»Wir alle hier sind Wissenschaftler«, sagte Angelina Mola zu ihren Kollegen, während sie auf den unerbittlichen Computerschirm starrte, vor dem sie saß. »Es muss hier doch irgend etwas geben, was uns weiterhelfen könnte.«
Neben ihr standen Dr. Chia Noon und Jason Albrecht, der junge Doktorand, den sie betreuten. Sie befanden sich in Myron Shulmans Quartier und hofften, der geflüchtete Wissenschaftler würde vielleicht hier auftauchen, oder sie würden wenigstens irgend etwas finden, das sein schockierend abnormales Verhalten erklären mochte. Doch um diese Information auszugraben, wäre vermutlich eine archäologische Expedition nötig, dachte Mola, als sie sich unentschlossen in der kleinen Unterkunft umsah.
Angelina hatte jahrelang mit Shulman zusammengearbeitet und hunderte von Stunden mit ihm in einem Dutzend Büros auf ebenso vielen Planeten zugebracht. Der Myron Shulman, den sie kannte, hielt stets peinliche Ordnung in seinen Arbeitsmaterialien. Sie hatte nie erlebt, dass er mit Notizzetteln gearbeitet hätte; tatsächlich verabscheute er den Gedanken, etwas auf Papier festzuhalten. Sie konnte sich auch nicht erinnern, dass er jemals mehr als etwa ein Dutzend Datenkassetten bei einem Projekt, an dem er arbeitete, benutzt hätte. Es machte ihm nichts aus, dass ihn seine Arbeit an viele Orte auf verschiedenen Planeten führte. Er war stets darauf vorbereitet, vom einen Moment auf den anderen seine präzise durchorganisierten Daten zusammenzupacken und abzureisen. So etwas wie ein Heim kannte er nicht, und arbeiten konnte er an jedem beliebigen Ort.
Wenn Mola jetzt jedoch das Durcheinander auf seinem Arbeitsplatz betrachtete, hätte sie angenommen, irgend jemand hätte die Sachen durchwühlt, wäre da nicht der Umstand gewesen, dass jedes einzelne Objekt mit seiner ihr vertrauten Schrift etikettiert gewesen wäre. Übersät mit aufeinandergestapelten Datenkassetten – von denen viele auf dem Boden gelandet waren, wo sie sich mit zahllosen Notizzetteln vermischten, die ihrerseits wieder unter Schreibblöcken und Klemmbrettern begraben waren –, bot Shulmans Arbeitsplatz den Anblick eines Katastrophengebietes. Was war es, das er hier getan hatte und das ihn die Gewohnheiten eines ganzen Lebens vergessen ließ? Vorsichtig nahm sie ein paar der Blätter auf und versuchte die scheinbar sinnlosen Symbole zu enträtseln.
»Gibt es keine Möglichkeit, ihn über den Computer ausfindig zu machen?«, fragte Dr. Noon mit vor Angst verengten Augen. Eine tiefe Furche zeichnete sich direkt über dem roten Kastenzeichen auf ihrer Stirn ab.
Chia starrte auf das am Boden verstreute Chaos, die schmalen, braunen Hände fest hinter dem Rücken verschränkt, als wolle sie auf diese Weise sicherstellen, nur ja nichts anzurühren aus Furcht, der paranoide Doktor könnte einen derartigen Übergriff als nicht tolerierbar betrachten.
»Nun«, meinte Angelina, »bislang hatten wir kein Glück bei dem Versuch, den Computer über seinen Aufenthaltsort zu befragen.« Selbst jetzt, in diesem Moment, versuchten andere Mitglieder der FDRA überall im Schiff, den Flüchtigen mit Hilfe von Tricordern und anderen Instrumenten auszumachen, doch es war, als hätte sich die Recovery selbst mit ihrem Schöpfer verschworen, um seine Flucht zu decken.
»Aber das hier ist das Terminal, das er selbst benutzt«, wandte Chia ein.
Angelina schaute wieder auf den leeren Schirm und nickte nachdenklich. »Das ist wahr. Dieses Terminal ist vielleicht nicht den gleichen Informationssperren unterworfen wie die frei zugänglichen. Einen Versuch ist es jedenfalls wert.«
»Aber wir haben es immer noch mit dem Schiffscomputer zu tun«, warf Jason ein. Er war Chias genaues Gegenteil: hellhäutig, blond, blauäugig und hochgewachsen. »Es ist Shulmans Erfindung. Er hat dieses ganze Schiff entworfen. Ihn zu schützen, könnte zu den primären Pflichten des Computers gehören.«
Mola schüttelte den Kopf. »Myron hat diese Art von Reaktion nicht in die Recovery einprogrammiert. Er meinte, genau dort hätte Daystroms Fehler gelegen, er hätte zuviel von sich und seiner eigenen Persönlichkeit in seinen Computer gesteckt. Nein, für Myron war die Recovery keine Erweiterung seiner selbst.«
»Vielleicht«, meinte Jason leise, während er einen Stapel Notizzettel durchblätterte, »hat er seine Meinung aber auch grundsätzlich geändert.«
Die beiden Frauen schauten sich an, doch Chia zuckte nur die Achseln; es gab nichts, was sie ihrer Freundin hätte sagen können. Irgendwie wächst uns allen diese ganze Sache über den Kopf, dachte Mola und kämpfte die aufsteigende Panik nieder. Selbst wenn wir ihn finden, was sollen wir dann mit ihm machen? Sie hatte die vage Hoffnung, man könnte ihn einer gründlichen Diagnose unterziehen und dabei irgendein organisches Problem entdecken – vielleicht ein Virus oder einen Hirntumor –, etwas, das sie behandeln konnte … heilen konnte. Diese Hoffnung war alles, was sie im Moment antrieb, deshalb weigerte sie sich, sie genauer unter die Lupe zu nehmen, sie vom analytischen Teil ihres Verstandes beurteilen zu lassen, der ja doch nur erkennen würde, wie vergeblich diese Hoffnung war.
Unbewusst rollte sie die Zettel, die sie noch immer in der Hand hielt, zu einer Röhre zusammen, während sie Shulmans Terminal anstarrte. »Computer, sag uns, wo sich Dr. Myron Shulman im Moment aufhält.«
»Diese Information ist klassifiziert«, antwortete die pedantische, weibliche Computerstimme.
Angelina schloss die Augen. Genau das erklärten auch die Terminals auf den Korridoren. Sämtliche Informationen über Shulman waren klassifiziert. Doch Dr. Mola hatte gehofft, das Terminal in Shulmans Unterkunft – dem Ort, an dem er die Feinarbeiten an seiner Programmierung durchführte – würde vielleicht bessere Antworten bereithalten. Sie konnte sich einfach nicht mit der Tatsache abfinden, dass sie auch hier nur den gleichen unlogischen Unsinn hören würde.
»Ich bin Dr. Angelina Mola«, sagte sie energisch. »Ich bin die Vorsitzende der FDRA und besitze eine Priorität-Eins-Freigabe. Es gibt keine Information, die zu erfahren ich nicht berechtigt bin! Ich wiederhole, wo ist Dr. Shulman?«
»Diese Information ist klassifiziert. Nur Dr. Shulman besitzt die nötige Freigabe, um diese Information zu erhalten.«
Chia fuhr sich mit den Fingern durch das kurzgeschorene schwarze Haar. »Das ist doch Wahnsinn. Lediglich die Informationen über das Verteidigungssystem sollten klassifiziert sein, damit kein Passagier der Recovery das Kommando über das Schiff oder seine Bewaffnung übernehmen kann. Erst heute morgen hat mir der Computer noch gesagt, wo sich Shulman aufhielt, als ich ihn danach gefragt habe.«
Das war ja auch am Morgen, dachte Angelina düster. Bevor die Recovery übergeschnappt war. Bevor sie zwei Föderationsschiffe mit ihren eigenen Leuten an Bord angegriffen hatte, von den Romulanern, Klingonen und Tholianern ganz zu schweigen. Aber vielleicht konnte sie andere Antworten vom Computer erhalten – Antworten, die sie ebenfalls zu Shulman führen mochten.
Sie entrollte die Notizzettel und starrte sie an. Dort standen Bemerkungen in Shulmans runder, fließender Schrift, doch dazwischen eingestreut entdeckte sie Zeichen und Symbole, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. »Computer, Dr. Shulman scheint an einer Art Code als Teil seiner Programmierung gearbeitet zu haben. Kannst du mir irgend etwas darüber sagen?«
»Nein«, antwortete der Computer schlicht. »Das kann ich nicht.«
Sie seufzte und rollte die zerfledderten Blätter wieder zusammen. »Computer, kannst du mir wenigstens sagen, welchen Kurs wir eingeschlagen haben?«
»Wir fliegen zu den Koordinaten fünf-sieben-Punkt-zwei-null«, erklärte die Maschine.
Angelina hatte keine Ahnung, wo das sein sollte, und den Mienen ihrer Begleiter nach zu urteilen, wussten sie es ebenso wenig. »Und wo ist das?«
»Siebzehn Lichtjahre von Zotos Vier entfernt.«
Sie spürte, wie sie ein kalter Schauer überlief. »Befindet sich dieser Sektor innerhalb des Föderationsgebietes?«
Diesmal legte der Computer eine beunruhigend lange Pause ein. Normalerweise antwortete er sofort und hielt nur lange genug inne, um eine normale menschliche Konversation zu simulieren. »Diese Information ist klassifiziert«, sagte er schließlich.
Die drei Wissenschaftler tauschten Blicke aus.
»Ich glaube, diese Koordinaten befinden sich weit innerhalb des tholianischen Raums«, sagte Dr. Noon leise.
Angelina sah sie ungläubig an. »Weshalb begeben wir uns zu diesen Koordinaten, Computer?«
»Wir haben einen dringenden Hilferuf empfangen und reagieren darauf so schnell wie möglich.«
»Und wer hat diesen Ruf ausgesandt, Computer?«
Wieder kam es zu einer Pause, die noch länger dauerte als die erste. »Diese Information ist klassifiziert.«
»Computer, hat Dr. Shulman Zugang zu dieser klassifizierten Information?«
»Dr. Myron Shulman hat Zugang zu allen Informationsgebieten.«
»Arbeitet Dr. Shulman mit dir, um deine Effizienz zu verbessern, deine Reaktionszeit und deine Fähigkeit zu entscheiden, wer Zugang zu klassifizierten Informationen hat?«
»Das ist korrekt.«
»Und wo arbeitet Dr. Shulman an diesen Bereichen?«
»Dr. Shulman bearbeitet meine Programmierung an diesem Terminal«, erklärte der Computer.
Angelina schüttelte erschöpft den Kopf. »Arbeitet er in diesem Moment an der Programmierung? Irgendwo auf dem Schiff? Wo arbeitet er jetzt?« Sie biss die Zähne vor lauter Frustration zusammen. Es gab eine winzige Chance, dass der Computer die Bedeutung der Frage nach der Eingabestelle der Arbeit zuerst überdachte und ihr dann versehentlich verriet, wo sich Myron in diesem Moment befand.
»Dr. Shulman arbeitet nur an diesem Terminal. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort ist klassifiziert«, beharrte der Computer.
»Es hat keinen Sinn«, sagte Jason und fegte einen Stapel Kassetten vom Tisch. »Das Ding wird uns nie verraten, wo er ist. Wenn wir ihn nicht selbst finden …«
»Sie werden niemals fähig sein, mich zu besiegen«, erklang Myron Shulmans atemlose Stimme von der Tür her.
Die drei Wissenschaftler fuhren zu ihm herum und starrten den wild blickenden Mann an. Sein schmales Gesicht glitzerte vor Schweiß, und der Brustkorb hob und senkte sich heftig, doch die Hand, mit der er den Phaser hielt, war absolut ruhig.
»Myron! Gott sei Dank haben wir Sie endlich gefunden!«, sagte Angelina sanft und bemühte sich, eine Mischung aus Erleichterung und Besorgnis auf ihr Gesicht zu zaubern – kein leichtes Unterfangen angesichts des verrückten Ausdrucks in Shulmans Augen. »Wir haben überall nach Ihnen gesucht …« Sie stellte fest, dass es außerordentlich schwierig war, nicht ständig auf Myrons Waffe zu schauen. Im Grunde war es unmöglich, dass er sie überhaupt hatte; die Recovery sollte eigentlich jeden überprüfen und private Waffen sofort entfernen.
»Sie meinen, Sie haben mich überall gejagt, nicht wahr?« Shulmans Stimme klang hart und anklagend.
»Bitte, Myron.« Mola breitete ihre Hände demonstrativ aus und sprach so beruhigend wie möglich. Noon und Albrecht standen steif vor Angst neben ihr. »Es geht Ihnen nicht gut. Wir möchten Ihnen nur helfen.«
»Vernichten wollen Sie mich.« Plötzlicher Schmerz zuckte über Shulmans Gesicht; er schwankte und drohte zu stürzen.
Sofort setzten sich Mola und Albrecht in Bewegung – doch bevor sie auch nur einen Schritt vorwärts machen konnten, hatte sich Shulman wieder erholt und hob den Phaser. Ein verzerrtes, triumphierendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Mich und die Recovery. Sie arbeiten mit Kirk zusammen. Ich weiß das. Und die Recovery weiß es auch!«
Angelina warf einen Blick auf Noon und Albrecht. Ihren düsteren Mienen nach zu urteilen, hatten sie den gleichen Schluss gezogen – Shulmans Paranoia hatte sich verfestigt und war nicht mehr zu erschüttern. Wie alle Verrückten wusste er, dass seine Realität die einzige Realität war. Man konnte nicht mehr mit ihm diskutieren … und dennoch musste es jemand versuchen.
Mola schaute erneut auf den Phaser, den seine Hand so fest umklammerte, dass die Knöchel bleich hervortraten. »Wir sind unbewaffnet, Myron«, sagte sie mit einer Ruhe, die sie selbst verblüffte. »Wollen Sie auf Ihre Kollegen schießen, auf die Leute, mit denen Sie jahrelang zusammengearbeitet haben?«
»Das fragen Sie, während Sie versuchen, mich und meine Arbeit zu vernichten?« Er hielt nach diesem schrillen Ausbruch kurz inne und schwankte leicht, fing sich aber wieder. Sein wilder Blick fiel auf die Notizen, die Angelina noch immer umklammerte. Dieser Anblick steigerte seine Wut noch. »Sie dringen in meine Unterkunft ein, versuchen meinen Computer zu sabotieren, stehlen meine Unterlagen und bezeichnen sich dann auch noch als Kollegen? Sie sind meine Feinde. Sie und Kirk. Meine Feinde!«
Und dann bewegte er die Hand mit dem Phaser so schnell, dass man es kaum wahrnehmen konnte.
Ein blendender Blitz. Mola keuchte bei dem Schlag gegen ihre Brust, der sie von den Füßen riss und mit dem Rücken gegen den Tisch schmetterte, wodurch Kassetten und Notizen zu Boden geschleudert wurden. Sie landete mitten auf dem Trümmerhaufen und sah merkwürdig losgelöst, wie Jason vorsprang und Shulman rammte.
»Angelina?«, flüsterte Chia. Die schmächtige Gestalt der Inderin beugte sich über sie und versperrte die Sicht auf die beiden kämpfenden Männer … und dann schien Chias Gesicht zurückzuweichen, als würde Angelina fortgezogen, weiter und weiter, einen langen, dunkeln Korridor entlang.
Dann kam der zweite Schlag. Er war weitaus schmerzhafter und strahlte von ihrer Brust bis in die linke Schulter und den Arm aus. Für einen Augenblick glaubte sie, Shulman hätte abermals gefeuert – doch da war kein Blitz gewesen. Sie stöhnte vor Schmerz laut auf.
»Angelina?«, sagte Chia, doch ihre Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen.
Es ist mein Herz, begriff Mola mit der gleichen ätherischen Losgelöstheit. Ich habe einen Herzanfall, ausgelöst durch den Betäubungsschuss. Ich sterbe, wenn nicht jemand etwas unternimmt … doch im Moment gab es wichtigere Probleme, oder etwa nicht? Sie richtete den Blick auf ihre alte Freundin, Dr. Noon.
»Erzählen Sie Leonard«, keuchte sie, unfähig, kräftig genug zu atmen, um ihre Stimme deutlicher klingen zu lassen. Sie schwenkte die zerknüllten Blätter hektisch vor Chias Gesicht. »Erzählen Sie Leonard … von den Symbolen. Sagen Sie Leonard … er soll es Kirk sagen …«
Chia schüttelte völlig verwirrt den Kopf.
Dios mio!, dachte Mola angewidert. Ich sterbe hier und kann mich nicht einmal verständlich machen!
»Was soll ich Leonard sagen, Angelina?«, fragte Chia.
Plötzlich wurde sie von der Stimme Gottes unterbrochen.
»Meine Sensoren zeigen an, dass Sie sich in einem kritischen Zustand befinden.«
Wie merkwürdig, dachte Angelina, den Blick himmelwärts gerichtet. Gott klingt genauso wie der Computer!
»Sie werden direkt in die Krankenstation gebeamt«, fuhr Gott fort, »dort befindet sich qualifiziertes Personal, das Ihnen helfen wird.«
»Angelina«, schrie Chia genau in dem Moment auf, als Myron sich aus Jasons Umklammerung löste. Der Phaser landete klappernd zwischen ihnen auf dem Boden, doch Shulman sprang vor, schnappte ihn, bevor Jason ihn aufhalten konnte, und rannte auf den Korridor hinaus, wo er noch einen Schuss auf den Angreifer abgab. Der Strahl verfehlte den jungen Mann, zwang ihn jedoch, die Verfolgung aufzugeben. Im gleichen Moment spürte Dr. Mola, wie die Hand Gottes sie ergriff und in sich aufnahm, während ein merkwürdiges Sirren ihren Kopf erfüllte.
»Angelina! Angelina!«, kreischte Dr. Noons von Panik erfüllte Stimme, doch auch dieser Laut verklang, als eine unwiderstehliche Kraft Dr. Mola ins Licht zog.
»Das Schiff ist so entworfen, dass es alle hinausgehenden Sendungen kontrolliert«, erklärte McCoy dem wiederhergestellten Kevin Riley. Riley hatte sich gerade der letzten der Behandlungen unterzogen, auf denen das Schiff bestanden hatte. Jetzt hockte er mit besorgtem Gesichtsausdruck da und rieb sich den Nacken.
»Auf diese Weise werden Evakuierte daran gehindert, die Kommunikationsanlagen zu zerstören«, fuhr der Doktor fort, »und politische Gegner können nicht mit Verbündeten außerhalb des Schiffes in Kontakt treten. Doch das Schiff soll Sendungen nach draußen zulassen, sofern sie als ›vertretbar‹ angesehen werden können, wie etwa eine Bitte um Hilfe. Unglücklicherweise entscheidet Shulman, was als vertretbar gilt, und in seinem paranoiden Zustand …« Er schüttelte den Kopf. »Andererseits war Shulman in der Lage, bidirektionale Verbindungen zu zwei Schiffen aufzunehmen, also sollte man annehmen, wir könnten einen Weg finden, um das gleiche zu erreichen.«
Riley gab einen Laut von sich, der nicht gerade begeistert klang. »Irgendwie kann ich nicht recht glauben, dass wir so viel Glück haben.« Er rieb sich weiter den Nacken, als spüre er noch immer Nachwirkungen der diversen Schläge, die sein Kopf hatte aushalten müssen. McCoy fragte sich, ob man den medizinischen Sensoren dieses launischen Blecheimers hundertprozentig trauen konnte.
»Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist, Riley?«, fragte er.
Kevin richtete sich auf. »Alles bestens. Zumindest sollte es so sein, wenn diese hyperaktive Krankenschwester bereit ist, mich zu entlassen. Wir müssen Anab… Lieutenant Saed und den Kadetten finden. Er ist Ingenieursstudent. Ich habe mir etwas überlegt, Doc – vielleicht könnten Sie und er zusammenarbeiten. Sie kennen sich mit Wissenschaftscomputern aus, und vielleicht schaffen Sie es mit Kadett Ngos Hilfe, Shulmans Programmierung auszuhebeln. In der Zwischenzeit könnten wir anderen nach unserem verrückten Wissenschaftler suchen.«
»Nun, schon möglich …«, begann McCoy, als ihn der vertraute Klang eines Transporters unterbrach. Gleichzeitig meldete die Recovery:
»Sie sind als Arzt identifiziert worden. Eine Patientin wird eingeliefert, bei der Unterstützung erforderlich ist. Bitte kehren Sie zu Abteilung Vier der Krankenstation zurück.«
McCoy und Riley schauten sich in der Station um. Ganz in der Nähe materialisierte auf einem der Betten eine schlanke, dunkelhäutige Gestalt. Der diagnostische Schirm aktivierte sich automatisch, sobald der Transportvorgang abgeschlossen war. Gefolgt von Riley eilte McCoy zu der Gestalt hinüber – und prallte zurück, als er die alte, schwarzhaarige Frau erkannte.
»Angelina!«, stieß er hervor. Ihre normalerweise in einem warmen Braunton schimmernde Haut hatte eine graue Färbung angenommen, ihr Atem ging flach, und ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Er schaute automatisch zu dem Schirm über ihrem Kopf hoch. »Sie hat einen Herzanfall!«
Riley begab sich zu anderen Seite des Bettes, um nötigenfalls seine Hilfe anzubieten. In diesem Moment erklang wieder das Summen des Transporters, und auf dem Tisch neben dem Bett materialisierte eine Auswahl an Instrumenten zur Behandlung akuter Herzerkrankungen. Ohne zu zögern, griff McCoy nach einem Cardialstabilisator und einem Oxygenator.
»Halten Sie das hier an ihre Kehle, genau hier«, sagte er zu Riley und deutete auf den exakten Punkt. »Es kompensiert automatisch die Sauerstoffreduktion im Gehirn und anderen Organen. Halten Sie es dort, bis ich Ihnen neue Anweisungen gebe.« Er aktivierte den Stabilisator und platzierte ihn auf Molas Brust. »Was zum Teufel ist ihr nur zugestoßen?«
»Die Patientin ist aus kurzer Distanz von einem Phaser-Betäubungsschuss getroffen worden«, erwiderte der Computer entgegenkommend.
»So, und wer zum Kuckuck schießt auf Dr. Mola?«
»Dr. Shulman hat auf sie gefeuert«, stellte die Recovery gleichmütig fest. »Es war Notwehr.«
Diese Antwort ließ McCoy zusammenfahren. Er und Riley wechselten einen besorgten Blick. »Ich dachte, es wäre niemandem erlaubt, Waffen an Bord dieses Schiffes zu bringen«, sagte McCoy leise.
Bevor Riley etwas sagen konnte, antwortete der Computer: »Das ist korrekt. Niemandem ist es erlaubt, Waffen an Bord der Recovery zu bringen.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte McCoy ärgerlich und ohne seine verzweifelten Bemühungen, das Leben seiner Freundin zu retten, zu unterbrechen, »aber um einen ehemaligen Kameraden zu zitieren, du bist nicht gerade sehr logisch! Wenn es niemandem erlaubt ist, Waffen an Bord zu bringen, wieso ist dann Dr. Shulman bewaffnet?«
»Dr. Shulman befindet sich außerhalb der normalen Parameter«, erklärte der Computer.
Riley kniff die Augen zusammen und richtete unwillkürlich den Blick nach oben, als er sich an den Computer wandte. »Nicht nach den vorgegebenen Regularien. Das war einer der Punkte, auf die Admiral Kirks Bericht besonderes Gewicht gelegt hat. Der Computer dieses Schiffes sollte auf gar keinen Fall in der Lage sein, ein bestimmtes Individuum als wichtiger einzustufen als ein anderes. Wäre es anders, könnte die erste politische Gruppe, die bei einer Evakuierung an Bord kommt, das Schiff anweisen, ihre Gegner zurückzulassen.«
McCoy nickte, während er eine Reihe von Medikamenten auswählte, die Angelinas Herz stabilisieren sollten. »Ich erinnere mich, dass es sich dabei um einen jener Punkte handelte, in denen Shulman tatsächlich mit Kirk übereinstimmte«, sagte er zu Riley. »Er wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, auf der Recovery könnte es zu etwas Vergleichbarem wie dem Daystrom-Zwischenfall kommen. Was also ist passiert? Wieso hat der Computer entschieden, dass sich Shulman ›außerhalb der normalen Parameter‹ befindet? Weshalb hat er Waffen an Bord gebracht und wann hat er beschlossen, sie auch einzusetzen – gegen seine Kollegen?«
Bevor sie sich weiter mit diesen Fragen befassen konnten, begann Angelina, sich zu rühren. Ihre Lider flatterten, und sie stöhnte schwach. McCoy beugte sich über sie, damit sie jemanden sah, den sie kannte. »Ruhig, Angelina, ganz ruhig. Sie sind in der Krankenstation. Wir haben alles unter Kontrolle.«
Sie zog eine Grimasse und starrte ihn an, als wäre sie verblüfft. Dann kicherte sie zu McCoys und Riley Überraschung leise. »Das glaube ich nicht, Leonard. Nicht dieses Mal.« Sie versuchte sich aufzusetzen, doch McCoy legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie wieder zurück.
»Jetzt ist aber Schluss! Sie haben ein paar ernsthafte Probleme, Angelina. Sie können nicht einfach so davongehen.«
Sie schüttelte den Kopf, als wäre er derjenige, der nicht richtig begriffen hatte. »Shulman … hat auf mich geschossen. Er ist bewaffnet. Er …« Sie deutete mit dem Finger auf ihre Schläfe und vollführte eine kreisende Bewegung. »… loco en la cabeza. Irgend etwas läuft bei ihm völlig falsch …«
»Ich weiß ja jetzt Bescheid, und wir werden uns darum kümmern«, sagte McCoy beruhigend. »Aber Sie sind nicht in der Verfassung, um dabei mitzumachen.«
Als hätte sie einen plötzlichen Energieschub erhalten, packte sie mit einer Hand sein Hemd und zog ihn näher zu sich heran. »Wir fliegen in Richtung der tholianischen Grenze!«, keuchte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht. »In wenigen Stunden sind wir dort! Wenn wir in ihr Gebiet eindringen, könnte das zu einem interstellaren Krieg führen! Wir müssen Myron finden, müssen herausfinden, warum … warum? Warum …?«
»Ganz ruhig, Angie.« Sanft versuchte er den Griff ihrer Hand zu lösen. »Lassen Sie mich erst Ihren Zustand stabilisieren, danach kümmern wir uns dann um das Universum.«
Mola ruderte mit dem anderen Arm unbeholfen durch die Luft und stieß mit der Hand gegen seine Brust – mit jener Hand, in der sie ein paar zusammengerollte Notizblätter hielt. »Shulmans Notizen«, flüsterte sie heiser. »Shulmans Notizen. Nehmen Sie sie, Leonard.« Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer; McCoy musste sich über sie beugen, um ihre letzten Worte verstehen zu können. »Shulman … er hat niemals Aufzeichnungen auf Papier …« McCoy packte die Zettel im gleichen Moment, als Mola die Augen verdrehte und bewusstlos zurücksank.
»Dr. McCoy«, warnte Riley. »Die Anzeigen …«
McCoy schaute hoch und sah, wie die Werte seiner Freundin rasch abfielen. Er warf die Notizblätter auf den Boden und setzte den Cardialstabilisator wieder an, doch Angelinas Lebenszeichen sanken unaufhaltsam weiter. Laut Anzeige des Stabilisators war der Herzmuskel so schwer geschädigt, dass Wiederbelebungsmaßnahmen sinnlos waren.
»Das Herz ist zerstört«, rief McCoy. »Wir müssen eine Notfall-Transplantation durchführen. Computer, ich brauche ein künstliches Herz, sofort!«
»Diese Patientin hat ihre Verletzung während eines Kampfes mit Dr. Shulman erhalten«, erwiderte die Recovery mit ihrer nervtötend ruhigen Stimme. »Die Implantierung eines Kunstherzens würde der Patientin zur Wiedergewinnung ihrer vorherigen Verhaltensweise verhelfen. Es wäre unklug, die Wiederbelebung einer Kriminellen zu gestatten. Ein künstliches Herz wird nicht zur Verfügung gestellt.«
Für einen kurzen Moment war McCoy sprachlos. Der Computer sollte eigentlich um jeden Preis Leben retten. Und auf keinen Fall war er entworfen, um Werturteile über bestimmte Individuen zu fällen. »Diese Frau ist keine Kriminelle! Sie ist eine Wissenschaftlerin, die persönlich das Leben Hunderter Menschen gerettet hat, und jetzt liegt sie im Sterben!«, brüllte McCoy. »Du gibst mir jetzt dieses Gerät, und zwar sofort!« Er warf einen Blick auf den Diagnoseschirm; Angelinas Lebenszeichen hatten fast den Punkt erreicht, jenseits dessen es keine Rettung mehr gab.
»Forderung abgelehnt«, erklärte der Computer. »Welches Interesse haben Sie daran, diese Kriminelle wiederzubeleben?«
McCoy stieß einen Schrei blanker Wut aus. Bei all den Problemen, die er im Laufe seiner langen Karriere schon mit Computern gehabt hatte, konnte er sich nicht erinnern, dass ihm einer so offen widersprochen und den Tod eines Patienten herbeigeführt hatte. Wütend starrte er zur Decke hoch und suchte nach einem Punkt, auf den er seine Frustration konzentrieren konnte. Er öffnete den Mund, um die verdammte Maschine abermals anzubrüllen, da spürte er, wie Riley seinen Arm packte.
Der Commander hielt seinem Blick mit so düsterer Intensität stand, dass McCoy schwieg, als sich Riley nun selbst an den Computer wandte. »Dieser Mann ist Arzt. Er ist verpflichtet, jedes Leben zu retten, ungeachtet der Frage nach Schuld oder Unschuld.«
»Verstanden«, sagte der Computer.
Riley fürchtet, das Ding könnte sich auch gegen mich wenden, mich zum ›Staatsfeind‹ erklären, begriff McCoy. Er schaute wieder auf Angelinas reglosen Körper und drängte das Gefühl von Kummer und Wut zurück, das ihn zu ersticken drohte. Sie waren so gute Freunde gewesen, und ausgerechnet bei ihr versagte er auf ganzer Linie. Aber vielleicht … wenn er sie in Stasis versetzen und später in ein richtiges Hospital bringen konnte …
»Wir müssen sie in Stasis versetzen«, flüsterte er Riley zu, »sie erhalten, bis wir sie in …«, er sah sich nervös um, »… in eine sicherere Einrichtung bringen und ihr dort ein Transplantat oder ein Kunstherz einsetzen können. Computer, um diese … Kriminelle … der Gerechtigkeit zuführen zu können, werden wir sie später für den … äh … den Prozess wiederbeleben müssen. Ich brauche eine Stasiskammer. Sofort!«
»Dieser Vorschlag ist angemessen. Stasiskammer ist einsatzbereit«, stimmte der Computer bereitwillig zu.
McCoys Augen füllten sich mit Tränen, als sich der hilflose Körper seiner Freundin auflöste, um an einen kalten, dunklen und einsamen Ort transportiert zu werden. Sie hatten so viele Jahre der Freundschaft erlebt. Und jetzt wurde diese Frau – seine Mentorin, seine Lehrerin, zuweilen auch seine Vertraute – einem sterilen Ort übereignet, an dem das Leben zum Stillstand kam. Wenn man bedachte, was an Bord dieses verrückten Schiffes mit seinem noch verrückteren Captain geschah, war die Chance groß, dass Angelina für immer in dieser Kammer blieb – oder bis das Schiff zerstört wurde, entweder von den alten Feinden oder den eigenen Leuten.
Er spürte, wie Rileys Hand seinen Arm fester packte, diesmal jedoch nicht, um ihn zurückzuhalten, sondern um Trost zu spenden.
»Wir müssen vorsichtig sein, Doktor«, sagte Riley leise und erinnerte ihn mit einem bedeutungsvollen Rundblick an den omnipräsenten Computer. McCoy nickte.
»Ohne diese Frau wäre ich heute kein Arzt«, flüsterte er.
»Es tut mir leid«, sagte Riley. Er hielt kurz inne, bückte sich dann und hob die Notizen auf. Er packte den Doktor beim Ellbogen und führte McCoy schweigend aus der Krankenstation hinaus auf den Korridor. Der Doktor stolperte wie betäubt neben ihm her und fragte sich, was er hier wohl Nützliches tun könnte, wenn es ihm nicht einmal gelungen war, die Frau zu retten, der er so vieles zu verdanken hatte.
»Wir müssen mit Admiral Kirk sprechen«, sagte Riley nach einer Weile, während sie – ziellos, wie McCoy dachte – durch die gewundenen Korridore gingen. »Wenn wir in Richtung des tholianischen Raums fliegen …«
»Glauben Sie nicht, er weiß das bereits?«, fragte McCoy düster. »Er kann die Flugbahn dieses Schiffes berechnen, die Reisezeit abschätzen …« Er konnte beinahe hören, wie Spock eine akkurate Schätzung ihres Ziels und ihrer Reisedauer abgab, ohne dabei auch nur einmal auf den Computer zurückzugreifen. Aber Spock würde natürlich nicht bei Jim sein. Wie hatten sie es nur geschafft, sich so von den solaren Winden verstreuen zu lassen? Das bittere Gefühl des Verlustes erhielt durch diesen Gedanken neue Nahrung.
Riley studierte die Zettel. »Diese Sachen ergeben für mich überhaupt keinen Sinn. Diese Art von Schrift habe ich noch nie gesehen. Es ist nicht Romulanisch, und Klingonisch auch nicht. Haben Sie schon mal etwas Ähnliches gesehen?«
Er reichte dem Doktor ein Blatt, auf dem die sonderbaren Symbole die menschliche Schrift bei weitem überwogen.
McCoy berührte das Papier nur zögernd, als könnte er noch immer Angies Körperwärme daran spüren. Er starrte die Symbole an und runzelte die Stirn. Irgend etwas daran wirkte verstörend vertraut. Fabrini? Nein. Vulkan? Nein, auch nicht. Aber er hatte diese Zeichen schon einmal gesehen. »Ich nehme an, es hat keinen Sinn, den Computer danach zu fragen?«
Riley schüttelte den Kopf. »Damit würden wir nur noch mehr Ärger heraufbeschwören.«
McCoy seufzte und zwang sich, seine Umgebung wieder bewusst wahrzunehmen; allerdings hatte er nicht die geringste Vorstellung, wo sie sich befanden. »Ach, übrigens, haben Sie eine Ahnung, wohin wir eigentlich gehen?«
»Zur Hangarbucht«, erwiderte Riley. »Dort müsste sich das Shuttle befinden.«
»Oh«, meinte McCoy und erkannte, dass Riley ihr Ziel keine Sekunde aus den Augen verloren hatte. Reiß dich endlich wieder zusammen, dachte er ärgerlich über sich selbst. Angie würde dich gründlich zusammenstauchen, wenn sie wüsste, wie du dich hängen lässt, statt endlich etwas zu unternehmen. Er schluckte und schritt energischer vorwärts. Jammern konnte er auch später noch. Jetzt hatte er eine Aufgabe zu erledigen. Eine Aufgabe, die er ohne die Hilfe seiner alten Freunde – Kirk, Spock, Angie – bewältigen musste.
Dank Angelina war er Arzt geworden. Und ein Arzt richtete, was einen schmerzte. Und an diesem Ort gab es mehr als genug zu richten.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, krempelte er die Ärmel hoch.
Chia Noon saß trübsinnig am Kopfende des Konferenztisches, als Jason Albrecht die wichtigsten Repräsentanten der Föderations-Dienste für Rettungs-Aufgaben darüber in Kenntnis setzte, was sich zwischen ihnen und Myron Shulman abgespielt hatte. Als nominelle Vorsitzende …
da Angelina tot ist … Angelina ist tot … Angelina ist …
… der FDRA war es eigentlich Chias Aufgabe, diesen Bericht abzuliefern, doch das schaffte sie nicht. Sie war nicht in der Lage, die schreckliche Szene in Myrons Unterkunft noch einmal zu durchleben, insbesondere den furchtbaren Moment, als Myron Angelina aus kürzester Distanz niedergeschossen hatte. Und der Computer behauptete, sie sei tot und befinde sich in Stasis.
Auf einer intellektuellen Ebene versuchte Chia sich selbst davon zu überzeugen, dass noch Hoffnung für ihre Freundin bestand, wenn sie es schafften, die Kontrolle über den Computer zu erringen, wenn sie das Schiff zu einem fortschrittlichen Planeten wie Vulkan bringen konnten, wenn sie …
Sie zwang sich, mit diesen nutzlosen Spekulationen aufzuhören. Tatsache war, dass sie in Richtung des tholianischen Raumes rasten – und Angelina war vermutlich besser dran als alle anderen.
Als Jason seinen Bericht beendete, starrten ihn die zehn Wissenschaftler konsterniert an. Chia wusste, dass sie kaum akzeptieren mochten, was man ihnen gerade erzählt hatte. Die meisten von ihnen hatten jahrelang mit Shulman zusammengearbeitet. Hier und dort wurde Widerspruch laut, verstummte aber rasch wieder. Die Realität von Angelinas Tod ließ sich kaum bestreiten.
Schließlich sagte Nassar Omar, der in der Rangfolge gleich hinter Chia kam und während des Berichts ständig über seinen silbernen Schnurrbart gestrichen hatte, leise: »Was um alles in der Welt können wir tun?«
Darauf hatte Jason keine Antwort, und alle Augen richteten sich auf Chia. Sie seufzte und fragte sich, wieso die anderen glaubten, ausgerechnet sie hätte eine Lösung für dieses Dilemma anzubieten. Und dann fiel ihr wieder ein: Sie trug jetzt die Verantwortung, nachdem Angelina …
Noon schluckte und räusperte sich: »Wir müssen die anderen warnen, die übrigen FDRA-Mitglieder und die Evakuierten. Jeder muss in seiner Unterkunft bleiben, den Raum verschließen und jeden Kontakt mit Shulman vermeiden.«
»Wie sollen sie die Räume versperren«, fragte Omar, dessen kobaltblaue Augen höchst skeptisch blickten, »wenn Shulman den Schiffscomputer kontrolliert? Er kann gehen, wohin er will, alles hören …«
Chia schüttelte den Kopf. »Das ist alles, was wir tun können. Keiner von uns hat an dem Computer gearbeitet – das hat Myron ganz allein erledigt. Die Evakuierten sind allesamt Spezialisten für Evolution und Umweltbedingungen. Sowohl Konstruktion wie Aufgabenbereich dieses Computers werden ihnen völlig fremd sein. Die einzigen Leute an Bord, die möglicherweise eine Vorstellung davon haben, wie man mit ihm fertig werden könnte, dürften die Starfleet-Leute sein.«
»Nun, haben wir nicht mehrere davon an Bord?«, fragte Jason.
»Ja, insgesamt sechs, wenn man Leonard McCoy mitzählt, der Ehrenmitglied unseres Teams ist und ehemaliger medizinischer Offizier bei Starfleet. Aber zwei von ihnen sind in Gewahrsam genommen worden, als sie im Rahmen der Simulation das Shuttle angegriffen haben, und werden wohl nicht freigelassen werden. Von den drei übrigen ist einer ein Kadett, der andere der Adjutant eines Admirals. Lediglich einer ist Sicherheitsoffizier. Sie sehen also, dass wir aus dieser Richtung nicht allzu viel Hilfe erwarten dürfen. Wir können nur hoffen, dass die beiden Sternenschiffe, die ebenfalls an der Simulation teilgenommen haben, nicht zu schwer beschädigt wurden und etwas unternehmen …«
Sie fuhr herum, als sie das Geräusch der aufgleitenden Tür hörte, und verstummte beim Anblick von Myron Shulman, der im Eingang stand.
Sein Haar stand in alle Richtungen vom Kopf ab, das Gesicht glänzte vor Schweiß, und selbst die Vorderseite seiner Tunika war durchtränkt, als hätte er gerade einen Marathonlauf hinter sich. Er zitterte am ganzen Körper – mit Ausnahme der Hand, die den Phaser auf die Gruppe richtete.
Mit Augen, die so weit aufgerissen waren, dass die Iris vollständig vom Weißen umgeben wurde, ließ er seinen Blick von Gesicht zu Gesicht wandern – ein Blick, der eine finstere Gerissenheit durchschimmern ließ, die Chia in all den Jahren, die sie diesen Mann kannte, nie dort gesehen hatte.
Niemand im Raum rührte sich.
»Sie sind alle mit Kirk im Bunde«, sagte Myron. Seine Lippen zitterten, doch seine Stimme klang bemerkenswert normal, fast so, als würde er vor seinen Studenten eine Vorlesung halten. »Sie alle. Jeder in diesem Raum, jeder auf diesem Schiff – und ganz besonders unser geschätztes Ehrenmitglied McCoy. Kirk verfolgt uns und versucht uns zu vernichten, aber wäre es nicht eine tolle Überraschung, wenn wir statt dessen ihn vernichten! Ihn und alle seine Mitverschwörer. Angefangen mit Ihnen.« Er deutete mit dem Phaser auf Noon, die vor Schreck nach Luft schnappte, dann richtete er die Waffe der Reihe nach auf alle anderen. »Sie alle. Dann die übrigen. Zuerst die FDRA, angefangen bei der Führungsspitze, dann die Eindringlinge, die Parasiten, die sich auf diesem Schiff eingenistet haben. Und schließlich Kirk. Erst dann wird die Heilige Triade gerächt sein …!«
Er zuckte zusammen, als hätte ihm irgend etwas plötzlich und unerwartet einen Schmerz zugefügt. Der Lauf der Waffe schwankte. Mit einer Dreistigkeit, die sie selbst überraschte, nutzte Noon die Ablenkung aus und erhob sich.
»Die Heilige Triade …«, murmelte Shulman und verzog erneut das Gesicht vor Schmerz, als er sich mit einer Hand durch das Haar fuhr und seinen Schädel zu umklammern schien.
Die Heilige Triade? Der Mann ist wirklich wahnsinnig … Chia warf einen unsicheren Blick auf ihre Kollegen, trat dann zögernd um den Tisch herum und hob die Hände in einer beruhigenden Geste. »Myron, was ist los? Jemand tut Ihnen weh. Lassen Sie mich helfen.«
Er blinzelte in offenkundiger Verwirrung, als er den Kopf hob und sie ansah. Für einen Moment sah er so aus wie früher, wie der Mann, den sie als Kollegen in Erinnerung hatte. »Chia, es tut weh«, sagte er in einem kindlichen Tonfall, der sie auf sonderbare Weise anrührte. Er rieb sich den Schädel über der rechten Stirnhälfte. »Selbst wenn ich mache, was es will. Es tut immer weh.«
Angelina hatte recht; es gibt eine organische Ursache, irgend etwas in seinem Hirn. Sie nutzte die Gelegenheit aus und kam noch einen Schritt näher. »Ich kann Ihnen helfen, Myron«, sagte sie und ließ die Besorgnis, die sie tatsächlich empfand, in ihrer Stimme mitschwingen. »Kommen Sie mit mir zur Krankenstation. Wir werden etwas gegen die Schmerzen unternehmen und herausfinden, was Ihnen weh tut. Kommen Sie jetzt mit mir.«
Niemand rührte sich, als Chia einen weiteren Schritt vorwärts machte und dabei die Hand ausstreckte, als würde sie sich einem wilden Tier nähern, das gezähmt werden musste. Shulman sah völlig erschöpft und fast erleichtert aus, als er sich ihr zuwandte und die Waffe sinken ließ.
Sie wagte kaum zu atmen. Würde er zulassen, dass sie ihm half?
Plötzlich entstand links von ihr Bewegung.
Sie fuhr erschrocken herum und sah Jason Albrecht, der auf Shulman zustürzte, um nach dessen Waffe zu greifen.
»NEIN!«, schrie Chia in der schrecklichen Gewissheit, wie alles enden würde, als der junge, kräftig gebaute Mann Shulmans Arm packte und mit ihm um die Waffe rang.
Die Veränderung, die in dem Schöpfer der Recovery vorging, war erschreckend; der erschöpfte Wissenschaftler wurde wieder zum Jäger. Shulman bekämpfte den muskulösen Studenten mit einer Stärke und Geschicklichkeit, die Chia verblüffte. Die beiden landeten bei ihrem Gerangel um den Phaser krachend auf dem Boden, und es wurde deutlich, dass Jason jetzt um sein Leben kämpfte.
Die anderen Wissenschaftler versuchten zu helfen, griffen nach Shulmans Armen und Beinen, ja sogar nach seinen Füßen, doch er stieß sie mit erschreckender Leichtigkeit beiseite.
»Lauft!«, schrie Jason, als Shulman ihn überwältigte. »Lauft! Versteckt euch!«
Seine Worte erstickten im Heulen des Phasers.
Chia beobachtete – zu verstört, um sich zu bewegen, zu reagieren –, wie Jasons Körper grell aufleuchtete und sich dann in nichts auflöste.
Noch nie hatte eine Ansammlung bedeutender Wissenschaftler jemals einen Befehl so effizient befolgt. Die Gruppe löste sich auf und rannte schreiend aus dem Raum, noch bevor Jasons Körper vollständig verschwunden war. Alle außer Chia, die vor Angst und Verblüffung über die Leichtigkeit, mit der ein vollständiger menschlicher Körper in seine Milliarden von Atomen aufgelöst werden konnte, wie angewurzelt stehen blieb.
Shulman kam auf die Beine und starrte mit rollenden Augen die Stelle an, auf der Jasons Körper gelegen hatte. Das Schiff würde den Teppichboden reinigen, sobald sie den Raum verlassen hatten, wusste Chia. Es würde jedes Molekül entfernen, dass von Jason übriggeblieben war, und dann gab es keine Spur dieses brillanten jungen Mannes mehr, eines Mannes, der sein ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte.
Sie schaute hoch und merkte, dass Shulman seinen Blick jetzt auf sie gerichtet hatte. Er zitterte noch heftiger als zuvor. Es sah fast so aus, als stünde er auf einer Deckplatte, die vor Materialermüdung vibrierte und jeden Moment auseinanderbrechen konnte. Und doch war etwas an diesem physischen Phänomen, das eher auf Genuss denn auf Schmerz hindeutete. Und diese Erkenntnis erschreckte Chia noch weitaus mehr.
»Myron«, sagte sie leise, obwohl sie wusste, dass der Moment, in dem sie zu ihm hätte durchdringen, ihm helfen können, unwiderruflich verloren war. Sie blickte forschend in seine weit aufgerissenen Augen und versuchte es trotzdem. »Myron? Sind Sie noch dort drin? Lebt mein Freund noch irgendwo dort drinnen?«
Seine Lippen verzogen sich zum Zerrbild eines Grinsens. »O ja«, versicherte er in einer Parodie seiner normalen Stimme. »Ja, Myron ist noch hier drin. Tief, tief drinnen.«
Das Zittern verstärkte sich, und als Shulman den Phaser hob und mit einer Hand auf sie richtete, die im Gegensatz zu seinem übrigen Körper vollkommen ruhig war, sagte sie sich, dass das Zittern die Manifestation von Myrons Kampf um die Kontrolle mit dem war, was immer von ihm Besitz ergriffen hatte. Und dennoch war es ein Kampf, den er verlieren würde.
Noons Angst verwandelte sich in ein rein physisches Phänomen. Obwohl ein Adrenalinschub ihr Herz schneller schlagen ließ und einen Schauer über ihren Rücken sandte, war ihr Geist ruhig und losgelöst, als sie auf Shulmans Zeigefinger schaute, der sich jetzt um den Abzug krümmte. Sie empfand plötzlich Mitleid für ihn. Wie tragisch, dass er genau in dem Moment verrückt geworden war, der die Erfüllung seines Lebensziels mit sich bringen sollte. Und gleichermaßen tragisch war der Umstand, dass sein Wahnsinn ihn zwang, seine Freunde und Kollegen umzubringen. Der echte Shulman, ein sanfter Mann, dessen Ziel es war, Leben zu retten, nicht sie zu vernichten, wäre entsetzt.
Ja, Angelina konnte sich glücklich schätzen, ohne Bewusstsein in der dunklen Leere der Stasis zu schweben; glücklich, dass ihr der Terror erspart blieb, dem sich die Überlebenden auf diesem dem Untergang geweihten Schiff ausgesetzt sehen würden. Chia empfand fast so etwas wie Erleichterung, dass ihr eigener Aufenthalt auf der Recovery jetzt enden würde.
»Er ist hier drin«, erklärte Shulman fröhlich und bleckte weiße, vor Speichel glänzende Zähne. »Er schaut zu. Beobachtet alles. Für die Triade. Die Heilige Triade.«
Eine große Träne rann aus dem Winkel seines Auges.
Er weint, dachte Noon voller Mitgefühl. Der echte Myron weint.
Mit einer winzigen, kaum wahrnehmbaren Bewegung drückte Shulmans Finger gegen den Abzug.
Chia Noon beobachtete voller Mitleid und Bedauern, wie der gleißende Blitz ihr Blickfeld erfüllte – schmerzhaft intensiv, doch sie schaute nicht weg, sondern ließ sich blenden. Und im Moment der Auflösung war ihr letzter bewusster Gedanke, dass Angelina Glück gehabt hatte – wirklich Glück.