Kapitel 3

 

Kadett Reese Diksen saß an der Kommunikationsstation und versuchte mühsam, sich auf die langweiligen, profanen Pflichten zu konzentrieren, die von dem Offizier verlangt wurden, der diesen Platz einnahm. Innerhalb einer Stunde würden sie Zotos Vier erreichen. Das bedeutete, in einer Stunde mochte sie sich in der Gegenwart von Admiral James T. Kirk wiederfinden. Sie schluckte. Kirk höchstpersönlich.

Geistesabwesend registrierte sie die ein- und ausgehenden Meldungen, die der Computer zumeist automatisch erledigte. Es gab nur wenige, bei denen sie tatsächlich irgendwelche Entscheidungen zu treffen hatte. Sie konnte es nicht leiden, an der Kommunikationsstation eingesetzt zu sein, und schon gar nicht bei Hochgeschwindigkeitsreisen. Sie musste dann zwar Zeitabweichungen und Subrauminterferenzen kompensieren, was in ihren Augen jedoch schlichte Routineaufgaben waren. Das war nicht die Aufgabe, die sie vor Augen gehabt hatte, als sie darum kämpfte, die besten Bewertungen an der Starfleet-Akademie zu erhalten. Von den direkt an den Captain gerichteten Nachrichten einmal abgesehen – was sollte an dieser Arbeit schon so wichtig sein?

Nachrichten an den Captain.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Kirk um Erlaubnis bitten musste, an Bord beamen zu dürfen. Und das wiederum hieß, dass höchstwahrscheinlich sie diesen Anruf annehmen würde … dass sie die erste Person sein würde, die mit Admiral James T. Kirk sprechen würde.

Admiral Kirk. Das war nun wirklich der größte Unsinn in der Geschichte von Starfleet. Weshalb er es überhaupt zugelassen hatte, dass man ihn beförderte, war ihr ein Rätsel. Ein Mann wie er, der an einem Schreibtisch hockte … das war reine Verschwendung … nein, viel schlimmer als Verschwendung: ein Verbrechen.

Kirk.

Wie würde es wohl sein, wirklich unter ihm zu dienen?

»Mr. Diksen!«, rief Commander Pulver, der Erste Offizier, mit scharfer Stimme und riss sie aus ihren Betrachtungen. Die überkorrekte Offizierin ragte drohend neben der tagträumenden Kadettin auf.

»Äh … ja, Sir?« Reese starrte auf ihr Kontrollpult. Jede einzelne Warnleuchte blinkte wütend.

»Sie haben versäumt, die Subrauminterferenzen zu korrigieren«, erklärte Pulver spröde mit ihrer perfekt modulierten britischen Stimme. »Die gesamte Kommunikation ist unterbrochen. Bringen Sie das bitte in Ordnung.«

»Jawohl, Sir«, sagte Diksen zackig. Ihre Ohren glühten vor Verlegenheit. Sie konnte beinahe spüren, wie sich der Blick des Captains in ihren Rücken bohrte, während seine Miene den üblichen, amüsierten Ausdruck zeigte. Im Gegensatz zu Pulvers rigider Haltung und der Emotionslosigkeit des vulkanischen Wissenschaftsoffiziers verhielt sich Romolo gegenüber den Kadetten so väterlich, dass es fast schon gönnerhaft wirkte. Diksen wusste, dass er die ›Grünschnäbel‹ ganz ›niedlich‹ fand, wenn sie sich mit großer Ernsthaftigkeit ihren Rollenspielen widmeten.

»Tut mir leid, Captain«, entschuldigte sie sich, als ihre Hände über das Pult huschten und die notwendigen Einstellungen in Rekordzeit vornahmen. Sie entspannte sich erst, als Pulver weiterging, um die Leistungen eines anderen Kadetten unter die Lupe zu nehmen.

»Ich weiß, dass die Routineaufgaben an der Kommunikationsstation ziemlich öde sind, Diksen«, sagte der Captain leise. Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme, was sie nur noch mehr irritierte. »In einer Krise kann die Kommunikation jedoch zum entscheidenden Faktor werden. Das Ganze hat ziemlich viel Ähnlichkeit mit der Arbeit eines Notfallteams – man sitzt lange herum, bis man wirklich mal gebraucht wird, aber dann läuft auch alles mit Warpgeschwindigkeit ab. Unterschätzen Sie also Ihre Aufgabe nicht, Diksen. Bleiben Sie wachsam.« Er hielt ganz bewusst kurz inne und setzte dann hinzu: »Wir wollen doch den Anruf des Admirals nicht verpassen, oder?«

Reese war sich bewusst, dass ihre Ohren rot leuchteten. »Nein, Sir«, antwortete sie respektvoll.

Sein stilles Schmunzeln schien alle anderen Geräusche auf der Brücke zu übertönen.

Die Arbeit am Pult half ihr, zugleich auch ihre Seelenlage wieder in Ordnung zu bringen. Immerhin übte sie sich hier in der Arbeit eines Offiziers. Was mochte aus ihrer Karriere werden, wenn sie schon bei dieser einfachen Aufgabe versagte?

Ein Bordruf für den Captain ging ein, und sie leitete ihn zu seinem Sessel weiter. Sie hörte ihn in sein Empfangsgerät sprechen, als der Erste Offizier überraschend sagte: »Diksen, Sie haben jetzt eine halbe Stunde Pause.«

Ihr Blick strich über den Chronometer. »Es ist noch etwas zu früh, Sir.«

In Pulvers eisiger Haltung zeigte sich nicht die geringste Reaktion. »Wir treffen in einer Stunde mit der Starhawk zusammen. Von diesem Moment an werden Sie für den Rest der Schicht auf Ihrem Posten bleiben. Um die nötige Effizienz zu erhalten, werden Sie, Changsom, Kjolner und Schell Ihre Pause jetzt nehmen, damit es keinerlei Unterbrechungen gibt, wenn der Admiral eintrifft.«

»Aye, Sir«, erwiderten mehrere Stimmen.

»Und, Diksen«, fügte der Captain hinzu, als sie sich erhob und von einem Senior-Offizier abgelöst wurde, »Kadett Ngo hat um Ihre Anwesenheit auf dem Hangardeck gebeten. Kommen Sie nicht zu spät zurück.« Er lächelte gütig, als würde er seine Tochter an die verabredete Heimkehrzeit nach dem Tanz erinnern.

Reese reagierte darauf mit forcierter Professionalität. Sie rückte ihre Uniform zurecht und erwiderte zackig: »Aye, Sir!«

Sein Kichern folgte ihr durch die Aufzugtüren bis in die Liftkabine.

Sie blieb stumm, bis ihr aufging, dass es sich bei den anderen drei Mitgliedern der Brückenmannschaft, die zusammen mit ihr abgelöst worden waren, ebenfalls um Kadetten handelte. Und sie registrierte ebenfalls, dass sie trotz der Enge in der kleinen Kabine ein wenig Abstand zu ihr hielten. Doch sie war zu verärgert, um den Mund zu halten. »Die Erwachsenen brauchen ein wenig Zeit für sich selbst«, erklärte sie sarkastisch. »Sie haben die Kinder zum Spielen geschickt! Eine Unverschämtheit!«

Thira Changsom, ein junger Mann mit der kraftvollen Gestalt eines Ringers und dem ernsthaften, sanftmütigen Verhalten eines Wissenschaftlers, warf einen raschen Blick aus seinen dunklen, mandelförmigen Augen auf die anderen und erwiderte dann gelassen: »Natürlich brauchen sie etwas Zeit für sich. Ein Teil ihres Jobs besteht schließlich darin, sinnvolle Aufgaben für uns zu finden, damit sie unser Potenzial abschätzen können. Und das geht wohl kaum, wenn wir daneben sitzen.«

Reeses Lippen kräuselten sich leicht. So etwas musste ja kommen. Die meisten Kadetten verhielten sich wie Schafe und taten, was immer man ihnen sagte. Doch Kirk war nie mit der Herde gelaufen – er hatte alles in Frage gestellt, bis hin zum Kobayashi Maru. Reese war entschlossen, Kirk auf jede nur mögliche Weise nachzueifern. Und wenn das bedeutet, eine Art Stachel in Starfleets Fleisch zu sein, war das auch in Ordnung. Selbst eine so respektierte Einrichtung wie Starfleet brauchte hin und wieder ein paar aufmunternde Nadelstiche. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Kirk vielleicht genau aus diesem Grund die Beförderung akzeptiert hatte. Um in einer besseren Position zu sein, dem behäbigen, selbstgefälligen Establishment einmal kräftig in den …

»Sollen wir dir etwas zu essen mitbringen?«, fragte Laura Kjolner höflich, als der Lift bei der Cafeteria anhielt.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich treffe euch nachher wieder auf der Brücke.«

Als die drei Kadetten den Lift verließen – und dabei mit kaum verhohlener Neugier zu ihr zurückschauten –, konnte Reese nur schwer den Drang unterdrücken, ihnen ein kräftiges »Mäh-mäh« hinterherzurufen. Wenn das die Leute waren, aus denen Starfleet Offiziere zu machen gedachte …

Dann öffneten sich die Lifttüren zischend zum Hangardeck, und Diksen trat hinaus und sah sich um. Wo steckte Josiah, und was wollte er überhaupt von ihr? Sie wanderte über das Deck, bis sie seine schlanke, langgliedrige dunkle Gestalt in einem der Shuttles entdeckte. Neugierig ging Reese quer durch den geräumigen Hangar auf ihn zu.

Als sie näher kam, sah sie, dass er in dem Shuttle irgendeinen diagnostischen Test durchlaufen ließ.

Josiah hob sein schmales, mausgraues Gesicht mit den dunklen Augen und strich sich mit langen, dünnen Fingern durch das gekräuselte, dunkelbraune Haar. So, wie er da mit seinen dürren, knochigen Armen und Beinen über den Innereien des Shuttles hockte, erinnerte er Reese an einen Storch in seinem Nest.

»Heute habe ich Mist gebaut, Reese«, sagte er müde. »Ich habe die Materie/Antimaterie-Synchronisierung dermaßen vermasselt, dass ich – theoretisch – das ganze Schiff in die Luft gejagt hätte. Da hatte ich also einen ganz großen Fehler gemacht, aber komischerweise hatte ich direkt danach Glück, als ich das Problem mit den Bodenplatten entdeckte und der Chefingenieur mich deswegen schon fast heiligsprechen wollte.«

Es sah Josiah eigentlich nicht ähnlich, über seine Fehler zu lamentieren, aber wie Reese wusste, war das letzte, was er brauchte, gutes Zureden. »Vielleicht war ja genau das nötig, damit dein Kopf wieder aus den Wolken herauskommt!«

Als er sie fast erschrocken anstarrte, fuhr sie etwas sanfter fort: »Hör mal, Josiah, was meinst du eigentlich, warum man das hier ›Training‹ nennt? Sie erwarten von uns, dass wir Mist bauen. Und du bist da nicht der erste! Genau deshalb hat dir ja ein Senior-Offizier über die Schulter geschaut: damit er deinen Hintern – und den aller anderen – retten kann, falls du einen Fehler machst.«

Er zuckte die Schultern. Offensichtlich wollte er nicht mit ihr streiten, hatte aber immer noch seine Zweifel. »Ja, nun … es hat mich einfach ein wenig … unsicher gemacht. Ich bin zur Sicherheitsüberprüfung der Shuttles eingeteilt worden, insbesondere derjenigen, die bei der Simulation eingesetzt werden. Und jetzt mache ich mir Sorgen, ich könnte vielleicht irgend etwas übersehen haben.« Er machte eine vage Geste mit seiner großknochigen Hand. »Irgendwann morgen werden zwei Leute in diese Kiste gesperrt, und wenn ich den Sicherheitscheck vermassle, könnte sie das ihr Leben kosten.«

»Nun komm schon«, meinte Diksen aufmunternd. »Ich habe doch selbst gesehen, wie du diese Checks durchgeführt hast. Du hast dieses Ding von Bug bis Heck untersucht, und das mit jedem Diagnosegerät, das du auftreiben konntest. Und du weißt ganz genau, dass es speziell ausgelegte Schilde besitzt, über doppelte Wandstärke verfügt und die gesamte Ausstattung mit besonderen Isolatoren ausgerüstet wurde. Außerdem hat das Shuttle zusätzliche automatische Feuerlöscheinrichtungen, und die Leute tragen während der Simulation Druckanzüge für den Fall, dass ein Leck auftritt.«

Josiah schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Wir sind hier aber nicht mehr in der Schule, Reese. Und es ist auch keine Computer-Simulation. Dieses Schiff wird von Phasern getroffen werden. Meine Aufgabe ist es, das Shuttle darauf vorzubereiten. Und ich glaube, ich zeige langsam Nerven – vielleicht wächst mir die ganze Sache ja einfach über den Kopf.«

Diksen starrte ihn vorwurfsvoll an. »Was redest du da eigentlich? Früher haben wir nachts zusammengehockt und von dem Tag geredet, an dem wir endlich richtige Arbeit leisten würden! Ich hänge jetzt am Kommunikationspult fest wie ein überqualifizierter Techniker, während du genau auf dem Gebiet arbeitest, das dir immer vorgeschwebt hat! Als wir unsere Einsatzgebiete zugeteilt bekamen, hast du dir die Hände gerieben und über das ganze Gesicht gestrahlt!«

Sie packte ihren Freund bei den Schultern und brachte ihn dazu, sie anzusehen. »Du hast dein ganzes Leben lang auf diesen Augenblick gewartet! Wie oft hast du mir erzählt, du hättest dir nie etwas anderes vorstellen können, als an Bord eines Sternenschiffes zu dienen? Du hast doch immer gesagt ›Der Maschinenraum ist der richtige Platz für mich. Das ist der Ort, an dem alle wichtigen Dinge passieren.‹ Und jetzt hast du die Chance, wirklich zu erleben, was es damit auf sich hat. Im Moment leidest du nur am üblichen Lampenfieber, genau wie alle Kadetten. Sieh zu, dass du darüber hinwegkommst!«

Josiah blinzelte ein paar Mal und nickte dann, als würde er alles einsehen, was sie gesagt hatte. Aber so war es immer zwischen ihnen gewesen. Auch Reese hatte Josiahs aufmunternden Sprüchen vertraut, wenn es ihr so vorkam, als würde die Belastung zu groß für sie. Deshalb waren sie auch während all der Jahre an der Akademie so gute Freunde geblieben und hatten sich darum bemüht, auf das gleiche Schiff versetzt zu werden. Sie konnten sich gar nicht vorstellen, ihre Karrieren zu beginnen, ohne den anderen als Stütze in der Nähe zu wissen.

»Ich weiß, dass du recht hast, Reese«, sagte Josiah, während sein schmales Gesicht langsam wieder den für ihn typischen, munteren Ausdruck annahm. »Du weißt eben immer, was du sagen musst. Vielleicht haben sie dich ja deswegen an die Kommunikationsstation gesetzt!«

Grinsend schlug sie ihm auf die Schulter, und beide mussten lachen.

 

Als Reese schließlich wieder an ihrer Station auftauchte, um den dort sitzenden Senior-Offizier abzulösen, war ihr durchaus bewusst, dass sie sich um dreißig Sekunden verspätet hatte.

»Schön, Sie zu sehen, Diksen«, meinte der Captain sanft, bevor Pulver einen kräftigeren Kommentar abgeben konnte. »Ich befürchtete schon, Sie hätten beschlossen, den Dienst zu quittieren.«

Die an den speziellen Humor des Captains gewöhnte Brückencrew kicherte leise. Abgesehen natürlich von Sonak, dem Vulkanier, der lediglich eine Augenbraue hob, und Commander Pulver, die sie missbilligend anblickte.

Diksen wollte sich gerade für die Verspätung entschuldigen, als ihr leerer Magen so laut knurrte, dass alle zu ihr hinüberschauten. Jetzt explodieren meine Ohren, dachte sie, als sie spürte, wie das Blut hineinschoss. Sogar Sonak starrte sie an, beide Augenbrauen in einer Mischung aus Neugier und leiser Verachtung hochgezogen. Selbst die sonst so steife Pulver schien sich zu amüsieren, denn sie wandte sich ab, um ihren Gesichtsausdruck zu verbergen. Reese beschloss, alle zu ignorieren, und beugte sich über ihr Pult.

Links von ihr leuchtete ein Warnsignal auf, und im gleichen Moment meldete sich eine Stimme über den an ihrem rechten Ohr befestigten Empfänger.

»U.S.S. Starhawk grüßt U.S.S. Paladin.« Die Stimme gehörte dem Computer der Starhawk, wie Reese mit gewisser Enttäuschung feststellte.

»Captain«, meldete sie, »wir werden von der Starhawk gerufen.«

»Wie gut, dass Sie zurückgekommen sind, Diksen«, meinte Romolo freundlich, »sonst hätten Sie das glatt verpasst. Die Starhawk ist früh dran. Legen Sie die Verbindung auf den Schirm.«

Ihre Hände huschten über das Pult, und ein neues Bild erschien auf dem großen Hauptschirm. Vor den Augen der Crew tauchte die Brücke eines Sternenschiffes auf. Eine auf exotische Weise schöne Frau saß im Sessel des Captains.

»Zdrastvuitye, Paladin«, sagte die Frau lächelnd und strich sich eine Locke des von Silberfäden durchzogenen schwarzen Haars aus dem Gesicht.

»Seien Sie gegrüßt, Starhawk«, erwiderte Captain Romolo. »Schön, Sie wiederzusehen, Captain Akhmatova.«

Da war etwas in seiner Stimme … Reese schaute über die Schulter, konnte Romolos Gesichtsausdruck jedoch von ihrem Platz aus nicht erkennen. In Akhmatovas Miene hingegen war eine Wärme und Vertrautheit zu sehen, die sie zu der Vermutung veranlasste, zwischen diesen beiden müsste eine besondere, seit vielen Jahren bestehende Verbindung existieren.

Sie hatte niemals die Captains von Sternenschiffen mit normalen, zwischenmenschlichen Beziehungen in Verbindung gebracht. Wenn sie an die langen Stunden zurückdachte, die sie mit ihren Nachforschungen über Kirk zugebracht hatte, konnte sie sich nicht erinnern, in den Berichten viel über sein Privatleben entdeckt zu haben. Natürlich gab es dort Informationen über seinen Vater, seine Familie, seine Schulzeit, doch sobald er von der Akademie aufgenommen worden war, versiegten derartige Hinweise völlig. Es war, als würde sich sein ganzes Leben auf die Enterprise und die Fünf-Jahres-Mission konzentrieren. Er war für Reese so lange ein unsichtbarer Mentor gewesen, so lange die Person, nach deren Vorbild sie sich selbst zu formen suchte, dass sie den Lücken in den Aufzeichnungen keine Beachtung geschenkt hatte. Wie entwickelten die Captains von Sternenschiffen überhaupt eine Beziehung? Für wie lange konnte sie bestehen? Und wie funktionierte sie? War so etwas überhaupt möglich? Sie würde wohl noch einige Nachforschungen anstellen müssen …

Ein vertrauter Name riss sie aus ihren Gedanken.

»Admiral Kirk bedauert, nicht hier sein zu können, um Sie persönlich zu begrüßen«, erklärte Akhmatova Romolo, »aber er befindet sich unten im Maschinenraum, um einige der Verbesserungen zu begutachten, die dort vorgenommen worden sind.«

»Absolut verständlich«, bemerkte Romolo. »Würden Sie eine Bitte an ihn weitergeben?«

Akhmatova nickte zustimmend.

»Fragen Sie den Admiral, ob wir ihm die Paladin präsentieren dürfen. Wir haben hier eine Gruppe vorzüglicher Kadetten, die sich geehrt fühlen würden, von ihm gemustert zu werden.«

»Ich werde diesen Vorschlag weiterleiten«, versicherte Akhmatova.

»Es ist schön, wieder mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Captain«, sagte Romolo warm, als sie ihr Gespräch beendeten.

Diksen seufzte enttäuscht und ließ sich in ihren Sessel zurücksinken. War das nicht eine ausgesprochen profane Unterhaltung gewesen?

 

Als Kirk die große Materie/Antimaterie-Kammer betrachtete, während der Chefingenieur ein paar neue technische Spielsachen erläuterte, merkte er selbst, wie seine Gedanken abschweiften. Ich frage mich, was Scotty zu all diesen neuen Gimmicks sagen würde. »Aye, Captain, sehr hübsch, das ist schon wahr, aber ich wüsste gerne, ob man sich auch im Ernstfall darauf verlassen kann …« Dies hier war die zweite Schiffsführung innerhalb von vier Stunden – und genau das hatte er befürchtet, als man ihm von Romolos Einladung berichtete. Während der letzten halben Stunde hatte Kirk seine düsteren Ahnungen allerdings fast vergessen.

Der Captain der Paladin war so entspannt, so umgänglich, dass es Jim schon wenige Minuten nach ihrer ersten Begegnung so vorkam, als würde er diesen Mann seit Jahren kennen. Romolos offensichtliche Professionalität und sein Vertrauen in die eigene Verantwortlichkeit spiegelten sich in jedem Bereich des Schiffes wider, den Kirk besuchte. Zugleich hätte der Admiral schwören können, dass hier nirgendwo die sonst übliche Hysterie bei der Vorbereitung einer Inspektion geherrscht hatte. Und das alles trotz der Tatsache, dass das Schiff eine große Anzahl völlig unerfahrener Kadetten transportierte. Kadetten, die unter Romolos Obhut irgendwie gar nicht mehr so unerfahren wirkten.

Was es mit dieser Obhut auf sich hatte, kam Kirk im Maschinenraum richtig zu Bewusstsein.

»Admiral«, sagte Romolo und winkte einen jungen Mann näher heran, »ich möchte Ihnen Mr. Josiah Ngo vorstellen. Kadett, berichten Sie dem Admiral, was Sie bei der Inspektion herausgefunden haben, kurz bevor wir von der Starbase zu dieser Mission aufgebrochen sind.«

Der schlanke, braunhäutige Mann nickte und wandte sich Kirk zu. Er nahm etwas von einer Konsole, das aussah wie eine Platte der standardmäßigen Bodenabdeckung, und ergriff mit der anderen Hand ein Diagnosegerät – eines jener Sorte, die auch Scotty ständig benutzt hatte, wenn Kirk sich recht erinnerte.

»Diese Platte«, erklärte Ngo, »gehörte zum Boden der Materie/Antimaterie-Kammer. Üblicherweise ist alles in diesem Bereich so oft überprüft worden, dass man eine ausreichende Sicherheit als gegeben voraussetzt. Ich wurde eingeteilt, um den gesamten Bereich noch einmal zu überprüfen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der strukturellen Integrität, was einfach genug ist, wenn man über einen Reichman-Analysierer verfügt. Der Analysierer meinte, die Bodenplatten seien in Ordnung, aber … aber ich war damit nicht zufrieden. Irgend etwas an diesem Bodenbelag … nun, es fühlte sich einfach nicht richtig an. Wenn man darüberging … irgendwie gab es da Unterschiede. Also habe ich den Reichman-Analysierer mit einem vulkanischen T'Pell-Molekularsanierer verbunden und dabei festgestellt, dass sich die Daten widersprachen.«

»Diese beiden Geräte sind von der Konstruktion her nicht dafür ausgelegt, miteinander verbunden zu arbeiten«, murmelte Kirk überrascht.

»Ich weiß, Sir«, stimmte Ngo mit einem schüchternen Lächeln zu, »aber die Zusammenschaltung hat uns definitiv bewiesen, dass etwas mit dem Belag nicht stimmte. Etwas, das mit keinem anderen Analysegerät festzustellen war.«

Chefingenieur Gambeta, eine gutaussehende afrikanische Frau, deren Haut um mehrere Schattierungen dunkler war als die Ngos, trat vor. »Als Josiah mir seine Bedenken vortrug, habe ich den Belag sofort auswechseln lassen.«

Kirks Augenbrauen hoben sich. Diese simple Feststellung überging die Tatsache, dass alle Maßnahmen im Bereich der Materie/Antimaterie-Kammer grundsätzlich gefährlich und arbeitsintensiv waren.

»Es blieb mir auch gar keine andere Wahl«, fuhr Gambeta fort, »da die Sicherheit der Kammer betroffen war. Beinahe hätten wir sogar diese Mission absagen müssen. Doch nachdem wir den Belag entfernt hatten, ließ sich erheblich leichter feststellen, dass die Platten subtile Schäden auf der molekularen Ebene erlitten hatten, die vermutlich während der Überholung des Schiffes entstanden waren. Der Zustand hätte sich langsam weiter verschlechtert, bis sich die Platten schließlich aufgelöst hätten. Wenn das geschehen wäre, während wir uns im Raum befanden, möglicherweise bei Warpgeschwindigkeit …« Sie warf Kirk einen bedeutungsvollen Blick zu. »Wir haben dann rund um die Uhr gearbeitet, um den Zeitplan der Recovery einzuhalten.«

Kirk nickte und bedachte Ngo mit einem bewundernden Blick. »Und all das haben Sie entdeckt, nur aufgrund eines Gefühls?«

Unbehaglich verlagerte der Kadett sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Ich weiß, Sir, es klingt nicht sehr wissenschaftlich …«

»Entschuldigen Sie sich nicht«, entgegnete Kirk. »Vertrauen Sie Ihren Instinkten, Ihren Gefühlen. Sie haben einmal recht behalten, und das wird wieder geschehen. Also hören Sie darauf. Diese Art von Instinkt kann man nicht lernen. Gute Arbeit, Kadett.«

»Vielen Dank, Admiral«, sagte der junge Mann mit einem scheuen Lächeln, während Romolo Kirk weiterführte.

»So, dann wussten Sie also nicht, dass wir zu dieser Übung mit einer ganzen Schar Jungvolk auftauchen würden?«, fragte Romolo, als sie den Maschinenraum verließen.

»Ich bin tatsächlich etwas verwundert«, gab Kirk zu, während sie durch die Korridore gingen. »Angesichts der Anwesenheit feindlicher …« Er unterbrach sich. »Das heißt, unserer Nachbarn« – er registrierte erfreut Romolos wissendes Lächeln – »hätte ich nicht gedacht, dass Starfleet diese Aktion als einfache Übung einstuft.«

»Nun, es ist ja auch wirklich nur eine Simulation«, gab Romolo zu bedenken, »und der Botschafter wird sich auf der Starhawk mit unseren Nachbarn befassen, so dass es kaum zu irgendwelchen Auseinandersetzungen kommen dürfte. Und zumindest für die Kadetten ist es ein aufregender Einsatz. Sie nehmen an einer bedeutenden Übung teil und kommen unseren Nachbarn dabei nahe genug, um Witterung aufzunehmen. Außerdem ist es wirklich eine gute Truppe.«

»Sieht ganz so aus. Von dem jungen Ngo war ich durchaus beeindruckt – auch wenn er so aussieht, als wäre er erst zwölf. Ich denke, er sollte zu dem Team gehören, das im Shuttle an der Simulation teilnimmt. Mein Gefühl sagt mir, dass er dort am rechten Platz wäre.« Er warf Romolo einen wissenden Blick zu. »Ich fürchte, Sie werden recht häufig mit solchen Trainingsmissionen betraut werden, Captain.«

Romolos Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das sich über das ganze Gesicht ausbreitete; in seiner Stimme klang deutlicher Stolz auf seine jungen Untergebenen mit. »Ich habe keine Vorbehalte gegenüber dem Jungvolk, Sir, das ist allgemein bekannt. Als ich damals Kadett war, hatte ich glücklicherweise selbst einen guten Captain. Das kann bei der Ausbildung eines Offiziers einen gewaltigen Unterschied ausmachen.«

Kirk nickte und betrachtete den rundlichen Captain mit Sympathie. Er konnte sich gut vorstellen, was es für die Kadetten bedeutete, unter Romolo zu dienen. Er besaß eine menschliche Wärme, die anderen Captains nur zu oft abging. Angesichts der Belastungen und Anforderungen, die eine derartige Position mit sich brachte, war es schwer, sich so etwas zu bewahren. Pille würde diesen Burschen mögen, dachte er bei sich. Dann fiel ihm wieder das Gespräch ein, das er mit Akhmatova geführt hatte.

Baldassare ist ein alter Freund … aber die Pflichten eines Captains lassen keine Zeit für Wiedersehensfeiern.

»Da wir hier schon wie zwei alte Freunde Spazierengehen und uns unterhalten, Captain Romolo …«, begann Kirk plötzlich.

»Wenn wir uns als Freunde unterhalten, dann nennen Sie mich bitte Baldassare«, warf der umgängliche Captain ein.

Kirk nickte erfreut. »Also schön, Baldassare. Und ich heiße Jim. Ich wollte gerade erzählen, dass ich ein wenig Zeit mit Captain Akhmatova verbracht habe. Wir hatten ein … interessantes Gespräch. Sie hat keine Angst davor, einem Admiral auf den Zahn zu fühlen!«

»Kann ich mir vorstellen«, meinte Romolo grinsend. »Zhanya ist ein höllischer Captain, und ein ziemlich beeindruckendes menschliches Wesen. Wir sind gleichzeitig an die Akademie gekommen. Zhanya war die Klassenbeste – und ich muss gestehen, dass ich nicht mal zu den ersten zehn gehörte. Bei allen Prüfungen, die ich ablegte, hat sie mir geholfen. Während dieser Jahre waren wir immer gute Freunde. Auch auf den ersten Schiffen haben wir gemeinsam gedient. Doch dann kamen die Beförderungen, und die Zeit verging. Und es wird immer schwerer und schwerer, mit alten Freunden zusammenzutreffen.«

Damit hatte Romolo zum ersten Mal in Kirks Gegenwart etwas gesagt, in dem ein Hauch von Melancholie mitschwang. »Ich verstehe das vollkommen, Baldassare«, erwiderte er voller Mitgefühl. »Und weil ich das so gut verstehe, habe ich mich schon gefragt, ob Sie mich wohl um einen Gefallen bitten werden.«

Der Captain warf ihm einen so verdutzten Blick zu, dass Jim lächeln musste. »Wissen Sie«, meinte er, »ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt auf einem Schiff war, ohne dass mich einer der Offiziere um einen Gefallen gebeten hätte – üblicherweise geht es dann um irgendeine für Nogura bestimmte Petition. Aber nachdem ich Zhanya begegnet bin und jetzt mit Ihnen gesprochen habe, warte ich schon darauf, dass Sie mich um etwas Persönliches bitten.« Kirk bedachte den Captain mit einem aufmunternden Lächeln, doch Romolo wirkte nur noch verwirrter.

»Sie und Captain Akhmatova sind alte Freunde. Sie verbringen heutzutage nur noch sehr wenig Zeit gemeinsam. Kürzlich … habe ich selbst an einige alte Freunde gedacht, die ich jetzt nicht mehr sehe – und das hat mir schwer zu schaffen gemacht. Warum übergeben Sie das Kommando nicht Ihrem Ersten Offizier, solange ich hier an Bord bin? Ich kann auf der Brücke bleiben – nur um den Schein zu wahren. Gewiss wird Ihr Erster Offizier mit allem fertig, was passieren könnte. Und auf diese Weise könnten Sie Ihre alte Freundin wiedersehen.«

So würde ich es jedenfalls mit meinen Freunden halten, wenn ich die Möglichkeit hätte …

Der Vorschlag traf Romolo unvorbereitet. »Admiral … ich könnte doch keinen Vorteil daraus …«

Kirk warf ihm einen mahnenden Blick zu, und der Captain der Paladin korrigierte sich sofort. »Ich meine … Jim … was ist mit der Simulation?«

»Genau das ist der Punkt – es ist eine Simulation. Die letzte in einer langen Reihe von Simulationen. Und ich scheue mich auch nicht zuzugeben, dass Ihr Schiff … nun, es erinnert mich einfach zu sehr an die Enterprise. Ich gestehe sogar, dass es äußerst reizvoll wäre, wieder einmal auf der Brücke zu stehen. Selbst wenn es nur während einer Übung ist.«

»Das ist ein sehr großzügiges Angebot, Jim«, stimmte Romolo, immer noch zögernd, zu. »Ich könnte Zhanya besuchen und noch vor der Demonstration mit dem Shuttle zurück sein.«

Kirk schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich darum keine Sorgen. Das ist reine Routine. Wir können die ganze Angelegenheit für uns behalten. Ich glaube nicht, dass Starfleet überhaupt eine Vorstellung davon hat, welchen Preis der Captain eines Sternenschiffes dafür zahlt, in diesem Kommandosessel zu sitzen. Ich meine den menschlichen Preis – Freundschaften, Beziehungen …« Seine Stimme verlor sich, als er an Lori Ciana dachte, an Pille, an Spock … »Wirklich, Baldassare, ich weiß sehr gut, wie selten sich derartige Gelegenheiten überhaupt bieten. Also ziehen Sie Ihren Nutzen daraus. Und ich hoffe, ich werde unterdessen Ihre Kadetten nicht verderben!«

Romolo schmunzelte. »Das wäre nun wirklich meine letzte Sorge!«