppe werfen.
«Bis auf die Mädchen, die oben waren?», fragte ich.
«Ja, Herr.»
«Warum verkauft er sie nicht? Sie scheinen mir wertvoll zu sein.»
«Das sind seine Mädchen, Herr», sagte Deogol kläglich. «Eigentlich die Mädchen seines Vaters, aber die beiden teilen sie sich.»
«Gunnald Gunnaldson und sein Sohn?», fragte ich, und Deogol nickte nur. «Wie heißt der Sohn?»
«Lyfing, Herr.»
«Wo ist seine Mutter?»
«Tot, Herr.»
«Und wer rudert sein Schiff?»
«Sklaven, Herr.»
«Wie viele?»
«Es sind nur zwanzig Riemen», sagte Deogol, «zehn auf jeder Seite.»
«So ein kleines Schiff?»
«Aber es ist schnell», sagte er. «Für das alte da», er wies mit dem Kinn zu dem Wrack an der Anlegestelle, «wurden doppelt so viele Männer gebraucht, und es war trotzdem schwer zu bewegen.»
Also hatte Gunnald ein kleineres, leichteres Schiff gekauft, für das weniger Ruderleute erforderlich waren und das, wenn unser Gefangener recht hatte, schnell genug war, um den meisten Friesen oder Dänen zu entkommen, die nach leichter Beute suchten. Und dieses leichtere Schiff konnte jeden Tag zurückkommen, doch in der Zwischenzeit hatte ich neunzehn befreite Sklaven, vier gefangene Wachleute, ein Dutzend Kinder, meine sieben Männer, einen Priester, Benedetta und die beiden Pferde im Stall durchzufüttern. Glücklicherweise gab es in der Küche ein Dutzend Säcke mit Hafer,
einen Berg Feuerholz, eine gemauerte Feuerstelle, in der immer noch Glut war, und einen großen Kessel. Wir würden nicht verhungern. «Aber dieser Mäusedreck darin ist eine Schande», sagte Finan, der eine Handvoll Hafer beäugte.
«Wir haben schon Schlimmeres gegessen.»
Benedetta, auf deren Gewand die Blutflecken getrocknet waren, fand zu uns in die Küche, einem schmierigen Schuppen am Kai. Sie kam mit Alaina, hatte dem Mädchen den Arm um die Schultern gelegt. «Sie hat Hunger.»
«Wir kochen Hafersuppe», sagte ich.
«Ich kann Haferfladen machen», sagte Alaina strahlend.
«Dann brauchen wir Schmalz», erklärte Benedetta und begann, Kisten und Krüge zu durchforsten, die auf einem Regal standen, «und Wasser. Salz, wenn es welches gibt. Hilf mir suchen!»
«Ich mag Haferfladen», verkündete Alaina.
Ich sah Benedetta fragend an, und sie lächelte. «Alaina macht sich gut», sagte sie, «sie ist ein liebes Mädchen.»
«Und Ihr werdet meine Mama finden?», fragte mich Alaina ernst.
«Natürlich wird er das!», antwortete Benedetta an meiner Stelle. «Der Herr Uhtred kann alles!»
Der Herr Uhtred, dachte ich, würde ein Wunder brauchen, um die Mutter des Kindes zu finden, ganz zu schweigen davon, aus Lundene zu entkommen, doch im Moment war alles, was ich tun konnte, auf die Rückkehr des Sklavenschiffs zu warten. Ich gab Anweisung, die Toten zum Kai zu bringen und an den westlichen Zaun zu legen, sodass sie vor neugierigen Blicken von der Brücke verborgen waren. Sobald es dunkel geworden war, würden wir sie in den Fluss schieben. Gunnalds fetter, blasser, blutüberströmter Leichnam
wurde die Treppe heruntergeschleift, wobei sein verzerrtes, augenloses Gesicht dumpf auf jede Stufe schlug. Ich durchsuchte seinen Speicherunterschlupf und fand einen groben Kasten voller Geld. Da waren westsächsische und mercische Schillinge, dänisches Hacksilber und northumbrisches Gold neben friesischen, fränkischen und anderen, fremden Münzen, von denen einige Schriftzeichen einer Sprache trugen, die mir nie zuvor begegnet war. «Die kommen aus Afrika», erklärte Benedetta und betastete ein großes, rundes Silberstück. «Es sind Saraceni
-Münzen. Wir haben sie in Lupiae benutzt.» Sie legte die Münze wieder zu dem übrigen Geld. «Wie sicher sind wir?», fragte sie.
«Sicher genug», versuchte ich sie zu beruhigen und hoffte zugleich, dass meine Worte zutrafen. «Die Ostanglier werden denken, wir wären alle auf der Spearhafoc
entkommen. Also suchen sie nicht nach uns.»
«Und die Spearhafoc
», sie hatte Schwierigkeiten, den unvertrauten Namen auszusprechen, «ist wo?»
«Längst auf dem Weg nach Hause, hoffe ich.»
«Und werden Eure Leute Hilfe schicken?»
«Sie werden nicht einmal wissen, ob wir noch am Leben sind», sagte ich, «wenn sie also einen Funken Verstand besitzen, dann schließen sie die Festungstore, lassen die Wehrmauern bewachen und warten auf Neuigkeiten.»
«Und was tun wir?»
«Wir erbeuten Gunnalds zweites Schiff», sagte ich, «und folgen der Spearhafoc
in die Heimat.»
«Und bis dahin bleiben wir hier?»
«Besser als in dem Keller mit der Jauchegrube.»
«Herr!», rief Beornoth vom Fuß der Treppe. «Das werdet Ihr sehen wollen!»
Ich ging hinunter zu der Anlegestelle und folgte Beornoth zum Ende des westlich gelegenen Kais, wo Finan auf uns wartete. Der Ire wies mit einem Kopfnicken flussabwärts. «Jede Menge von den Bastarden», sagte er.
Vier Schiffe wurden flussauf gerudert. Sie sahen nach sächsischen Schiffen aus, groß und schwer, und alle vier trugen ein Kreuz auf dem Bug. Es herrschte Ebbe, sodass das Wasser zischend zwischen den Brückenpfeilern hindurchrauschte, doch anscheinend wollte keines der Schiffe weiter stromauf fahren, denn die Segel aller vier Schiffe waren an die Rah gerollt, und keine der Mannschaften machte sich daran, den Mast zu senken. Stattdessen begannen sie eine Wende hin zu den Anlegeplätzen stromab der Brücke. Die Steuermänner kämpften gegen Ebbe und Strömung, und als sie drehten, sah ich, dass sich in den breiten Kielräumen Männer drängten, und dass viele dieser Männer den dunkelroten Umhang trugen, der Æthelhelms Zeichen war. «Die Verstärkungseinheiten», sagte ich.
«Jede Menge von den Bastarden», wiederholte Finan.
Mein einziger Trost, während ich meine Gegner dabei beobachtete, wie sie noch mehr Männer in die Stadt brachten, bestand darin, dass die Spearhafoc
nicht im Schlepptau mitgezogen oder von ihnen zurückgerudert wurde. Nicht dass vier so schwerbeladene Schiffe überhaupt imstande gewesen wären, mein Schiff zu überholen und zu erbeuten, doch es deutete darauf hin, dass Berg und seine Mannschaft an ihnen vorbeigeschlüpft und nun auf dem Weg in den Norden waren. Diese Überlegung brachte mich auf Bebbanburg und die Gerüchte von der Pest. Ich berührte mein
Hammeramulett und betete zu den Göttern darum, dass mein Sohn in Sicherheit war, dass seine Gefangenen gut bewacht wurden und dass Eadgifu und ihre Kinder nicht erkrankten. Ich hatte ihre Söhne vor Æthelhelms Arglist gerettet, aber hatte ich sie stattdessen einem qualvollen Tod durch die Pest entgegengeschickt?
«An was denkst du?» Finan hatte mich meinen Thorshammer berühren sehen.
«Daran, dass wir uns hier verstecken», sagte ich, «wir warten ab, und dann gehen wir nach Hause.»
Nach Hause, dachte ich sehnsüchtig. Ich hätte niemals von dort weggehen sollen.
Wir konnten nichts tun, außer zu warten. Das Schiff unter dem Befehl von Gunnalds Sohn konnte jeden Moment zurückkehren, was bedeutete, dass ich Männer abstellen musste, die an der Anlegestelle Ausschau hielten, und andere Männer, die das Hoftor bewachten, und wieder andere in dem Lagerhaus, in dem wir die gefangen genommenen Wachen in einen der Sklavenkäfige gesperrt hatten. Die Sklaven selbst waren weder angekettet noch eingesperrt, doch ich hatte ihnen verboten zu gehen, weil mir die Gefahr zu groß erschien, dass einer von ihnen unserer Anwesenheit verraten könnte.
Nachts hatten wir die nackten Leichen in den Fluss geschoben. Die Ebbe und die Strömung mussten sie Richtung Osten getragen haben, doch ich war sicher, dass die Körper auf einer Sandbank stranden würden, lange bevor sie die See erreichten. Niemand würde sie sonderlich beachten, denn in diesem Sommer gab es viele Leichen, weil Männer um den Thron von Wessex rangen.
Weitere Schiffe brachten weitere Männer nach Lundene,
Verstärkungstruppen für Jarl Varin, der noch immer im Auftrag Æthelhelms die Garnison befehligte. Das wussten wir, weil nach zwei Tagen ein Ausrufer in der alten Stadt bekannt machte, dass die Leute auch nach Anbruch der Dunkelheit wieder draußen sein durften, und trotz Finans hartnäckiger Warnung ging ich an diesem Abend zu einem großen Gasthaus am Fluss namens Wulfred’s Tavern
, auch wenn es jedermann den Toten Dänen nannte, weil die Ebbe einst einen dänischen Krieger enthüllt hatte, der auf einem der verrottenden Pfosten einer alten Anlegestelle aufgespießt gewesen war. Eine Hand des Mannes hing über Jahre hinweg an den Türpfosten des Wirtshauses genagelt, und jeder der hineinging, berührte einen Finger. Die Hand war lange verschwunden, doch das grobgemalte Bild eines Toten zierte noch immer das Schild über dem Eingang. Ich schob mich hinein, gefolgt von Pater Oda und Benedetta.
Oda hatte mir die Begleitung vorgeschlagen. «Ein Priester fordert Respekt heraus», hatte er behauptet, «nicht Misstrauen. Und Benedetta sollte auch mitkommen, als meine Frau.»
Ich musste mich zügeln, als er Benedetta als seine Frau bezeichnete, doch ich war klug genug, meine Gereiztheit nicht zu zeigen. «Es ist nicht sicher für Frauen», sagte ich.
«Frauen sind den ganzen Tag auf der Straße gewesen», sagte Oda ruhig.
«Benedetta sollte hierbleiben», beharrte ich.
«Die Ostanglier», sagte Oda geduldig, «müssen ahnen, dass sich noch Flüchtlinge in der Stadt verstecken. Sie werden nach jungen Männern suchen, nicht nach einem Priester und seiner Frau. Ihr wollt doch Neuigkeiten erfahren, oder? Also lasst uns mitkommen.
Fremde vertrauen einem Priester.»
«Und wenn Ihr erkannt werdet?»
Er hatte den Kopf geschüttelt. «Ich habe Ostanglien als bartloser Jüngling verlassen. Niemand wird mich jetzt noch erkennen.»
Ich hatte mich in einen großen, dunklen Umhang gehüllt. Ich hatte sowohl Gunnalds Speicher als auch den Raum darunter durchstöbert, in dem sein Sohn wohnte, und dort diesen Kapuzenumhang entdeckt. Ich legte ihn um, gürtete mich mit einem Strick, lieh mir von Gerbruht ein Holzkreuz und hängte es mir um den Hals. Ich trug kein Schwert, nur ein Messer, das unter dem weiten Umhang verborgen war. «Du siehst aus wie ein Mönch», hatte Finan gesagt.
«Gott segne dich, mein Sohn.»
Wir fanden einen Tisch in einer dunklen Ecke des Gasthauses. Es war recht voll. Auf einer Seite des großen Raumes saßen ein paar Leute aus der Stadt, sowohl Frauen als auch Männer, doch die meisten Gäste gehörten zu den Kampftruppen. Fast alle trugen Schwerter, und sie sahen uns neugierig an, wandten aber schnell den Blick ab, als Pater Oda in ihre Richtung ein Kreuz in die Luft zeichnete. Sie waren gekommen, um zu trinken, nicht, um sich eine Predigt anzuhören. Einige waren für mehr als das Trinken gekommen, und sie stiegen die Holztreppe zu den Zimmern hinauf, in denen die Wirtshaushuren ihrem Gewerbe nachgingen. Jeder, der hinaufging, löste Beifall und Jubel unter seinen Gefährten aus, raues Gelärm, das Pater Oda mit einem Stirnrunzeln bedachte, auch wenn er nichts sagte.
«Die Männer, die dort hinaufgehen…», begann Benedetta.
«Ja», gab Oda knapp zurück.
«Das sind junge Männer», sagte ich, «weit weg von zu Hause.»
Eine reizlose junge Frau kam an unseren Tisch, und wir bestellten Ale, Brot und Käse. «Lebt Wulfheard noch?», fragte ich.
Sie sah mich an, konnte unter dem tiefen Schatten meiner Kapuze jedoch nichts erkennen. «Er ist gestorben, Pater.» Offenkundig hielt sie mich für einen weiteren Priester.
«Schade», sagte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. «Ich bringe Euch ein Binsenlicht», sagte sie.
Ich zeichnete vor ihr ein Kreuz in die Luft. «Gott segne dich, mein Kind», sagte ich und erntete ein missbilligendes Einatmen von Oda.
Als der Abend fortschritt, begannen die Ostanglier zu singen. Das erste Lied war auf Dänisch, ein Klagelied der Seefahrer um die Frauen, die sie zurückgelassen hatten, doch dann übertönten die Sachsen in dem Wirtshaus die Dänen mit einem alten Lied, das eindeutig für unserer Ohren bestimmt war, und Pater Oda starrte bei den Worten finster in sein Ale. Benedetta brauchte länger, um es zu verstehen, dann sah sie mich mit großen Augen an. «Es heißt ‹Die Frau des Gerbers›», sagte ich und schlug den Takt auf dem Tisch mit.
«Aber es handelt doch von einem Priester?», fragte Benedetta. «Oder nicht?»
«Doch», zischte Pater Oda.
«Es handelt von der Frau eines Gerbers und einem Priester», sagte ich. «Sie geht zum Beichten zu ihm, und er sagt, dass er nicht versteht, was sie da beichtet, und fordert sie auf, es ihm zu zeigen.»
«Es mit ihm zu tun, meint Ihr?»
«Es mit ihm zu tun», sagte ich, und zu meiner Überraschung lachte sie.
«Ich dachte, wir wären hier, um Neuigkeiten zu erfahren», knurrte Pater Oda.
«Die Neuigkeiten werden von selbst zu uns kommen», sagte ich, und tatsächlich trat einen Moment später, als die ungehobelten Truppen zum nächsten Lied übergegangen waren, ein Mann mittleren Alters mit einem Alekrug und einem Becher an unseren Tisch. Er trug einen kurzgestutzten grauen Bart, das Heft seines Schwertes war abgenutzt, und er hinkte leicht, was von einem Speerstoß in einem Schildwall rühren mochte. Fragend sah er Pater Oda an, der zustimmend nickte, und so setzte sich der Mann auf die Bank mir gegenüber. «Ich bitte um Entschuldigung für dieses Lied, Pater.»
Oda lächelte. «Ich hatte schon früher mit Truppenangehörigen zu tun, mein Sohn.»
Der Mann, der alt genug aussah, um Odas Vater zu sein, hob seinen Becher. «Dann auf Eure Gesundheit, Pater», sagte er.
«Ich bete zu Gott, dass sie gut ist», gab Oda vorsichtig zurück, «ebenso wie deine.»
«Seid Ihr Däne?», fragte der Mann.
«Ich bin Däne», bestätigte Oda.
«Ich auch. Jorund», stellte er sich vor.
«Ich bin Pater Oda, und dies sind meine Frau und mein Onkel.» Oda sprach nun Dänisch.
«Was bringt Euch nach Lundene?», fragte Jorund. Er war freundlich, klang nicht misstrauisch, aber ich zweifelte nicht daran, dass die Ostanglier aufgefordert worden waren, in der Stadt nach Gegnern Ausschau zu halten. Doch genau wie Oda behauptet hatte, sahen ein Priester und seine Frau kaum nach Gegnern aus, und Jorund schien nur neugierig zu sein.
«Wir suchen ein Schiff, das uns übers Meer bringt», sagte Oda.
«Wir gehen nach Rom», warf ich einen Brocken von der Geschichte ein, auf die wir uns geeinigt hatten.
«Wir sind Pilger», erklärte Oda. «Meine Frau kränkelt.» Er legte seine Hand auf Benedettas Hand. «Wir möchten um den Segen des Heiligen Vaters bitten.»
«Es tut mir leid für Eure Frau, Pater», sagte Jorund aufrichtig. Während ich auf die Hand des Priesters starrte, spürte ich erneut einen Anflug von Eifersucht. Ich sah Benedetta an, und sie schaute mit traurigen Augen zurück, und einen Moment lang hielten unsere Blicke einander fest. «Da habt Ihr eine weite Reise vor Euch», fügte Jorund hinzu.
«Eine weite Reise, in der Tat, mein Sohn», gab Oda zurück und schreckte kurz auf, weil Benedetta ruckhaft ihre Hand weggezogen hatte. «Wir suchen hier nach einem Schiff», sprach er weiter, «mit dem wir ins Frankenreich übersetzen können.»
«Es gibt hier reichlich Schiffe», sagte Jorund, «ich wünschte, es wäre nicht so.»
«Warum?», fragte Pater Oda.
«Das ist unsere Aufgabe. Sie zu durchsuchen, bevor sie auslaufen.»
«Durchsuchen?»
«Damit kein Gegner entkommt.»
«Gegner?» Oda gab sich verständnislos.
Jorund trank einen Schluck Ale. «Es hat ein Gerücht gegeben, Pater, dass Uhtredærwe in Lundene war. Wisst Ihr, wer er ist?»
«Jeder weiß das.»
«Dann wisst Ihr auch, dass sie ihn nicht zum Gegner haben wollen.
Also sucht ihn, sagen sie zu uns, sucht ihn und nehmt ihn gefangen.»
«Und tötet ihn?», fragte ich.
Jorund zuckte mit den Schultern. «Irgendwer wird ihn töten, aber ich glaube nicht, dass wir es sein werden. Er ist nicht hier. Warum sollte er hier sein? Es ist nur ein Gerücht. Ein Krieg steht vor der Tür, und das sorgt immer für Gerüchte.»
«Hat der Krieg nicht schon angefangen?», fragte Pater Oda. «Hier wurde gekämpft, wie ich gehört habe.»
«Es gibt immer Kämpfe», sagte Jorund missmutig. «Ich meine einen richtigen Krieg, Pater, einen Krieg mit Schildwällen und Heeren. Und das sollte nicht sein, das sollte nicht sein.»
«Sollte nicht sein?», fragte Oda behutsam nach.
«Die Erntezeit kommt bald, Pater. Wir sollten nicht hier sein, nicht jetzt. Wir sollten zu Hause sein, die Sicheln wetzen. Es gibt ordentlich Arbeit zu tun! Weizen, Gerste und Roggen ernten sich nicht selbst!»
Die Erwähnung von Gerste ließ meine Finger nach meinem Hammeramulett tasten, nur um das Holzkreuz zu berühren. «Du wurdest hierher berufen?», fragte ich.
«Von einem sächsischen Herrn», sagte Jorund, «der nicht auf die Ernte warten will.»
«Dem Herrn Æthelhelm?»
«Coenwald», sagte Jorund, «aber er hat Land von Æthelhelm, also ja, es ist Æthelhelm, der uns gerufen hat, und Coenwald muss gehorchen.» Er hielt inne, um sich aus seinem Alekrug nachzuschenken.
«Und Coenwald hat dich einberufen?», fragte ich.
«Er hatte ja keine große Wahl, oder? Ernte hin oder her.»
«Hattest du eine Wahl?», fragte Oda.
Jorund zuckte erneut mit den Schultern. «Wir haben Coenwald Gefolgschaft geschworen, als wir zum christlichen Glauben übergetreten sind.» Er schwieg einen Moment lang, dachte vielleicht daran, wie die dänischen Siedler von Ostanglien ihren Krieg um die Beibehaltung eines dänischen Königs verloren hatten. «Wir haben gegen ihn gekämpft und verloren, aber er hat uns verschont, hat uns unser Land gelassen, und er lässt uns für unser Auskommen arbeiten, also müssen wir jetzt für ihn kämpfen.» Er zog die Augenbrauen hoch. «Vielleicht ist bis zur Ernte schon alles vorbei.»
«Gott gebe es», sagte Oda leise.
«Vielleicht kommt es ja nicht zum Krieg», warf ich ein.
«Wenn sich zwei Männer um einen Stuhl streiten?», fragte Jorund bissig. «Gute Männer werden sterben müssen, nur um zu entscheiden, welcher königliche Arsch das verdammte Ding am Ende wärmt.» Er drehte sich um, als wütende Stimmen erklangen, dann jagte mir das Kreischen einer Frau einen Schauder über den Rücken. «Oh Gott», stöhnte Jorund.
Die wütenden Rufe waren aus dem oberen Stockwerk gekommen. Ein Aufschrei ertönte, dann wurde ein junger Mann die Treppe hinuntergeworfen. Er fiel Hals über Kopf die Stufen hinunter, stürzte auf den Fußboden und rührte sich nicht mehr. Männer erhoben sich, um ihm zu helfen oder gegen die Gewalt Einspruch zu erheben, doch dann wurden sie alle vollkommen still.
Sie wurden still, weil ein Mann die Treppe herunterkam. Ein großer Mann. Das Erste, was wir von ihm sahen, waren seine Stiefel, dann die gewaltigen Oberschenkel und schließlich sein Gesicht. Waormund. Sein Oberkörper war nackt, seine Kleidung hatte er sich
über den Arm gehängt. Er trug einen Schwertgürtel mit einem Schwert in der Scheide; eine große Klinge für einen großen Mann. Im Gasthaus war nicht das geringste Geräusch zu hören, abgesehen von seinen schweren Schritten auf der Treppe. Nach ein paar Stufen blieb er stehen, und der Blick aus seinem harten, vernarbten Gesicht mit den ausdruckslosen Augen wanderte durch den Raum. Benedetta schrak auf, und ich legte meine Hand auf ihre, damit sie ruhig blieb.
«Abschaum!», schnauzte Waormund. «Der kleine dänische Bastard wollte meine Frau gebrauchen. Hat mir gesagt, ich soll mich beeilen! Hat es sonst noch jemand eilig damit, sie zu gebrauchen?» Er wartete, doch niemand gab einen Laut von sich. Er war furchterregend; die Breite seiner muskelbepackten Brust, das höhnische Grinsen auf seinem Gesicht und die Maße des schweren Schwertes hatten alle im Raum eingeschüchtert. Benedetta umklammerte meine Hand nun fest unter dem Tisch.
Waormund kam die letzten Stufen herunter. Wieder blieb er stehen, den Blick auf den Jüngling gesenkt, der ihn verärgert hatte. Dann begann er, ihn gezielt zu treten. Ein Tritt folgte auf den anderen. Von dem Jungen kam ein erstickter Schrei, dann waren nur noch die dumpfen Geräusche zu hören, mit denen Waormunds klobiger Stiefel auf den bäuchlings daliegenden Körper traf. «Ostanglische Weichlinge!», knurrte Waormund. Wieder sah er sich in dem Gasthaus um, hoffte offenkundig, dass ihn jemand herausfordern würde, doch noch immer standen alle da wie erstarrt. Sein Blick glitt auch über unsere Ecke, doch er sah nur zwei Gestalten mit Kapuzen und einen Priester. Das Binsenlicht war schwach, der Raum düster, und er beachtete uns nicht. «Gottverdammte dänische Weichlinge!» Er wollte noch immer einen Kampf heraufbeschwören, doch als
niemand darauf einging, nahm er einen Alekrug vom nächstbesten Tisch, leerte ihn und stapfte in die Dunkelheit hinaus.
Benedetta weinte leise. «Ich hasse ihn», flüsterte sie, «ich hasse ihn.»
Ich hielt weiter ihre Hand unter dem Tisch. Männer liefen dem jungen Mann zu Hilfe, und die Unterhaltungen kamen wieder in Gang, wenn auch gedämpft. Jorund, der aufgestanden war, als der Junge die Treppe hinuntergeworfen wurde, war gegangen, um sich den Schaden anzusehen, den Waormund angerichtet hatte. «Der arme Junge», sagte er bei seiner Rückkehr, «Rippen gebrochen, Eier zerquetscht, die Hälfte der Zähne weg, und er kann von Glück reden, wenn er ein Auge behält.» Er setzte sich und trank einen Schluck. «Ich hasse diesen Mann», fügte er bitter hinzu.
«Wer ist er?», fragte ich.
«Der Bastard heißt Waormund. Ist der Mastiff von Herrn Æthelhelm.»
«Und er scheint Dänen nicht zu mögen», sagte ich milde.
«Dänen!», erwiderte Jorund trocken. «Er mag niemanden. Ganz gleich, ob Sachse oder Däne.»
«Was ist mit dir?», fragte Pater Oda. «Du hast gegen die Sachsen gekämpft, und doch kämpfst du jetzt an ihrer Seite?»
Jorund lachte in sich hinein. «Sachse und Däne! Das ist eine Zwangsheirat, Pater. Die meisten meiner Gefährten sind Sachsen, aber vielleicht ein Drittel sind Dänen, und ich muss die einfältigen Bastarde ständig daran hindern, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Aber so sind junge Männer, nicht wahr?»
«Du führst Männer an?», fragte ich überrascht.
«So ist es.»
«Ein Däne, der Sachsen anführt?», erklärte ich meine Überraschung.
«Die Welt ändert sich, nicht wahr?» Jorund klang belustigt. «Coenwald hätte mir mein Land nehmen können, doch das hat er nicht getan, und er weiß, dass ich der erfahrenste von all seinen Kriegern bin.» Er wandte sich zum Raum um. «Die meisten dieser Burschen haben keine Erfahrung. Sie haben nie einen richtigen Kampf gesehen. Gott steh ihnen bei, sie denken, es ist so etwas wie eine Wirtshausschlägerei mit Speeren. Aber ich hoffe trotzdem, dass jeder Einzelne von ihnen wieder nach Hause kommt, und zwar bald!»
Jorund war ein guter Mann, dachte ich, doch das Schicksal, dieses unberechenbare Luder, mochte verlangen, dass ich ihm eines Tages in einem Schildwall gegenüberstand. «Ich hoffe, du führst sie sehr bald nach Hause», sagte ich, «und dass du deine Ernte sicher einbringen kannst.»
«Darum bete ich auch», sagte Jorund. «Und ich bete darum, mein Lebtag lang keinen Schildwall mehr zu sehen. Aber wenn es ein richtiger Krieg wird, dann dauert er nicht lange.»
«Nicht?», fragte ich.
«Es sind wir und die Westsachsen gegen die Mercier. Zwei gegen einen, versteht Ihr?»
«Vielleicht werden die Northumbrier an der Seite der Mercier kämpfen», gab ich mutwillig zu bedenken.
«Sie werden nicht in den Süden kommen», sagte Jorund verächtlich.
«Aber du hast doch von einem Gerücht darüber geredet, dass Uhtred von Bebbanburg schon hier sein soll», sagte ich.
«Wenn er hier wäre», sagte Jorund geradeheraus, «hätte er seine Streitmacht von Wilden aus dem Norden
bei sich. Davon abgesehen, geht da oben die Pest um.» Er bekreuzigte sich. «Wir hören so manches», fuhr er fort, «und es heißt, Jorvik ist eine Totenstadt.»
«Jorvik!» Ich konnte das Erschrecken in meinem Ton nicht verbergen.
«So heißt es.»
Ein kalter Schauder überlief mich. Meine Hand hob sich, um das Hammeramulett zu berühren, und traf wieder nur auf Gerbruhts hölzernes Kreuz. Pater Oda sah meine Handbewegung. «Ich bete zu Gott, dass es nur ein Gerücht ist», sagte der Priester hastig. «Rückt ihr bald aus der Stadt aus?», fragte er Jorund in dem offenkundigen Versuch, das Gespräch von der Angst vor der Pest abzulenken.
«Das weiß Gott, Pater», sagte Jorund, «und Gott verrät es mir nicht. Wir bleiben hier, oder vielleicht bleiben wir auch nicht hier. Vielleicht wird uns der Bursche aus Mercien Ärger machen, vielleicht aber auch nicht. Wenn er einen Funken Verstand hat, tut er es nicht.» Er verteilte das letzte Ale aus seinem Krug in unsere Becher. «Aber ich bin nicht gekommen, um Euch mit Gerede über den Krieg zu langweilen, Pater», sagte er, «sondern weil ich mich gefragt habe, ob Ihr so freundlich wärt, uns einen Segen zu erteilen.»
«Mit Freuden, mein Sohn», sagte Pater Oda.
«Ich hoffe, Ihr erholt Euch, Herrin», sagte Jorund zu Benedetta. Sie hatte das Gespräch auf Dänisch nicht verstanden, aber sie bedankte sich mit einem Lächeln bei Jorund, der nun die Männer im Raum zur Ruhe rief.
Pater Oda erteilte den Segen, ermahnte seinen Gott, Frieden zu bringen und das Leben aller Männer in dem Gasthaus zu verschonen. Jorund dankte ihm, dann brachen wir auf und gingen eine Weile
schweigend die Straße am Fluss entlang. «Also durchsuchen sie alle auslaufenden Schiffe», sagte Oda schließlich.
«Aber sie haben keine Männer auf Gunnalds Hof», sagte ich. «Sobald wir das Schiff haben, brechen wir im Morgengrauen auf, hoffen darauf, dass Ebbe sein wird, und rudern kräftig.» Ich ließ es einfach klingen, doch ich wusste es besser, und wieder traf ich auf das Kreuz, als ich mein Hammeramulett berühren wollte.
Wir gingen schweigend weiter, und dann lachte Pater Oda leise vor sich hin. «Was ist?», fragte ich.
«Wilde aus dem Norden», er klang belustigt.
War das unser Ruf? Wenn es so war, gefiel es mir. Doch die Wilden aus dem Norden, oder zumindest eine Handvoll von ihnen, saßen in der Falle, und unsere Wildheit würde uns nichts einbringen, solange es uns nicht gelang zu entkommen. Wir brauchten ein Schiff.
Und am nächsten Morgen kam es.