Dreizehn
Die erste Antwort des Gegners war ungeordnet, tapfer und wirkungslos. Die Besatzungen der langen Mauerabschnitte beidseits des eroberten Crepelgates griffen über den Wehrgang an, doch ein Schildwall von nur vier Mann konnte die Breite der Kampfplattform mühelos verteidigen. Ein Dutzend Mann, in drei Reihen stehend, wäre ein noch größeres Hindernis gewesen, doch die Hitze und die unbestreitbare Erbitterung des Gegners hätten diese kleine Einheit schnell aufgerieben. Daher ließ ich Männer Steine aus den nahe gelegenen Ruinen bringen. Wir häuften sie auf der Kampfplattform zu zwei groben Barrikaden auf, und bis die Verteidiger der Mauer im Westen einen geordneten Angriff vorbereitet hatten, war unsere behelfsmäßige Mauer schon kniehoch. Gerbruht und Folcbald befehligten die Verteidigung. Sie setzten die Speere ein, die wir von den Westsachsen erbeutet hatten, und innerhalb kurzer Zeit wurde die kniehohe Mauer durch Leichen in Kettenhemden erhöht. Wihtgar auf der Ostseite hatte es mit weniger Gegenwehr zu tun, und seine Männer häuften weiter Steine auf.
Nachdem Brihtwulf die Stadt verlassen hatte, war er in dem entfernten Wald verschwunden, doch seitdem hatte er sich nicht wieder blicken lassen, und auch von Æthelstans Männern war keiner aufgetaucht. Auf der Innenseite des Tores hatten sich die Ostanglier fünfzig Schritt oder mehr zurückgezogen, und Pater Oda redete noch immer auf sie ein, doch sie hatten weder ihre Schilde fallen lassen noch ihr Banner gesenkt, das einen grob eingestickten Eberkopf zeigte.
Alles geschah nun entweder sehr schnell oder quälend langsam. Schnell ging es auf der Mauer zu, wo wir immer mehr Steine aufhäuften, während rachgierige Westsachsen die beiden plumpen Barrikaden angriffen, langsam hingegen auf der Stadtseite, wo Rumwalds Schildwall bereitstand, um das offene Tor gegen eine ostanglische Kampfeinheit zu verteidigen, die offenbar nicht angreifen wollte. Dennoch wusste ich, dass dieser Kampf dort auf der Straße entschieden werden würde, zwischen dem Geröll und dem Unkraut der Ruinen.
Die Westsachsen auf dem östlichen Bereich der Mauer hatten zunächst mit dem Angriff gezögert und Wihtgars Männern damit die Gelegenheit gegeben, ihre Barrikade aus Steinen brusthoch aufzutürmen. Die Gegner dort schleuderten zwar Speere über den behelfsmäßigen Wall, doch nachdem die ersten Angreifer versucht hatten, über den Steinhaufen zu klettern, nur um von aufwärts gerammten Speeren empfangen zu werden, waren die übrigen nun vorsichtiger. Auf der westlichen Seite war der Kampf wesentlich erbitterter. Der Steinhügel dort war breit, aber nur kniehoch, und die Gegner stürmten immer wieder heran, angetrieben von einem schwarzbärtigen Mann mit einem blankgescheuerten Kettenhemd und einem schimmernden Helm. Er rief seine Truppen vorwärts, auch wenn mir auffiel, dass er sich selbst nie beteiligte, wenn sie mit erhobenen Schilden und Speeren angriffen. Er stachelte sie an zu töten, schneller anzugreifen, und das war ein Fehler. Männer hasteten heran, um die behelfsmäßige Sperre zu überqueren, und durch ihre Hast stolperten sie über die Steine, sodass sie ungeordnet bei unserem Schildwall ankamen, nur um von unseren Schwertern, Speeren und Äxten getroffen zu werden. Ihre Körper bildeten eine stets höher werdende Hürde auf dem Steinwall, eine neue Hürde, die noch übler dadurch wurde, dass andere Männer bei ihrem Versuch, das blutgetränkte Hindernis zu übersteigen, auf die qualvoll Sterbenden trampeln mussten.
«Der Steinwall wird halten», erklärte Finan. Wir standen auf der Mitte der Treppe, von wo aus er den Kampf über uns beobachtete, während ich westwärts zu dem höheren Hügel Lundenes schaute.
«Die Männer brauchen Ale oder Wasser», sagte ich. Es wurde immer heißer. Schweiß brannte in meinen Augen und lief an der Innenseite meines Kettenhemdes herab.
«Im Wachhaus wird Ale sein», sagte Finan und dachte dabei an die Kammern in der Zwillingsbastion. «Ich lasse es heraufbringen.»
Ein Speer traf das Gemäuer zwischen uns. Die Westsachsen auf dem westlichen Mauerabschnitt hatten uns gesehen, und mehrere von ihnen schleuderten Speere, aber dieser war der erste, der bis zu uns flog. Er rutschte über die Treppe und fiel auf die Straße. «Die Bastarde werden bald aufgeben», sagte Finan.
Er hatte recht. Die Männer, die uns über den Wehrgang der Mauer angriffen, hatten genug vom Tod, und sie hatten erkannt, dass andere Männer den Kampf übernehmen würden, und diese Männer erschienen nun, angekündigt von Hornklängen, die unsere Blicke auf den nördlichen Bereich Lundenes lenkten. Von uns aus am nächsten lag der Streifen mit den Ruinen, dann senkte sich das Gelände dorthin, wo das Flüsschen Welea Richtung Temes strömte. Jenseits davon stieg der westliche Hügel Lundenes an, auf dem die Ruinen des Amphitheaters standen und auf der anderen Seite des Amphitheaters erhoben sich die Mauern der alten Römerfestung. Und aus der Festung strömten Männer heran. Viele waren beritten, die meisten zu Fuß, doch alle trugen Kettenhemden, und noch während Finan und ich hinsahen, kam eine Reitergruppe aus dem Tor. Sie wurde von Standartenträgern begleitet, deren Banner in der Mittagssonne leuchteten.
«Lieber Herr Jesus», sagte Finan leise.
«Wir sind zum Kämpfen hergekommen», sagte ich.
«Aber wie viele Männer haben sie?», fragte Finan ungläubig, denn die Reihe der gerüsteten Krieger schien nicht enden zu wollen.
Ohne zu antworten, stieg ich wieder zur Mauerkrone hinauf und blickte über das Weideland zu dem Wald in der Entfernung, wo sich keine Reiter zeigten. Für den Moment, so schien es, waren wir allein, und wenn Æthelstans Männer nicht aus diesem Wald auftauchten, würden wir auch allein sterben.
Ich schickte die Hälfte der Männer, die unsere Barrikaden verteidigt hatten, zu Rumwald hinunter, um seinen Schildwall zu verstärken, dann warf ich einen letzten Blick nach Norden und sah noch immer keine Spur von Æthelstan oder seinen Männern. Komm, drängte ich ihn stumm, wenn du ein Königreich willst, komm! Dann stieg ich die Treppe hinunter, dorthin, wo ein Kampf ausgetragen werden musste.
Es würde ein Kampf werden, dachte ich bitter, durch den entschieden wurde, welcher königliche Arsch einen Thron wärmte, und was ging mich die Entscheidung über den Thron von Wessex an? Doch das Schicksal, dieses hartherzige Luder, hatte meinen Lebensfaden an König Alfreds Traum geknüpft. Gab es wirklich einen christlichen Himmel? Wenn es so war, musste König Alfred in diesem Moment auf uns niederschauen. Und was würde er wollen? Daran hatte ich keinerlei Zweifel. Er wollte ein christliches Land aller Menschen, die Ænglisc sprachen, und er wollte, dass dieses Land von einem christlichen König regiert wurde. Er würde für Æthelstan beten. Verdammt soll er sein, dachte ich, verdammt seien Alfred und seine Frömmigkeit, verdammt sein ernstes Antlitz mit dem stets missbilligenden Ausdruck, verdammt seine Rechtschaffenheit, und verdammt sei er, weil er mich dazu brachte, selbst ein Menschenalter nach seinem Tod noch für seine Sache zu kämpfen. Denn wenn Æthelstan nicht kam, ging es mir durch den Kopf, würde ich heute für Alfreds Traum sterben.
Ich dachte an Bebbanburg und seine sturmgepeitschten Wälle, ich dachte an Eadith, an meinen Sohn, und dann an Benedetta, und weil ich dieses letzte Bedauern nicht spüren wollte, rief ich Rumwalds Männern zu, sie sollten sich bereitmachen. Sie standen in drei Reihen und hatten einen Halbkreis um das offene Tor gebildet. Es war ein gefährlich kleiner Schildwall, den bald die versammelte Macht von Wessex angreifen würde. Nun war nicht mehr die Zeit nachzudenken, sich dem Bedauern hinzugeben oder über den christlichen Himmel nachzusinnen, sondern es war Zeit zu kämpfen. «Ihr seid Mercier!», rief ich. «Ihr habt die Dänen besiegt, ihr habt die Waliser abgewehrt, und jetzt werdet ihr ein neues Lied von Mercien schreiben! Einen neuen Sieg erringen! Euer König kommt!» Ich wusste, dass ich log, aber Männer wollen im Angesicht der Schlacht nicht die Wahrheit hören. «Euer König kommt!», rief ich erneut. «Also bleibt standhaft! Ich bin Uhtred! Und ich bin stolz, an eurer Seite zu kämpfen!» Und die armen, todgeweihten Bastarde jubelten, als sich Finan und ich durch die Reihen schoben, um uns dort aufzustellen, wo der Schildwall die Straße absperrte.
«Du solltest nicht hier sein», murmelte Finan.
«Ich bin aber hier.»
Und ich hatte noch immer Schmerzen von Waormunds Misshandlungen. Mein ganzer Körper schmerzte. Ich hatte Schmerzen, und ich war müde, während sich meine Schulter unter dem Gewicht des Schildes anfühlte, als würde ein Gewindespieß in den Gelenkspalt gedreht. Ich senkte den Schild, um ihn auf der Straße abzustützen, dann schaute ich nach Westen, doch die Truppen aus der Festung waren noch nicht aus dem flachen Tal des Weleas aufgetaucht. «Wenn ich sterbe…», begann ich mit gesenkter Stimme.
«Still», knurrte Finan. Dann fügte er wesentlich leiser hinzu: «Du solltest nicht hier sein. Geh in die letzte Reihe.»
Ich erwiderte nichts, und ich rührte mich auch nicht von der Stelle. In all meinen Jahren hatte ich nie anderswo gekämpft als in der vordersten Reihe. Ein Mann, der andere an die Schwelle des Todes führt, muss vorangehen, nicht folgen. Es kam mir vor, als würde ich ersticken, also löste ich den Knoten, der die Wangenstücke aus gesiedetem Leder zusammenhielt, sodass ich leichter atmen konnte.
Pater Oda ging vor dem Schildwall auf und ab, sprach zu uns und schien die Ostanglier vergessen zu haben, die hinter ihm standen. «Gott ist mit uns!», rief er. «Gott ist unsere Stärke und unser Schild! Heute werden wir die Mächte des Bösen zerschmettern! Heute kämpfen wir für Gottes Land!»
Ich achtete nicht länger auf ihn, denn nicht weit im Westen erschienen die ersten Banner über dem Rand des Welea-Tals. Und ich konnte die Trommelschläge hören. Der Herzschlag des Krieges rückte näher. Ein paar Schritt entfernt beugte sich ein Mann in unserer ersten Reihe vor und übergab sich. «Was Falsches gegessen», sagte er, doch das stimmte nicht. Unsere Schilde lehnten an zitternden Beinen, bittere Galle stieg uns in die Kehlen, Säure biss in unsere Mägen, und unser Gelächter über schlechte Scherze war gezwungen.
Die ersten Männer aus Wessex tauchten aus dem flachen Tal auf, eine graue Linie, über der Speerspitzen funkelten. Die Ostanglier, die sich uns so hartnäckig gegenübergestellt hatten, begannen sich zurückzuziehen, als wollten sie der anrückenden Horde Platz machen. Wir hatten recht gehabt, dachte ich hoffnungslos. Diese Ostanglier wollten nicht kämpfen, weder für die Westsachsen noch, so schien es, für uns.
Die Gegner aus der Festung kamen näher. Ihre Banner leuchteten; Banner mit Kreuzen, mit Heiligen, mit dem Drachen von Wessex, mit Æthelhelms springendem Hirsch, und sie alle wurden von einem Banner angeführt, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es wurde von einer Seite auf die andere geschwenkt, sodass wir es deutlich erkennen konnten, und es zeigte einen plumpen, grauen Drachen von Wessex unter einem in Scharlachrot eingestickten springenden Hirsch. In der oberen Ecke befand sich ein kleines Kreuz.
«Gott ist mit uns!», rief Oda. «Und euer König kommt!»
Ich hoffte, dass er recht hatte, und wagte nicht, den Schildwall zu verlassen, um es herauszufinden. Das Tor war offen, und wir mussten es offen halten, bis Æthelstan eintraf.
Rumwald stand rechts von mir. Er zitterte leicht. «Bleibt dicht zusammen!», rief er seinen Männern zu. «Haltet stand!» Seine Stimme war unsicher. «Kommt er, Herr?», fragte er mich. «Gewiss kommt er. Er wird uns nicht im Stich lassen.» Er redete weiter, ohne etwas Wichtiges zu sagen, redete einfach, um seine Angst zu überspielen. Die Trommeln wurden lauter. Reiter begleiteten die anrückenden Westsachsen auf den Flanken, und es kamen immer mehr Fußtruppen, über ihnen ein Wald aus Speeren. Ich konnte inzwischen den springenden Hirsch auf den Schilden erkennen. Die erste Reihe, die ungeordnet vorrückte, weil die Männer über die Mauerreste der Brachfläche stiegen, bestand aus etwa zwanzig Kriegern, doch hinter ihnen kamen wenigstens noch zwanzig weitere Reihen. Es war eine abschreckende Masse von Hauskriegern, die einer Reitergruppe vorausging, und hinter diesen berittenen Männern rückten weitere Reihen an. Sie hatten angefangen zu brüllen, doch sie waren noch zu weit entfernt, sodass wir ihre Beleidigungen nicht verstehen konnten.
Ich nahm meinen Schild auf, zuckte unter dem stechenden Schmerz zusammen, dann zog ich Wespenstachel, und selbst diese kurze Klinge schien mir schwer. Ich schlug sie gegen den Schild. «Æthelstan kommt!», rief ich. «Æthelstan kommt!» Ich dachte an den Jungen, den ich das Töten gelehrt hatte, einen Jungen, der auf meinen Befehl seinen ersten Mann getötet hatte. In einem Graben, in dem Gagelsträucher wuchsen, hatte er einen Verräter hingerichtet. Nun war dieser Junge ein Kriegerkönig, und mein Leben hing von ihm ab. «Æthelstan kommt!», rief ich wieder und schlug immer weiter Wespenstachels Klinge an die eisenbeschlagenen Weidenbretter. Rumwalds Männer nahmen den Ruf auf und begannen, ihre Schwerter an die Schilde zu schlagen. Die zweite Reihe stimmte in den Ruf ein. Sie trugen Speere, deren Schäfte auf die halbe Länge gekürzt worden waren. Ein Speer muss mit zwei Händen geführt werden, aber ein kurzer Speer lässt sich mit einer Hand schwingen. Sie würden sich dicht hinter uns halten und die Speere zwischen unseren Schilden vorrammen. Der Kampf auf der Wehrmauer hatte geendet, denn unsere Gegner dort waren von unseren behelfsmäßigen Sperren entmutigt und begnügten sich inzwischen damit zuzusehen, wie uns die größere Streitmacht überwältigen würde. Wihtgar hatte zwanzig Mann von der Mauer heruntergeführt und wartete nun mit ihnen unter dem Torbogen ab, bereit, jeglichen Abschnitt unseres Schildwalls zu verstärken, der schwächer wurde. Im Stillen wünschte ich mir, ich hätte Wihtgar neben mir und nicht Rumwald, der weiter unnützes Zeug schwatzte, doch Rumwald hatte die meisten Männer für diesen Kampf zur Verfügung gestellt, und ich konnte ihm seinen Ehrenplatz an meiner Seite nicht verwehren.
Ehre war sein Wort, nicht meines. «Es ist eine Ehre, mit Euch in einem Schildwall zu stehen, Herr», hatte er mehr als einmal gesagt. «Davon werde ich noch meinen Enkeln erzählen!» Und das hatte mich dazu gebracht, den silbernen Thorshammer zu berühren, den ich unter meinem Kettenhemd herausgezogen hatte. Ich berührte ihn, weil meine Enkel in Eoferwic waren und niemand die Gerüchte von der Pest im Norden zerstreut hatte. Lass sie leben, betete ich, und ich war weder der einzige Mann, der in diesem Schildwall betete, noch der einzige, der sein Gebet an Thor richtete. Diese Männer mochten sich allesamt Christen nennen, doch in vielen Kriegern lauerte die Angst, dass es auch die älteren Götter gab, und wenn der Gegner anrückt und die Kriegstrommeln geschlagen werden und die Schilde schwer sind, dann beten Männer zu jedem beliebigen Gott.
«Gott ist unser Schild!» Pater Oda war in den Halbkreis gekommen, den unsere Männer bildeten, und stand nun auf der Treppe, die auf die Wehrmauer führte. «Wir müssen obsiegen!», schrie er heiser, und er musste schreien, denn die Westsachsen waren nun sehr dicht vor uns. Ein Reiter führte sie vor unsere Linie, trieb die Ostanglier noch weiter weg.
Ich musterte unseren Gegner. Gute Truppen, dachte ich. Ihre Kettenhemden, ihre Helme und ihre Waffen wirkten ordentlich instand gehalten. «Æthelhelms Haustruppen?», murmelte ich Finan zu.
«Sieht danach aus», sagte er. Es war zu warm für die Männer, um Æthelhelms rote Umhänge zu tragen, und überdies ist ein Umhang eine Behinderung im Kampf, doch alle Schilde waren mit dem springenden Hirsch bemalt. Sie blieben vierzig Schritt entfernt stehen, zu weit für einen Speerwurf, richteten sich zu uns aus und begannen, ihre Schwerter gegen die Schilde zu schlagen. «Vierhundert?», schätzte Finan, aber diese Männer waren nur der Anfang, denn es kamen immer weitere, die ihre Klingen an die Schilde schlugen, von denen einige mit dem Hirsch und andere mit den Abzeichen westsächsischer Adelsmänner bemalt waren. Dies war das Heer von Wessex, von Alfred zum Kampf gegen die Dänen zusammengeschmiedet und nun aufgereiht, um gegen ihre sächsischen Landsleute zu kämpfen, angeführt von den Männern zu Pferd, die unter ihren grellen Bannern heranritten, um uns entgegenzutreten.
Æthelhelm, trotz der Hitze mit einem roten Umhang angetan, saß auf einem prachtvollen Braunhengst. Sein Kettenhemd war gereinigt und abgerieben worden, bis es schimmerte, und vor seiner Brust hing ein Kreuz aus Gold. Sein Gesicht wurde von den goldgeschmückten Wangenstücken seines Helmes verborgen, der von einem goldenen Hirsch gekrönt war. Das Heft seines Schwertes glitzerte vor Gold, das Zaumzeug und der Sattelgurt seines Hengstes waren mit Goldplättchen besetzt, und selbst seine Steigbügel waren mit Gold verziert. Seine Augen lagen im Schatten seines aufwendigen Helms, aber ich zweifelte nicht daran, dass er uns mit Verachtung ansah. Zu Æthelhelms Rechter, im Sattel eines großen grauen Hengstes und in einen weißen Umhang mit rotem Besatz gehüllt, war sein Neffe Ælfweard, der als Einziger der Reiter keinen Helm trug. Er hatte ein ausdrucksloses Mondgesicht mit herabhängenden Mundwinkeln, auf dem sich nun allerdings Erregung zeigte. Das Bübchen konnte es kaum abwarten, mit anzusehen, wie wir abgeschlachtet wurden, und zweifellos rechnete Ælfweard damit, sich am Töten derjenigen von uns zu beteiligen, die den Ansturm überlebten, auch wenn das Fehlen eines Helmes darauf hinwies, dass sein Onkel keine Beteiligung Ælfweards am Kampf wünschte. Er trug ein schimmerndes Kettenhemd und eine lange Schwertscheide mit einem Rautenmuster aus Goldstreifen, aber was den Blick viel mehr auf sich zog, war das, was er sich anstelle eines Helmes auf den Kopf gesetzt hatte. Er trug König Alfreds Krone, die mit Smaragden besetzte, goldene Krone von Wessex.
Zwei Priester auf Wallachen und sechs Speermänner auf Hengsten warteten hinter Æthelhelm. Die Speermänner schützten offenkundig Ælfweard und seinen Onkel, ebenso wie der Reiter an Æthelhelms linker Seite, ein Reiter, der zu groß für seinen Hengst wirkte. Es war Waormund, eine hochaufragende und unheilverkündende Gestalt, die im Gegensatz zu den anderen Reitern schäbig aussah. Sein Kettenhemd war matt, sein Schild mit dem Hirsch von Schwerthieben vernarbt, und sein abgenutzter Helm besaß keine Wangenstücke. Er grinste. Dies war Waormunds größte Lust. Er hatte einen gegnerischen Schildwall aufzubrechen und Männer zu töten, und als könne er den Beginn der Schlacht nicht erwarten, schwang er sich aus dem Sattel, sah höhnisch zu uns herüber und spuckte aus.
Dann zog er sein Schwert. Er zog Schlangenhauch. Er zog mein Schwert, und die Windungen in der Stahlklinge warfen einen Sonnenstrahl zurück, der mich blendete. Er spuckte ein zweites Mal vor uns aus, dann drehte er sich um und schwang Schlangenhauch zur Ehrbezeugung vor Ælfweard. «Herr König!», brüllte er.
Darauf schien Ælfweard zu kichern. Es war jedenfalls gewiss, dass er lachte, als all seine Einheiten dieselben Worte riefen. «Herr König! Herr König!» Bei ihrem Singsang schlugen sie weiter ihre Schwerter gegen die Schilde, bis Æthelhelm seine Hand im Lederhandschuh hob, um sie zum Schweigen zu bringen, und dann seinen Hengst vorwärtstrieb.
«Er weiß nicht, dass du hier bist», murmelte Finan mir zu. Er meinte Waormund. Die Wangenstücke meines Helms hingen offen herab, doch ich hielt den Schild hoch, verdeckte halb mein Gesicht.
«Er wird es noch merken», sagte ich grimmig.
«Aber ich kämpfe gegen ihn», beharrte Finan, «nicht du.»
«Männer von Mercien!», rief Æthelhelm und wartete auf Ruhe. Ich sah ihn zum westlichen Abschnitt der Wehrmauer hinaufsehen, wo sein Blick einen Moment aufmerksam verharrte, und mir wurde klar, dass er nach einer Meldung über Æthelstans anrückende Einheiten Ausschau hielt. Dann kehrte sein Blick wieder zu uns zurück, ohne Beunruhigung zu zeigen. «Männer von Mercien!», rief er noch einmal und winkte einen Standartenträger nach vorn. Der Mann schwenkte langsam seine Flagge, die neue Flagge, auf der zu sehen war, wie der Hirsch von Æthelhelm über den Drachen von Wessex herrschte.
Æthelhelm hatte die goldziselierten Wangenstücke seines Helmes gelöst, sodass die Männer sein schmales Gesicht sehen konnten; ein gutaussehendes Gesicht, länglich und entschlossen, der Bart sauber abgeschabt, und darüber tiefliegende braune Augen. Er deutete auf die Flagge. «Diese Flagge», rief er, «ist die neue Flagge Englalands! Es ist unsere Flagge! Eure Flagge und meine Flagge, die Flagge eines geeinten Landes unter einem einzigen König!»
«König Æthelstan!», schrie ein Mann aus unseren Reihen.
Æthelhelm achtete nicht auf den Ruf. Wieder sah ich ihn zur Wehrmauer hinaufschauen, und wieder kehrte sein Blick unaufgeregt zu uns zurück. «Ein geeintes Land!» Seine Stimme trug mühelos bis zu den Männern auf den Wehrgängen der Mauer. «Das wird unser Land sein! Eures und meines! Wir sind keine Gegner! Die Gegner sind die Heiden, und wo sind die Heiden? Wo regieren die verhassten Nordmänner? In Northumbrien! Schließt euch mir an, und ich verspreche euch, dass jeder Mann seinen Anteil an dem Reichtum dieses Heidenlandes erhalten wird. Ihr werdet Land haben! Ihr werdet Silber haben! Ihr werdet Frauen haben!»
Dazu grinste Ælfweard und sagte etwas zu Waormund, der zur Antwort laut auflachte. Er hielt noch immer Schlangenhauch in der Hand. «Euer König», Æthelhelm deutete auf seinen grinsenden Neffen, «der König von Wessex und König von Ostanglien, bietet euch Gnade, Schonung und Vergebung an. Er bietet euch das Leben an!» Erneut ein schneller Blick zur Wehrmauer. «Gemeinsam», fuhr Æthelhelm fort, «werden wir ein geeintes Land aller Sachsen schaffen!»
«Aller Christen!», rief Pater Oda. Æthelhelm sah den Priester an und musste ihn als den Mann erkannt haben, der vor Abscheu aus seinen Diensten geflüchtet war, doch er zeigte keinen Unmut, sondern nur ein Lächeln. «Pater Oda hat recht», rief er, «wir werden ein Land für alle Christen schaffen! Und Northumbrien ist das Land von Guthfrith dem Heiden. Gemeinsam werden wir sein Land erobern, und ihr, die Männer von Mercien, werdet ihre Gehöfte bekommen, ihre Wälder, ihre Herden, ihre Jungfern und ihre Weiden!»
Guthfrith? Guthfrith? Fassunglos starrte ich Æthelhelm an. Guthfrith war Sigtryggrs Bruder, und wenn er wirklich König war, dann war Sigtryggr, mein Verbündeter, tot. Und wenn er tot war und wenn er an der Pest gestorben war, wer war in Eoferwic dann noch gestorben? Sigtryggrs Erbe war mein Enkel, der zu jung für eine Regentschaft war, aber hatte Guthfrith tatsächlich den Thron übernommen? Finan stieß mich mit seinem Schwertarm an, um mich aus meiner Erstarrung zu holen.
«Wenn ihr hier gegen mich kämpft», rief Æthelhelm, «dann kämpft ihr gegen den gottgeweihten König! Ihr kämpft für einen Bastard, den eine Hure geboren hat! Lasst ihr aber eure Schilde fallen und steckt eure Schwerter in die Scheide, teile ich unter euch das Land unseres wahren Gegners auf, der kein anderer ist als der Gegner des gesamten christlichen Englalands! Ich werde euch Northumbrien geben!» Er hielt inne, Stille breitete sich aus, und mir wurde bewusst, dass Rumwalds Männer genau zugehört hatten und dass Æthelhelm sie beinahe überzeugt hatte mit seinen Lügen, die er als Wahrheit verkündete. «Ich werde euch Wohlstand schenken», versprach Æthelhelm. «Ich werde euch Northumbrien schenken.»
«Was dir nicht gehört, kannst du nicht verschenken», knurrte ich. «Du verräterischer Bastard, du Schneckenschiss, du Earsling, du Sohn einer blatternarbigen Hure, du Lügner!» Finan versuchte, mich zurückzuhalten, aber ich machte mich los und trat vor. «Du bist Schleim aus einer Jauchegrube», spie ich Æthelhelm entgegen, «und ich werde deine Ländereien allesamt an die Männer von Mercien verschenken!»
Er starrte mich an. Ælfweard starrte, und Waormund starrte, und langsam dämmerte allen dreien, dass sie mich, so heruntergekommen ich auch war, noch immer zum Gegner hatten. Und einen Herzschlag lang, das schwöre ich, sah ich Angst in Æthelhelms Gesicht. Sie kam, und sie ging, dennoch ließ er sein Pferd ein Stück rückwärtsgehen. Er sagte nichts.
«Ich bin Uhtred von Bebbanburg!» Ich sprach nun zu dem westsächsischen Schildwall. «Viele von euch haben unter meinem Banner gekämpft. Wir haben für Alfred gekämpft, für Edward, für Wessex, und nun wollt ihr für dieses Stück Wieseldreck sterben!» Ich deutete mit Wespenstachel auf Ælfweard.
«Tötet ihn!», kreischte Ælfweard.
«Herr?», versicherte sich Waormund knurrend bei seinem Gebieter.
«Töte ihn!», blaffte Æthelhelm.
Ich bebte vor Zorn. Guthfrith regierte? Trauer erfüllte mich, drohte mich zu überwältigen, aber ich war auch zornig. Zornig darüber, dass Æthelhelm glaubte, er könne mein Land verschenken, und dass sein widerwärtiger Neffe König über die Felder Bebbanburgs werden würde. Ich wollte nur noch töten. Aber auch Waormund wollte töten, und er war der Größere von uns beiden. Ich erinnerte mich an seine Schnelligkeit im Kampf. Er war auch geschickt, so geschickt mit Schwert, Speer oder Axt, wie ein Mann nur sein konnte. Er war jünger, er war größer, er hatte mehr Reichweite, und er war vermutlich flinker. Was die Geschwindigkeit anging, hätte ich es vielleicht sogar mit ihm aufnehmen können, wenn ich nicht von seinem Pferd über die Felder geschleift worden wäre, doch mein ganzer Körper war aufgescheuert, ich hatte Schmerzen, und ich war erschöpft.
Aber da war immer noch mein Zorn. Ein kalter Zorn, der meine Trauer im Zaum hielt, ein Zorn, der sowohl Waormund als auch sein Ansehen zerstören wollte, das er auf meine Kosten gewonnen hatte. Langsam kam er auf mich zu, der Kies auf der Straße zum Tor knirschte unter seinen schweren Stiefeln, und in seinem Gesicht stand ein Grinsen. Er trug keinen Schild, nur mein Schwert.
Ich ließ meinen Schild auf die Straße fallen, nahm Wespenstachel in die linke Hand und zog mit der rechten das erbeutete Schwert. Finan unternahm einen letzten Versuch, mich zurückzuhalten, indem er mit ausgestrecktem Arm auf mich zukam.
«Halt dich da raus, du irischer Abschaum», knurrte Waormund, «du bist als Nächster dran.»
«Mein Kampf», erklärte ich Finan.
«Ich…»
«Mein Kampf», wiederholte ich lauter.
Während ich langsam auf meinen Gegner zuging, kam mir in den Sinn, dass Æthelhelm einen Fehler gemacht hatte. Warum hatte er gewartet? Warum hatte er nicht versucht, uns zu überwältigen und das Tor zu schließen? Und indem er Waormund gegen mich kämpfen ließ, gab er Æthelstan mehr Zeit, uns zu erreichen. Aber vielleicht wusste Æthelhelm mehr als ich, etwa, dass die Männer, die er zu den westlichen Toren geschickt hatte, schon jenseits der Wehrmauer gegen die mercische Streitmacht kämpften und dass Æthelstan dadurch zu stark eingebunden war, um hierherzukommen. Wieder sah ich Æthelhelm zur Wehrmauer schauen, aber auch dieses Mal zeigte er keine Beunruhigung. «Töte ihn, Waormund!», rief er.
«Verkrüpple ihn!», befahl Ælfweard mit hoher Stimme. «Ich muss ihn töten! Verkrüpple ihn nur für mich!»
Waormund war stehen geblieben. Er winkte mich mit der linken Hand zu sich. «Komm!», gurrte er, als wäre ich ein Kind. «Komm und lass dich zum Krüppel machen.»
Also blieb ich stehen und rührte mich nicht mehr. Falls Æthelstan auf dem Weg war, musste ich ihm so viel Zeit verschaffen, wie ich nur konnte. Und deshalb wartete ich ab. Schweiß brannte in meinen Augen. Es war heiß unter dem Helm. Ich hatte Schmerzen.
«Hast du Angst?», fragte Waormund und lachte. «Er hat Angst vor mir!» Er hatte sich umgedreht und rief den Westsachsen hinter Æthelhelm zu: «Das ist Uhtred von Bebbanburg! Und ich habe ihn schon einmal geschlagen! Hab ihn nackt hinter meinem Pferd hergezogen! Und das ist sein Schwert!» Er hielt Schlangenhauch in die Höhe. «Es ist ein gutes Schwert.» Er richtete seine kalten, grausamen Tieraugen wieder auf mich. «Du verdienst diese Klinge nicht», knurrte er, «du feiger Scheißhaufen.»
«Töte ihn!», rief Æthelhelm.
«Verkrüpple ihn!», verlangte Ælfweard mit seiner schrillen Stimme.
«Komm, alter Mann.» Waormund winkte mich erneut zu sich, «komm.»
Männer sahen uns zu. Ich bewegte mich nicht. Ich hielt mein Schwert niedrig. Die Klinge hatte keinen Namen. Schweiß lief mir übers Gesicht. Da griff Waormund an. Er griff schlagartig an, und für einen großen Mann war er schnell. Er hielt Schlangenhauch in der rechten Hand, seine linke war leer. Er wollte den Kampf rasch beenden, und ich machte es ihm nicht leicht, indem ich mich nicht rührte, und deshalb hatte er sich für den Angriff entschieden, wollte Schlangenhauch in einem einzigen gewaltigen Hieb auf mich niederfahren lassen, um meine Verteidigung zu brechen, mich dann mit seinem ganzen Gewicht rammen, sodass ich zu Boden ging, wo er mich entwaffnen konnte, und mich dann Ælfweards Gnade ausliefern. Also tu das Unerwartete, sagte ich mir und trat einen halben Schritt nach rechts, was er erwartete, doch dann warf ich mich geradewegs gegen ihn. Ich traf ihn mit meiner linken Schulter, und der Schmerz war unvermittelt und heftig. Ich hatte gehofft, Wespenstachel würde sein Kettenhemd durchbohren, doch im letzten Augenblick bewegte er sich auf mich zu, und bei unserem Zusammenprall glitt meine Klinge an seiner Mitte vorbei, und ich roch das Ale in seinem Atem und den Gestank des schweißgetränkten Leders unter seinem Kettenhemd. Es war, als würde ich mich mit meinem gesamten Gewicht gegen einen Ochsen werfen, aber ich war auf den Aufprall gefasst gewesen und vorbereitet, und Waormund war es nicht. Er schwankte etwas, bewahrte jedoch das Gleichgewicht, dann drehte er sich schnell und Schlangenhauch schwingend herum. Ich fing den Hieb mit Wespenstachel ab, sah Waormunds linke Hand nach mir greifen, doch er hatte noch keinen sicheren Stand, und ich wich aus, bevor er mich packen konnte. Ich drehte mich, um mit dem erbeuteten Schwert zuzustoßen, doch er war zu schnell und schon zurückgewichen.
«Mach es kurz!», rief Æthelhelm. Er musste erkannt haben, dass er mit diesem Kampf Zeit vergeudete, Zeit, die er möglicherweise nicht hatte, aber er wusste auch, dass mein Tod die Mercier entmutigen würde, sodass sie leichter niedergemacht werden konnten, und deshalb überließ er mich Waormund. «Bring es hinter dich, Mann!», fügte er gereizt hinzu.
«Du nordländischer Scheißhaufen», sagte Waormund, dann grinste er höhnisch, «im Norden sind schon alle tot! Und du bist es auch bald.» Er machte einen Halbschritt auf mich zu, hatte Schlangenhauch gehoben, doch ich bewegte mich nicht. Ich hatte seinen Blick beobachtet und wusste, dass es eine Finte war. Er trat wieder zurück. «Ein gutes Schwert ist das», sagte er, «besser, als es ein Kackhaufen wie du verdient.» Dann griff er mich erneut an, dieses Mal ernsthaft, stieß Schlangenhauch vor und hoffte wieder darauf, mich mit seinem Gewicht von den Füßen zu holen, aber ich setzte mein Langschwert ein, um Schlangenhauch nach rechts abzulenken, und tat einen Schritt nach links. Er schwang die Klinge mit der Rückhand herum, während er sich zu mir drehte, ich fing sie mit meinem Schwert ab, spürte den Aufprall von Stahl auf Stahl, dann ging ich nach rechts, immer noch dicht bei ihm, lief in seinen Schwertarm, ohne stehen zu bleiben, und in der Bewegung stieß ich Wespenstachel gegen seinen Bauch vor.
Im selben Moment wusste ich, dass ich einen Fehler beging, dass er mich genarrt hatte und dass ich genau das tat, was er wollte. Mir kam der Kampf auf der Terrasse über der Temes in den Sinn und wie er mein Kettenhemd gepackt hatte. Das war seine Art zu kämpfen. Er wollte mich dicht bei sich haben, damit er mich packen und schütteln konnte, wie ein Terrier eine Ratte schüttelt. Er wollte mich dicht bei sich haben, wo er mich mit seiner Größe, seinem Gewicht und seiner Stärke überwältigen konnte, und nun war ich sehr dicht bei ihm. Als ich rechts an ihm vorbeikam, sah ich seine linke Hand nach mir greifen, und beinahe wäre ich noch ausgewichen, doch der Gedanke war zu spät gekommen, ich war auf die Bewegung festgelegt, und so stach ich mit dem Sax zu. Ich achtete nicht auf den glühenden Schmerz in meiner linken Schulter, rammte nur Wespenstachel so heftig vor, wie ich es vermochte. Er bereitete mir Qualen, dieser Stoß, schreckliche Qualen. Die Anstrengung ließ mich laut aufkeuchen, aber ich drückte die Klinge weiter vor, achtete nicht auf den Schmerz.
Waormund hatte nach einem meiner Wangenstücke greifen wollen, doch Wespenstachel war schneller. Die Klinge durchdrang Kettenglieder und Leder. Sie schnitt durch feste Muskeln. Sie versenkte ihre halbe Länge in seinen Gedärmen, und seine ausgestreckte Hand sank herab, als er sich mit verzerrtem Gesicht hastig wegdrehte, so hastig, dass er mir Wespenstachels Heft aus der Hand zog und die Klinge in seinem Bauch stecken blieb, während das erste Blut zwischen den Kettengliedern hervortrat, die sie durchbohrt hatte. Ich wich zurück. «Du bist langsam», spottete ich – die ersten Worte, die ich zu ihm gesagt hatte.
«Bastard», knurrte er, und ohne auf den Sax in seinen Gedärmen zu achten, ging er wieder auf mich los. Nun war er wütend. Zuvor war er verächtlich gewesen, jetzt aber raste er vor Zorn, hackte in wilden, kurzen Schwüngen mit Schlangenhauch auf mich ein, und unsere Klingen trafen hallend aufeinander, als er mich mit der schieren Wucht seiner Schwerthiebe zum Rückzug zwang. Doch sein Zorn war blind, raubte ihm die Überlegung, und die Hiebe, obwohl gnadenlos hart, waren recht leicht abzuwehren. Ich verspottete ihn. Nannte ihn einen schwachköpfigen Kuhfurz, sagte, seine Mutter hätte ihn ausgeschissen, statt zu gebären, und dass man ihn in ganz Britannien Æthelhelms Arschkriecher nennen würde. «Du stirbst, du Made», höhnte ich, «die Klinge in deinem Bauch bringt dich um!» Er wusste, dass es vermutlich so kommen würde. Ich habe erlebt, wie sich Männer von grausigen Verletzungen erholten, aber kaum je von tiefen Bauchwunden. «Es wird ein langsames, qualvolles Sterben», erklärte ich ihm, «und man wird sich an mich als den Mann erinnern, der Æthelhelms Arschkriecher getötet hat.»
«Bastard!» Waormund weinte beinahe vor Zorn. Er wusste, dass er wahrscheinlich nicht überleben würde, doch zumindest konnte er mich zuvor töten und dadurch sein Ansehen retten. Wieder holte er aus, und ich wehrte Schlangenhauch ab und spürte, wie die Erschütterung des Hiebes meinen Arm hinaufschnellte. Schlangenhauch hatte so manche Klinge zerschlagen, doch wie durch ein Wunder war mein erbeutetes Schwert unter keinem seiner Hiebe zerbrochen. Waormund stieß schnell vor, ich drehte mich weg, stolperte fast über lose Steine, und nun brüllte Waormund, halb vor Zorn und halb vor Schmerz. Wespenstachel steckte tief in seinen Eingeweiden, hatte sie aufgerissen, und das Blut aus seinem Bauch quoll durch das Kettenhemd und tropfte auf die Straße. Er wollte die Klinge herausziehen, doch sein Fleisch hatte sich darum geschlossen, sich festgesaugt, und sein Versuch vergrößerte seine Schmerzen nur, also ließ er die Klinge, wo sie war, stieß erneut vor, doch langsamer, und ich wehrte seinen Hieb seitwärts ab, stieß selbst vor, zielte auf sein Gesicht, ließ dann jedoch meine Klinge abwärtsfahren, um Wespenstachels Heft zu treffen. Damit fügte ich ihm weitere Qualen zu, das sah ich in seinem Blick. Er schwankte zurück, stolperte, dann fand er neuen Zorn und neue Kraft. Wie rasend griff er an, trieb mich mit einem gewaltigen Hieb nach dem anderen zurück, bei jedem Schwung grunzend vor Anstrengung. Ich wehrte einige Hiebe ab, wich anderen aus, gab mich zufrieden damit, dass ihn Wespenstachel langsam tötete und uns so weitere Zeit verschaffte. Waormund wurde schwächer, doch seine Kraft war ungeheuer, und er zwang mich bis zu Rumwalds Schildwall zurück. Die Mercier hatten gejubelt, als sie mich Wespenstachel in Waormunds Gedärme rammen sahen, nun aber waren sie still, überwältigt von dem Anblick des hünenhaften Kriegers, der, obwohl eine Klinge bis zum Heft in seinem Bauch steckte, mit solch irrsinniger Raserei angriff. Er litt Qualen, er wurde langsamer, aber noch immer versuchte er, mich niederzumachen.
Dann erklang von Westen her ein Horn. Ein drängender, warnender Ton. Das Horn wurde auf der Wehrmauer geblasen, und das Geräusch ließ Waormund zögern. «Jetzt!», brüllte Æthelhelm. «Jetzt!»
Damit befahl er seinem Schildwall vorzurücken, befahl seinen Männern, uns zu töten, befahl ihnen, das Tor zu schließen.
Doch Waormund hatte sich bei dem Befehlsruf seines Gebieters einen Moment lang umgedreht, und mein erbeutetes Schwert, dessen Kante von den wuchtigen Angriffen Schlangenhauchs eingekerbt war, fuhr durch seinen wirren Bart und in seine Kehle. Blut spritzte in die warme Luft. Sein Blick schnellte wieder zu mir herum, aber alle Kraft war aus ihm gewichen, und einen Moment lang starrte er mich nur ungläubig an. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, doch nur Blut quoll über seine Lippen, und dann, merkwürdig langsam, ging er auf dem staubigen, steinigen, mit seinem Blut getränkten Grund in die Knie. Noch immer sah er mich an, nun allerdings mit einem Ausdruck, als wolle er mich um Erbarmen bitten, doch ich hatte kein Erbarmen. Ich schlug erneut auf Wespenstachels Heft, und Waormund wimmerte, und dann kippte er seitwärts um.
«Tötet sie alle!», brüllte Æthelhelm.
Ich hatte gerade genügend Zeit, um das blutbesudelte erbeutete Schwert fallen zu lassen, mich vorzubeugen und Waormund Schlangenhauch aus den erschlaffenden Fingern zu winden. Dann rannte ich, oder stolperte vielmehr, zurück zu unserem Schildwall, wo mir Finan meinen abgeworfenen Schild reichte. Der Trommelschlag setzte wieder ein. Das Horn blies weiter seine drängende Warnung. Und die Krieger von Wessex kamen, um uns zu töten.
Sie kamen langsam. Die Dichter erzählen uns, dass Männer in den Kampf stürmen, die Schlacht ebenso eifrig willkommen heißen wie eine Geliebte, doch ein Schildwall ist eine furchterregende Sache. Die Männer von Wessex wussten, dass sie unsere Linie nicht mit einem wilden Angriff durchbrechen konnten, sondern das Tor hinter uns nur erreichen würden, wenn sie ihre Reihen dicht geschlossen hielten und ihre Schilde überlappten, und so rückten sie auf uns zu, mit aufmerksamen, grimmigen Mienen über den eisenbeschlagenen Rändern ihrer mit dem springenden Hirsch bemalten Schilde. Jeder dritte Mann trug einen gekürzten Speer, die anderen kamen entweder mit einem Sax oder einer Axt. Ich hatte Wespenstachel in Waormunds Bauch stecken lassen, und ich brauchte ihn. Ein Langschwert ist keine Waffe für einen Schildwall, doch nun hatte ich Schlangenhauch in der Hand und musste das Schwert benutzen.
«Unser König kommt!», rief ich. «Haltet sie auf!»
«Tötet sie!», ertönte Ælfweards schrille Stimme. «Schlachtet sie ab!»
Die westsächsischen Speere waren gesenkt. Ich hatte angenommen, sie würden aus den hinteren Reihen Speere werfen, doch kein einziger kam, obwohl Wihtgars Männer Speere über unsere Köpfe hinwegschleuderten. Die Klingen fuhren in westsächsische Schilde. «Brecht ihre Reihe auf!», rief Æthelhelm, und sie rückten vorwärts, noch immer vorsichtig, einen Bogen um Waormunds massigen Körper schlagend. Unaufhörlich dröhnten ihre Schilde mit den Kanten aneinander. Sie waren nun sehr dicht vor uns, so dicht. Sie starrten uns in die Augen, wir starrten in ihre. Männer atmeten tief ein, wappneten sich für den Zusammenprall der Schilde. Schroffe Stimmen befahlen sie weiter vorwärts. «Tötet sie!», schrie Ælfweard erregt. Er hatte ein Schwert gezogen, hielt sich jedoch ein gutes Stück von dem Kampf entfernt.
«Für Gott und den König!», rief ein Westsachse, und dann kamen sie. Sie brüllten, sie schrien, sie stürmten die letzten beiden Schritte vor, und unsere Schilde trafen mit dem Donner aufeinanderstoßenden Holzes zusammen. Mein Schild wurde zurückgedrückt, ich hielt dagegen. Eine Axt hackte auf den Rand, verfehlte knapp mein Gesicht, und ich hatte die Grimasse eines Kriegers mit zusammengebissenen Zähnen und einem schlecht ausgebesserten Helm vor mir. Er versuchte, einen Sax an meinem Schildrand vorbeizustoßen, während der Axtmann meinen Schild herunterziehen wollte, doch die Axtklinge glitt von der Delle ab, die er in den Rand geschlagen hatte, und ich hielt wieder dagegen, drückte den Grimassenmann zurück, und Finan musste seinen Sax in ihn gerammt haben, denn er sank zu Boden und gab mir so Raum genug, um mit Schlangenhauch auf den Axtmann vorzustoßen.
Männer schrien. Klingen trafen aufeinander. Priester riefen ihren Gott darum an, dass er uns töten solle. Ein mercischer Speermann hinter mir stieß an meinem Schild vorbei. Ich hörte Æthelhelm, der seinen Männern mit einem schreckerfüllten Beiklang in der Stimme zubrüllte, sie sollten das Tor schließen. Ich schaute zu ihm auf, und für einen Moment kreuzten sich unsere Blicke. «Schließt das Tor!» Seine Stimme war schrill. Ich sah wieder von ihm weg, als eine Axt in meinen Schild fuhr. Ich schüttelte die Klinge ab, während ein mercischer Speermann seine Waffe an mir vorbeirammte. Ich stieß Schlangenhauch vor, spürte die Klinge auf Holz treffen und stieß erneut vor, doch mein Ellbogen wurde von Rumwald behindert, der gegen mich getaumelt war. Er wimmerte, dann fiel sein Schild herab, und er sank zu Boden. Der Speermann hinter mir versuchte, seinen Platz einzunehmen, doch Rumwald schrie vor Schmerzen und ruderte wild mit den Gliedern, sodass der Speermann nicht vorrücken konnte. Ein westsächsischer Speer durchbohrte Rumwalds Kettenhemd, dann spaltete eine gnädige Axt seinen Helm und zerschmetterte seinen Schädel. Unser Speermann stieß gegen den Krieger vor, der Rumwald getötet hatte, doch ein Westsachse packte den Eschenschaft und zog daran, bis sich Schlangenhauch in seine Achselhöhle bohrte.
«Tötet sie!», kreischte Ælfweard. «Tötet sie! Tötet sie! Tötet sie alle!»
«Ihr müsst das Tor schließen!», brüllte Æthelhelm.
«Gott ist mit uns!» Pater Odas Stimme war heiser. Die Männer in unserer letzten Reihe spornten uns zum Töten an. Verwundete stöhnten, die Sterbenden schrien, der Schlachtengestank von Blut und Exkrementen erfüllte meine Nase.
«Haltet sie auf!», brüllte ich. Ein Speer oder ein Sax streifte meinen Oberschenkel, Finan schlug zurück. Der Speermann aus der zweiten Reihe war über Rumwalds Körper hinweggestiegen, und sein Schild berührte meinen. Er war vielleicht lange genug an meiner Seite, um seinen Speer einmal vorzustoßen, dann fuhr eine Axt in seine Schulter, spaltete sie, und er fiel neben seinen Herrn, und der Axtmann, ein hellhaariger Mann mit blutgesprenkeltem Bart, schwang seine Klinge gegen mich, und ich hob den Schild, um den Hieb aufzuhalten, sah das Holz splittern, wo die Klinge einschlug, schwang den Schild nach unten und fuhr mit Schlangenhauch gegen seine Augen vor. Er zuckte weg, ein anderer Mann hatte den Platz des sterbenden Merciers eingenommen und rammte einen gekürzten Speer vor, trieb die Klinge in den Schritt des Axtmannes. Die Axt fiel herab, der Mann schrie vor Qual und ging, wie Waormund, in die Knie. Tote und Sterbende lagen zwischen uns und den Gegnern, die auf die Körper treten mussten, um uns zu erreichen und zu versuchen, sich stechend, stoßend und hackend einen Weg zu dem Tor zu bahnen. Noch immer wurden die Trommeln geschlagen, Schilde splitterten, und die Westsachsen drängten uns mit der Macht ihrer Überzahl zurück.
Dann ertönte ein Schrei hinter mir, ein Jubeln, Hufgeklapper, und etwas rammte meinen Rücken, warf mich auf die Knie, und als ich aufsah, schleuderte ein Reiter einen langen Speer über meinen Kopf hinweg. Weitere Reiter tauchten auf. Der Jubel der Mercier wurde lauter. Es gelang mir, wieder auf die Füße zu kommen. Finan hatte seinen Sax fallen lassen und Seelenräuber gezogen, denn die Reiter trieben die Westsachsen zurück, verschafften uns Platz für längere Klingen. «Brecht ihren Schildwall auf!», rief eine neue Stimme, und ich erhaschte einen Blick auf Æthelstan, sein Helm eine Pracht aus schimmernd blankgeriebenem, mit Gold umreiftem Stahl, während er seinen Hengst in die westsächsischen Reihen trieb. Der Kriegerkönig war gekommen, glorreich in Gold, erbarmungslos in Stahl, und er ließ wieder und wieder ein Langschwert herabfahren, schlug seine Gegner nieder. Seine Männer galoppierten zu ihm, Speere stießen zu, und schlagartig brachen die gegnerischen Reihen auf. Sie brachen einfach auf. Die längeren Speere der mercischen Reiter waren weit in die westsächsischen Reihen vorgedrungen, und an einem anderen Tag, auf einem anderen Schlachtfeld, hätte dies keine Bedeutung gehabt. Pferde sind leicht zu verwunden, und ein verängstigtes Pferd ist keine Hilfe für seinen Reiter, doch an diesem Tag, an dem Tor der Krüppel, kamen die Reiter mit wilder Entschlossenheit, geführt von einem König, der selbst kämpfen wollte und an der Spitze seiner Männer ritt. Auf der Brust seines Hengstes war Blut, doch das Pferd galoppierte weiter, ging auf die Hinterbeine, ruderte mit schweren Hufen, und Æthelstan hob sein rot triefendes Langschwert, rief seine Männer voran, und unseren Schildwall, der vor dem Tod gerettet worden war, erfüllte neue Leidenschaft. Unsere Linie, so kurz und so verletzlich, stürmte voran. Brihtwulf war zurück und schloss sich dem Angriff an, brüllte seinen Männern zu, dass sie ihm folgen sollten, dann spalteten Æthelstans Reiter den gegnerischen Schildwall, und die Ordnung der Westsachsen löste sich in kopflosem Schrecken auf.
Denn ein König war gekommen, und ein König ergriff nun die Flucht.
«Lieber Herr Jesus», sagte Finan.
Wir saßen auf der untersten Stufe der Treppe zur Wehrmauer, von der die Gegner nun eilig verschwanden. Ich zog den Helm ab und ließ ihn zu Boden fallen. «Verdammte Hitze», sagte ich.
«Sommer», kam es knapp von Finan.
Immer mehr von Æthelstans Männern strömten durch das Tor. Die Ostanglier, die uns zuerst entgegengetreten waren, hatten ihre Schilde abgelegt, und was in der Stadt geschah, schien ihnen gleichgültig zu sein. Einige waren auf der Suche nach Ale zum Tor zurückgewandert, und sie schenkten uns keine Beachtung, so wie auch wir sie nicht beachteten. Immar hatte mir Wespenstachel gebracht. Der Sax lag vor mir auf dem Boden, wartete darauf, gereinigt zu werden, während Schlangenhauch auf meinen Knien lag. Immer wieder berührte ich die Klinge des Langschwertes, konnte kaum glauben, dass ich es wiederhatte.
«Den Bastard hast du ausgeweidet», sagte Finan und wies mit einem Nicken auf Waormunds Leichnam. Um ihn herum lagen etwa vierzig oder fünzig Tote aus Æthelhelms Schildwall. Den Verwundeten war in den Schatten geholfen worden, wo sie vor Schmerzen stöhnten.
«Er war schnell», sagte ich, «aber er war ungeschickt. Das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, er wäre besser.»
«Trotzdem ein gewaltiger Bastard.»
«Ein gewaltiger Bastard», stimmte ich ihm zu. Ich senkte den Blick auf meinen linken Oberschenkel. Die Blutung hatte aufgehört. Die Wunde war nur oberflächlich, und ich begann zu lachen.
«Was ist denn so lustig?», fragte Finan.
«Ich habe einen Eid geschworden.»
«Du warst schon immer ein Narr.»
Ich nickte. «Ich habe geschworen, Æthelhelm und Ælfweard zu töten, aber ich habe es nicht getan.»
«Du hast es versucht.»
«Ich habe versucht, einen Eid zu halten», sagte ich.
«Inzwischen sind sie vermutlich beide tot», sagte Finan, «und sie wären nicht tot, wenn du das Tor nicht erobert hättest, also hast du deinen Eid doch gehalten. Und wenn sie nicht tot sind, werden sie es bald sein.»
Ich blickte über die Stadt, wo das Töten weiterging. «Es würde mir trotzdem gefallen, sie beide zu töten», sagte ich sehnsüchtig.
«Du hast genug getan, zum Teufel!»
«Wir haben genug getan», stellte ich richtig. Æthelstan und seine Männer durchkämmten die Straßen und Gassen Lundenes nach Æthelhelm, Ælfweard und ihren Unterstützern, und zahlreich waren diese Unterstützer nicht. Die Ostanglier wollten nicht für sie kämpfen, und viele der Westsachsen legten einfach ihre Schilde und Waffen ab. Æthelhelms vielgepriesene Streitmacht, eine Streitmacht, wie sie in Britannien seit vielen Jahren nicht gesehen worden war, hatte sich als so zerbrechlich erwiesen wie eine Eierschale. Æthelstan war König.
Und als an diesem Abend der Rauch über Lundene im Widerschein der sinkenden Sonne glühte, schickte der König nach mir. Er war nun König von Wessex, König von Ostanglien und König von Mercien. «Es ist alles ein Land», erklärte er mir in dieser Nacht. Wir waren in dem großen Saal von Lundenes Palast, ursprünglich erbaut für die Könige von Mercien, dann von Alfred von Wessex besetzt, danach von seinem Sohn, Edward von Wessex, und nun im Besitz von Æthelstan, doch Æthelstan von was? Von Englaland? Ich schaute in seine dunklen, klugen Augen, die den Augen seines Großvaters Alfred so ähnlich waren, und wusste, dass er an das vierte sächsische Königreich dachte, Northumbrien.
«Ihr habt einen Eid geschworen, Herr König», erinnerte ich ihn.
«Das habe ich in der Tat», sagte er, ohne mich anzusehen. Stattdessen blickte er von dem Podest mit der Ehrentafel in den Saal hinunter, wo die Anführer seiner Krieger an zwei langen Tischen zusammensaßen. Finan war mit Brihtwulf dort, ebenso wie Wihtgar und Merewalh, und sie tranken Ale oder Wein, denn dies war ein Festmahl, eine Feier, und die Sieger aßen, was den Besiegten gehört hatte. Auch einige der besiegten Westsachsen waren dabei, diejenigen, die sich schnell ergeben und ihrem Eroberer Gefolgschaft geschworen hatten. Die meisten Männer trugen noch immer ihr Kettenhemd, Æthelstan allerdings hatte seine Kampfrüstung abgelegt und sich in eine kostspielige schwarze Jacke unter einem kurzen, tiefblau gefärbten Umhang gekleidet. Die Säume des Umhangs waren mit Goldfäden bestickt, er hatte eine Goldkette mit einem goldenen Kreuz um den Hals hängen, und um seinen Kopf lag ein einfacher Goldreif. Er war nicht länger der Junge, den ich all die Jahre beschützt hatte, während seine Gegner versuchten, ihn zu vernichten. Nun hatte er das ernste Antlitz eines Kriegerkönigs. Er sah auch wie ein König aus; er war groß, von aufrechter Haltung und gut aussehend, aber das war nicht der Grund, aus dem ihn seine Gegner Faeger Cnapa genannt hatten. Sie hatten diesen Spottnamen verwendet, weil Æthelstan sein dunkles Haar hatte lang wachsen lassen und es seither mit Golddrähten in ein Dutzend Locken drehte. Vor dem Festmahl, als ich herbefohlen worden war, um an der Ehrentafel Platz zu nehmen, hatte er bemerkt, wie ich die glitzernden Strähnen unter dem Goldreif angestarrt hatte, und meinen Blick herausfordernd erwidert.
«Ein König», hatte er zu seiner Verteidigung gesagt, «muss königlich auftreten.»
«Das muss er in der Tat, Herr König», hatte ich erwidert. Er hatte mich mit diesen klugen Augen angesehen, abgeschätzt, ob ich mich über ihn lustig machte, doch bevor er mehr sagen konnte, hatte ich mich auf ein Knie niedergelassen. «Euer Sieg ist mir eine Freude, Herr König», hatte ich demütig gesagt.
«Ebenso wie ich dankbar für alles bin, was Ihr getan habt», hatte er gesagt, mich aufstehen lassen und darauf bestanden, dass ich zu seiner Rechten Platz nahm, wo ich ihn nun, den Blick auf die feiernden Krieger im Saal gerichtet, an den Eid erinnerte, den er mir geschworen hatte.
«Ich habe in der Tat einen Eid geschworen», sagte er. «Ich habe geschworen, nicht in Northumbrien einzurücken, solange Ihr lebt.» Er hielt einen Augenblick inne und griff nach einem Silberbecher, in den Æthelhelms Hirsch eingeätzt war. «Und Ihr könnt gewiss sein», fuhr er fort, «dass ich diesen Eid achte.» Seine Stimme klang verhalten, und er schaute noch immer in den Saal, doch dann wandte er sich mir zu und lächelte. «Und ich danke Gott, dass Ihr lebt, Herr Uhtred.» Er schenkte mir Wein aus dem Krug ein. «Wie ich höre, habt Ihr Königin Eadgifu gerettet?»
«Das habe ich, Herr König.» Es erschien mir noch immer seltsam, ihn so anzusprechen, wie ich seinen Großvater angesprochen hatte. «Soweit ich weiß, ist sie sicher in Bebbanburg.»
«Das war gut gemacht», sagte er. «Ihr könnt sie nach Cent schicken und ihr versichern, dass sie unter unserem Schutz steht.»
«Und ihre Söhne auch?»
«Gewiss!» Er klang ungehalten darüber, dass ich überhaupt gefragt hatte. «Sie sind meine Halbbrüder.» Er trank einen Schluck Wein, den Blick nachdenklich auf die Tische unterhalb von uns gerichtet. «Und ich höre, dass Ihr Æthelwulf als Gefangenen haltet.»
«So ist es, Herr König.»
«Ihr werdet ihn zu mir schicken. Und lasst den Priester frei.» Er wartete nicht auf meine Einwilligung, sondern ging ohne weiteres davon aus, dass ich ihm gehorchen würde. «Was wisst Ihr von Guthfrith?»
Diese Frage hatte ich erwartet, denn Guthfrith, der Bruder Sigtryggrs, hatte den Thron in Eoferwic eingenommen. Sigtryggr war an der Pest gestorben, und das war schon fast alles, was Æthelstan von den Geschehnissen im Norden wusste. Er hatte gehört, dass die Krankheit vorübergegangen war, und befohlen, die Straßen nach Eoferwic wieder freizugeben, doch von Bebbanburg konnte er mir nichts berichten. Weder wusste er etwas über das Schicksal seiner Schwester, Sigtryggrs Königin, noch über das meiner Enkel. «Alles, was ich weiß, Herr König», antwortete ich zurückhaltend, «ist, dass Sigtryggr seinen Bruder nicht gemocht hat.»
«Er ist ein Norweger.»
«Gewiss.»
«Und ein Heide», sagte er mit einem Blick auf den silbernen Thorshammer, den ich immer noch trug.
«Und einige Heiden, Herr König», gab ich scharf zurück, «haben mitgeholfen, das Crepelgate für Euch offen zu halten.»
Dazu nickte er nur, goss den letzten Wein in seinen Becher, stand auf und klopfte mit dem leeren Krug auf den Tisch, damit im Saal Ruhe einkehrte. Er klopfte wenigstens ein Dutzend Mal, bevor der Lärm versiegte und ihn sämtliche Krieger ansahen. Er hob seinen Becher. «Ich muss dem Herrn Uhtred danken», er neigte den Kopf in meine Richtung, «der uns am heutigen Tag Lundene wiedergegeben hat.»
Die Krieger jubelten, und ich hatte den König daran erinnern wollen, dass mich Brihtwulf unterstützt hatte und der arme Rumwald bei seiner Unterstützung umgekommen war und dass so viele gute Männer beim Crepelgate gekämpft und damit gerechnet hatten, für ihn zu sterben, und einige auch gestorben waren, doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, wandte sich Æthelstan schon zu Pater Oda um, der zu seiner Linken saß. Ich wusste, dass er den dänischen Priester einlud, in seinem Hausstand zu dienen, und ich wusste, dass Oda diese Einladung annehmen würde.
Æthelhelm war tot. Er war gefasst worden, als er durch eines der westlichen Stadttore hatte fliehen wollen, und Merewalh, der sich Æthelstans Einheiten angeschlossen hatte, war einer der Männer gewesen, die ihn mit Speeren durchbohrten. Ælfweard hatte den Anschluss an seinen Onkel verloren und mit gerade einmal vier Mann versucht, über die Brücke von Lundene zu entkommen, nur um festzustellen, dass ihm die Festung am südlichen Ende von der Handvoll Männer versperrt wurde, die wir dort zurückgelassen hatten. Er hatte sie angefleht, ihn durchzulassen, hatte ihnen Gold angeboten, und sie hatten zugestimmt, doch als er durch das geöffnete Tor geritten war, hatten sie ihn vom Pferd gezogen und ihm sowohl sein Gold als auch seine Krone abgenommen. Seine vier Mann hatten tatenlos zugesehen.
Nun, nach dem Festmahl, als Männer anfingen zu singen und ein Harfenist spielte, wurde Ælfweard vor Æthelstan gebracht. Kerzen erleuchteten den Saal mit flackernden Flammen, deren Schatten über die hohen Deckenbalken zuckten. Der Junge – er war zwanzig Jahre alt, sah jedoch sechs oder sieben Jahre jünger aus – wurde von zwei Kriegern bewacht. Er wirkte vollkommen verängstigt, das Mondgesicht vom Weinen verquollen. Er trug nicht mehr seine schöne Kampfrüstung, sondern ein schmuddeliges Hemd, das ihm bis zu den Knien herabhing. Er wurde über die Treppen auf das Podest mit der Ehrentafel geschoben, der Harfenist hörte auf zu spielen, der Gesang verstummte, und Æthelstan erhob sich und ging um den Tisch herum nach vorn, sodass jeder Mann in dem nun stillen Saal diese Begegnung der Halbbrüder mitverfolgen konnte. Der eine so groß und gebieterisch, der andere so jämmerlich, als er auf die Knie sank. Einer der beiden Bewacher Ælfweards hielt die Krone in der Hand, die der Junge in der Schlacht getragen hatte, und nun streckte Æthelstan die Hand aus und übernahm sie. Er drehte sie zwischen seinen Fingern, sodass die Smaragde im Kerzenlicht blitzten, dann hielt er sie Ælfweard entgegen. «Setz sie auf!», befahl er seinem Halbbruder. «Und erheb dich.»
Ælfweard hob den Blick, sagte jedoch nichts. Seine Hände zitterten.
Æthelstan lächelte. «Komm, Bruder», sagte er und streckte die linke Hand aus, um Ælfweard auf die Füße zu helfen, dann gab er ihm die Krone. «Trage sie mit Stolz! Sie war das Geschenk unseres Vaters an dich.»
Ælfweard hatte zunächst erstaunt gewirkt, doch nun grinste er, weil er glaubte, er würde weiterhin König von Wessex sein, wenn auch Æthelstan untergeordnet, und er setzte sich die Krone auf. «Ich werde dir treu ergeben sein», versprach er seinem Halbbruder.
«Gewiss wirst du das», sagte Æthelstan mit sanfter Stimme. Er wandte sich an einen der Bewacher. «Dein Schwert», befahl er, und als er die lange Klinge in der Hand hielt, deutete er damit auf Ælfweard. «Und jetzt wirst du mir einen Schwur leisten», sagte er.
«Mit Freuden», blökte Ælfweard.
«Berühre das Schwert, Bruder», sagte Æthelstan immer noch sanft, und als Ælfweard zögernd die Hand auf die Klinge legte, stieß Æthelstan einfach zu. Ein gerader, wilder Stoß, der den Brustkorb seines Halbbruders zertrümmerte, ihn zurückwarf, während Æthelstan der Bewegung folgte, und dann durchbohrte das Schwert Ælfweards Herz. Einige Männer keuchten auf, eine Dienstmagd schrie, Pater Oda bekreuzigte sich, doch Æthelstan sah einfach nur zu, wie sein Bruder starb. «Bringt ihn nach Wintanceaster», sagte er, als der Körper zu bluten aufhörte und die letzten Zuckungen endeten. Er zog die Klinge frei. «Bestattet ihn neben seinem Vater.»
Die Smaragdkrone war unter den Tisch gerollt und an meinen Knöchel gestoßen. Ich hob sie auf und hielt sie ein paar Herzschläge lang in den Händen. Dies war die Krone von Wessex, Alfreds Krone, und ich erinnerte mich daran, wie mir der sterbende König erklärt hatte, sie sei eine Dornenkrone. Ich legte sie auf das Leintuch, das die Tafel bedeckte, und sah Æthelstan an. «Eure Krone, Herr König.»
«Nicht, bevor mich Erzbischof Athelm weiht», sagte Æthelstan. Der Erzbischof, der in dem Palast als bevorzugter Gefangener gehalten worden war, saß ebenfalls an der Ehrentafel. Er wirkte verwirrt, seine Hände zitterten beim Essen und Trinken, doch er nickte zu Æthelstans Worten.
«Und Ihr werdet zu der Zeremonie kommen, Herr Uhtred», verlangte Æthelstan, was bedeutete, dass ich dem feierlichen Moment beiwohnen sollte, in dem der Erzbischof von Contwaraburg den königlichen Helm auf das Haupt des neuen Königs setzte.
«Mit Eurer Erlaubnis, Herr König», sagte ich. «Ich möchte nach Hause gehen.»
Er zögerte einen Moment, dann nickte er unvermittelt. «Ihr habt meine Erlaubnis», sagte er.
Ich würde nach Hause gehen.
Nach einiger Zeit erfuhren wir, dass Æthelstan gekrönt worden war. Die Zeremonie wurde in Cyningestun an der Temes abgehalten, wo seinem Vater der königliche Helm von Wessex verliehen worden war, doch Æthelstan lehnte den Helm ab, bestand stattdessen darauf, dass ihm der Erzbischof die Smaragdkrone auf sein golddurchwirktes Haar setzte. Die Aldermänner dreier Königreiche erkannten das Geschehen durch ihren Beifall an, und so rückte Alfreds Traum von einem christlichen Königreich einen Schritt näher.
Und nun saß ich auf dem hohen Felsen von Bebbanburg, hatte den von Kerzen erleuchteten Palas hinter mir, die vom Mond versilberte See vor mir und dachte an den Tod. An Folcbald, getötet von einem Speerstoß in dem Schildwall am Crepelgate. An Sigtryggr, niedergeworfen vom Fieber und mit einem Schwert in der Hand in seinem Bett sterbend. An seine zwei Kinder, meine Enkel, beide tot. An Eadith, die nach Eoferwic gegangen war, um für die Kinder zu sorgen, von ihnen mit der Pest angesteckt worden war und nun unter der Erde lag.
«Warum ist sie dort hin?», hatte ich meinen Sohn gefragt.
«Sie dachte, du würdest wollen, dass sie es tut.»
Ich hatte nichts dazu gesagt, nur Schuldgefühle empfunden. Die Pest war im Norden nicht bis nach Bebbanburg vorgedrungen. Mein Sohn hatte die Straßen sperren lassen, Reisenden bei Todesstrafe verboten, auf unser Gebiet zu kommen, und so hatte die Krankheit das Land von Lindcolne bis Eoferwic heimgesucht und sich dann über die Gehöfte des weiten Tals im Umkreis der Stadt weiter ausgebreitet, war jedoch von Bebbanburg ferngehalten worden. Als wir Eoferwic auf unserer Reise nach Norden erreichten, war die Pest schon zum Erliegen gekommen.
Und in Eoferwic war Guthfrith König, nachdem seine Wahl von den dänischen Jarlen unterstützt worden war, die noch immer weite Teile Northumbriens regierten. Ich war ihm kurz begegnet. Wie sein Bruder Sigtryggr war er ein magerer, hellhaariger und gutaussehender Mann, doch anders als Sigtryggr besaß er ein verdrießliches, misstrauisches Wesen. An dem Abend unserer Begegnung, an dem er mich widerwillig in seinem großen Palas bewirtete, hatte er Gefolgschaft von mir gefordert, hatte gefordert, dass ich ihm den Treueid schwor, doch er hatte den Eid nicht sofort gewollt, hatte angenommen, dass nach dem Festmahl noch genügend Zeit für diese kurze Zeremonie sein würde. Dann hatte er Met und Ale getrunken, hatte nach mehr Met verlangt, dröhnend gelacht, als einer seiner Männer eine Dienstmagd auf einen Tisch drückte. «Bringt sie hierher!», rief er. «Bringt das Weibsstück her!» Doch bis die Magd auf das Podest gezerrt worden war, auf dem wir aßen, hatte sich Guthfrith schon auf die Binsenstreu übergeben und war gleich darauf eingeschlafen. Wir brachen am nächsten Vormittag auf, mit Pferden, die wir uns von Æthelhelms besiegter Streitmacht geholt hatten, und ich hatte keinen Eid geschworen.
Ich war mit meinen Männern nach Hause geritten. Mit Finan, einem Iren, mit Gerbruht, einem Friesen, mit Immar, einem Dänen, mit Vidarr, einem Norweger, und mit Beornoth und Oswi, beide Sachsen. Wir waren sieben Krieger, doch wir waren auch Brüder. Und mit uns ritten die Kinder, die wir aus Lundene gerettet hatten, ein Dutzend der Sklaven, die wir von Gunnalds Schiff befreit hatten, und Benedetta.
Und Eadith war tot.
Und ich war endlich zu Hause, dort, wo der Meereswind über den Felsen fegte und wo ich über die Toten nachdachte, wo ich über die Zukunft nachdachte und wo ich über die drei Königreiche nachdachte, die nun eines waren und nach einem vierten strebten.
Benedetta saß neben mir. Wie immer war Alaina in ihrer Nähe. Das Kind kauerte neben ihr, sah zu, wie Benedetta meine Hand nahm. Ich umklammerte ihre Hand, womöglich zu fest, doch sie beschwerte sich nicht und zog ihre Hand auch nicht weg. «Du hast dir nicht gewünscht, dass sie tot ist», sagte sie.
«Doch, das habe ich», sagte ich trostlos.
«Dann wird Gott dir vergeben», sagte sie und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. «Er hat uns erschaffen», fügte sie hinzu, «also muss er uns nehmen, wie wir sind. Das ist Sein Schicksal.»
Ich war nach Hause gekommen.