5. Mai 1933 |
Verlängerung des „Berliner Vertrages“ von 1926 |
17. Mai 1933 |
Hitlers „Friedensrede“ im Reichstag |
15. Juli 1933 |
Unterzeichnung des „Viererpakts“ (nicht ratifiziert) |
20. Juli 1933 |
Reichskonkordat mit dem Vatikan |
14. Oktober 1933 |
Deutschland verlässt die Abrüstungskonferenz und den Völkerbund |
26. Januar 1934 |
Deutsch-polnischer Nichtangriffspakt |
1. März 1935 |
Wiedereingliederung des Saargebiets |
16. März 1935 |
Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht |
21. Mai 1935 |
Hitlers „Friedensprogramm“ im Reichstag |
18. Juni 1935 |
Deutsch-britisches Flottenabkommen |
7. März 1936 |
Remilitarisierung des Rheinlandes |
11. Juli 1936 |
Deutsch-österreichisches Abkommen |
26. Juli 1936 |
Beginn deutscher Unterstützung für General Franco |
25. November 1936 |
„Antikominternpakt“ zwischen Deutschland, Italien, Japan |
21. Dezember 1937 |
Weisung Hitlers für Angriff gegen die Tschechoslo wakei |
27. Januar 1938 |
Kriegsminister von Blomberg entlassen |
4. Februar 1938 |
Heeres-Oberbefehlshaber von Fritsch entlassen |
Februar 1938 |
Einrichtung des Oberkommandos der Wehrmacht |
12. März 1938 |
Besetzung und „Anschluss“ Österreichs |
30. September 1938 |
Münchner Abkommen |
15. März 1939 |
„Zerschlagung der Resttschechei“ |
23. März 1939 |
Einmarsch der Wehrmacht ins Memelgebiet |
3. April 1939 |
„Führerweisung“, den Angriff auf Polen vorzubereiten |
28. April 1939 |
Hitlers Reichstagsrede: Kündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffspakts und des deutsch-britischen Flottenabkommens |
23. August 1939 |
„Hitler-Stalin-Pakt“ |
1. September 1939 |
Deutscher Angriff auf Polen |
Langfristige Ambitionen
Die Außenpolitik des „Dritten Reiches“ bietet eine exemplarische Perspektive, um das Bewegungsgesetz der NS-Herrschaft – die Kombination von ideologischer Strategie mit machttaktischem Opportunismus – in seinem Wesen zu verstehen. Für das europäische, ja das Weltstaatensystem, bedeutete die Machtübernahme Hitlers eine revolutionäre Zäsur, die den wenigsten Menschen bewusst war. Der Sinn jeder Außenpolitik, wie Hitler sie aus seinen weltanschaulichen Prämissen ableitete und zur Maxime staatlichen Handelns erhob, lag darin, für das Deutsche Reich eine Weltmachtposition auf rassischer Grundlage zu erkämpfen. Das bedeutete zunächst, die Bevölkerung der eigenen Nation nach rassischen Kriterien zu sortieren und anschließend militärisch so zu erziehen, dass diese neu formierte „Volksgemeinschaft“ zum „Kampf um Lebensraum“ fähig und willens war. Das bedeutete auch, dass eine Revision des deutschen Status in Europa nicht auf das Territorium des ehemaligen Kaiserreiches beschränkt bleiben konnte. „Die Grenzen des Jahres 1914 bedeuten für die Zukunft der deutschen Nation gar nichts“, erklärte Hitler schon in Mein Kampf. Der zu erobernde „Lebensraum“ lag für ihn nicht in fernen Kolonien, sondern im Osten Europas. Dort lebten zugleich Millionen jener Menschen, die laut NS-Doktrin aufgrund ihres jüdischen Glaubens die bedrohliche „Gegenrasse“ personifizierten. Sie standen nach Hitlers Überzeugung hinter den demokratisch-liberalen Gesellschaftssystemen des Westens, ebenso wie hinter dem bolschewistischen Regime in der Sowjetunion. In dieser Perspektive amalgamierten der Kampf gegen „die Juden“, gegen „den Kommunismus“ und für den zu germanisierenden osteuropäischen Lebensraum zu einem großen strategischen Ziel, das eine jahrelange Vorbereitung erforderte. Einen zeitlichen „Fahrplan“ unterstellen zu wollen, nach dem bestimmte Teilziele – militärische Gleichberechtigung, Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, Anschluss erwünschter Territorien mit deutscher Bevölkerung – für ein bestimmtes Datum geplant waren oder bis zu ihm erreicht werden sollten, hieße Hitlers Art Politik zu treiben, misszuverstehen. Für ihn war entscheidend, diese Politik materiell zu ermöglichen, das avisierte Ziel mit aller Energie anzustreben und jeden Schritt dorthin möglichst schnell zu gehen. Wie bald man die einzelnen Stationen auf dem Weg zur Weltmacht erreichte, hing davon ab, welche vorhandenen Hürden, namentlich das Versailler Vertragssystem, die anderen Großmächte zu verteidigen bereit waren, und ob sie vielleicht sogar neue in den Weg stellen würden. Dass es Hitler mit all dem ernst war, erschließt sich nicht allein aus der Stringenz seiner einschlägigen Äußerungen vor 1933, sondern aus der Gesamtschau auf die Außenpolitik des „Dritten Reiches“. Man sollte deshalb auch nicht, wie in der früheren Forschung bisweilen angenommen, von der Unterscheidung zwischen einer „Revisionsphase“ der Außenpolitik bis etwa 1937 und einer anschließenden „Expansionsphase“ sprechen, sondern muss die Gesamtperspektive der ideologisch-programmatischen Grundlinie ernst nehmen, auch um die willentlich entfesselte Dynamik und Radikalisierung dieses Prozesses zu verstehen.
Täuschende Kontinuitäten
Die weit reichenden ideologischen Absichten und Ziele, die ohne einen Krieg nicht zu erreichen waren, beschreiben den strategischen Kern der Außenpolitik des „Dritten Reiches“. Teile dieses Programms – die Revision des Versailles Vertragssystems, die militärische Wiederaufrüstung und die Wiederherstellung der deutschen Großmachtposition – wirkten in den Augen vieler wie die Fortschreibung bisheriger deutscher Forderungen an die internationale Politik und deckten sich mit Vorstellungen der bislang tonangebenden außenpolitischen Elite. Auch Hitler wollte Revision, auch er wollte die Wiederherstellung des Deutschen Reiches als europäische Großmacht, aber er wollte eben doch mehr. Die Koinzidenz partieller Ziele des NS-Ideologismus mit dem überkommenen deutschen Revisionismus der außenpolitischen Eliten, der für sich genommen schon eine Herausforderung für das europäische Staatensystem und das internationale Gleichgewicht der Mächte bedeutete, verdeckte für viele außenstehende Betrachter die prinzipielle Neuartigkeit der Außenpolitik des „Dritten Reiches“. Ähnliches gilt für viele traditionelle Exponenten und Träger der deutschen Außenpolitik. Während die alten Eliten den revisionistischen Akzent und die großmachtpolitischen Ziele, auch manchen Zug hegemonialer Ambition Hitlers mit Genugtuung registrierten, ignorierten oder unterschätzten sie deren rassenideologische Weiterungen.
Als Hitler in das Kanzleramt berufen wurde, durfte er demnach von Seiten des außenpolitisch interessierten Establishments in Diplomatie, Militär und Verwaltung eine mit tastend-beobachtendem Wohlwollen verwobene, grundsätzliche Unterstützung erwarten. Zugleich fand sich die neue Regierung Anfang 1933 in einer außenpolitischen Position, die in vielerlei Hinsicht besser war als diejenige ihrer Vorgänger. Nicht nur, dass die Talsohle der Weltwirtschaftskrise gerade durchschritten war, auch die von der Regierung Brüning erzielte Befreiung des Reiches von den bisherigen Reparationslasten war ein enormer Vorteil, der Hitler in den Schoß fiel. Hinzu kam der zeitliche Abstand von der Erfahrung des Ersten Weltkrieges, vermengt mit dem fortwährenden Bedürfnis, dieses ungewollte Erbe endlich ad acta zu legen, was zugleich auf alliierter Seite mit einer wachsenden Zurückhaltung verschmolz, für scheinbar kleine Vertragsbrüche große militärische Aktionen zu mobilisieren.
Der allgemeine Eindruck, dass sich mit Hitlers Machtübernahme außenpolitisch nichts Revolutionäres an der bekannten Linie des Großmachtrevisionismus ändern würde, war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass der bisherige Außenminister Konstantin von Neurath ebenso im Amt blieb wie sein Staatssekretär Bernhard von Bülow (1885–1936). Auch die Beamten des Auswärtigen Amtes blieben auf ihren Posten. So war es für den Betrachter nicht leicht, sofort den Unterschied zwischen der traditionellen deutschen Revisions-Außenpolitik und der programmatischen Hitlerschen Aggressions-Außenpolitik zu erkennen. Das ideologische Grundmotiv offenbarte sich trotz der lange bekannten programmatischen Äußerungen Hitlers erst mit der Zeit – der Außenwelt ebenso wie manchen Akteuren des Auswärtigen Amtes. Hitler erstrebte und gelang ein jahrelanges internationales Täuschungsmanöver aus fortwährenden öffentlichen Friedensbekundungen bei gleichzeitigen Vertragsbrüchen, gedeckt und erleichtert durch die internationalen Krisen der dreißiger Jahre, während er im Innern, namentlich gegenüber seinen Vertrauten und dem Militär, seine langfristigen Ziele mit stringenter programmatischer Offenheit als Handlungsmaxime formulierte.
Strategische Weltmachtambitionen
Zusammengefasst: Die Außenpolitik des „Dritten Reiches“ stand von Beginn an im Bann der Weltmachtambitionen Hitlers, mochte diese Tatsache für das Ausland und selbst für viele Vertreter des diplomatischen Establishments in Deutschland auch erst langsam offensichtlich werden. In der Praxis stellte sich die Frage, wie die weitgesteckten Ziele erreichbar wären, ohne schon im Ansatz von den übrigen Mächten erkannt und erstickt zu werden, war das Reich doch rechtlich an die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages gebunden und in ein multilaterales Vertragssystem eingeflochten, dessen wichtigste Elemente die Verträge von Locarno und der Völkerbund bildeten.
Rüstung und Außenpolitik
Als Hitler an die Macht kam, besaß Deutschland nicht die Mittel, sich über bindende Bestimmungen hinwegzusetzen, ohne sich existentiell zu gefährden. Im Zentrum der multilateralen Sicherheitsdiskussion dieser Jahre stand die Abrüstung. Als drei Tage nach Hitlers Amtsantritt am 2. Februar 1933 in Genf die zweite Abrüstungskonferenz begann, forderte das Deutsche Reich „Rüstungsgleichberechtigung“. Weil ein Kompromiss nicht zu finden war, vertagte man sich. Für Hitler war dies eine willkommene Entwicklung, denn ein ernsthaftes Angebot der anderen Mächte, ihre Streitkräfte zu verringern, hätte seine eigenen Ambitionen konterkariert. Wie die Dinge lagen, konnte er stets darauf verweisen, doch nur das Gleiche zu wollen, was die anderen bereits besaßen. Intern benannte er am 3. Februar ohne Umschweife vor den Befehlshabern des Heeres und der Marine sowie Außenminister Neurath die „Eroberung neuen Lebensraums im Osten“ sowie dessen „rücksichtslose Germanisierung“ durch Vertreibung der angestammten Bevölkerung als programmatische Ziele.
Hitler zum Zusammenhang von Militär, Rüstung und Außenpolitik:
Mein Kampf und Rede vom 3. Februar 1933 vor den Befehlshabern von Heer
und Marine sowie Außenminister von Neurath
[…] heute gilt es, dem Volke erst die Kraft in der Form des freien Machtstaates wiederzugeben, die die Voraussetzung für die spätere Durchführung einer praktischen Außenpolitik im Sinne der Erhaltung, Förderung und Ernährung unseres Volkes für die Zukunft ist. Mit anderen Worten: Das Ziel einer deutschen Außenpolitik von heute hat die Vorbereitung zur Wiedererringung der Freiheit von morgen zu sein. [Ein Reich läßt sich nur schaffen] durch ein schlagkräftiges Schwert. Dieses Schwert zu schmieden, ist die Aufgabe der innerpolitischen Leitung eines Volkes; die Schmiedearbeit zu sichern und Waffengenossen zu suchen die Aufgabe der außenpolitischen. (Quelle: Hitler, Mein Kampf, S. 687–689.)
Völlige Umkehrung der gegenwärt[igen] innenpol[itischen] Zustände in D[eutschland]. […] Wer sich nicht bekehren läßt, muß gebeugt werden. […] Aufnahmefähigkeit d[er] Welt ist begrenzt u[nd] Produktion ist überall übersteigert. Im Siedeln liegt die einzige Mögl[ichkeit], Arbeitslosenheer z.T. wieder einzuspannen. Aber braucht Zeit u[nd] radikale Änderung nicht zu erwarten, da Lebensraum für d[eutsches] Volk zu klein. […] Aufbau der Wehrmacht wichtigste Voraussetzung für Erreichung des Ziels: Wiedererringung der pol[itischen] Macht. Allg[emeine] Wehrpflicht muß wieder kommen. […] Wie soll pol[itische] Macht, wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? Jetzt noch nicht zu sagen. Vielleicht Erkämpfung neuer Export-Mögl[ichkeiten], vielleicht – und wohl besser – Eroberung neuen Lebensraums im Osten u[nd] dessen rücksichtslose Germanisierung. […] – Gefährlichste Zeit ist die des Aufbaus der Wehrmacht. (Quelle: Vogelsang, Neue Dokumente, S. 434–435.)
Wie kann Deutschland nun gerettet werden? Wie kann man die Arbeitslosigkeit beseitigen? […] 1.) durch Export auf jeden Preis und mit jedem Mittel 2.) durch gross angelegte Siedlungspolitik, die eine Ausweitung des Lebensraumes des deutschen Volkes zur Voraussetzung hat. Dieser letzte Weg wäre mein Vorschlag. […] Ich setze mir die Frist von 6–8 Jahren um den Marxismus vollständig […] zu vernichten. Dann wird das Heer fähig sein eine aktive Aussenpolitik zu führen, und das Ziel der Ausweitung des Lebensraumes des deutschen Volkes wird auch mit bewaffneter Hand erreicht werden – Das Ziel würde wahrscheinlich der Osten sein. Doch eine Germanisierung der Bevölkerung des annektierten bezw. eroberten Landes ist nicht möglich. Man kann nur Boden germanisieren. Man muss […] rücksichtslos einige Millionen Menschen ausweisen. (Quelle: Wirsching, „Man kann nur Boden germanisieren“, S. 547.)
Hitlers Raumkonstrukte
Was Hitler hier am 3. Februar 1933 verkündete, offensichtlich ohne bei der militärischen Elite auf erkennbaren Widerspruch zu stoßen, hatte er in ähnlicher Weise bereits in Mein Kampf und seither immer wieder formuliert: Alle Versuche, die vorhandene Bevölkerung, namentlich die in Osteuropa in den projektierten deutschen Siedlungsgebieten lebenden Polen oder Russen, etwa durch das Erlernen der deutschen Sprache zu „germanisieren“ und die Unterschiede zwischen „slawischer“ und „germanischer“ Rasse zu überbrücken, führten nach seiner Ansicht zur „Bastardisierung“. Dies bedeute „nicht eine Germanisierung, sondern eine Vernichtung des germanischen Elements“ und sei folglich ausgeschlossen. Hitlers Raumkonstrukt, auf das er gleichfalls immer wieder zurückkam, imaginierte ein notwendiges Verhältnis von Bevölkerung und Territorium: Menschen benötigten Raum, primär als landwirtschaftliche Nutzfläche, und das Deutsche Reich war in dieser Perspektive überbevölkert – ohne dass allerdings ersichtlich wäre, was die „optimale“ Korrelation zwischen Raum und Bevölkerung sein würde. Dieses bizarre Bedrohungsgefühl „germanischer Raumnot“ besaß eine Tradition, die bis zurück ins 19. Jahrhundert reichte, als beispielsweise der geistige Schirmherr der völkisch-antisemitischen Tradition, Paul de Lagarde (1827–1891), Land „im Bereich des Groschenportos“ forderte, also nahebei, das Russland notfalls in einem „Enteignungsverfahren“, also einem Krieg, abzunehmen sei, um deutsche Siedler unterzubringen.
Außenpolitik als Tarnungsmanöver
Die „Wiederwehrhaftmachung“, im Klartext: die materielle Aufrüstung und militärische Erziehung der Bevölkerung, stand im Zentrum der langfristigen ideologischen Strategie. Der Außenpolitik fiel die Aufgabe zu, die Schritte auf diesem Weg alltäglich abzusichern, indem man die anderen Staaten in der trügerischen Sicherheit repetierter Friedenswünsche hielt. Jeder Verstoß gegen die festgeschriebenen Rüstungsgrenzen konnte theoretisch eine unmittelbare militärische Reaktion anderer Staaten, allen voran Frankreichs, provozieren. In den Augen des Regimes galt es also zunächst, eine Position zu erreichen, die es ermöglichte, diese „Risikozone“ zu überwinden. Das taktische Mittel hierfür lautete: forciert aufrüsten und zugleich Friedenswillen signalisieren. „Im Innern handeln und immer von Frieden und von der Abrüstung reden“, erklärte Hitler diese Maxime den Reichsstatthaltern im Juli 1933.
Ist die Irreführung im Nachhinein ohne weiteres erkennbar, so bot sich den Zeitgenossen ein anderes Bild: Sie sahen sich im In- und Ausland einer Welle beschwörender Friedenssignale ausgesetzt, deren Täuschungscharakter in der allgemeinen Krise des internationalen Staatensystems verschwamm und damit den deutschen Manövern zugute kam. Als Japan im September 1931 die Mandschurei besetzte, absorbierte dieser völkerrechtswidrige Angriff einerseits die britische und amerikanische Aufmerksamkeit und offenbarte andererseits die Machtlosigkeit des Völkerbundes, dergleichen Gewaltakte glaubwürdig zu sanktionieren. Die Idee der kollektiven Sicherheit schien fruchtlos, der Völkerbund ein zahnloser Wachhund, der sich ungestraft ignorieren ließ. Der Erste Weltkrieg lag weit genug zurück, um nun auch Deutschlands Machterweiterung wieder akzeptabel zu finden und doch nah genug, um die Folgen militärischer Interventionen zu fürchten.
Ablenkung durch internationale Krisen
Hinzu kam, dass in der Perspektive globaler Mächtebeziehungen der britisch-sowjetische Weltgegensatz ebenso virulent blieb wie Japans Aggressivität als Unsicherheitsfaktor ablenkte. Das Deutsche Reich galt dagegen in vielen Augen nach wie vor als ein notwendiges und stützenswertes Bollwerk gegen die Bolschewisierung Europas. Aus mancher internationaler Perspektive mochte in Deutschland ein beklagenswert inhumanes Regime mit brutalsten Methoden regieren und Teile seiner Bevölkerung misshandeln und gar ermorden: Solange es nach außen niemanden gefährdete, standen in den ersten Jahren der NS-Herrschaft andere Konflikte – neben der Mandschurei etwa Italiens Krieg gegen Abessinien vom Oktober 1935 bis Juli 1936 und der Spanische Bürgerkrieg vom Juli 1936 bis März 1939 – im Mittelpunkt des internationalen Interesses oder lenkten doch zumindest von der Entwicklung des deutschen Potentials ab.
Friedensbekundungen
Hitler tat das seine, um die skeptischen Beobachter im Ausland in täuschender Sicherheit zu wiegen und signalisierte Friedenswillen und Kompromissbereitschaft nach allen Seiten. Es galt Zeit zu gewinnen, um die Aufrüstung abzusichern, und in dieser Perspektive war nahezu jedes Mittel recht. So erklärt sich die opportunistische Politik gegenüber der Sowjetunion – eigentlich als der gefährlichste Feind deklariert –, mit der das Reich den bereits am 24. Juni 1931 von der Regierung Brüning verlängerten Berliner Vertrag von 1926 am 5. Mai 1933 ratifizierte. Wie sehr die deutsche Außenpolitik auf Zeitgewinn angelegt war, zeigt insbesondere das Verhältnis zu Polen. Der ungeliebte Nachbar im Osten stand im Zentrum der deutschen Revisionswünsche, und das Auswärtige Amt verfolgte eine seit langem eingefahrene antipolnische Politik, um die ehemals zum Reich gehörenden Gebiete zurückzugewinnen. In Polen regierte mit Marschall Józef Pilsudski (1867–1935) allerdings ein Militärmachthaber, der sich auf kühl abtastende Machtprojektion verstand. Durch Truppenkonzentrationen und antideutsche Demonstrationen nötigte er die Regierung Hitler am 3. Mai 1933 zu dem offenen Bekenntnis, dass man sich „strengstens“ an bestehende Verträge halten werde. Polen erfuhr auch besondere Rücksicht in einer ausführlichen Erklärung Hitlers zur deutschen Außenpolitik am 17. Mai 1933 im Reichstag, die propagandistisch als „Friedens rede“ verkauft wurde, und in der er wortreich den Respekt gegenüber anderen Völkern versprach.
Hitler ließ deutlich erkennen, dass es ihm darum ging, über den Hebel der Gleichbehandlung einen eigenen Rüstungsansatz zu gewinnen. Bereits im Dezember 1932 war Deutschland die mögliche Gleichberechtigung in der Rüstung prinzipiell zugestanden worden. Aber im Laufe der Verhandlungen stellte sich heraus, dass die Westmächte eine „tatsächliche Gleichberechtigung“ ungern akzeptieren wollten. Wer genau hinhörte, der vernahm trotz all der Friedensbekundungen außerdem, dass der „Führer“ zwar vorgab, Polen als Nation und Volk nicht in Frage zu stellen, damit jedoch keineswegs automatisch den Staat Polen akzeptierte.
Hitlers so genannte Friedensrede vor dem Reichstag, 17. Mai 1933
Zit. n.: Ursachen und Folgen, Bd. 10, S. 9–14 (Dok. 2315).
Indem wir in grenzenloser Liebe und Treue an unserem eigenen Volkstum hängen, respektieren wir die nationalen Rechte auch der anderen Völker […] und möchten aus tiefinnerstem Herzen mit ihnen in Frieden und Freundschaft leben. Wir kennen daher auch nicht den Begriff des ‘Germanisierens’. […] Wir sehen die europäischen Nationen um uns als gegebene Tatsache. Franzosen, Polen usw. sind unsere Nachbarvölker, und wir wissen, daß kein geschichtlich denkbarer Vorgang diese Wirklichkeit ändern könnte. […] Das deutsche Volk wird bleiben genau so wie das französische und – wie uns durch die geschichtliche Entwicklung gelehrt wurde – das polnische! […] Wenn Deutschland heute die Forderung nach einer tatsächlichen Gleichberechtigung im Sinne der Abrüstung der anderen Nationen erhebt, dann hat es dazu ein moralisches Recht durch seine eigene Erfüllung der Verträge […]. Deutschland wäre auch ohne weiteres bereit, seine gesamte militärische Einrichtung überhaupt aufzulösen und den kleinen Rest der ihm verbliebenen Waffen zu zerstören, wenn die anliegenden Nationen ebenso restlos das gleiche tun. Wenn aber die anderen Staaten nicht gewillt sind, die im Friedensvertrag von Versailles auch sie verpflichtende Abrüstung durchzuführen, dann muß Deutschland zumindest auf der Forderung seiner Gleichberechtigung bestehen. […] Deutschland hat nur den einzigen Wunsch, seine Unabhängigkeit bewahren und seine Grenzen schützen zu können.
Hitler hatte mit der „Friedensrede“ insofern leichtes Spiel, als er auf die tatsächliche Ungleichheit des deutschen Rüstungsniveaus gegenüber den anderen Staaten, namentlich Frankreich, verweisen konnte. Er durfte zudem darauf rechnen, dass seine Vorschläge zur Rüstungskontrolle international kaum auf Akzeptanz stoßen würden. So konnte er etwas anbieten, was friedlich klang, ohne für diese Forderung je einstehen zu müssen, zumal der Wunsch nach Gleichberechtigung auch vielen ausländischen Beobachtern legitim schien. Die Skepsis gegenüber der innenpolitischen Gewaltherrschaft, den Verfolgungen, den Bücherverbrennungen, der politischen Konformierung der Gesellschaft und vor allem gegenüber deren perzipierter Militarisierung blieb zwar latent, aber im diplomatischen Verkehr gehörten dergleichen Themen zur halbtabuisierten „Einmischung in innere Angelegenheiten“, die man sich deutscherseits verbat.
Reichskonkordat als Prestigegewinn
Im Zeichen der inneren Konsolidierung und des äußeren Prestigegewinns erklärt sich auch das Konkordat mit dem Vatikan vom 20. Juli 1933. Es brachte dem Reich außenpolitische Anerkennung und lancierte die Katholische Kirche um den Preis der Entpolitisierung in ein trügerisches Sicherheitsgefühl. Die Welt sah mit Staunen, wie der Papst als Oberhaupt einer Kirche, die Frieden und Nächstenliebe als elementare Glaubensinhalte predigte, nun den ersten völkerrechtlich gültigen Vertrag mit dem „Führer“ einer Ideologie abschloss, die Kampfeswillen und Gegnervernichtung auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Hitler hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass im Vatikan ähnlich wie in Moskau seine ideologischen Todfeinde saßen, aber die Gegenwart gebot Zurückhaltung. Neben der politischen Kalmierung des deutschen Katholizismus als Oppositionspotential war der internationale Prestigegewinn unschätzbar.
„Viererpakt “
In dieser Stabilisierungs- und Beruhigungsperspektive erklärt sich auch die deutsche Zustimmung zum so genannten Viererpakt zwischen Frankreich, Großbritannien, Italien – den Garantiemächten von Locarno – und Deutschland, den der italienische Diktator Benito Mussolini (1883–1945) im März 1933 vorgeschlagen hatte und der am 15. Juli in Rom unterzeichnet, aber nie ratifiziert wurde. Bedeutend war darin vor allem die Betonung der Revisionsklausel des Versailler Vertrages (Art. 19). Die Grenzen von 1918, so das implizite Signal, waren keineswegs unabänderlich – für die Staaten Mittel- und Osteuropas eine beunruhigende Wandlung, die sich fünf Jahre später im Münchner Abkommen manifestieren sollte.
Die offensichtliche Kompromissbereitschaft der deutschen Außenpolitik, wie sie sich den zeitgenössischen Beobachtern präsentierte, äußerte sich in dem allseits gebetsmühlenartig repetierten Friedenswillen gegenüber den Westmächten. Nahm man die Beteuerungen ernst, dann waren all die Verträge und Abmachungen sich ergänzende Ausdrücke des Strebens nach gutnachbarschaftlicher Übereinkunft. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Jahre 1933 und 1934 gab es geringen Anlass, an der Ernsthaftigkeit solcher Ziele zu zweifeln. „Wir müssen Ruhe und Luft haben. Alles andere wird sich finden“, notierte Goebbels in seinem Tagebuch.
Das Kalkül verlangte allerdings, neben den Friedensbekundungen zugleich die internationalen Kontrollmechanismen gegenüber der deutschen Rüstung außer Funktion zu setzen. In seiner „Friedensrede“ vom Mai hatte Hitler dazu schon unmissverständlich gedroht, dass jeder Versuch, „seinem Land ein Abrüstungsabkommen aufzuzwingen […], nur der Absicht entspringen“ könne, „Deutschland von den Abrüstungsverhandlungen zu vertreiben“ und folgerichtig gedroht: „Als dauernd diffamiertes Volk würde es uns auch schwerfallen, noch weiterhin dem Völkerbund anzugehören“.
Die Abrüstungskonferenz sollte im Oktober 1933 wieder zusammentreten, aber Briten und Franzosen verhielten sich zur Frage der deutschen Rüstungsgleichberechtigung weiterhin indifferent bis ablehnend. Hitler nutzte dies, weil die Meinung im Volk ohnehin auf seiner Seite war und sich die Unnachgiebigkeit der anderen Großmächte propagandistisch auch international nutzen ließ. So entschied er sich für den Rückzug aus diesen internationalen Bindungen, informierte am 13. Oktober das Kabinett und am 14. die Teilnehmer der Abrüstungskonferenz sowie den Völkerbund. Zugleich wurden die Landtage und der Reichstag aufgelöst. Während die Landtage nicht neu gewählt und damit praktisch beseitigt wurden, rief das Regime parallel zur Neuwahl des Reichstags am 12. November erstmals zu einer Volksabstimmung über die Politik der Reichsregierung auf. Die NSDAP-Einheitsliste erreichte bei dieser Reichstags-„Wahl“ zwar 92,2 %, aber die Ziffer von 7,8 % ungültigen Stimmen schien gleichwohl beachtlich. Bei der Volksabstimmung über die Außenpolitik stimmten 4,9 % gegen die Regierung.
Risiken
Das Verlassen des Völkerbundes und der Abrüstungskonferenz war ein riskanter Schritt, weil er das Reich zwar aus den Zwängen der Rüstungskontrolle befreite, zugleich aber international zu ächten drohte und die Gefahr von Sanktionen bis hin zu einer möglichen Intervention implizierte. Das Mächtesystem erwies sich jedoch als durchaus uneinig in der Reaktion, weil die einzelnen Staaten mehr ihre eigenen Interessen als die Idee der kollektiven Sicherheit verfolgten. Hitler signalisierte denn auch in einer weiteren „Friedensrede“ am 14. Oktober, dass er sowohl gegenüber Frankreich als auch Polen zu einer gewaltfreien Zukunft bereit sei. In Paris vernahm man das gern, weil es schien, als habe Hitler seine tiefen antifranzösischen Ressentiments, die beispielsweise Mein Kampf durch zogen, in pragmatischer Einsicht aufgegeben. Polen wiederum hatte aus dem Viererpakt gelernt, dass ein Großmächte-Arrangement über die Köpfe und Interessen der Mittelstaaten hinweg drohend möglich war. Frankreich würde vermutlich bei Abwägung seiner Sicherheitslage gegenüber Deutschland im Zweifelsfall die eigenen Interessen denen seiner osteuropäischen Bündnispartner vorziehen. Für die polnischen Machthaber erschien es daher nur natürlich, die so demonstrativ von Hitler ausgestreckte Hand zu ergreifen. Und auch gegenüber Großbritannien wirkten die wiederkehrenden Beschwörungen von deutscher Friedenssehnsucht und gutem Willen erfolgreich als jene instrumentellen Barbiturate, als die sie Hitler verstand.
Aus der Perspektive von Zeitgewinn und Eigensicherung erklärt sich schließlich auch der für die Zeitgenossen höchst überraschende Abschluss des Nichtangriffsabkommens mit Polen, das am 26. Januar 1934 unterzeichnet wurde. Der Warschauer Machthaber Pilsudski war einer der wenigen, die Hitlers langfristige Gefährlichkeit ernst nahmen. Hitler setzte einiges daran, die Polen zu gewinnen, einerseits um das Reich aus seiner erkennbaren Isolierung zu befreien, andererseits um eine französisch-polnische Umklammerung zu konterkarieren. Deutschland und Polen kamen überein, sich „in den ihre gegenseitigen Beziehungen betreffenden Fragen […] unmittelbar zu verständigen“ und „unter keinen Umständen“ Gewalt anzuwenden.
Haltung des Auswärtigen Amtes
Wer die deutsche Außenpolitik der zwanziger Jahre verfolgt hatte und Hitlers Äußerungen kannte, der musste sich die Augen reiben. Polen war stets die erste Adresse gewesen, wenn es um künftige Ansprüche auf die Rückgabe von Territorien ging, die das Reich nach dem Weltkrieg verloren hatte. Das Auswärtige Amt galt mit einigem Recht als antipolnisch eingestellt, und Außenminister Neurath hatte noch am 7. April 1933 im Kabinett erklärt, dass eine „Verständigung mit Polen […] weder möglich noch erwünscht“ sei. Obwohl demnach nicht wenige Diplomaten und Militärs wie auch große Teile der nationalen und internationalen Öffentlichkeit der Meinung waren, dass Polen das nächstliegende Objekt für revisionistischen Gebietserwerb sein würde, vollzog Hitler hier nicht nur, so schien es, eine komplette Umkehr, sondern machte gleichermaßen deutlich, wer die Außenpolitik des „Dritten Reiches“ bestimmte. Zugleich kappte Deutschland die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, die auf militärischem Gebiet bis in die frühen Weimarer Jahre zurückreichte, ein „Sonderverhältnis“, das trotz aller ideologischen Gegensätze bis zum Herbst 1933 auch von Hitler weiter betrieben worden war.
Österreichfrage
Eine Art Sonderfall der deutschen Außenpolitik bildete das Verhältnis zu Österreich. Schon seit langem gab es Pläne einer engeren Verbindung mit dem Reich, die laut Versailler Vertrag allerdings untersagt war; Frankreich hatte erst 1931 die weit reichenden Zollunionspläne der Regierung Brüning zu verhindern gewusst. Wer Hitlers Lebenslauf kannte und seine Äußerungen vernahm, der konnte keinen Zweifel haben, dass der neue Kanzler ein glühender Verfechter einer Vereinigung war, ja, dieses Ziel sogar programmatisch als „Lebensaufgabe“ an den Anfang von Mein Kampf gesetzt hatte: „Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande, und zwar nicht aus Gründen irgendwelcher wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Nein, nein: auch wenn diese Vereinigung, wirtschaftlich gedacht, gleichgültig, ja selbst wenn sie schädlich wäre, sie müßte dennoch stattfinden. Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich.“
Als Hitler in Berlin an die Macht kam, meinten die Anhänger in seiner Heimat, ihr Ziel greifbar nahe zu sehen. Sie wurden von den deutschen Nationalsozialisten verdeckt und offen unterstützt, was den autoritär regierenden Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (1892–1934) im Juni 1933 bewog, die österreichische NSDAP zu verbieten. Zugleich konnte Dollfuß gegen den permanenten Druck aus dem Norden auf die Unterstützung Mussolinis rechnen, zumal er begann, nach italienischem Vorbild eine Art „Austro-Faschismus“ zu installieren. Als Hitler und Mussolini am 14. und 15. Juni 1934 in Venedig erstmals persönlich aufeinander trafen, sprachen sie zwar auch über Österreich, blieben aber distanziert. Angesichts der latenten Erwartung deutschen Beistands und weil es ihnen nicht gelang, den Anspruch auf Machtteilhabe auf normalem Wege durchzusetzen, versuchten die österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 einen Putsch – und endeten im Desaster. Sie ermordeten den Bundeskanzler, mussten aber zurückweichen, als Mussolinis Truppen am Brenner aufmarschierten. Hitler ließ die zuvor unterstützten Austro-Nazis mit instinktsicherem Realismus skrupellos fallen. Offiziell dementierte das Reich irgendwelche Einflussnahme, doch schon diese Tatsache deutete die verdeckte Beteiligung an, deren Ende man nun offen signalisieren musste. Hitler empfand den erzwungenen Rückzug als empfindliche Niederlage und sah fortan davon ab, ähnliche Aktionen zu ermutigen, solange er selbst nicht über entsprechende Machtmittel verfügte, um die internationalen Reaktionen entweder ignorieren oder kontern zu können.
Neben dem Auswärtigen Amt und in Konkurrenz zu ihm entstanden weitere, ebenfalls miteinander konkurrierende Institutionen, die gleichfalls „Außenpolitik“ zu treiben versuchten. Die beiden bemerkenswertesten Einrichtungen dieser Art waren die „Dienststelle Ribbentrop“ und das „Amt Rosenberg“. Aber auch die „Auslandsorganisation“ (AO) der NSDAP, das Propagandaministerium und Dienststellen der SS und des SD wurden außenpolitisch aktiv. Aus diesem chaotischen Geflecht konkurrierender Einrichtungen, das für das Gesamterscheinungsbild der NS-Herrschaft auch in der Innenpolitik typisch war, entstand nicht selten eine eigene Dynamik, etwa beim erwähnten Putschversuch in Österreich, der Hitler zwar ideologisch und programmatisch prinzipiell genehm, außenpolitisch zu diesem Zeitpunkt jedoch höchst inopportun war.
Joachim von Ribbentrop (1893–1946)
Joachim von Ribbentrop war bei seiner Geburt als Sohn eines wilhelminischen Berufssoldaten weder adlig noch ein potentieller Diplomat. Im Schlepptau seines Vaters, der 1908 seinen Dienst quittierte, sammelte Ribbentrop in der Schweiz, England und Kanada Auslanderfahrungen. Bei Kriegsbeginn 1914 kehrte er nach Deutschland zurück, wurde Soldat, machte eine durchschnittliche Karriere und nahm 1919 seinen Abschied. Die Heirat mit Annelies Henkell, Tochter der Sektdynastie, forcierte seinen Aufstieg als Kaufmann und machte ihn wohlhabend. Um seinen Aufstiegsehrgeiz zu befriedigen, ließ er sich gegen Bezahlung von einer entfernten Verwandten adoptieren, die das „von“ im Familiennamen trug. Goebbels meinte später sarkastisch, Ribbentrop habe sein Geld geheiratet, seinen Namen gekauft und sein Amt erschwindelt. Dem Herkommen nach ein reich verheirateter Spirituosenhändler mit Fremdsprachentalent und zeitlebens die personifizierte Humorlosigkeit, galt er den meisten aufgrund seines offensiv eingebildeten Auftretens als reichlich beschränkter Parvenü „Ribbensnob“. 1932 traf er auf Hitler und lernte rasch, den NS-„Führer“ zu vergöttern, weshalb ihn dieser für einen begabten Diplomaten und Englandkenner hielt. Indem Ribbentrop nach 1933, ausgestattet mit einer eigenen „Dienststelle“, für Hitler sprechen und bald die neue deutsche Großmachtrolle repräsentieren konnte, gelangen ihm tatsächlich einige diplomatische Erfolge. Namentlich das Flottenabkommen mit Großbritannien 1935 sowie der Pakt mit Stalin im August 1939, der den Weg frei gab zum Überfall auf Polen, illustrieren dies. Ribbentrop, der 1936 unfreiwillig Botschafter in London und im Februar 1938 ersehntermaßen Außenminister wurde, wandelte sich vom Befürworter einer Annäherung an England, wie sie Hitler vorschwebte, zum Advokaten einer anti-englischen Bündnispolitik, wie der Hitler-Stalin-Pakt sie repräsentierte – der für Hitler stets ein taktisches Zwischenspiel aus machtpolitischem Opportunismus bleiben musste. Ribbentrop bestärkte Hitler in dessen Kriegswillen und konterkarierte alle Moderationsversuche, die aus konservativ-nationalistischen Kreisen des Auswärtigen Amtes noch entsprangen. Er knüpfte enge Bande zur SS und war einer der wenigen Duzfreunde Himmlers. Unter seiner Ägide verstärkte sich die seit 1933 sichtbare rassenideologische Durchdringung des Auswärtigen Amtes, so dass das Ministerium während des Krieges mit einigen seiner Mitarbeiter zu einem aktiven Faktor bei der europaweiten Judenverfolgung und Vernichtungspolitik avancierte.
Dienststelle Ribbentrop
Mit der Ernennung Ribbentrops zum Beauftragten für Abrüstungsfragen am 24. April 1934 begann der Aufbau des „Büro Ribbentrop“. Mit seiner Ernennung zum „Außerordentlichen Bevollmächtigten Botschafter des Deutschen Reiches in besonderer Mission“ am 1. Juni 1935 wurde daraus die „Dienststelle Ribbentrop“. Sie war geschaffen als dezidierte NS-Konkurrenz zu dem als konservatives Residuum geltenden Auswärtigen Amt. Wie um seinen Anspruch kundzutun, ließ Ribbentrop seine Institution bewusst gegenüber dem Außenministerium in das Haus des ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten einziehen. Von kleinen Anfängen wuchs die Dienststelle bis Ende 1937 auf rund siebzig Mitarbeiter. Als Ribbentrop am 4. Februar 1938 in das Auswärtige Amt einzog, nahm er von den 74 Referenten seiner Dienststelle 24 mit, von denen zwanzig der SS angehörten.
Alfred Rosenberg (1893–1946)
Rosenberg wurde als Kind deutscher Eltern im estnischen Reval geboren, studierte Architektur und kam 1918 nach München, wo er Hitler kennen lernte und der NSDAP beitrat. Rosenberg war geradezu besessen von der Theorie einer „jüdischen Weltverschwörung“, produzierte unablässig Artikel und Pamphlete, avancierte im Februar 1923 zum Hauptschriftleiter des NS-Parteiblattes Völkischer Beobachter und bemühte sich um den Aufbau einer „antisemitischen Internationale“. Als ihm Hitler nach dem gescheiterten Umsturzversuch die Leitung der NSDAP übertrug, offenbarte Rosenberg seine auch zukünftig immer wieder erkennbare Unfähigkeit, sich im politischen Tagesgeschäft gegen machtbewusstere Opponenten durchzusetzen. So zog er sich Mitte 1924 zurück und gab auch die Chefredaktion des Völkischer Beobachters auf, bis ihn Hitler im Februar 1926 zurückholte. Rosenberg galt als außenpolitischer Experte, weil er internationale, vor allem antisemitische Kontakte knüpfte, sich intensiv mit dem Bolschewismus beschäftigte, 1927 eine Schrift über den „Zukunftsweg einer deutschen Außenpolitik“ publizierte und als Abgeordneter seit September 1930 seine Partei im außenpolitischen Ausschuss des Reichstages repräsentierte. Rosenbergs Vorstellungen vom Lebensraum im Osten und von einem Bündnis mit Großbritannien deckten sich mit denen Hitlers. Vor allem aber galt Rosenberg als NS-„Chefideologe“, spätestens seit er 1930 sein Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts veröffentlicht hatte. Wenngleich das Werk selbst nach Hitlers Ansicht kaum lesbar war (und tatsächlich auch kaum gelesen wurde), so formulierte es mit seinen dezidiert antichristlichen Ideologemen und seinem Bramarbasieren vom „Mythus des Blutes“ doch eine aggressive Expansionsrechtfertigung, deren Thesen Hitler teilte. 1933 übernahm Rosenberg als Reichsleiter das „Außenpolitische Amt der NSDAP“ und avancierte 1934 zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP”, ein Amt, dessen hochtrabender Titel im umgekehrten Verhältnis zu seiner Bedeutung stand. Ab 1939 leitete er zudem ein „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ und wurde im Krieg „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“. Sein „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ diente zur systematischen völkerrechtswidrigen Plünderung kultureller Schätze in ganz Europa. Alle Versuche Rosenbergs, einen bestimmenden Einfluss auf Staats- und Parteiinstitutionen zu verankern, blieben fruchtlos. Im Gegensatz zu Hitler, mit dem er so viele Axiome eines völkisch-rassistischen Weltbildes teilte, vermochte Rosenberg niemals das ideologische Ziel mit berechnendem, machttaktischem Opportunismus zu einer politischen Strategie zu verbinden.
Amt Rosenberg
Als „außenpolitischer Experte“ der NSDAP hatte Rosenberg gehofft, nach Hitlers Machtübernahme Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zu werden, musste sich jedoch am 1. April 1933 mit dem Auftrag zufrieden geben, ein „Außenpolitisches Amt der NSDAP“ (APA) aufzubauen. Das „Amt Rosenberg“ wuchs bis 1939 auf rund sechzig Mitarbeiter. Mangelhafte diplomatische Sachkenntnis und ideologische Borniertheit ließen es, wie Rosenberg selbst, in den NS-typischen Kompetenzkonflikten dilettantisch erscheinen, so dass sein Einfluss gering blieb. Wo das Amt sich in der Auslandspropaganda engagierte, geriet es mit Goebbels aneinander. Bei der Verbreitung von Denkschriften und Memoranden, die für jeden offenkundig im Banne von Rosenbergs kruden Ideologismen standen, konkurrierte es mit dem letztlich durchsetzungsfähigeren Außenministerium. Rosenbergs Amt schluckte mit den Jahren eine Reihe obskurer antisemitischer Organisationen, wobei es mit der fortschreitend systematischeren und auf Präpotenz angelegten Judenpolitik des SD in Konflikt geriet. Dergleichen Auseinandersetzungen prägten die Stellung eines Amtes, das trotz aller Bemühungen gerade aufgrund seiner ideologischen Fixiertheit nie eine der entscheidenden Institutionen des „Dritten Reiches“ zu werden vermochte.
Als Hitler am 3. Februar 1933 dem Außenminister und den Befehlshabern von Heer und Marine seine langfristigen Ziele skizziert hatte, sprach er von der „Wiedererringung der politischen Macht“ als Voraussetzung jeder künftigen Politik und nannte den Aufbau der Wehrmacht als die wichtigste Voraussetzung. Schon vor Hitlers Berufung ins Kanzleramt hatten der künftige Minister Werner von Blomberg und sein Stabschef Walter von Reichenau (1884–1942) Sympathie für den Nationalsozialismus erkennen lassen. Blomberg signalisierte Hitler und Hindenburg gleichermaßen, dass er als Reichswehrminister das Militär in ihrem Sinne führen werde.
Arrangement Hitler-Blomberg
Die Abstimmung zwischen Hitler und Blomberg kam beiden Seiten zugute. Das Militär sollte nicht mehr für innenpolitische Aufgaben herangezogen werden, wie es unter General Schleicher gegen den Wunsch vieler Offiziere geschah. Hitler hatte zugleich am 3. Februar versprochen, dass „keine Verquickung von Heer und SA beabsichtigt“ sei – die Wehrmacht solle „unpolitisch“ sein und allein der Außenpolitik dienen. Das Militär wurde gleichsam entpolitisiert und erhielt dafür die Perspektive, der einzige und langfristig mit immensen Ressourcen gepäppelte „Waffenträger der Nation“ als Instrument der neuen politischen Führung zu werden.
Vorarbeiten zur Aufrüstung
In der Aufrüstung konnte das Regime auf eine Reihe von Vorarbeiten des Militärs zurückgreifen. Im Frühjahr 1933 lief ein erstes beschränktes Rüstungsprogramm aus, das trotz der Bestimmungen des Versailler Vertrages in den Jahren zuvor implementiert worden war. Zugleich waren schon die technischen, organisatorischen und finanzplanerischen Vorarbeiten geleistet, um ein zweites Programm anlaufen zu lassen, das ursprünglich für die Jahre 1933 bis 1938 vorgesehen war. Diese Entwürfe erleichterten es erheblich, die von Hitler mobilisierten finanziellen Ressourcen in den nächsten Jahren tatsächlich in militärisch produktiver Weise ausgeben zu können.
Teilstreitkräfte
Die Teilstreitkräfte waren sehr unterschiedlich entwickelt. Laut Versailler Vertrag durfte Deutschland ein Heer von 100.000 Mann besitzen sowie eine Marine mit weiteren 15.000 Mann auf einer begrenzten Zahl von Schiffen, aber keine Luftwaffe. Während das Heer trotz dieser Bestimmungen ausdauernd daran arbeitete, Planungen für jene Zeit zu treffen, wenn die Fesseln abgestreift sein würden, stand die Marine weit zurück und verfügte nicht einmal über jene Menge an Schiffen, die sie besitzen durfte.
Zur Vorbereitung einer Luftwaffenrüstung hatte sich über die Jahre eine enge Kooperation mit der zivilen Luftfahrt herausgebildet, namentlich mit der Lufthansa. Darüber hinaus wurden Reichswehroffiziere trotz aller Vertragsbestimmungen im befreundeten Ausland für eine künftige Luftwaffe ausgebildet, so dass eine technische Expertise schon existierte. Im Ausland befanden sich auch bereits einige Produktionsstätten. Schon im Juli 1932 wurde konkret geplant, in den kommenden fünf Jahren 22 Staffeln mit rund 200 Flugzeugen zu entwickeln. Gleichwohl konstatierte der Chef des Truppenamtes, Wilhelm Adam (1877–1949), in einer Denkschrift für den Reichswehrminister noch im Frühjahr 1933, dass sich die „Fliegerwaffe“ immer noch „in den ersten Anfängen“ befinde. In den folgenden Jahren setzte eine massive Breitenrüstung ein, die bis 1939 immer weiter an Bedeutung gewann, mit den Jahren auch immer drohender öffentlich zur Schau gestellt wurde und ihren Höhepunkt fand in einer stundenlangen Einschüchterungsparade anlässlich von Hitlers 50. Geburtstag im April 1939. Schon seit 1935 konnte die vertragsoffiziell noch verbotene, faktisch seit 1933 im Bau befindliche Luftwaffe als außenpolitisches Drohinstrument wirken, weil sie vergleichsweise kurze Entwicklungs- und Bauzeiten erforderte und vor allem in Großbritannien rasch als Mittel der Machtprojektion ernst genommen wurde. Tatsächlich konnte der Ausbau der Luftwaffe mit einigem Recht als die intensivste Rüstungsleistung bis 1939 gelten: Besaß das Reich im Jahr 1933 gerade einmal drei „Reklamestaffeln“, so standen bei Kriegsbeginn sechs Jahre später 4093 Frontflugzeuge zur Verfügung.
Die inneren Widersprüche der deutschen Außenpolitik – vertragliche Annäherung an Polen, Distanz zum gewünschten Partner Großbritannien – wurden aufgehoben in dem allseits beteuerten, gebetsmühlenartig repetierten Friedenswillen. Nahm man diese Beteuerungen ernst, dann sah es aus, als wäre die deutsche Außenpolitik tatsächlich allein geprägt vom Streben nach Gleichberechtigung und gutnachbarschaftlicher Übereinkunft. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Jahre 1933 und 1934 gab es noch geringen Anlass, an der Ernsthaftigkeit solcher Ziele zu zweifeln – zumal das Reich in keiner Weise in der Lage war, militärisch selbst aggressiv zu werden.
Hitler machte damit mehreres deutlich: Erstens war er bereit, um der längerfristigen Ziele willen kurzfristig ganz opportunistisch alles zu akzeptieren, was Ruhe garantierte. Zugleich unterminierte er mit dem deutsch-polnischen Nichtangriffspakt direkt das französische Bündnissystem in Osteuropa und durchbrach die daraus resultierende Einkreisung. Darüber hinaus war in dem Pakt mit Polen durchaus auch eine ideologisch konnotierte antirussische Stoßrichtung zu erkennen.
„Stufenplan“ und „Selbstverharmlosung“
Das Bewegungsgesetz der Außenpolitik offenbart sich erst bei rückschauender Betrachtung: Galt es nach Art eines „Stufenplans“ (Andreas Hillgruber) im Stil einer „Strategie grandioser Selbstverharmlosung“ (Hans-Adolf Jacobsen) zunächst die Grundlagen der europäischen Machtpolitik und die Voraussetzungen der europäischen Expansion zu schaffen, so sollte in einer längerfristigen Perspektive das gewachsene und durch „Rassenauslese“ innerlich erstarkte Reich auch den Kampf mit den Vereinigten Staaten aufnehmen können und um die Vorherrschaft in der Welt kämpfen. Auf dem Weg dorthin strebte Hitler aus rassischen wie politischen Gründen eine Kooperation mit Großbritannien an, das deshalb in seiner Außenpolitik durchweg eine ambivalent-extrovertierte Rolle einnahm. Hitler meinte, die „rassisch“ verwandte Inselmacht sei ein geeigneter Partner, weil sie sowohl von den USA als auch von der Sowjetunion in ihrer Weltmachtstellung bedroht werde. Er hoffte, mit England die Welt in Interessensphären aufteilen zu können: Großbritannien als Flotten- und Kolonialmacht auf den Ozeanen, Deutschland als beherrschende Macht auf dem eurasischen Kontinent. Die Englandfixierung Hitlers ist schon in den zwanziger Jahren erkennbar und durchzieht seine Vorstellungen während des gesamten „Dritten Reiches“. Im Vergleich zu diesen langfristigen Absichten blieb das wachsende Zusammengehen mit Italien in der von Mussolini am 1. November 1936 proklamierten „Achse Berlin–Rom“ oder in dem am 25. November 1936 mit Japan abgeschlossenen „Antikomintern-Pakt“ ein instrumenteller Behelf.
Saarabstimmung
Das Versailler Friedensabkommen bestimmte in Artikel 49, dass fünfzehn Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages die Saarländer selbst darüber entscheiden sollten, welchen Status sie künftig besitzen wollten. Sie hatten die Wahl zwischen dem Verbleib unter einer Treuhandregierung des Völkerbundes, einer Verbindung mit Frankreich, mit dem sie seit 1920 in einer Wirtschaftsunion verknüpft waren, oder der Wiedereingliederung in das Deutsche Reich. Frankreich gedachte, seine völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, und im Juni 1934 verständigte man sich auf eine Volksabstimmung für den 13. Januar 1935. Heftige Propagandawellen spülten seit geraumer Zeit in Richtung Saar, denn die Abstimmung war nicht nur eine Entscheidung über das nationale Selbstverständnis der Bevölkerung, sondern auch über die generelle Wirkung von zwei Jahren NS-Herrschaft in Deutschland. Mehr als eine halbe Million stimmberechtigter Saarländer hatte darüber zu entscheiden, ob sie Teil eines Staates werden wollten, in dem seit knapp zwei Jahren die Grundrechte des Individuums nicht mehr geschützt waren, ob sie sich mithin freiwillig unter eine Herrschaft begeben wollten, die politische Gegner ebenso verfolgte und vertrieb wie religiöse Minderheiten; ob sie sich einem Regime anschließen mochten, das täglich sichtbar danach strebte, geistiges Leben streng im Sinne der herrschenden Ideologie zu disziplinieren und die Bücher Andersdenkender zu bannen und öffentlich zu verbrennen. Demgegenüber stand die nationalistische Hoffnung, als Teil eines nun augenscheinlich dynamisch wieder erstarkenden Reiches gleichsam heimzukehren in einen Staat, in dem die meisten Saarländer, jedenfalls alle stimmberechtigten, geboren worden waren. Am Ende stand ein Triumph für Hitlers Regime: Fast 98 % der Stimmberechtigten gingen zur Wahl und mehr als neunzig Prozent von ihnen votierten für eine Vereinigung mit dem Reich. Jenseits aller gleißenden propagandistischen Rhetorik war damit für die internationale Öffentlichkeit deutlich, dass die nationalistische Verlockung weit höher wog als jede Furcht um persönliche Rechte und Freiheiten. Das Saargebiet wurde zum 1. März 1935 wieder ein Teil des Deutschen Reiches.
Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht
Das international so eindrucksvoll wirkende Votum der Saarländer eröffnete Hitler die Option zu einigen außenpolitischen Manövern, die den Anspruch präsentierten, schon bald wieder als Großmacht etabliert zu sein. Am 11. März 1935 verkündete Göring in einem Interview, dass das Reich eine Luftwaffe besitze, „stark genug, Angriffe auf Deutschland jederzeit abzuwehren“ – mithin ein öffentliches Eingeständnis, den Versailler Vertrag gebrochen zu haben. Am 14. März wurde die Luftwaffe zu einem selbständigen Teil der künftig als „Wehrmacht“ firmierenden Reichswehr. Als die französische Nationalversammlung am 15. März die Militärdienstzeit von einem auf zwei Jahre verdoppelte, nutzte Hitler diese Vorlage, um am nächsten Tag selbst die lange geplante Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht öffentlich zu machen. Das „Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht“ bestimmte eine Friedensstärke von 36 Divisionen mit 550.000 Soldaten. Reichswehrminister Blomberg, weiterhin ein Garant für die Folgsamkeit des Militärs gegenüber dem Nationalsozialismus, erhielt die neue Amtsbezeichnung „Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht“.
„Stresa-Front“
Damit war der deutsche Großmachtanspruch deutlich formuliert, denn diese Politik brach nicht allein die Versailler Bestimmungen, sondern auch die Vereinbarungen von Locarno. Großbritannien reagierte am 18. März ebenso mit einem Protest wie – deutlich schärfer – Frankreich drei Tage später. Mussolini als dritter Locarno-Garant sandte eine lauwarme Erklärung, die vor allem dazu dienen sollte, seinem Land nach beiden Seiten das Gesicht zu wahren. In Reaktion auf den deutschen Vertragsbruch trafen sich die Regierungschefs der drei Mächte vom 11. bis 14. April in Stresa am Ufer des Lago Maggiore und proklamierten, „sich mit allen geeigneten Mitteln jeder einseitigen Aufkündigung von Verträgen zu widersetzen“. Am 17. April verurteilte der Völkerbund den deutschen Vertragsbruch, aber praktische Folgen hatte das nicht, und dementsprechend unbeeindruckt zeigte sich Hitler.
Proklamation der Reichsregierung zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, 16. März 1935
Zit. n.: Ursachen und Folgen, Bd. 10, S. 319 (Dok. 2432b).
Was die deutsche Regierung als Wahrerin der Ehre und der Interessen der deutschen Nation wünscht, ist, das Ausmaß jener Machtmittel sicherzustellen, die nicht nur die Erhaltung der Integrität des Deutschen Reiches, sondern auch für die internationale Respektierung und Bewertung Deutschlands als ein Mitgarant des allgemeinen Friedens erforderlich sind. Denn in dieser Stunde erneuert die deutsche Regierung vor dem deutschen Volk und vor der ganzen Welt die Versicherung ihrer Entschlossenheit, über die Wahrung der deutschen Ehre und der Freiheit des Reiches nie hinauszugehen, und insbesondere in der nationalen deutschen Rüstung kein Instrument kriegerischen Angriffs, als vielmehr ausschließlich der Verteidigung und damit der Erhaltung des Friedens bilden zu wollen.
Man mag darüber spekulieren, was geschehen wäre, wenn dergleichen Vertragsverletzungen international auf entschiedenen Widerstand, einschließlich militärischer Sanktionen bis hin zur Intervention, gestoßen wären. Es wäre Frankreich ein Leichtes gewesen, beispielsweise das Rheinland zu besetzen, zumal das Völkerrecht auf seiner Seite war. Ob Hitler dadurch entzaubert, gar gestürzt worden wäre, muss offen bleiben, denn innenpolitisch saß er inzwischen fest genug im Sattel. Zweifellos hätte ihm eine derartige außenpolitische Niederlage allerdings wohl einen Gutteil jenes aggressiven Momentums genommen, dessen Dynamik sich in den kommenden Jahren in immer neuen Aktionen beschleunigt entfaltete. Denn Hitler verstand auch die Außenpolitik als Teil des natürlichen Lebenskampfes, in dem alle Mittel recht waren, wenn sie nur Erfolg brachten. Wenn die anderen Mächte so bereitwillig darauf verzichteten, ihn militärisch in die Schranken zu weisen, dann interpretierte er das als Schwäche, die es weiter zu nutzen galt. Angesichts der je individuellen Interessenlage der Großmächte – Frankreich war von innenpolitischen Problemen gebeutelt, Großbritannien durch seine globalen Verpflichtungen abgelenkt und wirtschaftlich geschwächt, Italien verfolgte eigene expansive Ambitionen, bei denen eine Konfrontation mit Deutschland nur stören konnte – genügte es offensichtlich, schockierend schnell zu handeln und anschließend die Leier der Friedensliebe zu drehen, dann waren die Mächte gern bereit, weitere Versprechen geduldig zu akzeptieren. Solange sie aber duldeten statt zu handeln, musste man weder Verträge einhalten noch überhaupt zu sehr zögern, sondern konnte, ganz im Gegenteil, unter Bekundung seines Friedenswillens weiter rüsten, um schließlich im Zweifelsfall auch gewaltsam seine Ziele durchsetzen zu können. In diesem Sinne verkündete Hitler am 21. Mai 1935 in einer Rede vor dem Reichstag erneut die lauteren Absichten seiner Regierung.
Hitlers so genanntes Friedensprogramm im Reichstag, 21. Mai 1935
Zit. n.: Ursachen und Folgen, Bd. 10, S. 338–349 (Dok. 2439).
Das nationalsozialistische Deutschland will den Frieden aus tiefinnersten weltanschaulichen Überzeugungen. Es will ihn weiter aus der einfachen, primitiven Erkenntnis, daß kein Krieg geeignet sein würde, das Wesen unserer allgemeinen europäischen Not zu beheben. […] Niemand von uns hat die Absicht, jemanden zu bedrohen. […] Wir leben in der Überzeugung, daß das Glück und die Leistungen Europas unzertrennlich verbunden sind mit dem Bestand eines Systems unabhängiger freier nationaler Staaten. […] Wir Nationalsozialisten erkennen jedem Volk die Berechtigung eines eigenen Innenlebens nach seinen eigenen Erfordernissen und seiner eigenen Wesensart zu. […] Soweit es sich beim Bolschewismus um eine russische Angelegenheit handelt, sind wir an ihm gänzlich uninteressiert. […] Deutschland hat weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren Verhältnisse Österreichs einzumengen, Österreich etwa zu annektieren oder anzuschließen. […] Die deutsche Reichsregierung wird […] die im Wandel der Zeiten unvermeidlichen Revisionen [des Vertrags von Versailles, M.B.] nur auf dem Wege einer friedlichen Verständigung durchführen.
Britische Interessen
Trotz des deutschen Vertragsbruchs vom 16. März 1935 reisten der britische Außenminister John Simon (1873–1954) sowie Lordsiegelbewahrer Anthony Eden (1897–1977) neun Tage später zu einem Besuch nach Berlin. Großbritannien zielte mit diesem Einlassen auf bilaterale Gespräche – statt eines denkbaren multilateralen militärischen Vorgehens gemeinsam mit Frankreich und anderen Mächten, um Hitler zur Vertragstreue zu zwingen – auf eine Einbindung des Reiches und hoffte, Deutschland über diesen Umweg in die multilaterale Versammlung des Völkerbundes zurück holen zu können. Den Briten lag zugleich an Vereinbarungen zur Rüstungsbeschränkung, weil man insbesondere die deutsche Luftwaffe als wachsende Bedrohung empfand. Hitler sah demgegenüber Großbritannien vom ideologischen Standpunkt aus als ideale Partnermacht, in der Absicht, so den Rücken im Westen frei zu bekommen für die Lebensraumeroberung im Osten. Diese unterschiedlichen und im Kern inkompatiblen Ziele kreuzten sich im partiellen Interesse der Rüstungsberechenbarkeit. Die Briten waren an einer umfassenden Vereinbarung interessiert, die namentlich die Luftwaffe einschloss. Dazu war Hitler angesichts seiner längerfristigen Ambitionen verständlicherweise nicht bereit, signalisierte jedoch Entgegenkommen bei der Marinerüstung. In Anbetracht der langen Vorlaufzeiten im Schiffbau vergab sich die deutsche Seite damit nichts, weil bislang nicht einmal die im Versailler Vertrag zugestandenen Möglichkeiten vollständig ausgenutzt waren. Die Briten hofften dagegen vergeblich, damit den Weg zu einem Luftabkommen zu ebnen.
Die britische Appeasementpolitik, die nahezu bis Kriegsbeginn bestimmend bleiben sollte, zielte im Kern auf eine machtpolitische Befriedigung des Deutschen Reiches in der Absicht, es damit ruhig zu stellen. Die Londoner Regierungen meinten, dass man Hitler nur weit genug entgegenkommen müsse, damit er sich endlich satt und zufrieden mit der Beute in eine allgemeine völkerrechtliche Friedensordnung einbinden lassen werde. Der ideologische Impetus der deutschen Außenpolitik blieb so stets verborgen, ignoriert oder unverstanden. Hinzu kam, dass Großbritannien aufgrund seiner wirtschaftlichen und innenpolitischen Lage sowie seiner globalen Interessen keineswegs bereit war, sich auf einen kostspieligen und unpopulären Rüstungswettlauf einzulassen. Vereinfacht gesagt: Wenn Hitler die Absicht hatte, das Reich wieder auf das Niveau einer Großmacht aufzurüsten, dann war es nicht die Aufgabe der Briten, ihn auf Kosten der eigenen Wohlfahrt an diesem Ziel zu hindern, solange er nicht die Insel bedrohte.
Flottenabkommen
Das deutsch-britische Flottenabkommen kann zugleich als ein Erfolg der Nebenaußenpolitik angesehen werden, die von der „Dienststelle Ribbentrop“ seit dem Frühjahr 1933 betrieben worden war. Trotz seines vielfach irritierenden Auftretens in London gelang es „Ribbensnob“, die deutschbritischen Flottenverhandlungen am 18. Juni 1935 durch einen Notenwechsel erfolgreich abzuschließen. Die Briten hatten schlichtweg ein Interesse an diesem Ergebnis, weil sie meinten, damit sowohl Sicherheit als auch Berechenbarkeit erzielt zu haben. Die deutsche Seite versprach, dass die eigene Marine zukünftig höchstens 35 % der britischen Kriegsschifftonnage erreichen werde. Für den Bereich der U-Boote einigte man sich auf ein Verhältnis von 45 zu 100. Betrachtet man dies vor dem Hintergrund des deutsch-britischen Flottenwettlaufs vor dem Ersten Weltkrieg einerseits und der allgemeinen Aufrüstung des Reiches andererseits, dann wird deutlich, warum diese deutsche Selbstbeschränkung auf der Insel als Erfolg empfunden wurde. Aber auch die deutsche Seite war höchst zufrieden. Denn erstens war die Flottenaufrüstung für Hitler eine vergleichsweise nachrangige Frage, weil er auf Heer, Artillerie, Panzer und Luftwaffe setzte. Zweitens war damit in einer bilateralen Übereinkunft mit einer Siegermacht des Ersten Weltkriegs und Signatarmacht des Versailler Vertrages anerkannt, dass die seinerzeitigen Rüstungsauflagen und Machtbeschränkungen so nicht mehr gelten konnten. Drittens riss das Abkommen eine Lücke in die fadenscheinige Einigkeit der „Stresa-Front“. Und viertens beließ sie auf Hitlers Seite die Hoffnung, dass man sich auch längerfristig noch mit dem ideologischen und machtpolitischen Wunschpartner Großbritannien würde einigen können. Fünftens schließlich dokumentierte das Abkommen die scheinbare Bereitschaft des Reiches, feste und berechenbare Vereinbarungen zu treffen, um die Spannung in den internationalen Beziehungen zu mildern.
In gewisser Weise erlebte mit diesen außenpolitischen Entscheidungen des Jahres 1935 die Retablierung auf internationaler Bühne in ähnlicher Weise eine Zäsur wie sie der Tod Hindenburgs innenpolitisch bedeutet hatte. Denn so wie der Anspruch auf die totale Macht mit der Übernahme des Reichspräsidentenamtes durch Hitler manifestiert war, so hatten die außenpolitischen Vereinbarungen der ersten beiden Jahre international eine trügerische Berechenbarkeit signalisiert und jene Toleranz erreicht, die das Regime benötigte, um das Land und die Gesellschaft ohne störende Interventionen für die weiteren Ziele vorbereiten zu können.
Motive und Risiken
Als das Deutsche Reich am 7. März 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzte und damit erneut den Versailler Vertrag und den Locarno-Pakt brach, war dies ein nützlicher internationaler Überraschungsakt in mehrfacher Hinsicht: Zunächst zeigte der Coup den Deutschen erneut jene Risikobereitschaft, an der es nach Ansicht vieler Menschen in den Weimarer Jahren gemangelt hatte. Zugleich vermochte das elektrisierende Ereignis über die Erfahrungen der ernsten Versorgungskrise des Winters hinwegzutäuschen. Darüber hinaus warb die Remilitarisierung jene Rheinländer für das Regime, die ihm aufgrund der antikatholischen Kirchenpolitik sowie der immer noch schwierigen regionalen Wirtschaftslage kritisch gegenüberstanden.
Gleichwohl war die Rheinlandbesetzung mit hohen Risiken verbunden. Zwar hatte Mussolini am 22. Februar 1936 signalisiert, dass er sich passiv verhalten und damit die italienischen Verpflichtungen aus dem Vertrag von Locarno ignorieren werde. Es war jedoch keineswegs sicher, dass Frankreich auf den Vertragsbruch nicht beispielsweise mit einer militärischen Intervention reagieren würde. Wenn französische Truppen linksrheinische Gebiete besetzen wollten, dann stießen sie möglicherweise auf die ein gerückten deutschen Soldaten, und ein Konflikt schien programmiert. Die militärische Führung sah für diesen Fall vor, dass bedrohte Gebiete rechtzeitig zu räumen seien und ein „hinhaltender Widerstand“ organisiert würde. Allerdings sollten drei deutsche Bataillone bis nach Aachen, Trier und Saarbrücken vorstoßen. Diese Truppen sollten auch für den Fall einer französischen Intervention durchaus nicht, wie häufig angenommen, „kampflos“ zurückweichen, sondern sich im Verbund mit Angehörigen des Grenzaufsichtsdienstes vor Ort zur Wehr setzen. Wie lange ein solcher Widerstand erfolgreich gewesen wäre, ist fraglich. Zweifellos hätte eine französische Intervention mit einer raschen Vertreibung der deutschen Truppen eine immense außenpolitische Blamage für Hitler bedeutet und seinen Nimbus als erfolgssicheren Politiker der „Vorsehung“ ernsthaft unterminiert. Wie die Dinge sich entwickelten, ergab sich genau das Gegenteil: Hitler triumphierte. Die konfliktlose Rheinlandbesetzung schien aller Welt, vor allem aber den Deutschen, vor Augen zu führen, dass ihr „Führer“ ein vom Erfolg getragener Politiker war, dem scheinbar alles gelang.
Internationale Ablenkungen
Als internationaler Hintergrund bot die seit Oktober 1935 schwelende Abessinienkrise eine willkommene Ablenkung, deren Chance Hitler nicht ungenutzt lassen wollte, weil die deutschen Vertragsbrüche so leicht im internationalen Krisenkontext verschwammen. Insgesamt vermischten sich innen- und außenpolitische Motive zu einer für Hitler höchst attraktiven Option, aller Welt Mut und Entschlossenheit vor Augen zu führen. Wenige Monate nach der Rheinlandmilitarisierung entschied er am 25. Juli 1936, in Spanien den aufständischen General Francisco Franco (1892–1975) zu unterstützen. Die deutschen Motive waren vielfältig: Hitler perzipierte die Gefahr eines „bolschewistischen Spanien“, das Europa von seiner Südwestflanke her bedrohen könnte. Hinzu kam die Aussicht auf dringend benötigte Rohstoffe; die wirtschaftliche Nutzung Spaniens versprach einen höchst willkommenen Nebeneffekt. Zugleich bot sich die Möglichkeit, modernes Militärgerät zu erproben, insbesondere die neue Luftwaffe. Hitler setzte sich mit seiner Entscheidung für den Spanieneinsatz über die „Bedenkenträger“ im Auswärtigen Amt hinweg, die Francos Hilferufe distanziert aufgenommen hatten. Entscheidend für seinen Entschluss blieb, wie in allen außenpolitischen Fragen, der ideologische Impetus dichotomer Weltperzeption: Hier das bedrohte Europa mit Deutschlands „rassischer Sendung“, dort die „jüdisch-bolschewistische“ Weltgefahr, die sich nun in Spanien offenbarte.
Am 5. November 1937 versammelte Hitler seine führenden Militärs, Kriegsminister Blomberg, den Oberbefehlshaber des Heeres Werner von Fritsch (1880–1939), den Chef der Marine Erich Raeder (1876–1960) und Luftwaffenchef Göring sowie Außenminister Neurath in der Reichskanzlei. Anwesend war auch Hitlers Wehrmachtsadjutant Oberst Friedrich Hoßbach (1894–1980), der in den Tagen nach diesem Treffen auf Grundlage seiner Notizen eine handschriftliche Zusammenfassung der von Hitler präsentierten politischen Absichten niederschrieb und die anschließende, teilweise heftige Diskussion knapp skizzierte. Die Hoßbach-Niederschrift, deren Authentizität inzwischen zweifelsfrei feststeht, ist lange als Zeichen einer Zäsur in Hitlers Außenpolitik vom Revisionismus zum Expansionismus interpretiert worden. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die von Hoßbach wiedergegebene Argumentation nicht nur in das Bild passt, das von Hitlers Auffassungen aus anderen Dokumenten dieser Zeit überliefert ist, sondern das er hier eine Argumentation pointiert aktualisierend aufnimmt, die er im Kern bereits in Mein Kampf entwickelt hatte.
Hitler in Mein Kampf über notwendigen Landerwerb für Deutschland
Zit. n.: Hitler, Mein Kampf, S. 153–154.
Für Deutschland lag […] die einzige Möglichkeit zur Durchführung einer gesunden Bodenpolitik nur in der Erwerbung von neuem Lande in Europa selber. […] Wollte man in Europa Grund und Boden, dann konnte dies im großen und ganzen nur auf Kosten Rußlands geschehen, dann mußte sich das neue Reich wieder auf der Straße der einstigen Ordensritter in Marsch setzen, um mit dem deutschen Schwert dem deutschen Pflug die Scholle, der Nation aber das tägliche Brot zu geben.
Wille zum Krieg
Hitler propagierte schon seinerzeit Mitte der zwanziger Jahre die „restlose Unterordnung aller sonstigen Belange eines Volkstums unter die einzige Aufgabe der Vorbereitung eines kommenden Waffenganges zur späteren Sicherung des Staates“. Er wollte das erreichen, was nach seiner Interpretation das Kaiserreich versäumt und weshalb es unter anderem auch den Weltkrieg verloren hatte: ein auf Bauerntum und Rassenauslese gegründetes Hegemonialreich in Europa, das sich als Weltmacht durchsetzen konnte. Die seit der Machtübernahme vergangenen viereinhalb Jahre hatten mit der fieberhaften Rüstung die Grundlagen dafür geschaffen. Nun galt es, nicht zuletzt angesichts der fortdauernden Schwierigkeiten, diese Stoßkraft aufrechtzuerhalten und über die Perspektiven der Anwendung dieser Machtmittel nachzudenken. Das von Hitler vorgetragene Szenarium übertrug seine ideologischen Axiome auf den gegebenen Rüstungsstand, um daraus die außenpolitischen Optionen der kommenden Jahre zu konstruieren, die wiederum an der ideologischen Langzeitstrategie – der „Lösung der Raumfrage“ – zu orientieren waren. Ähnlich einer Reihe anderer Grundsatzelaborate dieser Art, etwa der „Denkschrift zum Vierjahresplan“, war Hitlers Botschaft unzweideutig: Deutschland musste in wenigen Jahren Krieg führen.
Ideologische Motivation
In erkennbar stringenter Parallelität zu seinen lange bekannten Axiomen entwickelte Hitler am 5. November 1937 die Ziele seiner Politik für die kommenden Jahre, die er zugleich als testamentarische Verpflichtung verstanden wissen wollte. Die deutsche „Volksmasse“ mit ihren „über 85 Millionen Menschen“ bilde einen „fest geschlossenen Rassekern […], wie er in keinem anderen Land wieder anzutreffen sei“. Das Ziel der deutschen Politik müsse demnach die „Sicherung und Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung“ sein. Eine vollständige Autarkie sei unter den gegebenen Umständen unerreichbar. Die deutschen Ernährungsschwierigkeiten könnten auch nicht durch weltwirtschaftliche Verflechtung und Außenhandel gelöst werden – dergleichen Fehlpolitik hatte Hitler seit jeher dem Kaiserreich vorgehalten. Noch war in seinen Augen das Bewusstsein im deutschen Volk vorhanden, dass dies alles unbedingt geschehen müsse, denn der Nationalsozialismus zeige durch seine schiere Existenz, dass die entsprechende, zum Handeln treibende „Weltanschauung“ im deutschen Volk noch lebendig und nicht, wie andernorts, bereits degeneriert und abgestorben sei. Wenn allerdings das deutsche Volk nicht im Sinne der NS-„Weltanschauung“ handle, werde dieses Bewusstsein auch in ihm erlöschen.
Aus diesen politischen Axiomen und Zielen, nach denen der Krieg in wenigen Jahren anstand, entflammte eine Diskussion mit heftigen Meinungsverschiedenheiten zwischen Blomberg und Fritsch einerseits und Göring andererseits, denen Hitler als aufmerksamer Zuhörer folgte und aus denen geschlossen werden kann, dass die traditionellen Militärs den Überlegungen Hitlers zu diesem Zeitpunkt keineswegs blindlings zu folgen bereit waren. Hoßbach gab seine Niederschrift Kriegsminister Blomberg zur Lektüre sowie auch dem Chef des Generalstabs des Heeres, Ludwig Beck. Obwohl Hoßbach ihn zweimal darauf ansprach, fand Hitler vorgeblich keine Zeit, das Dokument zu lesen, das mit seiner Einwilligung im Kriegsministerium blieb.
Hoßbach-Niederschrift zum 5. November 1937
Zit. n.: Ursachen und Folgen, Bd. 11, S. 545–554 (Dok. 2598).
Der Führer stellte einleitend fest, daß der Gegenstand der heutigen Besprechung von derartiger Bedeutung sei, daß dessen Erörterung in anderen Staaten wohl vor das Forum des Regierungskabinetts gehörte […]. Er wolle den anwesenden Herren seine grundlegenden Gedanken über die Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten unserer außenpolitischen Lage auseinandersetzen, wobei er im Interesse einer auf weite Sicht eingestellten deutschen Politik seine Ausführungen als seine testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens anzusehen bitte. […]
Wenn kein dem deutschen Rassekern entsprechendes politisches Ergebnis auf dem Gebiet des Raumes vorläge, so sei das eine Folge mehrhundertjähriger historischer Entwicklung und bei Fortdauer dieses politischen Zustandes die größte Gefahr für die Erhaltung des deutschen Volkstums auf seiner jetzigen Höhe. […] Die Möglichkeit der Katastrophe wachse in dem Maße der Bevölkerungszunahme […]. Die einzige, uns vielleicht traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der Gewinnung eines größeren Lebensraumes, ein Streben, das zu allen Zeiten die Ursache der Staatenbildungen und Völkerbewegungen gewesen sei. […] Wenn die Sicherheit unserer Ernährungsgrundlage im Vordergrund stände, so könne der hierfür notwendige Raum nur in Europa gesucht werden […]. Die Entwicklung großer Weltgebilde gehe nun einmal langsam vor sich, das deutsche Volk mit seinem starken Rassekern finde hierfür die günstigsten Voraussetzungen inmitten des europäischen Kontinents. Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten […] bewiesen. […] Weder früher noch heute habe es herrenlosen Raum gegeben, der Angreifer stoße stets auf den Besitzer. […] Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben, dieser niemals risikolos sei. […] Auf der einen Seite die große Wehrmacht mit der Notwendigkeit der Sicherstellung ihrer Unterhaltung […], auf der anderen Seite die Aussicht auf Senkung des Lebensstandards und Geburteneinschränkung ließen keine andere Wahl, als zu handeln. Sollte der Führer noch am Leben sein, so sei es sein unabänderlicher Entschluß: spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen.
Als das Auswärtige Amt bei Hitlers Kabinettsbildung in der Hand des konservativen Konstantin von Neurath blieb, der diese Position seit Juni 1932 schon unter den Reichskanzlern Papen und Schleicher innehatte, schien die Kontinuität einer berechenbaren Außenpolitik für die internationale Welt ebenso gewährleistet wie eine Fortsetzung des nationalistisch-revisionistischen Kurses erwartet wurde. Gleichwohl blieb auch dieses Ministerium, das traditionell als konservativ galt und auf elitäre Professionalität hielt, nicht von der schrittweisen geistigen und personellen Durchdringung im Dienste der herrschenden Ideologie frei, wie sie im Grunde alle Institutionen des Staates erlebten. Dies galt namentlich auch für die Behandlung der „Judenfrage“, die von Beginn der NS-Herrschaft an eine internationale Dimension besaß.
„Judenfrage“ und Außenpolitik
Auch das Außenministerium geriet so mit den Jahren in den Sog der Ideologisierung. Am 20. März 1933 wurde für die Behandlung der „Judenfrage“ das dem Staatssekretär unmittelbar unterstellte „Referat Deutschland“ zuständig. Eine erste Reflexion auf die neuen Verhältnisse zeigt sich in einem hier entworfenen Runderlass über die „Entwicklung der Judenfrage in Deutschland und ihre Rückwirkungen im Ausland“ vom Februar 1934. Nach Ansicht der Autoren war der Kampf um Deutschlands Gleichberechtigung herausgehoben „aus der Sphäre machtpolitischer Interessen […] auf eine ideologische Ebene, in der sich nationalsozialistische Weltanschauung und jüdisch-marxistische Lehre unversöhnlich gegenüberstehen. Das zunächst rein innerdeutsche Judenproblem biologischen und rassischen Ursprungs gewinnt damit die Bedeutung einer außenpolitischen Frage ersten Ranges.“
Dies war nun keineswegs typisch für das traditionell konservativen Prinzipien verpflichtete Ministerium, zeigte aber den wachsenden Einfluss eines neuen, ideologiegeleiteten Zirkels von Mitarbeitern, die enge Verbindungen zur SS knüpften und das Diplomatieestablishment mit der Zeit zusehends instrumentalisierten und überspielten. In einer Aufzeichnung vom 16. Oktober 1934 hielt der Leiter des Deutschlandreferats, Vicco von Bülow-Schwante (1891–1970), fest: „Ein Nachgeben in der Judenfrage unter wirtschaftlichem oder politischem Druck würde […] zur Unterminierung der weltanschaulichen Grundposition des nationalsozialistischen Deutschland und damit zum politischen Zusammenbruch führen. Je schlechter daher die Wirtschaftslage ist, desto weniger sollte an Kompromisse in der Judenfrage gedacht werden.“ Am 30. Januar 1935 erklärte der sich als „Judenexperte“ profilierende Emil Schumburg, das Referat Deutschland habe „seit seinem Bestehen versucht, jedes Hinneigen zu einer Kompromißlösung oder zum Paktieren in der Judenfrage abzuwehren“. Schumburg, von 1936 bis 1940 Leiter des Judenreferats und „Verbindungsführer“ Himmlers zum Auswärtigen Amt, hielt fest, Deutschland befinde sich in einem Kampf „materieller und weltanschaulicher Art“ mit dem „internationalen Judentum“. Der „Gedanke einer Kompromißlösung“ schwäche die eigene Widerstandskraft, es dürfe „nur an den ganzen Sieg gedacht werden“.
Auswanderung und Ideologisierung
Wenngleich solcherart Stellungnahmen ganz auf der offiziellen ideologischen Linie lagen, so blieb die „Judenfrage“ doch zunächst vor allem ein innenpolitisches Problem, mit dem sich das Ministerium in erster Linie aufgrund der ausländischen Reaktionen zu beschäftigen hatte. Nach dem Ministerwechsel im Frühjahr 1938 sowie besonders im Zusammenhang mit den internationalen Bemühungen um eine große Auswanderungslösung wurde auch das Außenministerium stärker in die „Judenfrage“ involviert. So ließ Ribbentrop jedes Bemühen seitens der Evian-Konferenz ebenso torpedieren wie die Initiative Schachts für eine groß angelegte Judenauswanderung. Der Außenminister verbuchte die Entlassung Schachts als Erfolg für sein Ressort, und sein Sonderreferat Deutschland stellte im Januar 1939 klar, es bestehe „weder eine rechtliche noch eine moralische Verpflichtung, den Juden die Möglichkeit der Transferierung ihres Vermögens zu geben“, da „nach nationalsozialistischer Auffassung […] der Jude als Fremdrassiger […] seinen Besitz durch ein spezifisch jüdisches Geschäftsgebaren dem deutschen Volksvermögen entzogen“ habe. Ende des Monats hielt eine Analyse zur „Judenfrage als Faktor der Außenpolitik im Jahre 1938“ fest, dass die „Judenfrage“ für Deutschland „nicht ihre Erledigung gefunden habe, wenn der letzte Jude deutschen Boden verlassen hat“. Es sei bereits jetzt „für die deutsche Politik eine wichtige Aufgabe, den Strom der jüdischen Wanderung zu kontrollieren und nach Möglichkeit zu lenken“. Das „Judentum in der Welt“ sei stets der „unversöhnliche Gegner des dritten Reiches“. Diese unterschwellige Parallelentwicklung zur offiziellen Außenpolitik auf höchster Ebene, wie sie Hitler im internationalen Kontext vorantrieb, illustrierte die Intention des Regimes, alle tragenden Institutionen des überkommenen Staates in den Dienst von Ideologie, Partei und politischem Kampf zu stellen, sie damit ihrer staatlichen Funktion letztlich zu entkleiden und zum Instrument des „Weltanschauungskrieges“ umzuformen. Auch dies war ein fortschreitender Prozess, der keinem genauen Plan folgte, der aber stets auf jenes immer gleiche Ziel gerichtet blieb: die Formierung aller Institutionen innerhalb einer auf den Rassenkampf ausgerichteten „Volksgemeinschaft“.
Die von Oberst Hoßbach im November 1937 skizzierte Diskussion hatte Hitler gezeigt, dass die militärischen Führer seinen aggressiven Nahzielen distanzierter gegenüberstanden als er nach Blombergs willfährigem Verhalten, dem NS-Staat zu dienen, und auch der Bereitschaft Fritschs, dem Reich ein schlagkräftiges, motiviertes und hochmodernes Heer geschaffen zu haben, bislang annehmen mochte. Hitler nahm dies wahr, ohne allerdings einen konkreten Plan zu haben, diese Form partieller Distanzierung gegenüber seinen Absichten zu sanktionieren. Der Zufall kam ihm zu Hilfe.
Offizierskorps
Das Offizierskorps hatte 1934 im Zuge der „Nacht der langen Messer“ gegen die SA ohne Protest zugesehen, wie die SS gleichsam nebenbei auch die Generäle Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow ermordete. Die Entmachtung der SA-Führung und die Erschließung ihres Massenanhangs war ein herausragendes Ziel der Reichswehrführung gewesen und die Offiziere schluckten, wie es schien, die mörderischen Begleiterscheinungen gegen ihresgleichen als einen karrierenotwendigen Preis – der sie allerdings in den Augen vieler moralisch diskreditierte. In den folgenden Jahren kamen durch die immense Heeresvermehrung tausende junger Offiziere neu zum Militär, die sich nicht unbedingt nur mit den überkommenen Traditionen der preußisch-deutschen Militärgeschichte identifizierten, sondern sich auch als Soldaten eines neuen Staates sahen, auf dessen „Führer“ sie vereidigt waren.
Vor diesem Hintergrund kam es zum Jahresbeginn 1938 überraschend zu einer Krise in der militärischen Führung, die binnen weniger Wochen zur „Gleichschaltung“ auch dieser letzten potentiell verbliebenen Alternativmacht im NS-Staat führte. Kriegsminister Blomberg heiratete als sechzigjähriger Witwer eine junge Frau, die sich bald als ehemalige Prostituierte entpuppte. Nach den Ehrbegriffen des Offizierskorps und mit Blick auf die Öffentlichkeit war diese Verbindung unhaltbar. Sie hatte eine zusätzlich pikante Note, weil Hitler und Göring bei der Eheschließung im engsten Kreis als Trauzeugen gedient hatten, um allen Standesdünkeln gegen die Heirat des Generals mit dem „Mädchen aus dem Volk“ die Spitze zu nehmen. Hitler fühlte sich brüskiert, witterte Skandal und forderte Blomberg auf, sich wieder zu trennen, was dieser, nicht nur zu Hitlers Irritation, glatt verweigerte. Der für die Verbindung von Wehrmacht und NS-Staat lange Zeit so geschmeidig arbeitende Kriegsminister, auf dessen folgsame Kooperation sich Hitler bislang stets hatte verlassen können, erhielt am 27. Januar 1938 seinen Abschied.
Ein in vielen Augen logischer Nachfolger war der Oberbefehlshaber des Heeres, Werner von Fritsch. Im Gegensatz zu dem in Offizierskreisen aufgrund seiner wachsweichen Hitlergefolgschaft unbeliebten Blomberg genoss Fritsch unter seinesgleichen den höchsten Respekt eines charakterstarken Professionalisten. Fritsch war weder ein Gegner des Nationalsozialismus noch Hitlers, aber sein traditionsgebundenes Verständnis distanzierte ihn doch von der Partei-„Bonzokratie“ (wie Generalstabschef Ludwig Beck es nannte) und von jenen Kräften, die auch den militärischen Apparat und namentlich das von Fritsch so schnell und effektiv geschaffene Heer auf die Linie ideologisch getriebener Aggressionspolitik zu formieren suchten.
Machtrivalitäten
Gleichzeitig weckte Blombergs überraschende Ablösung den Appetit anderer eifriger Machtsammler wie Göring und Himmler. In dieser Gemengelage einer drohenden öffentlichen Skandalisierung des Militärs durch Blomberg sowie den konkurrierenden Ambitionen um seine Nachfolge, wurde Fritsch, der das Ministeramt selbst gar nicht aktiv erstrebte, binnen weniger Tage zum Opfer einer, nur als schmierig zu charakterisierenden, Intrige. Aus einer Jahre zurückliegenden Verleumdung gegen ihn wurde nun mit Hilfe einer dubiosen Akte (deren Vernichtung Hitler einmal angeordnet hatte, ohne dass sich Heydrich an diese Anweisung hielt) der Vorwurf homosexueller „Verfehlungen“ gegen den Heeresbefehlshaber erhoben. Das war nicht nur ein moralischer Vorwurf, sondern wäre auch eine Straftat gewesen, von dem öffentlichen Aufsehen, das daraus entspringen konnte, ganz zu schweigen. Mit Hilfe eines fingierten Zeugen, der den stets kühl-distanzierten Fritsch fälschlicherweise „identifizierte“, entstand so eine Art Zweitkrise, die Hitler einerseits alarmierte, ihm zugleich aber machttaktische Handlungsoptionen öffnete, die er rasch und politisch instinktsicher nutzte.
Obwohl Fritsch unter Ehrenwort seine Unschuld beteuerte, ließ Hitler ihn am 3. Februar 1938 zum Rücktritt auffordern, entließ ihn am nächsten Tag und entschloss sich kurzerhand, den Oberbefehl über die Wehrmacht selbst zu übernehmen – nicht zuletzt, um die eifrigen Ambitionen Görings und auch Himmlers einzudämmen. Indem er das Amt des Kriegsministers gänzlich entfallen ließ, richtete er stattdessen ein Oberkommando der Wehrmacht (OKW) ein, das fortan der Hitler nahezu hörige Wilhelm Keitel (1882–1946) leiten sollte. Fritschs Nachfolger als Oberbefehlshaber des Heeres wurde Generaloberst Walther von Brauchitsch (1881–1948), der sich gleichfalls als folgsamer Hitler-Adept entwickelte. Neben dem Oberkommando des Heeres und dessen Generalstab sowie dem Oberkommando der Marine und der Luftwaffe existierte nun durch die Einrichtung des OKW eine weitere militärische Institution, die allerdings Hitler direkt zugeordnet war. Im Sinne militärischer Effizienz evozierte dies im Grunde einen erhöhten Koordinierungsbedarf, mündete in der Praxis in Kompetenzrangeleien und stärkte damit zugleich Hitlers Position. Anders formuliert: Mit der Übernahme des Oberbefehls hatte sich Hitler nicht nur einen direkteren Zugriff auf militärische Führungsentscheidungen geschaffen, sondern er stand nun auch in einer noch unmittelbareren Weise als letztinstanzliche Entscheidungsgewalt im Mittelpunkt der konkurrierenden Wehrmachtteile.
Unschuld von Fritschs
Die Vorwürfe gegen Fritsch erwiesen sich im Lichte der Untersuchung durch ein militärisches Ehrengericht als die unhaltbaren Verleumdungen, als die sie den Eingeweihten bekannt waren. Doch die machtpolitischen Würfel waren gefallen. Statt der Wiedereinsetzung in sein altes Amt erhielt Fritsch nur eine Pseudo-Rehabilitation, indem Hitler ihn zum Chef eines Artillerieregiments bestimmte, zugleich aber eine öffentliche Erklärung seiner Unschuld verweigerte.
Hitlers Machtinstinkt
Die Blomberg-Fritsch-Krise und die folgende Welle von Umbesetzungen im Militärapparat – Hitler entließ zwölf weitere Generäle und veränderte 51 zusätzliche Positionen – erregte beträchtliches innerdeutsches und internationales Aufsehen, zumal Hitler auch die Gelegenheit genutzt hatte, Außenminister Neurath gegen seinen Vertrauten Ribbentrop auszutauschen. Gleichwohl war die ganze Aktion kein langfristig geplanter Coup, sondern die instinktsichere Instrumentalisierung einer kurzfristig aufgekommenen Krise. Indem Blomberg durch sein privates „Fehlverhalten“ einen zunächst durchaus unwillkommenen Handlungszwang schuf, öffnete er diese Option. Die Entlassung Fritschs unterminierte das Machtresiduum der Heeresspitze, die zwar unzweideutig im Dienst des Regimes und „für den Führer“ arbeitete, aber zugleich gegenüber der Partei und der SS distanziert geblieben war. Wenn man unterstellt, dass das Offizierskorps bis zu diesem Zeitpunkt trotz aller deutlichen Annäherungen an den Nationalsozialismus noch eine gewisse eigenständige politische Position hätte ausbilden können, so war diese Option nun offensichtlich diskreditiert.
Der gebürtige Österreicher Hitler hatte seit jeher ein aus völkischer Fixierung resultierendes, gespanntes Verhältnis zur politischen Situation in seinem Heimatland. In seinen Wiener Jahren zwischen Herbst 1909 und Mai 1913 hatte er sich der obligatorischen Meldung zum Militärdienst entzogen. Als die Linzer Behörden ihn 1914 in München aufspürten, attestierte ihm eine nachsichtige Musterungskommission wunschgemäß, er sei zu schwach. Schon dieses aus Heuchelei und Opportunismus gemischte Verhalten hatte im Kern ideologische Motive, denn Hitler wollte nicht für das „Rassengemisch“ des Vielvölkerstaates in einen Krieg ziehen, in dem er seit 1914 auf deutscher Seite mit engagierter Begeisterung diente. Bei aller nachträglichen Selbststilisierung seiner Lebensgeschichte treten der Haß auf die Behandlung der Deutschen in der Donaumonarchie und die gleichzeitige Verklärung des Reiches als Hoffnung rassischer Wiederbelebung glaubhaft hervor. Die deutsch-österreichische Vereinigung war für Hitler also durchaus mehr als ein machtpolitisches Ziel im Sinne der Großmachtsicherung und Expansionsvorbereitung. Die wirtschaftlichen, demographischen und geostrategischen Vorteile waren weder zu unterschätzen noch zu vernachlässigen, ja im Sinne der langfristigen Vorbereitung des Krieges Richtung Osten unabdingbar. Gleichwohl bedeutete eine Verschmelzung beider Länder in Hitlers Augen genuin mehr, nämlich die Herstellung eines imaginierten historischen Normalzustandes, den die Geschichte bislang verweigert hatte.
Mussolinis Einlenken
Der „Anschluss“ stand demnach seit jeher auf der Agenda der politischen Ziele des „Führers“. Der dilettantische Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten im Jahr 1934 war Hitler inhaltlich erwünscht, aber der Zeitpunkt geradezu gefährlich verfrüht, zumal Mussolinis Italien sich seinerzeit noch als Schutzmacht gerieren konnte. Das Verhältnis der Diktatoren hatte sich inzwischen parallel zur wachsenden deutschen Rüstungspotenz einerseits und den außenpolitischen Schwierigkeiten Italiens andererseits deutlich gewandelt. Am 6. Januar 1936 signalisierte Mussolini dem deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell (1881–1944), dass er nun nichts mehr einwenden würde, sollte Österreich in die Rolle eines Satelliten des Reiches geraten. Im so genannten Juli-Abkommmen von 1936, das euphemistisch die „Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen“ im Titel trug, geriet Österreich tatsächlich in den außenpolitischen Orbit des Reiches, indem es akzeptierte, sich „stets auf jener grundsätzlichen Linie“ zu bewegen, „die der Tatsache, daß Österreich sich als deutscher Staat bekennt, entspricht.“ Angesichts der weiteren innen- und außenpolitischen Konsolidierung in Deutschland sprach Hitler in der zweiten Jahreshälfte 1937 des Öfteren drohend über die Möglichkeiten eines Schlages gegen sein Geburtsland. Auch wehrwirtschaftliche Motive spielten eine wichtige Rolle. Namentlich Göring drängte darauf, das österreichische Potential möglichst bald für die deutsche Rüstung zu erschließen. Als im Herbst 1937 der Staatssekretär im österreichischen Außenministerium, Guido Schmidt (1901–1957), zu Besuch nach Carinhall, Görings Landsitz in der Schorfheide, kam, fand er in der Bibliothek eine eigens angefertigte Wandkarte hängen, die Österreich schon als Teil des Deutschen Reiches zeigte. Als Schmidt protestierte, entgegnete ihm Göring unverhohlen, so werde die politische Landkarte ohnehin bald aussehen. In der von Hoßbach resümierten Besprechung hatte Hitler am 5. November 1937 hinsichtlich der „Erledigung der tschechischen und österreichischen Frage“ als Option genannt, „die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen“ und hatte dabei zugleich die Vertreibung von zwei Millionen Menschen aus der „Tschechei“ und einer Million aus Österreich avisiert.
Erpressung Schuschniggs
Als am 19. November 1937 der enge Vertraute des britischen Premierministers Neville Chamberlain (1869–1940) und spätere Außenminister Lord Halifax (1881–1959) mit Hitler zusammentraf, gab er zu verstehen, dass die Briten einer Änderung des Status quo mit Blick auf Österreich, die Tschechoslowakei und Danzig nicht im Wege stehen würden, solange dergleichen Umgestaltung im Zuge „friedlicher Entwicklung“ stattfinde. Mitte Februar 1938 nun schickte sich Hitler an, den ersten großen Schritt dieser Politik zu gehen. Während die Schockwellen der Blomberg-Fritsch-Krise noch wirkten, traf der österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg (1897–1977) am 12. Februar 1938 auf dem Obersalzberg zu einem Gespräch mit Hitler zusammen. In einer Art Mafiadiplomatie fuchtelte Hitler gleichsam symbolisch mit der geladenen Pistole vor Schuschniggs Augen, indem er mit militärischer Gewalt drohte und den österreichischen Kanzler, immerhin Regierungschef eines souveränen Landes und Mitglieds des Völkerbundes, zur Unterzeichnung eines Abkommens zwang, das ihn im Kern zum willfährigen Vasallen des Reiches degradierte. Die österreichischen Nationalsozialisten sollten an der Regierung beteiligt und ihr Führer Arthur Seyß-Inquart (1892–1946) zum Innenminister ernannt werden und die Polizeigewalt übernehmen.
Angesichts dieser Aussichten versuchte Schuschnigg die Flucht nach vorn und verkündete am 9. März 1938, dass vier Tage später eine Volksabstimmung über Österreichs künftigen Status befinden solle. Weil er fürchtete, dass viele Jugendliche sich für den „Anschluss“ begeistern könnten, ließ er das Wahlalter auf 24 Jahre heraufsetzen. Mit massivem Druck erreichte Hitler nicht nur, dass diese Abstimmung ausgesetzt wurde, sondern forderte ultimativ, dass Schuschnigg sein Amt für Seyß-Inquart frei machen solle. Schuschnigg suchte derweil vergeblich Hilfe bei den Westmächten, erhielt als Antwort nur ein diplomatisches Achselzucken und trat am 11. März zurück. Als der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas (1872–1956) sich daraufhin zunächst weigerte, Seyß-Inquart zu ernennen, gab Hitler den Befehl zum Einmarsch – der am Samstag, den 12. März 1938 begann (obwohl Miklas inzwischen nachgegeben hatte). Auf eine militärische Invasion hatte vor allem Göring gedrängt, weil er die österreichischen Ressourcen dringend benötigte, um die wehrwirtschaftlichen Programme am laufen zu halten; er rühmte sich später, die eigentlich treibende Kraft beim „Anschluss“ gewesen zu sein. Die vordergründige militärische Besetzung entwickelte nun, selbst für Hitler in dieser Form überraschend, eine Art nationalistische Eigendynamik, denn die deutschen Truppen wurden keineswegs als feindliche Eroberer, sondern allenthalben mit Jubel empfangen. Euphorisiert und mitgerissen erweiterte Hitler seine ursprünglichen Absichten, die eine Union beider Staaten vorsahen, und forcierte den rasch vollzogenen „Anschluss“. Die frenetisch jubelnde Masse, der er am 15. März 1938 auf dem Wiener Heldenplatz „vor der Geschichte […] den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“ verkündete, bewies anschaulich, dass hunderttausende Österreicher diese erstaunlich rasche und reibungslose Vereinigung mit ähnlicher Begeisterung und sich selbst durchaus nicht als vergewaltigte Opfer empfanden.
Euphorisierte Besetzung
Sudetendeutsche als Instrument
In Hitlers Überlegungen waren die österreichische und die tschechoslowakische Frage perspektivisch miteinander verbunden, um das außenpolitische Glacis in Osteuropa zu erobern. Den willkommenen Hebel für die Attacke auf die Tschechoslowakei boten die dort lebenden Sudetendeutschen. Als unterprivilegierte Minderheit, deren Siedlungsgebiet sich unmittelbar an das Deutsche Reich anschloss, boten sie Gelegenheit, die völkisch-nationalistische Trommel zu schlagen und dies mit dem gleichsam natürlichen Verlangen zu verbrämen, alle Deutschen legitimerweise in einem Staat zu vereinigen. Trotz aller authentischen völkischen Überzeugungen waren die Sudetendeutschen damit gleichwohl kaum mehr als ein willkommenes Instrument zu anderen Zwecken – der Zerstörung des tschechoslowakischen Staates. Am 28. März 1938 wies Hitler den Führer der Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein (1898–1945), an, stets solche Forderungen an die tschechische Regierung zu stellen, die für diese „unannehmbar“ waren, damit der Konflikt latent blieb. Allerdings schwebte ihm kein „Überfall aus heiterem Himmel ohne jeden Anlaß“ vor, wie er am 21. April 1938 das Oberkommando der Wehrmacht wissen ließ, sondern eine allmähliche Zerstörung. Als sich die Lage zuspitzte, mobilisierte die tschechische Regierung am 20. Mai ihre Streitkräfte und zwang damit sowohl ihre Bündnispartner in London und Paris als auch die deutsche Seite zum Bekenntnis. Weil die Westmächte signalisierten, ihre Beistandspflichten einhalten zu wollen, stoppte Hitler die militärischen Vorbereitungen und erlitt damit erstmals einen international weithin wahrgenommenen Dämpfer. Dass dieser Rückzug rein taktisch war, machte er schon gut eine Woche später deutlich, als er den Spitzen von Partei, Staat und Wehrmacht ankündigte, „die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen“. Er befahl am 30. Mai 1938, dass die Wehrmacht ab 1. Oktober bereit stehen müsse, „Böhmen und Mähren rasch in Besitz zu nehmen“.
Rücktritt Becks
Der Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, der im November 1937 die Hoßbach-Niederschrift gelesen hatte und von dem aggressiven Willen Hitlers zum baldigen Konflikt geradezu erschüttert war, trat am 18. August 1938 aus Protest gegen diesen Kurs von seinem Amt zurück. In Kreisen des Militärs und der Diplomatie formierte sich eine Gruppe Oppositioneller, die ihre eigene Initiative gegen Hitler allerdings von der Haltung Großbritanniens abhängig machte. Wenn die Briten in der tschechischen Frage Hitlers Kriegskurs widerstanden, dann wollten sie selbst den Diktator entmachten. Sie schienen demnach offensichtlich weder willens noch fähig, Hitler aus eigener Kraft zu stürzen. Die britische Regierung verhielt sich demgegenüber ebenso misstrauisch wie dilatorisch und suchte, nachdem Hitler die Krise im September weiter beschleunigte und offensichtlich auf einen Krieg zusteuerte, eine direkte Lösung. Premierminister Chamberlain reiste mehrfach nach Deutschland, um Hitler zu treffen, beschwichtigte dessen Forderungen und gab zu verstehen, dass die Briten nicht für den Erhalt aller Territorien ihres tschechischen Bündnispartners zu kämpfen bereit waren. Als Chamberlain am 27. September von der Downing Street aus über Rundfunk zu seinen Landsleuten meinte, „how horrible, fantastic, incredible it is that we should be digging trenches and trying on gas masks here because of a quarrel in a far away country between people of whom we know nothing“, offenbarte sein zynisch anmutender Realismus doch vor allem machtpolitische Hilflosigkeit.
Münchner Abkommen
Die zwei Wochen zwischen dem 15. und 29. September 1938 waren zweifellos der Höhepunkt der britisch-französischen Appeasementpolitik gegenüber dem Deutschen Reich. Chamberlain, der französische Ministerpräsident Edouard Daladier (1884–1970), Mussolini und Hitler versammelten sich, nach vorbereitenden Gesprächen zwischen Chamberlain und Hitler, am 29. September in München und trafen eine Vereinbarung, die vom italienischen Diktator vorgeschlagen, aber von deutscher Seite zuvor erarbeitet worden war. Danach musste die Tschechoslowakei die sudetendeutschen Gebiete bis zum 10. Oktober räumen und bekam dafür im Gegenzug eine Garantie der Großmächte gegen unprovozierte Angriffe. Was dergleichen Zusagen im Konfliktfall wert sein mochten, hatte die Vorgeschichte „Münchens“ gerade gezeigt, denn praktisch gaben Frankreich und Großbritannien die Integrität eines Verbündeten preis, um selbst keinen Krieg führen zu müssen.
Keine Kriegsbegeisterung
In Deutschland war die Stimmung angesichts der wochenlangen Spannungen keineswegs euphorisch. Die Sudetendeutschen „heim ins Reich“ zu holen, mochte in weiten Kreisen als ein legitimer völkisch-nationaler Anspruch empfunden werden. Ob er einen Krieg rechtfertigen würde, wurde gleichwohl vielfach bezweifelt. Als Hitler Ende September 1938 die Truppen mobilisierte, ließ er eine motorisierte Division in Kriegsausrüstung durch Berlin fahren und sah von der Reichskanzlei zu, wie drei Stunden lang Einheiten durch die Wilhelmstraße zogen. Enttäuscht erkannte er deutlich, dass die Bevölkerung keineswegs begeistert war. Der britische Botschafter Nevile Henderson (1882–1942) beobachtete die Szene und resümierte, dass die Deutschen, die normalerweise Militäraufzüge liebten, diesmal nicht eine Hand zum Applaus erhoben hätten – was Hitler tief beeindruckt habe: „Das Bild, das sich bot, glich beinahe dem einer feindlichen Armee, die durch eine eroberte Stadt zieht.“ Hitler meinte verärgert, „mit diesem Volk“ könne er „noch keinen Krieg führen“.
Trotz solcherart Unmut, die Anlass gab zu verstärkter Propaganda, um die Deutschen mental kriegsbereiter zu machen als sie offensichtlich waren, hätte Hitler nach rationalen Maßstäben zufrieden sein können. Das Deutsche Reich umfasste nun beinahe alle deutschsprachigen Menschen in Europa und sein Territorium war umfangreicher als selbst wilde Nationalisten fünf Jahre zuvor erwartet hatten. Hitler dachte das Gegenteil. Dass er in München die Abtretung der Sudetendeutschen Gebiete erreichen konnte, ohne einen Krieg zu führen – gerade das enttäuschte ihn. Denn er wollte mehr als das Sudetenland, und er hätte gern in diesem Zustand der allseits mangelhaften Rüstung vom Herbst 1938, in dem das Reich nach seiner Ansicht noch deutliche Vorteile besaß, militärisch zugeschlagen. Schon drei Wochen nach dem Münchner Abkommen wies er die Wehrmacht an, sich darauf vorzubereiten, „die Rest-Tschechei jederzeit zerschlagen zu können“. Hitler wollte Krieg, und er wollte ihn bald.
Wer nun als Deutscher nach sechs Jahren Hitlerscher Außenpolitik ohne moralische Wertung auf die Gestalt des Reiches blickte, der konnte leicht dem Eindruck verfallen, dass hier anscheinend ein begnadeter Politiker all jene Träume von großdeutscher Herrlichkeit erfüllt hatte, die historisch allen seinen Vorgängern stets versagt geblieben waren. Sofern sie nicht zu den verfolgten Minderheiten gehörten, konnten die meisten Deutschen die vergangenen Jahre des „Dritten Reiches“ rückblickend als eine Phase lang ersehnter Stabilität und stetiger Erfolge interpretieren. Angesichts dieser stets propagandistisch durchwobenen, bisweilen rauschhaften nationalistischen Befriedigung hatten die meisten Menschen ein natürliches Interesse daran, diese Errungenschaften nicht aufs Spiel zu setzen, sondern das Erreichte zu sichern. Hitler dachte anders, weil ihm jeder Erfolg vor allem Ansporn war, den nächsten Schritt zu wagen. Vor Truppenkommandeuren machte er am 10. Februar 1939 in stringenter Fortsetzung seiner Weltanschauungs-Axiome deutlich, es gehe um „das Schicksal unserer Rasse in kommenden Jahrhunderten“. Der nächste Kampf werde „ein reiner Weltanschauungskrieg sein, d.h. bewußt ein Volks- und Rassenkrieg“. Statt also zur Ruhe zu kommen und die unter Gewaltdrohung, aber doch friedlich erreichte Vereinigung nahezu aller Deutschen in Mitteleuropa als historisch bislang unerreichten Gewinn zu stabilisieren, folgte Hitler auch weiterhin der Perspektive seiner ideologischen Zielsetzungen. Und das bedeutete, dass diese Vereinigung des deutschen „Rassekerns“ zur „Volksgemeinschaft“ in einem Reich nur eine notwendige Voraussetzung war, um die vermeintliche historische Mission in Angriff zu nehmen, als deren gottgesandte Personifizierung er sich selbst im Rausch der scheinbar unendlichen Erfolge empfand. An dieser Stelle begannen sich nun auch deutlicher die Wege zu trennen zwischen Hitler und seinen ideologisch getriebenen Anhängern einerseits und den traditionellen Verfechtern einer europäischen Hegemonialpolitik des Deutschen Reiches in Militär und Diplomatie andererseits. Weil ihre Ziele bislang mit denen Hitlers weit gehend identisch waren, hatten sie nicht wenig dazu beigetragen, den NS-Herrschaftsanspruch mit jener professionellen diplomatischen und militärischen Expertise zu durchdringen, die Hitler das gewünschte Instrument schuf, um seine eigene Agenda voranzutreiben. Gleichwohl formierte sich auch jetzt keine nennenswerte Opposition, sondern man ergab sich der Selbsttäuschung, doch weiter mitmachen zu müssen, einerseits, weil es ja offensichtlich immer noch etwas zu gewinnen gab, andererseits, „um Schlimmeres zu verhindern“, während man doch gerade dabei war, das Schlimme selbst am laufen zu halten.
Mit den außenpolitischen Aktionen des Jahres 1939 wurde im In- und Ausland zunehmend deutlich, dass es Hitler um mehr ging, als die Sammlung aller Deutschen unter dem Diktum „heim ins Reich“. Zugleich hatte Deutschland mit seiner fiebrig auf Rüstung und Kriegsvorbereitung zielenden Politik ein Stadium wirtschaftlicher Überspannung erreicht, das geradezu zwanghaft nach frischen Ressourcen verlangte, um nicht unter der Last jener hochmodernen, doch volkswirtschaftlich unproduktiven Waffen zusammenzubrechen, die dem Volk bereits die Butter nahmen und, wenn keine neuen Ressourcen aufgetan würden, bald auch das Brot nehmen würden.
Laut Hoßbach-Niederschrift nahm Hitler bereits im Herbst 1937 als verlässlich an, dass England und Frankreich „die Tschechei bereits im Stillen abgeschrieben und sich damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages durch Deutschland bereinigt würde“. Das Münchner Abkommen wirkte in dieser Perspektive nur wie ein Zwischenspiel. Hitler ließ in den folgenden Monaten nicht den geringsten Zweifel daran, dass er die Tschechoslowakei im deutschen Klammergriff kaum lange überleben lassen wollte. Am 13. März 1939 diktierte er dem slowakischen Ministerpräsidenten Jozef Tiso (1887–1947) bei einem Besuch in Berlin, die Slowakei solle am nächsten Tag ihre Unabhängigkeit erklären. An diesem 14. März dann beorderte er den tschechoslowakischen Staatspräsidenten Emil Hácha (1872–1945) und dessen Außenminister František Chvalkovský nach Berlin und oktroyierte in der inzwischen so offensichtlich bewährten diplomatischen Mafiamanier, dass sich die Tschechoslowakei in ein „Schutzverhältnis“ zum Reich zu begeben habe. Als in der Nacht zum 15. März 1939 deutsche Truppen nach Böhmen und Mähren einmarschierten und damit die Tschechoslowakei zerstörten, schien sich Hitlers Prognose vom November 1937 zu erfüllen. Tatsächlich konnten Briten und Franzosen in diesem Moment nicht mehr verhindern, dass nunmehr aus einem sechs Monate zuvor noch souveränen, mit ihnen verbündeten Staat ein deutschkontrolliertes „Protektorat“ wurde. Als Hitler hörte, dass keine militärischen Reaktionen vernehmbar waren, erklärte er voller Genugtuung: „Ich habe es gewußt! In 14 Tagen spricht kein Mensch mehr darüber.“ Gleichsam als „Begleiterfolg“ dieser Drohpolitik presste Deutschland auch Litauen am 23. März das Memelgebiet ab und ließ Truppen der Wehrmacht einmarschieren.
„Griff nach Prag“
Der deutsche „Griff nach Prag“ war nicht nach vierzehn Tagen vergessen, im Gegenteil. Die deutsche Außenpolitik, die bei aller unterstützenden Vorbereitung der traditionellen Eliten in Militär und Diplomatie im jeweiligen Entscheidungsmoment genuin Hitlersche Außenpolitik wurde, offenbarte das wahre Gesicht der nationalsozialistischen Ambitionen, indem sie die Friedensbekundungen der zurückliegenden Jahre, die wortreichen öffentlichen Versprechungen und selbst die Unterzeichnung von Verträgen als heuchlerisches Täuschungsmanöver entlarvte. In Hitlers Augen war dies ein normales, ja gebotenes Verhalten, um im moralfreien Überlebenskampf zu gewinnen. Für all diejenigen, die in Paris, London und selbst Rom daran gewöhnt waren, dass man sich um des Friedens willen an Verträge hielt, enttarnte sich hier ein völkerrechtliches Gangstertum. Die britische Regierung konterte, indem Premierminister Chamberlain am 31. März 1939 im Unterhaus eine Garantie für die „polnische Unabhängigkeit“ verkündete und den Polen am 6. April ein Beistandsversprechen gab. Inzwischen hatte Hitler bereits am 3. April 1939 dem Oberkommando der Wehrmacht befohlen, den Krieg gegen Polen so vorzubereiten, „daß die Durchführung ab 1.9.1939 jederzeit möglich ist“.
Wenn das Regime nun 1939 mit Goebbels’ Propagandamaschinerie im Allgemeinen und Hitler mit seinen Reden im Besonderen einen verschärft antipolnischen Ton anschlug, so stieß dies in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung auf tiefe Sympathie. Die Ressentiments gegen den östlichen Nachbarn waren latent und wirkten ähnlich einer offenen Wunde, seit Polen nach dem Ersten Weltkrieg als Staat wieder erstanden war und dabei einen territorial wie ökonomisch nennenswerten Teil des ehemaligen Kaiserreiches zugesprochen bekommen hatte. Polen stand gleichsam selbstverständlich seit jeher im Zentrum aller Revisionsabsichten, und dementsprechend verwundert hatten viele Deutsche und die internationale Welt zugesehen, wie Hitler zu Beginn seiner Regierungszeit hier eine scheinbar auf Ausgleich und Verständigung zielende Appeasementpolitik betrieb. Deren Täuschungscharakter wurde nun offenbar.
Kündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes und des deutschbritischen Flottenabkommens
Diese Neuformierung der deutschen Außenpolitik, die nun Polen ins Visier nahm, zeigt sich auch in Hitlers Reichstagsrede vom 28. April 1939, in der er auf eine Botschaft des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt reagierte, in der dieser außenpolitische Friedenszusicherungen verlangt hatte. Neben seiner beißenden Polemik gegen Roosevelt und die Vereinigten Staaten nutzte er rhetorisch geschickt die Gelegenheit, um den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt vom Januar 1934 sowie das deutsch-britische Flottenabkommen vom Juni 1935 zu kündigen.
Nur vier Wochen später erklärte er am 23. Mai seinen Militärführern die Absicht, „bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen“. Die unterschwellige Dynamik der deutschen Außenpolitik beschleunigte und radikalisierte sich, weil die Haltung der Westmächte Hitler zugleich ermutigte (er hielt sie für feige) und antrieb – der Rüstungsvorsprung musste genutzt und die Ressourcen zu dessen Konsolidierung mussten gesichert werden. Die Westmächte dagegen versuchten der über diplomatische Kompromisse offen sichtlich nicht zu bremsenden Aggressivität des Deutschen Reiches mit einer internationalen Eindämmungspolitik zu begegnen – und beide Seiten suchten hierfür die Unterstützung der bislang international offen stigmatisierten Sowjetunion Josif Stalins (1879–1953).
Wettlauf Richtung Sowjetunion
Als seit dem Frühjahr 1939 eine allgemeine Annäherung Richtung Moskau begann, wirkte dies wie ein bisweilen bizarr anmutendes Wettrennen zwischen den westlichen Status-quo-Mächten einerseits und dem international herausfordernden Deutschen Reich andererseits. Stalin hatte angesichts der Krise um die Tschechoslowakei im September 1938 deutlich wahrgenommen, dass die Westmächte die Sowjetunion nicht als gleichberechtigte Großmacht in mitteleuropäischen Angelegenheiten betrachteten. Im internationalen Maßstab schien der Kommunismus den Westmächten immer noch eine mindestens ebenso große Gefahr wie das „Dritte Reich“, das man als „Wellenbrecher“ und „Bollwerk“ gegen die „rote Flut“ für erhaltenswert hielt. Ja, ein Gutteil der Nachgiebigkeit Chamberlains gegenüber Hitler resultierte aus der Furcht, dass Deutschland im Falle einer Destabilisierung oder eines Krieges womöglich bolschewistisch werden und damit eine noch größere Gefahr als unter NS-Herrschaft darstellen würde. Nun bot Frankreich der Sowjetunion am 15. April 1939 ein Bündnis an, und zwei Tage später begannen deutsch-sowjetische Gespräche, die trotz mancher Schwankungen in den kommenden Monaten ab Ende Juli in eine ernste Phase mündeten, als deren Produkt am 23. August 1939 der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag vereinbart wurde.
In der sowjetischen Führung war das Wissen um die langfristigen rassenideologischen Ziele Hitlers durchaus verbreitet. Ungeachtet der offiziellen Lesart vom „deutschen Faschismus“ als der letzen Bastion des Kapitalismus nahm man das NS-Regime in seiner genuinen Gefährlichkeit ernst. Gleichwohl sah Stalin, dass Hitler ihm deutlich mehr zu bieten bereit war als die Westmächte ihrem Selbstverständnis nach jemals konnten: die gemeinsame Aufteilung Ostmitteleuropas auf Kosten der kleinen Völker und Staaten. Zugleich fürchtete Stalin, dass die Sowjetunion bei einem Zusammengehen mit den Westmächten und einem von Hitler angestrebten Krieg die militärische Hauptlast würde tragen müssen. Ein Pakt mit Hitler, in dessen Folge man nicht nur Beute in Polen machen, sondern auch noch zusehen konnte, wie sich die kapitalistischen Staaten und das „Dritte Reich“ kriegerisch gegenseitig zerfleischten, wirkte in dieser Perspektive beinahe unwiderstehlich. Für Hitler bot sich die Option, endlich „seinen“ Krieg beginnen zu können unter Bedingungen, die es der Wehrmacht ermöglichten, den Westen zunächst defensiv zu sichern und sich auf den Angriff im Osten zu konzentrieren, was in Hitlers Perspektive zugleich den ersten Schritt im Lebensraumkrieg bedeutete. Vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht charakterisierte er dies am 22. August als „ein großes Ziel, das viel Einsatz fordert“. Er habe „nur Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan“ vorlege. Nun sei der „Weg für den Soldaten […] frei, nachdem ich die politischen Vorbereitungen getroffen habe“.
Realpolitische Kalkulationen
Stalin gab Hitler mit der Zusage bedingungsloser Neutralität, im vollen Bewusstsein der Folgen, ein beruhigendes Signal für den Angriff auf Polen. Der deutsche Zweifrontenkrieg war auf diese Weise deutlich berechenbarer, weil es vor allem die Polen waren, die an zwei Fronten kämpfen mussten, während Deutschland in Richtung Westen durch die offensichtlich funktionierende kombinierte Abschreckung aus Wehrmacht und Westwall trotz französisch-britischer Kriegserklärung nicht nur die ersten Kriegswochen, sondern den ganzen Winter aussitzen konnte.
Aus dem Geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt, 23. August 1939
Zit. n.: Ursachen und Folgen, Bd. 13, S. 457f. (Dok. 2823k).
Aus Anlaß der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert. […] Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessensphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt. Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen, und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden. […] Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden.
Krieg als Fortsetzung der Außenpolitik
Als mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 der Krieg begann, waren die meisten Deutschen weder überzeugt, dass das Deutsche Reich hier einen Kampf um seine Existenz führte, noch waren sie gar euphorisch auf „Lebensraumeroberung“ aus. Prinzipiell war eine Auseinandersetzung mit Polen in weiten Kreisen der alten Eliten und in der Bevölkerung durchaus willkommen, denn man kehrte damit quasi unter neuen Vorzeichen zur antipolnischen Politik von vor 1933 zurück. Aber musste man dafür, so die durchaus bange Frage, einen Krieg entfachen, der sich zum Konflikt um die Existenz des Deutschen Reiches selbst auswachsen konnte? Gerade die vielfältigen außenpolitischen Erfolge der vergangenen Jahre hatten doch gezeigt, dass man seine als legitim angesehenen Expansionswünsche, namentlich den „Anschluss“ Österreichs und des Sudetenlandes, ohne Blutvergießen durchzusetzen vermochte. Warum sollte man dies nicht auch im Konflikt mit Polen erreichen, wenn man Geduld statt Gewalt einsetzte? Aber eine Wahl ließ Hitler nicht, und die Kraft und den Willen zur Alternative hatten die meisten Menschen aufgegeben und sich oft freimütig einbinden lassen. Millionen Deutsche erfreuten sich an den jahrelangen Erfolgen des „Dritten Reiches“ und identifizierten sich mit der nationalsozialistischen Politik. So saßen sie alle im selben Zug, der nun in einen unberechenbar-waghalsigen Krieg raste, mochten sie dies wünschen, wie Hitler, oder fürchten, wie viele Deutsche.
Fasst man die Entwicklung der deutschen Außenpolitik von Hitlers Machtantritt 1933 bis zum Kriegsbeginn 1939 zusammen, so ist deutlich erkennbar, dass sie bestimmte ideologisch abgeleitete, programmatisch fixierte Ziele erstrebte, ohne dass die Einzelschritte auf dem Weg dorthin von vornherein einem festen Zeitplan folgen konnten. Blickt man auf die wichtigsten Stationen dieser Strecke – Verlassen der Abrüstungskonferenz und des Völkerbundes (1933), Vertrag mit Polen (1934), Wiedereinführung der Wehrpflicht (1935), Remilitarisierung des Rheinlandes (1936), „Anschluss“ Österreichs (1938), Erpressung und Zerschlagung der Tschechoslowakei (1938/39), Pakt mit der Sowjetunion (1939), Angriff auf Polen (1939) – so ist die durchweg entscheidende Rolle Hitlers unzweideutig erkennbar. Er reflektierte und begründete diese Schritte in Reden und militärischen Weisungen, die erkennen lassen, dass er stets einem ideologisch fixierten Missionarismus folgte: die Deutschen zunächst in einem Reich zu einer geschlossenen „rassischen Volksgemeinschaft“ zu vereinigen, diesen nationalsozialistisch durchdrungenen Staat militärisch schnellstmöglich aufzurüsten und für einen Krieg vorzubereiten und diesen Krieg um „Lebensraum“ dann unter Ausnutzung des rüstungstechnischen Vorsprungs möglichst bald zu führen.
Es ist offensichtlich, dass die meisten Ziele der konservativen Eliten – wie beispielsweise die Wiederaufrichtung der deutschen Großmacht, die Rückgewinnung verlorener Territorien, das Streben nach mitteleuropäischer Hegemonie, die Revanchegedanken Richtung Frankreich, die Verachtung gegenüber den osteuropäischen Nachbarn, namentlich gegen die Tschechoslowakei und Polen, bis hin zu der Absicht ihrer Zerstückelung – vielfältig mit Hitlers Ambitionen parallel liefen und seine Politik förderten. Auch bei diesen lange staatsmächtigen Gruppen war stets die Option eines Krieges mitgedacht, für den es zu rüsten und auf den es sich vorzubereiten galt. Im Gegensatz zu Hitler allerdings verstanden sie Krieg nicht als das gleichsam naturgegebene Lebensgesetz ihrer politischen Existenz. Ein Krieg mochte wahrscheinlich, ja notwendig werden, um Deutschland hegemonial prädominant zu etablieren. Einen Krieg dagegen als Zwang eines vermeintlichen Lebensgesetzes um beinahe jeden Preis zu erstreben, das schien demgegenüber denn doch wie ein Vabanquespiel, das die Existenz des Reiches an sich in Gefahr zu bringen drohte. Gleichwohl und ohne aus dieser Wahrnehmung ernste Konsequenzen zu ziehen: Von Hitler, dessen außenpolitische Entscheidungskompetenz niemand zu konterkarieren oder auch nur ernsthaft in Frage zu stellen vermochte, ließen sie sich rasch vereinnahmen. Sie erstaunten angesichts der überraschenden, so scheinbar leicht erreichbaren Gewinne, die aus seiner Politik auch ihren lange schwelenden Wünschen zufielen. Nationalistische Hegemonialambitionen vermischten sich hier mit Gehorsamkeit und Staatstreue ebenso wie mit der ansteckenden Faszination einer scheinbar gottgewollten Erfolgssträhne. Mit dem Überfall auf Polen und besonders angesichts des Sieges gegen Frankreich ließen sich viele von der berauschenden Euphorisierung unerwarteter Triumphe gänzlich davontragen in die tätige Komplizenschaft eines Eroberungs- und Vernichtungskrieges, der schließlich das Ende des Deutschen Reiches mit einer gewissen Logik provozierte.