Vierter Teil
Schlangenhauch
Elf
Die Morgendämmerung kam mit Nebel, der auf den Auen hing, über die römische Stadtmauer zog und sich mit dem Rauch der Herdfeuer von Werlameceaster vermischte. Männer führten Pferde durch die Straßen der Stadt, und ein Priester bot ihnen vor einer kleinen Holzkirche den Segen an. Dutzende Krieger knieten nieder, um ein leises Gebet und eine Berührung seiner Finger auf ihrer Stirn zu empfangen. Frauen trugen Kübel mit Wasser von den Brunnen nach Hause.
Niemand hatte während der kurzen Sommernacht versucht, die Stadt zu verlassen. Merehwalh hatte die Anzahl der Späher verdoppelt, die Werlameceasters Tore und Mauern bewachten. Diese Männer würden als kleine Garnison in der Stadt bleiben, während wir Übrigen, einhundertachtzig Mann unter meinem und zweihundert unter Merewalhs Befehl, den Gegner in Lundene angriffen.
Ich war schon lange wach, als die Dämmerung den Nebel silbrig aufscheinen ließ. Ich hatte mein Kettenhemd angelegt, den Schwertgürtel mit der erbeuteten Klinge umgeschnallt, und dann blieb mir nichts weiter zu tun, als dazusitzen und die Männer zu betrachten, die in den Kampf ziehen mussten, und die Frauen, die sie zurückließen.
Benedetta kam zu mir auf die Bank, in einer Straße, die von dem weitläufigen Platz vor dem großen Palas wegführte. Alaina, die Benedetta mittlerweile überallhin folgte, setzte sich auf die gegenüberliegende Straßenseite und behielt uns ängstlich im Blick. Sie hatte ein Kätzchen gefunden und streichelte es, ohne ihre Augen von uns abzuwenden.
«Dann werdet Ihr also heute aufbrechen», sagte Benedetta schließlich.
«Ja, heute.»
«Und was ist morgen? Und übermorgen?»
Ich hatte keine Antwort auf das, was sie damit eigentlich fragen wollte, und so schwieg ich. Eine Krähe flog von einem Dach herunter, pickte an etwas auf dem Platz herum und flog wieder auf. War das ein Omen? Ich hatte an diesem Morgen versucht, jedes Zeichen zu lesen, hatte jeden Vogel im Nebel beobachtet, hatte versucht, mich an das zu erinnern, was ich geträumt hatte, doch nichts ergab Sinn. Ich zog das erbeutete Schwert und musterte seine Klinge, fragte mich, ob in dem matten Stahl eine Botschaft verborgen war. Nichts. Ich legte das Schwert weg. Die Götter schwiegen.
«Wie fühlt Ihr Euch?», fragte Benedetta.
«Leicht angeschlagen», sagte ich, «das ist alles.» Mein Körper war steif, meine Schultern taten weh, meine Armmuskeln stachen, meine Schürfwunden brannten, die Innenseite meiner Wange war angeschwollen, in meinem Kopf pochte es, und meine Rippen waren geprellt, wenn nicht gebrochen.
«Ihr solltet nicht gehen», sagte Benedetta entschieden, und als ich nicht darauf einging, wiederholte sie für sich selbst: «Ihr solltet nicht gehen, es ist gefährlich.»
«Jeder Kampf ist gefährlich.»
«Gestern Abend», sagte sie, «hat sich Pater Oda mit mir unterhalten. Er meint, Euer Vorhaben ist Wahnwitz.»
«Es ist Wahnwitz», stimmte ich zu, «aber Pater Oda will, dass wir angreifen. Er war derjenige, der Merewalh von dem Angriff überzeugt hat.»
«Aber er hat gesagt, es sei der Wahnwitz Gottes, und deshalb wärt Ihr gesegnet.» Zweifel klang aus ihrer Stimme.
Der Wahnwitz Gottes. Hatten mir meine eigenen Götter deshalb kein Zeichen gesandt? Weil dies der Wahnwitz des Christengottes war, nicht der meiner Götter? Anders als die Christen, die darauf beharren, dass alle anderen Götter falsch sind, sogar darauf beharren, dass es sie nicht gibt, habe ich immer anerkannt, dass der angenagelte Gott Macht besitzt. Würde uns der christliche Gott womöglich den Sieg schenken? Oder würden mich meine Götter, erzürnt darüber, dass ich diese Hoffnung hegte, mit dem Tode bestrafen?
«Aber Gott ist nicht wahnsinnig», fuhr Benedetta fort, «und Gott wird Euren Tod nicht wollen.»
«Und doch beten Christen schon seit Jahren um meinen Tod.»
«Dann sind sie es, die wahnsinnig sind», sagte sie überaus ernst, und als ich lächelte, wurde sie wütend. «Warum geht Ihr dorthin? Erklärt mir das! Warum?»
«Um mein Schwert zu holen», sagte ich, weil ich im Grunde keine Antwort auf ihre Frage wusste.
«Dann seid Ihr selbst wahnsinnig», kam es mit Entschiedenheit von ihr.
«Es ist nicht wichtig, ob ich gehe», sagte ich nachdenklich, «aber
ich sollte keine anderen Männer mitnehmen.»
«Weil sie sterben werden?»
«Weil ich sie zu ihrem Tod führen werde, ja.» Ich hielt inne und wollte unwillkürlich mein Hammeramulett berühren, doch es war natürlich nicht da. «Oder vielleicht zu einem Sieg?», fügte ich hinzu.
Sie hörte den Zweifel in meinen Worten. «An welchen Ausgang», bedrängte mich Benedetta, «glaubt Ihr tief in Eurem Herzen?»
Ich konnte nicht die Wahrheit eingestehen, die lautete, dass ich sehr versucht war, Merewalh zu erklären, wir sollten den Angriff aufgeben. Der einfachste Weg wäre, Æthelhelm und Æthelstan ihren Streit untereinander austragen zu lassen, während ich nach Norden ging, nach Hause, nach Bebbanburg.
Und doch bestand eine Möglichkeit, eine geringe Möglichkeit, dass unser Plan den Krieg beenden konnte, noch bevor er richtig begonnen hatte. Merewalh sollte zweihundert Reiter südwärts führen, um Æthelhelms kleine Garnison in Toteham anzugreifen, und dann weiter nach Lundene reiten. Bis zum Abend würde er in der Nähe der Stadt sein und zweifellos Versorgungstrupps begegnen, die flüchten würden, um Æthelhelms Männern zu berichten, dass eine gegnerische Kampfeinheit anrückte. Danach, wenn es dunkel wurde, würden seine Männer in der Heidelandschaft, die sich etwa drei Meilen nördlich der Stadt erstreckte, so viele Lagerfeuer entzünden, wie sie nur konnten. Der Schein dieser Feuer würde die Garnison der Stadt davon überzeugen, dass ein Heer zur Belagerung gekommen war, und wenn es hell wurde, würde ihre Aufmerksamkeit nach Norden gerichtet sein, sie würden Spähtrupps ausschicken, um die Stärke des Gegners auszukundschaften, und dafür sorgen, dass die Stadtmauern vollständig bemannt waren.
Und mein Plan war es, diesen Moment auszunutzen, um eine kleinere Einheit in die Stadt zu führen und dem Gegner einen Stoß in die Eingeweide zu versetzen, wie jener, mit dem ich Heorstan getötet hatte. Doch ebenso, wie sich Fleisch an einem Schwert festsaugt, sodass es zuweilen beinahe unmöglich ist, die Klinge freizuziehen, würden uns Æthelhelms Männer in ihrer Überzahl umzingeln. Pater Oda war überzeugt, dass die Ostanglier die Seiten wechseln würden, doch nach meiner Vermutung würde dies nur geschehen, wenn wir zuvor Æthelhelm und seinen Neffen König Ælfweard getötet oder gefangen genommen hatten. Und das war der Grund, aus dem ich nach Lundene ging, nicht nur, um Schlangenhauch zurückzuholen, sondern um meine Gegner zu töten.
«Der Gegner weiß, dass Ihr kommt!», ereiferte sich Benedetta.
Ich lächelte sie an. «Der Gegner weiß, was ich ihn wissen lassen will. Deshalb haben wir Heorstans Männer gestern nach Süden reiten lassen, um den Gegner zu täuschen.»
«Und das soll schon genügen?», fragte sie. «Den Gegner zu täuschen? Das soll Euch den Sieg bringen?», spottete sie. Ich schwieg. «Ihr belügt mich, weil Ihr Euch in Wahrheit nicht wohlfühlt. Eure Rippen! Ihr habt Schmerzen. Denkt Ihr, dass Ihr kämpfen könnt? Glaubt Ihr das?»
Erneut sagte ich nichts, denn tief in meinem Inneren lauerte die Versuchung, den Eid zu brechen, den ich Æthelstan geschworen hatte. Warum sollte ich seine Gegner töten, selbst wenn sie auch meine waren? Wenn ein großer Krieg zwischen Wessex und Mercien ausbrach, wäre mein Land sicherer. Mein ganzes Erwachsenenleben lang hatte ich zugesehen, wie Wessex mächtiger wurde, die Dänen besiegte, Mercien unterwarf und Ostanglien eroberte, und all das, um
König Alfreds Traum davon zu verwirklichen, dass es ein geeintes Land für alle geben sollte, die Ænglisc sprachen, die Sprache der Sachsen. Doch auch in Northumbrien wurde diese Sprache gesprochen, und Northumbrien war mein Land, und Northumbrien wurde von dem letzten Heidenkönig Britanniens regiert. Wollte ich mit ansehen, wie Northumbrien von einem größeren Land, einem christlichen Land geschluckt wurde? Besser wäre es, dachte ich, die Sache von Æthelstan und Ælfweard auskämpfen zu lassen, damit sie sich gegenseitig schwächten. Und all das stimmte wohl, nur dass ich einen Eid geschworen und mein Schwert verloren hatte. Manchmal wissen wir nicht, warum wir tun, was wir tun, das Schicksal treibt uns vor sich her, durch einen Überschwang der Gefühle oder einfach durch Torheit.
«Ihr schweigt», sagte Benedetta anklagend, «Ihr antwortet mir nicht.»
Ich stand auf und nahm das Schwert, das ich zum Kampf tragen würde, empfand den schmerzlichen Verlust des Schwertes, das ich tragen wollte. Ich ließ die Klinge in die Scheide gleiten. «Es ist Zeit zum Aufbruch.»
«Aber Ihr…», begann sie.
«Ich habe einen Eid geschworen», unterbrach ich sie schroff, «und ich habe ein Schwert verloren.»
«Und was wird aus mir?», fragte sie mich beinahe weinend. «Und aus Alaina?»
Ich beugte mich herab und schaute in ihr schönes Gesicht. «Ich werde dich holen», sagte ich, «und die Kinder. Wenn es vorbei ist, gehen wir alle nach Norden.»
Ich dachte an Eadith in Bebbanburg und schob diesen
unbehaglichen Gedanken beiseite. Einen Herzschlag lang war ich versucht, Benedettas Wange zu berühren, ihr zu versichern, dass ich zurückkommen würde, doch stattdessen wandte ich mich ab.
Denn es war Zeit zum Kämpfen.
Besser gesagt, es war Zeit, wieder über die Pilgerstraße zu reiten, die große Straße zu überqueren, um den Fluss Ligan zu erreichen, und das bedeutete, an dem Hügel vorbeizukommen, auf dem mich Waormund gedemütigt hatte. Ich konnte mich kaum dazu bringen, den Blick zu dem Hang mit der Hecke zu heben oder ihn auf die trockenen Karrenfurchen der Straße zu senken, die meine Haut aufgerissen hatten. Ich litt Qualen. Finan ritt zu meiner Rechten, sein abgenutzter Helm hing an seinem Sattelknauf, und auf dem Kopf trug er einen breitkrempigen Hut aus Roggenstroh, der seine Augen vor der aufgehenden Sonne schützte. Wihtgar, mit dem sich Finan offenbar angefreundet hatte, ritt auf Finans anderer Seite, und die beiden führten ein Streitgespräch über Pferde. Wihtgar behauptete, ein Wallach könne mit Leichtigkeit jeden Hengst überholen, worauf Finan erwartungsgemäß zurückgab, die irischen Pferde seien so schnell und so tapfer, dass sie kein Pferd der Welt überholen könne, auch wenn er einräumte, dass Sleipnir womöglich eine Ausnahme darstellte. Wihtgar hatte nie von Sleipnir gehört, also musste Finan erklären, dass Sleipnir das achtbeinige Pferd Thors war, worauf Wihtgar zurückgab, Sleipnirs Mutter müsse wohl eine Spinne gewesen sein, was sie beide zum Lachen brachte.
In Wahrheit, das versteht sich, redete Finan, um mich abzulenken. Er hatte absichtlich gesagt, Sleipnir sei Thors Pferd, obwohl er ganz genau wusste, dass es Odins Hengst war, nur um mich
damit zur Richtigstellung herauszufordern. Ich hüllte mich weiter in Schweigen.
Merewalh war zuerst aufgebrochen, hatte sich mit seinen zweihundert Mann an der großen Straße Richtung Süden gewandt und war längst außer Sicht, als wir die Straße überquerten und nach Osten weiterritten. Wir zählten einhundertachtzig Mann, von denen sechzig zu Brihtwulfs Einheiten gehörten und von ihm selbst sowie von Wihtgar, seinem erfahrensten Krieger, angeführt wurden. Ein Dutzend Bedienstete, dessen Aufgabe es sein würde, die Pferde nach Werlameceaster zurückzubringen, begleitete uns mit Packpferden, die wir mit Ale-Fässern und Kisten voller Haferfladen beladen hatten. Meine wenigen Männer, alle auf erbeuteten westsächsischen Pferden, ritten hinter mir, doch die übrige Truppe bestand aus Merciern, die, von Pater Odas Rede beflügelt, mit uns hatten kommen wollen. Der Priester war ebenfalls bei uns, obwohl ich seine Begleitung nicht gewollt hatte. «Ihr seid ein Priester», hatte ich ihm erklärt, «und wir brauchen Krieger.»
«Ihr braucht den lebendigen Gott an Eurer Seite», hatte er hitzig zurückgegeben, «und noch mehr.»
«Noch mehr Götter?», hatte ich gestichelt.
«Ihr braucht einen Ostanglier», hatte er gesagt, ohne auf mein Gespöttel einzugehen. «Ihr gebt vor, Æthelhelms Männer zu sein, aber Ihr wisst nichts über seine östlichen Besitzungen und nichts über seine Pächter. Ich jedoch schon.»
Damit hatte er recht gehabt, und so ritt er mit uns, auch wenn er sowohl Kettenhemd als auch Bewaffnung ablehnte. Ich trug ein langes, einfaches Schwert mit einem Heft aus Eschenholz. Die Klinge, die mir Merewalh gegeben hatte, besaß keinen Namen. «Aber es ist
ein gutes Schwert, Herr», hatte er mir versichert, und das war es auch, doch es war kein Schlangenhauch.
Am Ligan angekommen, wandten wir uns nach Süden. Wihtgar hatte Späher vorausgeschickt, die mit der Nachricht zurückkamen, dass in dem Dorf an der Furt über den Ligan keine Einheiten mit roten Umhängen waren. «Und auch kein Schiff», berichtete einer der Späher. Ich hatte angenommen, dass das Schiff, auf dem uns Waormund verfolgt hatte, bei der Furt auf Grund lag, und so war es vermutlich gewesen, doch nun war es offensichtlich verschwunden. «Habt ihr die Furt überquert?», fragte ich.
«Nein, Herr. Wir haben getan, was uns aufgetragen war. In dem Dorf nach Gegnern Ausschau halten. Man hat uns erzählt, dass sie vor zwei Tagen abgerückt sind.»
Wenn dies zutraf, war es eine Erleichterung. Dass Merewalhs zweihundert Mann von Æthelhelms Einheiten entdeckt werden könnten, bereitete mir keine Sorgen, tatsächlich wollten wir sogar, dass sie entdeckt wurden. Wir wollten, dass die Besatzungstruppen in Lundene nach Norden Ausschau hielten, Merewalh beobachteten, während sich meine kleinere Einheit nach Süden bewegte. Doch um uns nach Süden zu bewegen, brauchten wir Schiffe, und wir mussten ungesehen bleiben.
Spritzend durchquerten wir die Furt des Ligan zum ostanglischen Ufer, wandten uns wieder nach Süden und ritten zu dem großen Holzplatz, an dem ich bei unserer Fahrt flussauf mit der Brimwisa
vier Bargen gesehen hatte, die mit gespaltenen Stämmen beladen worden waren.
Drei der Bargen waren noch da. Sie waren plattbodig, für die Arbeit auf dem Fluss gebaut, mit breitem Rumpf, gerundetem Bug
und einem Steuerblatt von den Ausmaßen eines kleinen Scheunentors. Alle drei besaßen Masten, doch diese Masten waren umgelegt, lagen der Länge nach zusammen mit ihren Wanten, je einer Rah und einem säuberlich aufgerollten Segel in den breiten, flachen Booten. Es gab keine Ruderbänke, stattdessen standen die Ruderer und nutzten ein Dutzend Rudergabeln für ihre langen, schweren Riemen. Es waren schauderhafte, schwerfällig wirkende Boote, doch sie würden uns nach Lundene bringen. Ich stieg vom Pferd, zuckte unter dem Schmerz in meinen Rippen zusammen, und ging auf die Bargen zu.
«Die könnt Ihr nicht nehmen!» Ein älterer Mann stürmte zornig aus einem Haus neben einem großen, offenen Schuppen, in dem Holzstämme trockneten. Er sprach Dänisch. «Die könnt Ihr nicht nehmen!», wiederholte er.
«Willst du uns daran hindern?» Es war Wihtgar, der diese Erwiderung knurrte, ebenfalls auf Dänisch, was mich überraschte.
Der Mann warf einen Blick in Wihtgars vernarbtes Gesicht, und sein Widerstandsgeist erlosch augenblicklich. «Wie bekomme ich sie zurück?», jammerte er.
Ich beachtete seine Frage nicht. «Der Herr Æthelhelm braucht sie», sagte ich, «und zweifellos wird er sie zurückgeben.»
«Der Herr Æthelhelm?» Nun war der alte Mann verwirrt.
«Ich bin sein Cousin, Æthelwulf», sagte ich, wobei ich den Namen von Æthelhelms jüngerem Bruder benutzte, der, so hoffte ich, immer noch als Gefangener in Bebbanburg war. Unwillkürlich wollte ich mein Hammeramulett berühren, um den Gedanken an die Pest im Norden abzuwehren. Ich hatte kein Amulett, aber ich hatte meinen Beutel mit Geld, den mir Finan zurückgegeben hatte, und so gab ich
dem Mann Hacksilber. «Wir schließen uns meinem Cousin in Lundene an», erklärte ich ihm, «also such dort nach deinen Schiffen.» Dann sah ich eine dünne Silberkette unter seinem Wams, streckte die Hand aus, um sie hervorzuziehen, und stellte fest, dass er einen silbernen Thorshammer trug. Verängstigt wich er zurück. Auf unsere Schilde waren Kreuze eingebrannt, und seine Furcht vor christlicher Rachsucht war offenkundig. «Wie viel?», fragte ich.
«Wie viel, Herr?»
«Für den Hammer.»
«Zwei Schillinge, Herr.»
Ich gab ihm drei, dann hängte ich mir den Thorshammer um den Hals und berührte ihn mit dem Zeigefinger. Es war ein Trost.
Eine der Bargen war halb mit Stapeln gespaltener Stämme beladen, und wir entluden sie, dann wartete ich auf den Gezeitenwechsel. Ich setzte mich auf einen dicken Eichenstamm und schaute über den Fluss, der langsam und träge dahinstrudelte. Zwei Schwäne glitten mit der Flut stromaufwärts. Ich dachte an Eadith und an Benedetta, als mich eine Stimme aus meinen Gedanken riss. «Ihr habt uns als Männer von Herrn Æthelhelm ausgegeben, Herr?» Wihtgar stand vor mir.
«Ich wollte nicht, dass er sich bei Æthelhelm beschwert», erklärte ich. Es war zwar nicht wahrscheinlich, dass der ältere Mann einen Boten nach Lundene schicken würde, aber auch in der Umgegend sollte sich nicht die Nachricht verbreiten, dass eine mercische Kampfeinheit Boote an sich brachte. «Außerdem», fuhr ich fort, «sind wir jetzt Æthelhelms Männer, oder jedenfalls so lange, bis wir anfangen, sie zu töten.» Wir hatten reichlich erbeutete rote Umhänge, und wir hatten die kohlschwarzen Kreuze auf unseren
Schilden. Ich sah zu Wihtgar auf. «Du sprichst also Dänisch?» Das war ungewöhnlich für einen Sachsen.
Er grinste mich schief an. «Bin mit einer Dänin verheiratet, Herr.» Er berührte die runzelige Narbe, wo sein linkes Ohr gewesen war. «Das war ihr Ehemann. Er hat mein Ohr bekommen. Ich habe seine Frau bekommen. Ein gerechter Tausch.»
«Allerdings», sagte ich. «Hat er überlebt?»
«Nicht lange, Herr.» Er klopfte auf das Heft seines Schwertes. «Dafür hat Flæscmangere gesorgt.»
Ich lächelte leicht. Flæscmangere war ein guter Name für ein Schwert, und diese Schlachter-Klinge, dachte ich, würde in Lundene bald einiges zu tun bekommen.
Es war Mittag, bevor die Ebbe kam, doch schon ehe der Gezeitenwechsel einsetzte, als noch Stillwasser herrschte, machten wir die Leinen los, stakten die Schiffe von der Anlegestelle weg und begannen, flussabwärts zu fahren. Es war wieder ein strahlender Sommertag, zu warm, um ein Kettenhemd zu tragen. Die Sonne schillerte auf den Kräuselwellen des Flusses, schwacher Westwind bewegte das Laub der Weiden, und langsam, langsam und schwerfällig, bewegten wir uns stromab. Wir benutzten die Riemen, doch es ging unbeholfen zu, weil die Mercier nicht ans Rudern gewöhnt waren. Ich hatte Gerbruht auf der zweiten Barge eingesetzt und Beornoth auf der dritten, weil sie beide friesische Seemänner waren und beide Erfahrung mit Booten hatten. Ihre Bargen schaukelten hinter uns her, die Riemen tauchten spritzend ein und schlugen gegeneinander, und größtenteils waren es die Strömung des Flusses und die stärker werdende Ebbe, die uns nach Süden brachten.
Am späten Nachmittag erreichten wir die Temes, und dort
entdeckte ich den Zweck der vier großen Pfosten, die an der Einmündung des Ligan in den größeren Strom aus dem Flussbett ragten. Eine Heubarge hatte an einem der Pfosten festgemacht. Die Besatzung, nur drei Mann, wartete lieber auf den Gezeitenwechsel, statt auf Grund zu laufen. Ihre Barge schwamm an dem Pfosten vertäut auf dem Wasser, was bedeutete, dass sie nicht darauf angewiesen waren, von der Flut aus dem Schlamm gehoben zu werden, sondern schon den ersten starken Schub nutzen konnten, um sich Richtung Lundene tragen zu lassen. Wir machten neben ihnen fest, und dann warteten wir erneut.
Die Sonne brannte herab. Inzwischen regte sich kaum noch ein Lüftchen. Keine Wolken. Doch im Westen zog sich ein breiter, dunkler Streifen über den Himmel, so unheilverkündend wie eine Gewitterwand. Das war der Rauch von Lundene. Es war eine Stadt der Finsternis, ging es mir durch den Kopf. Ich fragte mich, ob auch über Bebbanburg der Rauch hing oder ob er von einer Meeresbrise landein getrieben wurde, und dann berührte ich mein neues Hammeramulett, um den Pestfluch abzuwenden. Ich schloss die Augen und umklammerte den Hammer so fest, dass meine Finger schmerzten. Ich betete zu Thor. Ich betete darum, dass meine Schürfwunden heilten, dass meine Rippen aufhörten, bei jedem Atemzug zu schmerzen, und dass ich mit meiner verletzten Schulter ein Schwert schwingen konnte. Ich betete für Bebbanburg, für Northumbrien, für meinen Sohn, für all die Leute zu Hause. Ich dachte an Berg mit seiner seltsamen Fracht, eine Königin auf der Flucht mit ihren Kindern. Ich betete darum, dass die Pest nur ein Gerücht war.
«Du betest», warf mir Finan vor.
«Dass keine Wolken aufziehen», sagte ich und schlug die Augen auf.
«Du machst dir Sorgen über Regen?»
«Ich will Mondlicht», sagte ich. «Wir werden nach Sonnenuntergang den Fluss hinauffahren.»
Es war noch heller Tag, als die festgemachten Boote behäbig auf der ankommenden Flut herumschwangen. Wir lösten die Leinen von den massiven Pfosten und benutzten die großen Riemen, um auf die Temes zu kommen, dann ließen wir uns von der Flut tragen. Die sinkende Sonne wurde von dem breiten Rauchstreifen verhüllt, als sich der Himmel im Westen langsam in einen Glutofen verwandelte.
Es war wenig Betrieb auf dem Fluss, nur zwei weitere Heubargen und ein paar Fischerboote. Unsere langen Riemen knarrten in den Ruderdollen und verschafften uns gerade ausreichend Geschwindigkeit, um das Steuerruder einzusetzen. Allmählich wurde es dunkel, am Himmel zeigten sich die ersten Sterne, und ein Halbmond stand hell über uns, während die Sonne in scharlachroter Pracht unterging. Inzwischen, dachte ich, hatten Merewalhs Männer den Gegner wohl aus Toteham vertrieben und nach Süden gehetzt. Bald würden die Lagerfeuer in der Heidelandschaft angezündet werden und Æthelhelm verkünden, dass der Gegner gekommen war. Lass ihn nur nach Norden schauen, betete ich, lass ihn nur nach Norden schauen, während wir uns westwärts durch die Nacht schlichen.
Zur Stadt der Finsternis.
Wir erreichten die Stadt, ohne auf Grund zu laufen, die Flut hielt uns sicher in den tiefsten Bereichen des Flusses. Wir waren nicht allein. Zwei Schiffe kamen an uns
vorbei, nahe beieinander, ihre Riemenblätter blitzten im Mondlicht auf, und auf beiden drängten sich Männer dicht an dicht. Von dem ersten Schiff wurde ein Gruß gerufen, als sie vorüberfuhren, der Schiffsführer wollte wissen, woher wir kämen, und Pater Oda rief zurück, wir wären Ealhstans Männer aus Herutceaster. «Wo ist Herutceaster?», murmelte ich ihm zu.
«Das habe ich erfunden», sagte er hochtrabend. «Sie werden es nicht bemerken.»
«Hoffen wir, dass wir nicht zu spät kommen!», rief ein Mann von dem zweiten Schiff herüber. «All diese mercischen Mädchen warten nur auf uns!» Ruckhaft stieß er seine Hüften vor, und seine müden Ruderleute brachten ein Jubeln zustande, dann waren die beiden Schiffe an uns vorbei und wurden zu Schatten auf dem mondüberglänzten Fluss.
Wir konnten die Stadt schon aus meilenweiter Entfernung riechen. Ich hielt Ausschau nach Norden, hoffte den Schein der Lagerfeuer von Merewalhs Männern zu entdecken, doch ich sah nichts. Und in Wahrheit hatte ich das auch nicht erwartet. Das Heideland war weit entfernt, wir aber kamen immer dichter an Lundene heran. Die Flut näherte sich ihrem Ende, und wir beschleunigten den Schlag mit den großen Riemen, als wir unterhalb der östlichen Bastion der Stadt entlangruderten. Eine Fackel brannte dort, und ich sah einen dunkelroten Umhang und die rötliche Spiegelung einer Flamme in einer Speerspitze. Am Kai lag wie stets ein Schiff neben dem anderen, während dort, wo Gisela und ich gewohnt hatten, ein Langschiff mit hohem Bug und aufragendem Kreuz an der Mauer vertäut war. Waormunds Schiff, da war ich sicher, doch niemand hielt auf der Steinterrasse Wache. Ein Lichtschein flackerte hinter einem
Fensterladen des Hauses, dann waren wir vorbei, und ich konnte Männer im Toten Dänen singen hören. Sobald wir das Gasthaus hinter uns gelassen hatten, suchte ich an den Kais einen Platz zum Anlegen. Es gab keine freie Lücke, also machten wir die drei Bargen außenbords an anderen Schiffen fest, indem Männer von unseren Decks sprangen, um unsere schwerfälligen Boote an den landwärts gelegenen Rümpfen festzuzurren. Unter der Steuerplattform des Schiffes, das ich mir ausgesucht hatte, kroch ein Mann hervor. «Wer seid Ihr?», fragte er gereizt.
«Truppen aus Herutceaster», sagte ich.
«Wo ist Herutceaster?»
«Nördlich von Earsling», gab ich zurück.
«Was für ein Spaßvogel», knurrte er, sah, dass Vidarr sein Schiff nicht beschädigte, sondern nur unsere Leinen festmachte, und ging wieder schlafen.
Es waren Wachposten auf den Kais, aber keiner in unserer Nähe, und auch die anderen, die uns hatten ankommen sehen, beachteten uns kaum. Ein Wachmann trottete über den langgezogenen Landekai heran, an dem Fackeln in Halterungen an der Flussmauer schwache Helligkeit verbreiteten. Er starrte über die anderen Schiffe hinweg zu uns und sah, dass unsere Bargen mit Kampftruppen besetzt waren und einige Männer die unverwechselbaren roten Umhänge trugen, also kehrte er zu seinem Posten zurück. Es war offenkundig, dass niemand etwas Besonderes in unserer Ankunft sah, wir waren einfach die letzten von Æthelhelms einberufenen Truppen, die von seinen Besitzungen in Ostanglien eintrafen.
«Ich frage mich, wie viele Krieger wohl in der Stadt sind», sagte Pater Oda zu mir.
«Zu viele.»
«Ihr beruhigt andere gern, nicht wahr?», sagte er und bekreuzigte sich. «Wir müssen wissen, was vor sich geht.»
«Was vor sich geht», sagte ich, «ist, dass Æthelhelm die größte Streitmacht sammelt, die er nur einberufen kann. Zweitausend Mann, dreitausend? Vielleicht auch mehr.»
«Es wird ihm schwerfallen, so viele zu verpflegen», sagte Oda.
Das stimmte. Eine Streitmacht zu verpflegen, war eine viel schwierigere Aufgabe als eine zusammenzuziehen. «Also plant er vielleicht, bald auszurücken», lautete meine Vermutung, «und Æthelstan mit seiner schieren Überzahl zu besiegen, damit er die Sache hinter sich hat.»
«Es wäre gut zu wissen, ob das zutrifft», sagte der Priester und stieg ohne ein weiteres Wort auf das nächste Schiff.
«Wohin geht Ihr?», rief ich ihm nach.
«Herausfinden, was es Neues gibt, versteht sich.» Er überquerte die beiden Schiffe, die zwischen unserer Barge und dem Kai lagen, und ich sah ihn zum nächsten Wachtrupp gehen. Er redete ausführlich mit den Männern, dann zeichnete er ein Kreuz in die Luft, vermutlich, um sie zu segnen, und kehrte wieder zurück. Ich half ihm auf unser Deck herunter.
«Die Wachen», sagte er, «sind Ostanglier. Und sie sind nicht glücklich. Der Herr Varin ist tot.»
«Ihr hört Euch an, als würdet Ihr das ebenfalls bedauern.»
«Ich hatte keine Abneigung gegen Varin», sagte Pater Oda zurückhaltend. Er strich sich über sein schwarzes Gewand, dann setzte er sich auf die niedrige Reling der Barge. «Er war kein schlechter Mann, aber er wurde dafür getötet, dass er Euch hat
entkommen lassen. Dieses Schicksal hat er wohl kaum verdient.»
«Weil er mich hat entkommen lassen! Dafür wurde er hingerichtet?»
«Ihr klingt überrascht.»
«Das bin ich!»
Oda zuckte mit den Schultern. «Æthelhelm weiß, dass Ihr geschworen habt, ihn zu töten. Er fürchtet diesen Schwur.»
«Er fürchtet den Schwur eines Heiden?»
«Der Schwur eines Heiden», sagte Oda scharf, «besitzt die Macht des Teufels, und ein kluger Mann fürchtet den Satan.»
Ich sah über den Fluss auf ein paar flackernde Lichter, die sich in der Siedlung auf dem Südufer zeigten. «Wenn man den Tod dafür verdient, dass man mich entkommen lässt», sagte ich, «dann müsste Æthelhelm doch auch Waormund töten, oder nicht?»
Oda schüttelte den Kopf. «Waormund ist ein Günstling Æthelhelms, und Varin war es nicht. Waormund ist Westsachse, und Varin war es nicht.» Er hielt inne, und ich lauschte auf das Wasser, das am Rumpf entlangströmte. Wir waren ein gutes Stück flussabwärts der Brücke, doch auch hier hörte ich den Fluss unablässig zwischen den engstehenden Pfeilern der Brückenbögen hindurchrauschen. «Man hat es dem Jungen gestattet, ihn zu töten», fuhr Oda düster fort.
«Ælfweard?»
«Offenbar wurde Herr Varin an einen Pfosten gefesselt, und der Junge bekam ein Schwert in die Hand. Es hat lange gedauert.» Er schlug ein Kreuz. «Die Männer mussten zusehen, und man hat ihnen erklärt, das sei die angemessene Strafe für mangelnde Wachsamkeit. Und Herr Varin hat nicht einmal ein christliches Begräbnis
bekommen! Sein Leichnam wurde den Hunden vorgeworfen, und was die Hunde übrig gelassen haben, wurde verbrannt. Zu denken, dass Ælfweard ein Enkel König Alfreds ist!» Sein letzter Satz klang bitter, dann fügte er hinzu, als sei es ihm gerade wieder eingefallen: «Die Späher glauben, dass die Streitmacht bald ausrücken wird.»
«Gewiss wird sie das», sagte ich. Æthelhelm hatte ein gewaltiges Heer gesammelt, das er verpflegen musste, und die einfachste Art, das zu tun, bestand darin, in Mercien einzufallen und jegliche Nahrung zu stehlen, die dort zu finden war. Im Moment lebten seine Truppen von den Vorräten, die in den Lagerhäusern Lundenes zu entdecken gewesen waren, und von dem, was sie mitgebracht hatten, doch schon bald würde sich Hunger einstellen. Zweifellos hoffte Æthelhelm noch immer, dass Æthelstan Lundene angriff und er die Mercier innerhalb der Stadtmauern niedermachen konnte, doch wenn ihm Æthelstan diesen Wunsch nicht erfüllte, wäre er gezwungen, die Stadt zu verlassen, um den Gegner in einer Feldschlacht zu vernichten. Und die Westsachsen, dachte ich verbittert, konnten zuversichtlich sein. Sie hatten die größere Streitmacht, die viel größere Streitmacht, und diese Streitmacht würde bald ausrücken.
«Das Zeichen», erklärte Pater Oda, «wird das Läuten der Glocken sein. Wenn sie erklingen, sollen sich die Truppen bei der alten Festung sammeln.»
«Bereit zum Ausrücken», knurrte ich.
«Bereit zum Ausrücken», bestätigte Oda. «Aber es ist eine unzufriedene Streitmacht.»
«Unzufrieden?»
«Die Ostanglier werden von den Westsachsen wie Leibeigene
behandelt, und die Christen sind ebenfalls unzufrieden.»
Ich gab ein freudloses Lachen von mir. «Warum?»
«Weil der Erzbischof…», begann Oda, dann unterbrach er sich.
«Athelm?»
«Es heißt, er wird hier im Palast als Gefangener gehalten. Vielleicht ein mit Ehren behandelter.» Stirnrunzelnd hielt er inne. «Und dennoch! Sie haben es gewagt, Hand an einen Diener Christi zu legen!»
Ich hatte schon lange geahnt, dass Athelm, der Erzbischof von Contwaraburg, zu den Widersachern Æthelhelms und seiner Familie gehörte, obgleich Athelm selbst ein entfernter Cousin des Aldermanns war. Vielleicht erklärte diese Verwandtschaft seine Feindseligkeit, eine Feindseligkeit, die daher rührte, dass er Æthelhelm und seinen Neffen allzu gut kannte. «Sie werden es nicht wagen, den Erzbischof zu töten», sagte ich.
«Gewiss werden sie das», kam es brüsk von Oda. «Sie werden sagen, er ist krank», wieder schlug er das Kreuz, «und dann behaupten, er sei an einem Fieber gestorben. Niemand wird es erfahren. Aber es wird noch nicht jetzt geschehen. Sie brauchen ihn, um dem Jungen den Helm aufs Haupt zu setzen.» Ælfweard würde erst dann ordnungsgemäß König sein, wenn diese Zeremonie durchgeführt war, und Æthelhelm würde sicher darauf bestehen, dass ihm Erzbischof Athelm den edelsteingeschmückten Helm von Wessex auf den Kopf hob. Jeder unbedeutendere Bischof würde als armseliger Ersatz gelten und Ælfweards Legitimierung in Frage stellen.
«Hat der Witan getagt?», fragte ich. Ælfweard brauchte die Zustimmung des Witans, bevor er den königlichen Helm empfangen
konnte.
Oda zuckte mit den Schultern. «Wer weiß? Vielleicht? Aber ich vermute, dass Æthelhelm abwartet, bis der Witan aller drei Königreiche tagen kann. Er will Ælfweard als den König aller Sachsen ausrufen.» Stirnrunzelnd drehte er sich um, weil unvermittelt laute Stimmen von den Wachposten herüberklangen, aber es kamen nur zwei Mädchen zu ihnen. Huren, nahm ich an, aus einem der Gasthäuser am Fluss. «Æthelhelm hat natürlich die Unterstützung der westsächsischen Herren», fuhr Oda fort, «und die Ostanglier sind zu sehr eingeschüchtert, um sich ihm entgegenzustellen, aber um die Unterstützung der Mercier zu bekommen, muss er Æthelstan beseitigen. Wenn das getan ist, wird er die mercischen Herren töten, die ihm die Stirn geboten haben, und neue Männer auf ihren Besitzungen einsetzen. Dann wird Æthelhelms Familie ganz Englaland regieren.»
«Nicht Northumbrien», knurrte ich.
«Und wie wollt Ihr seinen Einmarsch verhindern? Könnt Ihr dreitausend Krieger aufbieten?»
«Nicht einmal die Hälfte», gab ich zu.
«Und er wird wahrscheinlich mit mehr als dreitausend kommen», sagte Oda, «was werdet Ihr dann tun? Denkt Ihr, Eure Festung in Bebbanburg kann einer solchen Streitmacht standhalten?»
«Das wird nicht geschehen», sagte ich.
«Nicht?»
«Weil ich Æthelhelm morgen töten werde.»
«Nicht heute Nacht?»
«Morgen», sagte ich entschieden. Oda hob fragend eine Augenbraue, ohne etwas zu sagen. «Morgen», erklärte ich, «ist der
Tag, an dem Æthelhelm aufgrund des Berichts von Heorstans Männern mit uns rechnet. Er erwartet, dass ich versuche, mir durch eines der nördlichen Stadttore Zugang zu verschaffen, also werden sie auf den nördlichen Abschnitten der Stadtmauer Ausschau halten.»
«Was bedeutet, dass sie wach und aufmerksam sein werden», betonte Oda.
«Und das werden sie auch heute Nacht sein», sagte ich. In der Nacht regt sich das Böse, Geister und Schattengänger suchen die Welt heim, und der Mensch empfindet die Angst vor dem Tod am stärksten. Æthelhelm und Ælfward würden in den Tiefen des Palasts sein, umgeben von ihren Wachen mit den roten Umhängen. Keinem Fremden würde der Zugang durch den Torbogen des Palastes gewährt werden, mit Ausnahme derjenigen vielleicht, die dringende Nachrichten brachten, und selbst sie würde man vor dem Tor entwaffnen. Die Gänge und der große Saal wären voller Hauskrieger sowohl aus den Truppen Æthelhelms als auch aus der königlichen Wache. Es mochte uns gelingen, durch eines der Tore zu kommen, doch dann würden wir uns in einem Gewirr von Gängen und Höfen wiederfinden, in denen es von Gegnern wimmelte. Aber wenn es hell wurde, wenn die Morgendämmerung die bösen Geister in ihre Verstecke zurückscheuchte, würden die Palasttore geöffnet, und Æthelhelm würde gewiss auf der nördlichen Stadtmauer Ausschau halten wollen. Und das war der Moment, dachte ich, in dem ich ihm beikommen musste.
«Und wie werdet Ihr ihn morgen töten?», fragte Oda.
«Ich weiß es nicht», sagte ich, und so war es. In Wahrheit bestand mein gesamter Plan darin, auf eine Gelegenheit zu warten, und das
war ganz und gar kein Plan. Die Nacht war nicht kalt, und doch überlief mich ein Schauder bei dem Gedanken an mein Versprechen für den nächsten Tag.
Die Morgendämmerung kam früh, eine sommerliche Dämmerung, die wieder einen wolkenlosen Himmel brachte, über den nur der Rauch aus der Stadt zog. Ich hatte schlecht geschlafen. Wir hatten das Segel der Barge entrollt, es auf dem Deck ausgebreitet, Wachen aufgestellt, und dann hatten mich meine quälenden Gedanken während der kurzen Nacht wach gehalten. Meine Rippen schmerzten, meine Schultern taten weh, meine Haut brannte. Ich musste eingedöst sein, aber ich war trotzdem müde, als der Sonnenaufgang einen frischen Südwestwind brachte, und ich nahm diesen Wind als Zeichen der Götter.
In Werlameceaster war mir die Verwirklichung meines Planes möglich erschienen. Vielleicht nicht wahrscheinlich, aber möglich. Ich hatte gedacht, dass wir, während Æthelhelms Männer auf der nördlichen Stadtmauer Lundenes Wache hielten, von der Flussseite aus auf den Hügel kommen konnten, und was dann? Ich hatte mir vorgestellt, wir würden Æthelhelm und seinen Neffen irgendwo in der Nähe der Stadtmauer entdecken und dass wir mit einem Überraschungsangriff seine Wachen überwältigen und uns die Gelegenheit verschaffen konnten, die beiden niederzumachen. Ihr Tod, so hatte ich gehofft, würde genügen, um die Ostanglier aufzurütteln, sodass sie uns, sobald wir ein Stadttor für Merewalhs Männer geöffnet hatten, bei der Vertreibung der Westsachsen aus Lundene unterstützen würden. Æthelhelm regierte durch die Verbreitung von Angst, also musste seine Macht erlöschen, wenn es
diese Angst nicht mehr gab. Nun aber, während die Sonne höher stieg, empfand ich nur noch Verweiflung. In Lundene drängten sich meine Gegner, und meine schwachen Hoffnungen stützten sich darauf, dass wir einen Teil dieser Gegner vom Kampf an unserer Seite überzeugen konnten. Es war Irrsinn. Wir waren in einer Stadt, die von Tausenden unserer Gegner besetzt war, und wir waren einhundertachtzig Mann. Brihtwulf und Wihtgar waren bei Anbruch des Tages in die Stadt gegangen. Ich hatte nichts davon gewusst, hätte sie sonst aus der Befürchtung heraus aufgehalten, dass einer von Heorstans sechs Männern sie erkennen könnte, doch sie kehrten wohlbehalten zurück und berichteten, es habe über Nacht zahlreiche Schlägereien gegeben. «Westsachsen gegen Ostanglier», sagte Brihtwulf.
«Nur Wirtshaus-Schlägereien», tat Wihtgar die Sache ab.
«Aber es sind Männer umgekommen», fügte Brihtwulf hinzu.
Beide Männer saßen an Deck meiner Barge und begannen, ihre Schwertklingen mit Wetzsteinen zu bearbeiten. «Das ist keine Überraschung, was?», sagte Brihtwulf. «Die Ostanglier hassen die Westsachsen! Sie waren verfeindet, und das ist noch nicht lange her.»
Vor gar nicht so vielen Jahren waren die Westsachsen in Ostanglien eingefallen und hatten die dänischen Jarle unterworfen. Diese Jarle waren untereinander verfeindet gewesen, unfähig, sich nach Eohrics Tod auf einen König aus ihren Reihen zu einigen, und Eohric hatte ich, zwanzig Jahre vor Edwards Tod, eigenhändig in einem Graben niedergemacht. Ich erinnerte mich an Eohric als einen fetten, schweinsäugigen Mann, und sein Kreischen hatte erst geendet, als ihm Schlangenhauch den Todesstoß versetzte.
Und so war der letzte wahre Dänenkönig Ostangliens gestorben.
Eohric hatte versucht, sein Königreich zu bewahren, indem er vorgab, Christ zu sein, um so die Bedrohung durch Wessex abzuwenden, doch ich weiß noch, wie er sich im Todeskampf verzweifelt an das Heft seines zerbrochenen Schwertes klammerte, damit er nach Walhall kam. Er hatte über ein Land seines eigenen Volkes regiert, ein Land der dänischen Siedler, doch sie waren in der Unterzahl gegenüber den sächsischen Christen, von denen zu erwarten war, dass sie die Truppen König Edwards willkommen hießen. Und tatsächlich hießen viele von ihnen die Westsachsen willkommen, bis Berichte über Schändungen, Raub und Mord die Eroberung überschatteten. Und nun sollten diese Ostanglier, sowohl Dänen als auch Sachsen, für Wessex kämpfen, für Æthelhelm und Ælfweard.
«Gottverdammte Westsachsen», knurrte Wihtgar, «stolzieren umher, als würde ihnen die Stadt gehören.»
«Sie gehört ihnen», sagte Finan trocken.
Finan, Brihtwulf und Wihtgar unterhielten sich miteinander, während ich überwiegend zuhörte. Brihtwulf erzählte, wie er bei seiner Rückkehr zum Kai angeredet worden war. «So ein hochnäsiger Bastard hat gesagt, wir würden den falschen Weg nehmen. Er meinte, wir sollten zur Stadtmauer gehen.»
«Und was hast du ihm geantwortet?», fragte ich.
«Dass wir verdammt noch mal gehen, wohin wir wollen.»
«Und vielleicht sollten wir das jetzt tun», sagte ich.
Brihtwulf sah mich verständnislos an. «Schon? Ich dachte, Ihr habt Merewalh gesagt, er soll warten, bis die Mittagszeit vorbei ist.»
«Das habe ich.»
Wihtgar sah zum Himmel hinauf. «Ist noch lange bis Mittag,
Herr.»
Ich saß auf dem großen Eichenblock, in dem der Mast der Barge aufgerichtet wurde. «Wir haben Westwind», sagte ich, «und er ist recht lebhaft.»
Brihtwulf warf einen Blick zu Wihtgar, der nur mit den Schultern zuckte, als wolle er sagen, dass er keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. «Westwind?», fragte Brihtwulf.
«Bei Westwind kommen wir aus der Stadt weg», erklärte ich. «Wir können drei Schiffe stehlen, schnelle Schiffe, und dann segeln wir flussabwärts.»
Darauf herrschte einen Moment Stille, bevor Brihtwulf ungläubig sagte: «Jetzt? Wir gehen jetzt?»
«Jetzt», sagte ich.
«Lieber Herr Jesus», murmelte Finan. Die anderen beiden starrten mich einfach nur an.
«Pater Oda glaubt, dass dreitausend Mann in Lundene sein könnten», fuhr ich fort, «selbst wenn es uns gelingt, ein Tor für Merewalh zu öffnen – wie stark werden wir in der Unterzahl sein? Fünf zu eins? Sechs zu eins?» Die Zahlen hatten mich durch die kurze Sommernacht verfolgt.
«Wie viele davon sind Ostanglier?», fragte Brihtwulf.
«Die meisten», murmelte Wihtgar.
«Aber werden sie gegen ihre Herren kämpfen?», fragte ich. Brihtwulf hatte recht damit gehabt, dass die Ostanglier die Westsachsen hassten, aber das bedeutete nicht, dass sie ihr Schwert gegen Æthelhelms Truppen erheben würden. Ich war nach Cent gesegelt, weil ich hoffte, mit den Männern dort eine Streitmacht gegen Æthelhelm aufstellen zu können, und das war gescheitert, und
nun hängte ich meine Hoffnung an Ostanglier, eine Hoffnung, die ebenso schwach schien wie diejenige, die sich in Fæfresham aufgelöst hatte. «Wenn ich euch in die Stadt führe», sagte ich, «und selbst wenn es uns gelingt, ein Tor für Merewalh zu öffnen, werden wir alle sterben.»
«Und Merewalh lassen wir einfach im Stich?», fragte Brihtwulf aufgebracht.
«Merewalh und seine Reiter werden sich nach Norden zurückziehen», sagte ich, «und Æthelhelm wird sie nicht allzu weit verfolgen. Er wird einen Hinterhalt fürchten. Und davon abgesehen will er Æthelstans Streitmacht besiegen, nicht ein paar Reiter aus Werlameceaster.»
«Er will dich töten», sagte Finan.
Ich beachtete seine Worte nicht. «Wenn Merewalh Reiter aus der Stadt kommen sieht, wird er sich zurückziehen. Er wird nach Werlameceaster zurückkehren.» Ich hasste den Gedanken, die Pläne aufzugeben, von denen wir Merewalh überzeugt hatten, doch ich hatte die ganze Nacht gegrübelt, und die Morgendämmerung hatte mich zur Vernunft gebracht. Es war besser, wenn wir am Leben blieben, statt sinnlos zu sterben. «Merewalh wird überleben», schloss ich.
«Also werden wir einfach…», begann Brihtwulf, dann unterbrach er sich. Ich nehme an, er wollte sagen, dass wir einfach davonliefen, doch er schluckte die Worte hinunter. «Also werden wir einfach nach Werlameceaster zurückgehen?»
«Schlangenhauch», murmelte mir Finan zu.
Darüber lächelte ich. In Wahrheit fragte ich mich, ob der Westwind womöglich ein Zeichen der Götter war, dass ich dieses
waghalsige Abenteuer aufgeben und stattdessen drei gute Schiffe rauben und mich vom Wind aufs Meer und in Sicherheit tragen lassen sollte. Ich dachte an Ravn, den blinden Dichter und Vater Ragnars, der mir oft erklärt hatte, Mut sei wie ein Horn mit Ale. «Wir fangen mit einem vollen Horn an, Junge», hatte er zu mir gesagt, «aber wir trinken es aus. Manche Männer trinken es schnell aus, und vielleicht war ihr Horn von Anfang an nicht ganz gefüllt, und andere trinken es langsam aus, aber der Mut lässt nach, wenn wir älter werden.» Ich versuchte mir einzureden, dass es nicht fehlender Mut war, der mich aus Lundene wegtrieb, sondern Besonnenheit und der Unwille, gute Männer in eine Stadt voller Gegner zu führen, auch wenn diese guten Männer kämpfen wollten.
Pater Oda setzte sich zu uns auf den Eichenblock. «Ich habe ein Gebet gesprochen», verkündete er.
«Ein Gebet, Pater?», fragte Finan.
«Um Erfolg», sagte Oda zuversichtlich. «König Æthelstan ist dazu bestimmt, über ganz Englaland zu regieren, und das werden wir heute möglich machen! Gott ist mit uns!»
Ich wollte ihm eine verdrießliche Antwort geben, wollte eingestehen, dass ich unseren Erfolg bezweifelte, doch bevor ich ein Wort sagen konnte, begann die erste Kirchenglocke zu läuten.
Es gab nur wenige Glocken in Lundene, vielleicht fünf oder sechs Kirchen hatten genügend Silber aufgebracht oder als Schenkung erhalten, um sie zu kaufen. Als König Alfred beschlossen hatte, die alte Römerstadt wiederaufzubauen, wollte er Glocken an jedem Tor aufhängen lassen, doch die ersten beiden waren innerhalb weniger Tage gestohlen worden, und so hatte er verfügt, dass stattdessen Hörner benutzt werden sollten. An den meisten Kirchen hing einfach
ein Stab oder eine Platte aus Metall, an die geschlagen werden konnte, um die Gläubigen zum Gottesdienst zu rufen, und nun begannen sie, zusammen mit den wenigen Glocken, allesamt zu erklingen, ein Getöse, bei dem Vögel aufgeschreckt zum Himmel emporflogen.
Niemand von uns sagte etwas, während das Dröhnen anhielt. Hunde jaulten.
«Das muss…», brach Brihtwulf unser Schweigen, hielt inne und erhob dann die Stimme, um gehört zu werden, «das muss Merewalh sein.»
«Es ist zu früh», sagte Wihtgar.
«Dann sammelt Æthelhelm seine Truppen zum Aufbruch», sagte ich, «Und wir sind zu spät.»
«Was meint Ihr damit?», fragte Pater Oda entrüstet. «Zu spät?»
Die Glocken riefen zweifellos Æthelhelms Streitkräfte zusammen, was bedeutete, dass er die Horde aus der Stadt führen würde, um Æthelstans schwächeren Kampfverband anzugreifen. Wir waren inzwischen alle aufgestanden, blickten nach Norden, auch wenn dort nichts zu sehen war.
«Was meint Ihr damit?», beharrte Pater Oda. «Warum sind wir zu spät?»
Doch bevor ich antworten konnte, erklang weiter unten am Kai ein Wutschrei. Dem Schrei folgte Gebrüll, das Klirren aufeinandertreffender Klingen, dann hastige Schritte. Ein Mann tauchte auf, rannte um sein Leben. Ein Speer flog hinter ihm her und traf ihn mit tödlicher Zielsicherheit in den Rücken. Der Mann tat noch ein paar stolpernde Schritte, dann brach er zusammen. Einen Herzschlag lang blieb er liegen, der Speerschaft schwankte über ihm,
dann versuchte er weiterzukriechen. Hinter ihm erschienen zwei Männer mit roten Umhängen. Einer packte den Speerschaft und rammte ihn abwärts, der andere trat dem Verwundeten in die Rippen. Der Mann erbebte, dann erschauerte sein gesamter Körper in unwillkürlichen Zuckungen. Das Dröhnen der Glocken wurde schwächer.
«Ihr werdet auf die Stadtmauer gehen!», brüllte jemand. Weitere Männer in roten Umhängen erschienen auf der Landseite der Kaianlage. Sie durchsuchten offenkundig die Schiffe, scheuchten Männer auf, die an Bord geschlafen hatten, und trieben sie durch die Lücken der Flussmauer in die Stadt. Ich vermutete, dass der sterbende Mann, der immer noch zuckend auf den Holzplanken lag, ihnen Widerstand geleistet hatte.
«Sollen wir sie töten?», fragte Finan. Die Männer mit den roten Umhängen, ich sah etwa dreißig von ihnen, hatten unsere drei Bargen noch nicht erreicht. «Sie sind hier, um die Männer am Weglaufen zu hindern», vermutete Finan, und ich vermutete, dass er recht hatte.
Ich gab ihm keine Antwort. Ich dachte an das, was Brihtwulf über den erbitterten Hass der Ostanglier auf die Westsachsen gesagt hatte. Ich dachte an Schlangenhauch. Ich dachte an den Schwur, den ich Æthelstan geleistet hatte. Ich dachte daran, dass Brihtwulf mich für einen Hasenfuß hielt, der davonlaufen wollte, und dass er mich deswegen verachtete. Ich dachte daran, dass das Schicksal ein bösartiges und unberechenbares Luder war, und ich dachte, dass wir die Männer in den roten Umhängen niedermachen und drei Schiffe stehlen mussten, um aus Lundene zu entkommen.
«Ihr! Wer seid ihr?» Ein großer Mann in Æthelhelms rotem Umhang starrte vom Kai aus zu uns herüber. «Und warum bewegt ihr
euch nicht?»
«Wer sind wir?», murmelte Brihtwulf und sah mich an.
Es war Pater Oda, der antwortete. Er stand auf, sein Brustkreuz schimmerte hell über seinem schwarzen Gewand, und er rief zurück: «Wir sind Herrn Ealhstans Männer aus Herutceaster!»
Der große Mann stellte keinen der zwei Namen in Frage, obwohl alle beide Erfindungen Odas waren. «Was in Gottes Namen tut ihr dann hier?», knurrte er. «Ihr solltet auf der Stadtmauer sein!»
«Warum hast du diesen Mann getötet?», fragte Oda mit strenger Stimme.
Der Mann in dem roten Umhang zögerte, offensichtlich gefiel es ihm nicht, dass sein Handeln in Frage gestellt wurde, doch Odas natürliche Führungsgabe, zusammen mit der Tatsache, dass er ein Priester war, brachten den Mann zum Antworten, wenn auch mürrisch. «Ihn und ein Dutzend andere. Die Bastarde wollten sich davonstehlen. Wollten nicht kämpfen. Und jetzt, Herrgott, bewegt euch!»
Das Dröhnen der Glocken, der Tod der Männer auf dem Kai und die Wut des Kriegers mit dem roten Umhang, der uns anschrie, schienen mir merkwürdig viel Aufregung angesichts von Merewalh und seinen zweihundert Mann. «Wohin sollen wir uns bewegen?», rief Brihtwulf. «Wir sind erst gestern Abend angekommen. Niemand hat uns gesagt, was wir tun sollen.»
«Ich sage es euch jetzt! Geht zur Stadtmauer!»
«Was ist denn geschehen?», rief Pater Oda.
«Der schöne Knabe ist mit seiner gesamten Streitmacht gekommen. Wie es aussieht, will er heute sterben, also bewegt eure ostanglischen Ärsche und macht euch ans Töten! Geht dort entlang!»
Er deutete nach Westen. «Jemand wird euch sagen, was ihr zu tun habt, wenn ihr dort seid, und jetzt los! Bewegung!»
Wir bewegten uns. Anscheinend war der Westwind tatsächlich ein Omen. Denn er hatte Æthelstan aus dem Westen gebracht. Æthelstan war nach Lundene gekommen.
Also würden wir kämpfen.