Kapitel 9

 

Kevin Riley betastete mit einer Hand das improvisierte ahn-woon an seinem Gürtel, während er zusammen mit Anab in einem der riesigen Korridore der Recovery stand und auf eines der Bildschirmdisplays schaute. Man konnte hier durchaus Agoraphobie entwickeln; Riley kam sich schutzlos und preisgegeben vor – ein Gefühl, das nicht nur auf die Erinnerung an Nassar Omars erschreckten Aufschrei und das nachfolgende Heulen des Phasers zurückzuführen war. Der Umstand, dass er gezwungen war, seiner Exfrau so nahe zu sein und mit ihr zusammenzuarbeiten, machte die Situation nur noch schlimmer. Ihr Anblick löste eine ganze Kaskade von Erinnerungen aus, manche glücklich, andere schmerzhaft.

Wenn Anab die Umstände ebenfalls als belastend empfand, so ließ sie sich davon wenig anmerken. Sie starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das Computerdisplay und wirkte beinahe entspannt. Beinahe … doch Riley registrierte, dass sie den Griff, mit dem sie ihre ›Speere‹ gepackt hielt, niemals lockerte, und dass sie von Zeit zu Zeit einen Blick zurück auf den leeren, stillen Korridor hinter ihnen warf.

»Da ist sie«, sagte Anab und deutete auf einen blinkenden Punkt, der auf dem Bildschirm erschien. »Sieht so aus, als würde Monique Thibeau den Rat ihres Vorgängers ignorieren.«

Das blinkende Licht bewegte sich langsam über den Plan des riesigen Schiffes.

»Da ist sie nicht allein«, meinte Riley, während er zuschaute, wie der Computer versuchte, die verschiedenen Leute zu lokalisieren, die alle in der Nachfolgereihe der FDRA standen.

»Monique und ihre Kollegen vom Vorstand der FDRA haben offenbar den Schluss gezogen, dass viele bewegliche Ziele besser sind als ein stationäres«, überlegte Anab und verfolgte den blinkenden Punkt. »Aber wie lange kann sie das durchhalten?«

»Computer!«, sagte Riley. »Kannst du aufgrund mathematischer Wahrscheinlichkeiten bestimmen, wo sich Monique Thibeau vermutlich innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten befinden wird?«

Während sie den Schirm beobachteten, erschien dort eine zusätzliche Linie in einer anderen Farbe, die sich über den bisherigen Weg der Frau hinaus erstreckte. »Diese Projektion beruht auf statistischen Hypothesen«, erklärte der Computer. »Sie ist lediglich zu vierundsechzig Prozent verlässlich.«

Anab warf einen kurzen Blick auf Riley. »Wir können sie vermutlich hier abfangen« – sie deutete auf die Wohnquartiere der vierten Ebene –, »sofern sie nicht etwas völlig Unerwartetes unternimmt.«

Aus einem plötzlichen Einfall heraus fragte Riley: »Computer, hat schon jemand anderer diese Projektion verlangt?«

»Dr. Shulman hat diese Projektion verlangt.«

Er tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Anab. »Gehen wir.«

Er lief auf den nächstgelegenen Lift zu. Anab blieb an seiner Seite.

Als sich die Lifttüren auf Deck vier öffneten, folgte er Anabs Beispiel, hielt sich immer dicht an der Korridorwand und behielt den leeren Flur ständig im Auge. Gleichzeitig achtete er darauf, so weit wie möglich von Anab entfernt zu bleiben, wodurch ein bewaffneter Angreifer gezwungen wurde, sich für eines der beiden Ziele entscheiden zu müssen … und zum ersten Mal wurde ihm die Bedeutung dieser Phrase, die man ihm vor Jahren während des Trainings an der Akademie eingebläut hatte, wirklich bewusst.

Er und Anab waren Ziele; und es war durchaus möglich, dass einer von ihnen getötet wurde, damit der andere überleben konnte.

Mit dem Gedanken an seinen eigenen Tod konnte er umgehen. Doch würde er es, selbst nach den Verletzungen, die sie ihm zugefügt hatte, ertragen können, Anab sterben zu sehen?

Nicht jetzt, Riley. Er konzentrierte sich auf die Umgebung, während er sich geduckt hinter Anab durch den Korridor bewegte.

Der Weg durch die verlassenen Korridore, vorbei an den verschlossenen Unterkünften auf Deck vier schien endlos. Rileys Nervosität ließ langsam nach – nicht jedoch seine Kampfbereitschaft.

Ein plötzliches Zischen erklang, als sich eine Doppeltür zum Korridor hin öffnete. Riley spannte sich, bereit, das ahn-woon einzusetzen, doch Anab versperrte ihm die Sicht. Riley erblickte nur ein paar heftig rudernde Arme, bevor Anab vorstürmte und den Flüchtling mit einem perfekt berechneten Sprung zu Boden riss.

Mit von dem plötzlichen Adrenalinschub zitternden Gliedern rannte Riley vorwärts in Richtung des schrillen Kreischens, und entdeckte Anab, die versuchte, die um sich schlagenden Arme einer zierlichen Frau mit rotem Haar gegen den Boden zu pressen.

»Thibeau!«, keuchte Anab, als die kleinere Frau ihr einen kräftigen Tritt in den Unterleib verpasste. »Hören Sie auf, Thibeau! Wir sind vom Sicherheitsdienst. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.«

Die Frau hörte auf, sich zu wehren, und starrte ihre beiden Retter aus angsterfüllten grünen Augen an. »Sicherheitsdienst? Auf diesem Schiff gibt es keinen Sicherheitsdienst.«

»Wir waren Teil der Simulation«, sagte Anab und ließ zögernd die Arme der Frau los, als rechne sie mit einem weiteren Schlag. »Wir wissen, dass Shulman hinter Ihnen her ist. Wir hofften, ihn abfangen zu können, bevor er sie erwischt.«

»Wir müssen in Bewegung bleiben.« Thibeau schaute ängstlich zu den geschlossenen Türen hinüber, als Anab ihr aufhalf – wobei sie eine Hand auf ihrem Arm ruhen ließ, als wolle sie die zierliche Frau an Ort und Stelle festhalten. »Der Computer erzählt ihm alles«, zischte die Französin. »Er weiß immer, wo wir uns befinden! Wenn wir nicht in Bewegung bleiben, erwischt er uns und …«

»Beendet Ihren ständigen Verrat«, sagte eine müde Stimme vom Ende des Korridors her.

Riley schaute auf und sah einen dünnen, zitternden Mann mit schweißgetränktem schwarzem Haar. Er wirkte eher wie ein verängstigtes, zitterndes Kaninchen als wie ein Mörder – doch Riley hegte nicht den geringsten Zweifel, dass es sich um Shulman handelte, denn er hielt einen Phaser in der Hand, dessen Mündung direkt auf Thibeaus Brust zielte.

Sofort ließ sich Anab gegen die Türen fallen, zwischen denen Thibeau eben erst hervorgekommen war, und zog die Frau mit sich. Die Türen öffneten sich automatisch, und die beiden fielen rückwärts in die für mehrere Personen ausgelegte Unterkunft.

Riley blieb keine Zeit mehr, um nachzudenken, sich zu ängstigen oder irgend etwas anderes zu tun, als einfach zu reagieren – was er auch, zu seiner eigenen Überraschung, präzise so tat, wie man es ihm beim Training beigebracht hatte. Er rollte sich mit einem Hechtsprung über das Deck ab, während der Phaserstrahl über seinen Kopf hinwegheulte und ein Loch in die Wand riss. Riley stolperte über Anabs Speere, packte sie und verschwand im gleichen Raum wie Anab und Thibeau.

Die beiden waren bereits außer Sicht, doch wenn Riley richtig vermutete, würde Anab Thibeau irgendwo unterbringen und sich dann von ihr trennen, um mehrere Ziele für Shulman zu schaffen. In diesem Raum waren mindestens zwanzig Schlafkojen aufgereiht, und unter jeder befand sich genug Stauraum, um eine Menge Leute zu verbergen. Riley schlüpfte in einen der Wandspinde, die zu den Schlafstellen gehörten, zog die Tür bis auf einen Spalt, der ausreichte, um hinauszuspähen, hinter sich zu und verhielt sich so still wie möglich.

Innerhalb von Sekunden öffneten sich die Türen abermals. »So, Monique, dann haben Sie sich also doch noch einen Stab zusammengesucht«, stellte Shulman mit einer Stimme fest, die vor Müdigkeit brüchig klang. Riley hielt den Atem an, als der Verrückte in sein Blickfeld geriet. Shulman sah geradezu erschreckend krank aus; seine Haut war bleich, die Augen glänzten fiebrig. Schweißperlen rannen über seine feucht glänzende Stirn herab. Seine Gestalt hätte man fast schon als ausgemergelt bezeichnen können; ohne den Phaser, dachte Riley, könnte er mit Leichtigkeit mit ihm fertig werden.

Und vor diesem Wrack von einem Mann rannten alle in Panik weg?

Riley wartete, bis Shulman ihm den Rücken zuwandte und zählte dann – ohne auf sein plötzlich hämmerndes Herz zu hören – die Sekunden, bis der Wissenschaftler sich bückte, um den Stauraum unter dem Bett direkt gegenüber von Riley zu inspizieren.

Der Commander holte tief Luft, stürzte mit adrenalinunterstützter Energie aus dem Versteck und stieß mit dem Speer zu.

Shulman bewegte sich mit einem Tempo und einer Sicherheit, wie sie eine derart krank aussehende Person eigentlich gar nicht besitzen durfte. Der Speer landete zwischen seinen Unterschenkeln, und als er auf den Angriff reagieren wollte, stolperte er darüber, verbog das dünne Metall und verwickelte sich darin.

Er stürzte, und Riley, vom Schwung seines Angriffs nach vorn gerissen, landete fast genau auf ihm. Der Commander war nahe genug, um den Wahnsinn in den weitaufgerissenen Augen des Wissenschaftlers zu erkennen und den heißen Atem in seinem Gesicht zu spüren, als er die schweißnassen Arme das Mannes packte.

Shulman war zu nah an seinem Opfer, um den Phaser abzufeuern, ohne sich dabei selbst zu gefährden – doch diese Situation konnte sich nur allzu rasch ändern. Mit einer Kraft, die aus der Verzweiflung geboren wurde, rang Riley mit ihm um den Phaser, doch Shulman war stärker – viel zu stark für einen Mann seiner Statur und seines Alters.

Doch jetzt war nicht der geeignete Augenblick, um über die Quelle seiner Stärke nachzudenken. Mit einem erschreckend irrsinnigen Grinsen befreite sich Shulman aus Rileys Griff.

Er sah eine rasche, verschwommene Bewegung und erkannte zu spät, dass es Shulmans Faust war, die auf ihn zuschoss. Er spürte einen scharfen Schmerz an der Schläfe, gefolgt von plötzlicher, undurchdringlicher Schwärze.

 

»Shulman!«, schrie Anab.

Gerade war sie von dem Etagenbett heruntergerollt, auf dem sie sich versteckt und von dem aus sie gesehen hatte, wie Riley Shulman angriff. Doch bevor Anab eingreifen konnte, hatte der Wissenschaftler einen harten Schlag gegen K.T.'s Kopf gelandet. Es war genau das geschehen, was sie befürchtet hatte – dass K.T. versuchte, irgend etwas Heldenhaftes zu unternehmen und dann feststellen musste, dass seine Fähigkeiten der Aufgabe nicht gewachsen waren. Instinktiv hatte sie den Namen des Wissenschaftlers geschrien.

Die Ablenkung funktionierte. Shulman schaute auf, als er gerade zum zweiten – und, wie Anab fürchtete, tödlichen – Schlag ausholte; seine Stärke schien schier unmenschlich. Der Wissenschaftler verlor fast das Gleichgewicht, als er versuchte, sich von dem verbogenen Speer und dem halb auf ihm liegenden, bewusstlosen Commander zu befreien. Dadurch gewann Anab ein paar Sekunden, in denen er nicht auf sie schießen konnte. Sie rannte auf ihn zu und hatte ihn fast erreicht, als Thibeau aus ihrem Versteck stürzte und zur Tür lief.

»Nein!«, schrie Anab sie an, während Shulman um ein paar Betten herumstürmte und hinter der FDRA-Vertreterin herlief.

Als Anab den Flur erreichte, hatte Shulman längst freien Blick auf Thibeau, die völlig gedankenlos den Korridor in Richtung Turbolift entlanglief.

»Computer!«, rief Shulman. »Versperre alle Türen auf diesem Deck und deaktiviere den Turbolift, bis ich einen anderen Befehl gebe!«

Thibeau rannte weiter und prallte gegen die Lifttüren, die sich nicht öffneten.

Keuchend lief Anab auf Shulman zu, doch es war zu spät. Thibeau drehte sich mit weit aufgerissenen Augen um und blickte ihren Verfolger an.

Shulmans Gesicht verzog sich in manischer Freude – oder war es Schmerz? –, als er den Phaser hob und zielte.

»Nein!«, rief Anab, doch ihr Schrei ging im Heulen des Phasers und Thibeaus panikerfülltem Kreischen unter. In einem leuchtenden Blitz löste sich die verängstigte Frau vor Anabs schockierten Blicken auf.

Shulman stieß einen tiefen, erleichterten Seufzer aus, schwankte für einen Sekundenbruchteil und schlenderte dann gleichmütig auf den Lift zu, dessen Türen sich vor ihm öffneten. Er betrat die Kabine, drehte sich um und starrte Anab an, die rutschend zum Stehen kam, als er mit einer Miene, die einem grinsenden Totenschädel glich, den Phaser hob.

Es gab keine Deckung, keinen Platz, um sich zu verstecken. Sie stand besiegt da.

Und dann legte Shulman, immer noch grinsend, den Kopf in den Nacken und rief: »Computer, lösche alles menschliche Leben auf diesem Deck aus. Schalte die Lebenserhaltungssysteme ab!«

Die Lifttüren schlossen sich.

Anab setzte sich wieder in Bewegung, während sie darauf wartete, dass die Gravitation ausfiel, der Sauerstoff verbraucht war, der Tod kam. Ihr Herz raste, die Adrenalinausschüttung lief auf Hochtouren, doch es gab nichts, wogegen sie hätte kämpfen können. Es blieb ihr nichts zu tun als zu warten … und zu sterben.

Sie ging zu der Stelle hinüber, an der Riley noch immer bewusstlos lag. Ein tiefes Gefühl des Versagens erfüllte sie. Sie war unfähig gewesen, Thibeau zu retten, und jetzt würde auch K.T. sterben. Sie strich sanft über sein Haar, so wie sie es erst vor Monaten getan hatte, und wartete.

Und wartete.

Blinzelnd schaute sie sich um. Die Gravitation war noch immer völlig normal, der Sauerstoffgehalt der Luft ebenfalls. Sie hob den Kopf und fragte leise: »Computer? Wieso sind die Lebenserhaltungssysteme nicht abgeschaltet?« Mit solchen Fragen handelst du dir nur weiteren Ärger ein, Saed!

»Die Lebenserhaltung abzuschalten, würde alles Leben auf diesem Deck vernichten«, antwortete der Computer. »Das steht in direktem Widerspruch zu meiner Kernprogrammierung. Der zentrale Zweck dieses Schiffes besteht darin, Leben zu retten und zu erhalten. Es gibt kein Kommando, das diesen Befehl außer Kraft setzen könnte.«

»Tatsächlich?«, murmelte sie. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie legte eine Hand auf die Stirn und stieß ein tiefes, gutturales Seufzen der Erleichterung aus.

Bei diesem Geräusch zuckten Rileys Augenlider.

»K.T.?« Anab kniete sich neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter.

Er öffnete die Augen. Beide Pupillen wirkten völlig normal, wie Anab erleichtert registrierte, obwohl sich bereits ein Bluterguss dunkel an seiner Schläfe abzuzeichnen begann.

Riley setzte sich abrupt auf und betastete mit einem leisen Stöhnen die Verletzung. »Anab? Alles in Ordnung?« Dann zuckte er zusammen und schaute sich ängstlich um. »Shulman …«

»Shulman ist fort«, sagte Anab grimmig. »Ich fürchte, wir haben Thibeau verloren.«

»Verdammt …« Riley legte den Kopf auf seine Knie. »Das war mein Fehler … dass wir Thibeau verloren haben.«

Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Immer gibst du dir selbst die Schuld, K.T. Wirst du es denn nie lernen?« Genau das war der Grund gewesen, weshalb er die Enterprise verlassen hatte – seine fatale Neigung, die Schuld am Tod eines Besatzungsmitglieds ganz allein auf sich zu nehmen. »Du warst ohnmächtig, als Thibeau erschossen wurde. Shulman ist mir entwischt, und Thibeau stürmte aus dem Versteck heraus, in dem ich sie untergebracht hatte. Wäre ich bei ihr geblieben, würde sie vielleicht noch leben.«

Riley blinzelte, während er ihre Worte überdachte. »Du hast sie allein gelassen, um mich vor Shulman zu retten, stimmt's?«

Anab versteifte sich. »Mir müssen das jetzt nicht unbedingt zu Ende analysieren, okay?« Sie half dem angeschlagenen Mann auf die Beine, wobei sie sich beide verlegen der Tatsache bewusst waren, dass sie sich berührten. »Wir müssen los und dem helfen, der als nächster auf Shulmans Liste steht.« Sie schaute zu den Lautsprechern hoch. »Computer. Ich muss wissen, wen Dr. Shulman jetzt verfolgt, und auch, wo sich Dr. McCoy im Moment aufhält.«

»Dr. McCoys Position wird auf dem Monitor draußen im Flur angezeigt«, erklärte der Computer hilfsbereit. »Und Dr. Shulmans nächstes Ziel ist Dr. McCoy.«

»Dr. McCoy?« Riley richtete sich alarmiert auf. »Er ist aber nicht der nächste in der Nachfolge.«

»Er ist ein enger Verbündeter des Kriminellen Kirk und gegenwärtig das einzige stationäre Ziel. Alle anderen Ziele erfordern mehr Zeit, um sie aufzuspüren und zu stellen.«

»Na toll«, knurrte Anab. »Komm schon, Commander – machen wir uns auf den Weg.«

Riley machte ein paar Schritte und stoppte dann plötzlich. »Computer – wenn deine Kernprogrammierung unverändert ist und deine Aufgabe darin besteht, Leben zu retten, wie kannst du es dann zulassen, dass Myron Shulman Menschen jagt und vernichtet?«

»Ich habe keine Kontrolle über die Handlungen von Menschen. Ich assistiere Myron Shulman, soweit er das verlangt, bei seiner Suche nach Kriminellen an Bord dieses Schiffes. Seine Handlungsweise, wenn er sie aufgespürt hat, kann ich nicht vorhersehen.«

Trotz Anabs warnender Blicke bemühte sich Riley nicht, den Zorn in seiner Stimme zu unterdrücken. »Computer, Myron Shulman hat jetzt vier Menschen getötet. Er hat sie nicht festgenommen oder eingesperrt, er hat sie vernichtet. Allein auf statistischer Basis solltest du schon in der Lage sein, sein Verhalten vorherzusagen, wenn er das nächste Ziel erreicht.«

»Ich habe keine Kontrolle über das Verhalten eines einzelnen Individuums.«

»Du solltest dich schämen«, knurrte Riley die Maschine an, während Anab ihn zum Korridor zog. »Du klingst wie ein verdammter Politiker.«

»Die Scanner zeigen an, dass dieser Mann eine leichte Kopfverletzung aufweist«, erklärte das Schiff plötzlich.

»O nein«, murmelte Anab. »Du denkst doch nicht etwa daran, ihn zur Krankenstation zu schicken, oder?«

»Die Verletzung ist geringfügig, könnte aber durch eine medizinische Behandlung behoben werden«, bemerkte der Computer. »Gegenwärtig arbeitet ein Arzt in der Krankenstation vierundsechzig.«

Riley öffnete den Mund, um zu protestieren, überlegte es sich dann aber anders. »Welcher Arzt?«

»Dr. McCoy befindet sich in der Krankenstation vierundsechzig. Er könnte bei der vollständigen Herstellung dieses Individuums assistieren.«

Die beiden grinsten sich an. »Großartige Idee«, meinte Riley. »Schick uns beide hin.«

Als er das vertraute Ziehen der Entmaterialisierung spürte, dachte er: Wer hätte geglaubt, dass ich einmal froh sein würde, schon wieder zu einer der Krankenstationen auf diesem Schiff gebeamt zu werden?

 

McCoy führte Josiah Ngo zu einer kleinen Zimmerflucht aus medizinischen Büros, die ein sonderbar nostalgisches Gefühl in ihm weckten. Er hatte sich seit Monaten nicht mehr gestattet, an die Enterprise oder seine ehemaligen Schiffskameraden zu denken, doch jetzt schien sich alles verschworen zu haben, ihn daran zu erinnern. Erst das Gefühl der Kameradschaft, das er Riley entgegenbrachte, und nun dieser junge, eifrige Kadett, mit dem er in einer gefährlichen Krisensituation zusammenarbeitete – beides weckte Erinnerungen an Kirk und Spock, die ihn gleichzeitig mit Stolz erfüllten und doch schmerzten. Wie oft hatten sie zu dritt Situationen durchgestanden, in denen alle Chancen gegen sie sprachen?

Selbst Josiah erinnerte ihn an andere Mannschaftsmitglieder der Enterprise. Seine dunkelbraune Haut und die großen Augen unter dem langen Wimpern erinnerten ihn an Uhura; und die technischen Fertigkeiten des jungen Mannes spiegelten die eines anderen, sehr viel älteren Wunderwirkers wieder.

Doch der Kadett wirkte so jung. Schultern und Oberkörper hatten noch längst nicht ihre volle Breite erreicht. Ein Pensionär und ein Kind, dachte McCoy. Das hier ist nicht die Enterprise, und Jim und Spock sind weit weg. Ob wir es wirklich schaffen?

»Sie haben nicht zuviel versprochen, Doktor«, meinte Josiah, der sich umsah, als sie das äußere medizinische Büro betraten. »Dieser Platz liegt wirklich versteckt.«

»Nun, wir suchen ja auch nach Abgeschiedenheit«, erinnerte ihn McCoy, während sie zu einer kleinen Konsole hinübergingen. »Auf jedem Deck befinden sich mindestens zwei voll ausgerüstete Krankenstationen, von denen viele regelrechten Mini-Hospitälern gleichen. Doch hier, auf dem untersten Deck, gibt es nur eine kleine Station. Der Planung nach sollte dies hier eine Reservestation sein für den Fall, dass alle anderen überfüllt sind. Genau genommen hat man gar nicht damit gerechnet, dass sie jemals benutzt werden würde. Kaum jemand weiß überhaupt von ihrer Existenz.«

Von dem Zentralraum führten Türen zu zwei weiteren, kleinen Zimmern, die jedoch nur Diagnosebetten und andere Ausrüstungsgegenstände enthielten. Sämtliche Computer standen im zentralen Raum, und das war es, wofür sich Josiah und McCoy interessierten.

»All diese medizinischen Computer sind direkt mit dem Hauptgehirn des Schiffes verbunden«, erklärte McCoy, »genau wie auf jedem Sternenschiff auch. Auf diese Weise kann der medizinische Computer sowohl die Daten als auch den Arbeitsspeicher des Zentralgehirns nutzen. Warum sollten wir also den medizinischen Computer nicht als Hintertür benutzen können, um in das Hauptgehirn einzudringen?«

»Klingt gut, zumindest in der Theorie.« Josiah öffnete den Behälter, in dem er die Werkzeuge des Shuttles untergebracht hatte. »Probieren wir mal, wie es in der Praxis aussieht.« Er nahm seinen Tricorder und koordinierte ihn mit dem medizinischen Computer. »Ich möchte tief in die Programmierung eindringen, Doktor. Schlagen Sie einen passenden Pfad vor.«

McCoy beugte sich über ihn, betrachtete den Schirm des Tricorders und nahm einige Einstellungen an den Kontrollen vor. »Versuchen wir es über das Diagnoseprogramm. Es ist das beherrschende Programm des Systems – bei allem, was in der Krankenstation getan wird, muss man darauf zurückgreifen.«

Josiah nickte, als die ersten Daten über den Schirm liefen. »Doktor … stimmt es eigentlich, dass Sie auf der Enterprise waren?«

»Ja«, sagte McCoy vorsichtig in der Hoffnung, der junge Ingenieur würde aufgrund dieser Tatsache nicht zu viel von ihm erwarten. »Das stimmt.«

»Meine Freundin Reese Diksen würde sich bestimmt gerne mit Ihnen unterhalten! Sie hat sich intensiv mit der Fünf-Jahres-Mission der Enterprise und der Karriere von Captain Kirk beschäftigt. Und jetzt dient sie unter ihm, an Bord der Paladin …« Josiahs Stimme brach ab, und er wandte den Kopf zur Seite. »Das heißt … wenn das Schiff überhaupt noch dort draußen ist …«

McCoy legte dem Kadetten eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, mein Junge, die Paladin ist noch dort draußen. Und Ihre Freundin bekommt die Ausbildung ihres Lebens, wenn Jim Kirk das Kommando hat. Und unsere Chancen, das hier zu überleben, steigen ganz enorm durch die Tatsache, dass er dort draußen ist.«

Josiah schaute hoch und brachte ein schwaches Lächeln zustande – bis etwas auf dem Schirm seine Aufmerksamkeit erregte. Er betrachtete es stirnrunzelnd. »Was in aller Welt ist das?«

McCoy starrte die mit dem Standardcode vermischten fremdartigen Hieroglyphen an und erkannte sofort, dass er sie schon einmal gesehen hatte. Er wühlte in seiner Tasche und brachte einen Stapel Notizblätter zum Vorschein; dort, zwischen Shulmans Aufzeichnungen, fand sich der gleiche, sonderbare Code. Er zeigte Josiah die Blätter.

»Hier haben wir ihn noch mal, in Shulmans Handschrift. Ich habe keine Ahnung, was es zu bedeuten hat, aber es ist keine Sprache und kein Computercode, mit dem ich vertraut wäre. Ich habe mir deswegen schon das Hirn zermartert.«

»Nun«, meinte Josiah, »sehen wir mal, ob wir diesen Code umgehen können.« Er drang an der Primärprogrammierung vorbei tiefer in den Computer ein. McCoy schaute zu, wie er den verschiedenen Codierungen des Programms folgte, doch ganz gleich, wohin er sich wandte, stets füllten die gleichen unverständlichen Zeichen den Schirm. »Das ist merkwürdig«, sagte Josiah schließlich. »Ich komme um dieses Zeug einfach nicht herum – die fremden Symbole sind überall. Ich gehe jetzt hinunter auf die binäre Ebene.«

Der junge Mann verlangsamte sein Vorgehen und durchforschte das binäre Feld des komplexen Programms. Doch gleich darauf füllte sich der Schirm wieder mit den bizarren Symbolen.

»Nicht gut«, sagte der Kadett. »Gar nicht gut. Ich werde jetzt versuchen, etwas von diesem Zeug zu löschen, und dann abwarten, was passiert. Es ist ein gewisses Risiko dabei – ich könnte kritische Informationen löschen, aber irgend etwas muss ich ausprobieren.« Er arbeitete ein paar Sekunden lang konzentriert und drehte sich dann mit einem konsternierten Ausdruck zu McCoy um. »Was immer das für ein Zeug sein mag, es kann sich auf einer bestimmten Ebene selbst generieren. Nur um es zu löschen, müssten wir schon ein spezielles Programm haben. Diese Codes haben das ursprüngliche Programm bis auf die binäre Ebene hinunter infiziert, Doktor! Was nun?«

Er schaute hoffnungsvoll zu McCoy auf.

Der Doktor zögerte, während er sich vorzustellen versuchte, was Jim oder Spock tun mochten. In einem Ton, der seine mangelnde Zuversicht Lügen strafte, sagte er: »Nun, dann sollten wir versuchen, den Patienten zu stabilisieren, bis Hilfe eintrifft. Können Sie auf dem Umweg über das Diagnoseprogramm die Kontrolle des Computers über das Kommunikationssystem ausschalten? Wenn es uns gelingt, eine Nachricht nach draußen zu schicken, könnten wir auf diese Weise vielleicht ein paar hilfreiche Informationen erhalten.«

Josiah nickte strahlend. »Wie sehen die Prioritäten aus – ich meine, wenn ich durchkomme, welche Information müsste ich dann unbedingt senden?«

»Ich würde sagen, wir sollten auf jeden Fall Kopien dieser obskuren Programmierung senden. Vielleicht kann uns jemand an Bord der Paladin sagen, worum es sich dabei handelt und wie wir damit umgehen müssen. Wenn Spock dort wäre …« Er unterbrach sich und erinnerte sich an das letzte Mal, als er den Vulkanier gesehen hatte. Spock hatte sehr ernst gewirkt und war ganz in schwarz gekleidet, als er verkündet hatte, er würde ein Postulant des Kolinahr werden.

Wir werden uns nicht wiedersehen, Leonard McCoy. Glück und langes Leben.

McCoy räusperte sich und fuhr fort: »Ich wette, er würde das schaffen.« Wieder verstummte er und starrte auf die bizarren Notizen in seiner Hand. Es stimmte, Spock würde wissen, worum es sich handelte. Für einen Moment hatte McCoy das Bild des Vulkaniers vor Augen, der auf einen Monitor blickte, über den die gleichen sonderbaren Zeichen liefen.

Sie wissen, was es ist, nicht wahr, Spock? Wenn Sie uns jetzt nur helfen könnten …

Er strich mit den Fingerspitzen über Shulmans Notizen, als könne er, indem er sie berührte, Spock durch Raum und Zeit hinweg erreichen. Und für einen Sekundenbruchteil kam es McCoy so vor, als säße nicht ein junger Mann neben ihm, sondern sein vulkanischer Freund. Er konnte Spocks Stimme fast hören:

Welche Unterstützung benötigen Sie, Doktor?

Dann schaute er nach unten und bemerkte, dass Josiah ihn merkwürdig ansah. McCoy schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären. »Wir müssen einfach darauf hoffen, dass es dort drüben jemanden mit ähnlichen Fähigkeiten gibt. Und als nächstes müssten wir herausfinden, wohin wir mehr als zweihundert Leute schicken können.«

Josiahs Miene drückte Unverständnis aus.

»Unsere Retter werden uns Koordinaten geben müssen, zu denen wir jeden an Bord dieses Schiffes beamen können«, erklärte der Doktor. »Dieses Schiff ist entschlossen, den tholianischen Raum zu verletzen. Und dort wird es keine drei Minuten dauern, bis die Tholianer es mit einem Netz einfangen …« Er erschauerte bei dieser Aussicht und fragte sich, was aus ihnen allen werden würde, wenn das geschah. Sofern der mörderische Shulman dann noch an Bord war, würden sie sich wenigstens nicht auf einen schleichenden Tod vorbereiten müssen …

McCoy schob den Gedanken beiseite und fuhr fort: »… und dann werden sie die Grenzverletzung als Vorwand benutzen, um einen Krieg anzufangen. Nur die Recovery verfügt über die Fähigkeit, alle auf einmal hinauszubeamen, aber wir müssen ihr sagen können, wohin sie die Leute schicken soll.«

»Das heißt also, dass ich nach dem Kommunikationssystem auch noch die Kontrolle über das Transportersystem übernehmen muss – alles auf dem Umweg über das Diagnoseprogramm.« Josiahs Adamsapfel hüpfte, als er schwer schluckte.

McCoy zwang sich zu einem Lächeln und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. »Nur keine Panik, mein Junge. Immer einen Schritt nach dem anderen. Jetzt versuchen wir erst mal, das Notsignal zu senden.«

Der Kadett seufzte und machte sich an die Arbeit. McCoy schaute zu und kam sich ziemlich nutzlos vor, während der junge Mann erfolglos versuchte, das Programm auf alle möglichen Arten zu manipulieren. Schließlich holte er ein Gerät aus seinem Beutel, verband es mit dem Tricorder und tippte dann eine neue Reihe von Codes ein. Soweit McCoy es beurteilen konnte, liefen die Daten jetzt in vulkanischer Schrift über den Bildschirm.

»Worauf um alles in der Welt wollen Sie den jetzt hinaus?«, fragte er laut und schaute Josiah über die Schulter.

»Ich versuche mal etwas anderes«, murmelte der junge Ingenieur. »Das ist ein T'Pel-Analysierer. Wenn uns dieses Programm jetzt nicht um die Ohren fliegt …« Plötzlich vernahm McCoy den Klang, mit dem sich ein Kommunikationskanal öffnet. Die beiden Männer blickten sich strahlend an. Und dann schloss sich der Kanal wieder.

»Ha, das war es!«, rief McCoy und schlug Josiah auf die Schulter. »Nun, jedenfalls fast. Sie sind auf dem richtigen Weg!«

Josiah biss sich auf die Lippen und nahm ein paar Einstellungen an dem Tricorder und seinem neuen Zusatz vor. Für einen Moment hörte McCoy nichts als statische Geräusche – doch dann, plötzlich, öffnete sich der Kanal wieder, und diesmal blieb er offen.

Auf Josiahs Gesicht zeigte sich ein breites Grinsen. »Hier spricht Josiah Ngo auf der U.S.S. Recovery. Empfängt mich jemand?«

Der Kanal brach zusammen, bevor jemand die Chance gehabt hätte, zu antworten, und er mühte sich ab, um ihn wieder zu öffnen. Schließlich wandte er sich an McCoy. »Doktor, es erfordert meine ganze Aufmerksamkeit, diesen Kanal offenzuhalten. Sie werden die Botschaft übernehmen müssen.«

»In Ordnung«, meinte McCoy. »Okay, hier … hier spricht Dr. Leonard McCoy …«

 

Jim Kirk starrte auf den Sichtschirm der Paladin, der das Bild seines ältesten und besten Freundes zeigte.

»Hier spricht Dr. Leonard McCoy von der U.S.S. Recovery, und falls ich jetzt das normale Protokoll vergessen haben sollte, liegt das daran, dass ich im Ruhestand bin.«

Neben McCoy saß Josiah Ngo, der junge Kadett, und war eifrig damit beschäftigt, den Kanal offenzuhalten.

McCoy schien seinen alten Freund direkt anzuschauen. Siehst du, Jim, ich weiß, dass du dort draußen bist.

Kirk wandte kein Auge vom Schirm ab. »Kann er mich hören? Mich sehen?«

»Nein, Sir«, sagte Diksen bedauernd. »Es ist nur eine einseitige Verbindung. Ich kann das Schiff noch immer nicht dazu bringen, eingehende Sendungen anzunehmen.«

»Jim, ich kann nicht erklären, was hier vorgeht«, sagte McCoy, »aber ich weiß, dass du die richtigen Leute hast, um es herauszufinden. Alles, was wir haben, ist ein verrückter Forscher und eine bizarre Programmierung.« Er warf einen Blick auf den Kadetten. »Josiah, können Sie etwas von dem Zeug hinübersenden?«

»Übermittlung läuft, Doktor«, meldete Ngo.

Kirk warf einen kurzen Blick zur Kommunikationsstation. »Empfangen Sie es, Diksen?«

»Kommt klar und deutlich herein, Sir.«

»Leiten Sie diese Informationen an Mr. Sonaks Pult weiter«, befahl der Captain. Gleichzeitig hielt McCoy ein paar halbzerfetzte Notizblätter hoch.

»Das hier sind Shulmans Aufzeichnungen, aber ich kann dir nicht sagen, was sie zu bedeuten haben. Diese fremdartigen Zeichen«, McCoy deutete darauf, »tauchen auch in der Programmierung auf, die du mittlerweile empfangen haben müsstest. Vielleicht kannst du herausfinden, was es zu bedeuten hat und wie man dagegen vorgehen kann. Josiah und ich hatten damit bisher noch nicht viel Glück.«

Kirk nickte und hätte beinahe gelächelt.

»Hör zu, Jim«, fuhr der Doktor fort, »wir müssen einen Weg finden, die Leute von diesem Schiff herunterzubringen. Ich kenne dich, daher weiß ich, dass du dir darüber auch schon Gedanken gemacht hast. Kein gewöhnliches Sternenschiff könnte diese Aufgabe schnell genug bewältigen, daher werden Josiah und ich wohl die Recovery davon überzeugen müssen, es zu erledigen. Wir arbeiten daran. Aber du musst uns die Koordinaten zukommen lassen. Du warst bisher nicht in der Lage, eine Sendung durchzubringen, daher weiß ich nicht, wie du es anstellen wirst, aber du solltest auf jeden Fall einen großen, leeren Raum für uns bereitstellen. Wenn wir erst dort sind …« McCoys Miene wurde milder, und in seiner Stimme schwang so etwas wie eine Entschuldigung mit. »Ich glaube, wir beide sollten zusammen einen saurianischen Brandy trinken und ein paar Dinge besprechen. Ich … ich freue mich schon darauf.«

Plötzlich tauchte eine Gestalt hinter Josiah und McCoy auf, die zu beschäftigt waren, um etwas zu bemerken.

Instinktiv sprang Kirk auf den Schirm zu und brüllte: »Pille! Pass auf! Es ist Shulman!«

Unbewusst spürte McCoy die Gegenwart des Fremden im gleichen Moment, in dem Kirk seine Warnung rief, denn er fuhr rechtzeitig genug herum, um dem Phaserschuss auszuweichen. Josiahs Kopf zuckte zur Seite …

Und der Schirm wurde dunkel.

Kirk drehte sich zu Diksen um. »Holen Sie sie zurück!«

Die Kadettin bearbeitete hektisch ihr Pult. »Sie haben aufgehört zu senden, Sir, und ich komme noch immer nicht zur Recovery durch!«

»Versuchen Sie es weiter!« Er drehte sich zur Wissenschaftsstation. »Sonak, was haben Sie erhalten?«

Der Vulkanier hob den Blick von seinem Monitor und schüttelte den Kopf. »Unbekannt, Sir. Offenbar haben sie einen Teil der Programmierung der Recovery auf der binären Ebene gesendet. Erstaunlicherweise scheint ein Teil davon in … Vulkanisch gehalten zu sein.«

Kirk zog überrascht die Augenbrauen hoch.

»Wenn man es übersetzt«, fuhr Sonak fort, »scheint es sich allerdings um die Standardprogrammierung zu handeln, abgesehen von einem Teil, den ich nicht entschlüsseln kann. Die Symbole, die benutzt wurden, um die ursprüngliche Programmierung der Recovery zu widerrufen, sind dem Computer der Paladin nicht bekannt. Der Computer benutzt im Moment diesen Programmteil und die aufgezeichneten Symbole auf den Zetteln, um eine Übersetzung zu erstellen.«

Kirk lehnte sich in seinem Sessel zurück und schlug frustriert mit der Faust auf die Armlehne. »Ist der Frachtraum vorbereitet?«

»Aye, Sir«, erwiderte Sonak, dessen kühle Haltung in scharfem Kontrast zu der Hektik seines Vorgesetzten stand. »Ich würde vorschlagen, Admiral, dass Kadett Diksen jede Sendung von der Recovery auch zu meinem Pult weiterleitet. Da die Übertragungen oft fragmentiert sind, aber doch Teile wichtiger Informationen enthalten, könnte die Wissenschaftsstation sie am besten und schnellsten verwerten.«

»Ausgezeichnete Idee, Mr. Sonak. Diksen, haben Sie das mitbekommen?«

»Aye, Sir.«

»Noch etwas, Diksen. Für den Fall, dass Sie zur Recovery durchkommen, sollten Sie die Koordinaten des Frachtraums bereit halten.«

»Sind zur Übermittlung vorbereitet, Sir«, meldete sie. »Grußfrequenzen sind immer noch geöffnet, doch bisher kein Ton von dem näher kommenden Schiff.«

»Sir«, unterbrach Sandover, »die Recovery stoppt ihre Fahrt völlig.«

Kirk wandte sich wieder dem Schirm zu, auf dem sich jetzt die glatte, massive Form der Recovery zeigte. »Nun, Mr. Sandover, wir wollen sie nicht rammen. Schilde hoch, und halten Sie einen Abstand von hunderttausend Kilometern. Jeder bleibt auf Gefechtsstation – und seien Sie auf alles vorbereitet.«

 

Angesichts der Geräusche, die der Computer der Krankenstation und Ngos sonderbare Gerätekombination von sich gaben, hätte McCoy das Sirren des Transporters beinahe überhört. Er fuhr gerade noch rechtzeitig genug herum, um dem Phaserschuss auszuweichen, und stürzte dann von dem Kadetten und dem Computer fort.

Josiah drehte sich um, seine Miene spiegelte den blanken Schock wieder.

»Arbeiten Sie weiter!«, rief McCoy, während er in den nächsten Raum rannte. »Ich bin derjenige, den er haben will!« Er verschwand hinter einem Spind und wusste dabei genau, dass Shulman ihm folgen würde.

McCoy achtete die ganze Zeit über auf Deckung, während er sich vom Spind zum Tisch und weiter zum nächsten Spind bewegte. Er hörte abermals das Sirren des Transporters, wagte aber nicht zu hoffen, es könnte bedeuten, dass Shulman die Krankenstation wieder verlassen hatte.

»Shulman!«, rief eine vertraute, weibliche Stimme.

McCoy spähte über die Platte eines Tisches hinweg und sah, nur wenige Meter entfernt, Shulmans Rücken. Der Wissenschaftler hielt einen Phaser in Brusthöhe – und er war auf Anab Saed gerichtet, die mit voller Absicht in der Schusslinie stand.

Ein paar Meter hinter ihr stand Kevin Riley neben einem Diagnosebett. Riley hielt ein Kabel in der Hand und ließ es langsam schwingen.

»Hier bin ich, Shulman!«, rief Anab herausfordernd und holte mit etwas aus, das wie eine dünne, silberne Lanze aussah.

McCoy hätte am liebsten die Augen geschlossen. Es bestand nicht die geringste Chance, dass sie Shulman als erste traf, und er könnte es nicht ertragen, sie sterben zu sehen. Doch er konnte den Blick nicht abwenden.

Verdammt, Lieutenant Saed, müssen Sie sich ausgerechnet jetzt so altruistisch aufführen? Doch er verstand, was sie tat. Für die Sicherheitsoffizierin war ein Arzt in dieser Krisensituation wichtiger als sie selbst. Zweifellos hoffte sie, dem Phaserschuss in letzter Sekunde ausweichen zu können, und vielleicht war das sogar möglich. Doch sie konnte nicht sehen, was ihr Verbündeter Riley vorhatte. Und so, wie die beiden schräg hintereinander standen, konnte Shulman sie mit einem einzigen Schuss töten.

McCoy wusste, dass er irgend etwas tun musste – aber wenn er jetzt schrie, hätte Shulman vielleicht Zeit, sie alle drei zu töten. Geduckt kroch er eilig zum nächsten Spind und suchte nach dem, was er brauchte.

Aus den Augenwinkeln bekam er mit, was geschah, doch alles lief so schnell, dass er keine Chance hatte, etwas zu unternehmen.

Lieutenant Anab warf die Lanze.

Fast gleichzeitig wich Shulman ihr aus und feuerte.

Im gleichen Augenblick, als die Lanze durch die Luft flog, schleuderte Riley etwas – ein Stück Kabel, so erschien es McCoy –, das pfeifend auf Shulman zujagte. Doch das Kabel traf Saeds Beine und riss sie zu Boden.

Der tödliche Strahl zischte harmlos über die am Boden liegende Anab hinweg und traf Riley mitten in der Brust.

Sowohl Saed wie McCoy schrien »NEIN!«, als der Körper des jungen Commanders von der Phaserenergie eingehüllt wurde. McCoy umklammerte hilflos den Injektor, den er aus dem Spind genommen hatte, und schaute entsetzt zu, wie Rileys Körper in dem tödlichen Glühen aufleuchtete …

Und aufrecht stehenblieb, während der Energiestrahl über ihn strich.

McCoy schaute fassungslos zu, wie sich Riley in Bewegung setzte.

Er ging vorwärts und schob den Strahl vor sich her, während er sich Shulman langsam näherte.

Für einen Augenblick stand McCoy wie erstarrt da, unfähig zu begreifen, was geschah. Saed sah genauso verwirrt aus, als sie sich aus dem Weg rollte und ihre Beine von dem Kabel befreite.

Mit einem Ruck kam McCoy wieder zu sich und lief zu Shulman hinüber – der wie angewurzelt dastand und wieder und wieder seine nutzlose Waffe abfeuerte –, setzte den Injektor an dessen Halsschlagader an und injizierte ihm ein Betäubungsmittel.

Mit einem Keuchen kippte Shulman in McCoys Arme. Der Phaser landete klappernd auf dem Boden.

Riley, der ebenso verblüfft wirkte wie die anderen, beugte sich über die Sicherheitsoffizierin und bot ihr eine Hand an. Saed umklammerte sie mit beiden Händen und hielt sie so fest, während sie zu ihm aufsah. »Alles in Ordnung, Anab? Ich habe dir doch nichts gebrochen, als ich dich mit dem ahn-woon getroffen habe, oder?« Die beiden wechselten einen Blick von so intensiver Erleichterung – und etwas, das weitaus tiefer reichte –, dass McCoy zu dem Schluss kam, sie müssten einmal weit mehr als nur Bekannte gewesen sein.

Anab war noch zu schockiert, um zu sprechen. Schließlich ließ sie Rileys Hand los und mühte sich aus eigenen Kräften auf die Beine, wobei sie ihren Retter noch immer mit vor Erstaunen offenem Mund anstarrte. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder.

»K.T. …« Sie warf einen verlegenen Blick in McCoys Richtung und korrigierte sich. »Ich meine, Commander Riley … was ist passiert? Sie sind doch voll von dem Phaser getroffen worden!«

Riley grinste und seine Stimme klang munter, doch McCoy registrierte, dass seine Finger zitterten, als er Shulmans Phaser aufhob und die Einstellung auf Betäubung änderte. »Ich bin nicht ganz sicher. Ich glaube, die Recovery hat in letzter Sekunde ein Kraftfeld – eine Art persönlichen Schild – um mich herum aufgebaut. Ich war genauso überrascht wie ihr. Ich brauchte schon einen Moment, um zu begreifen, dass ich völlig geschützt war.« Während er noch sprach, flimmerte der Phaser in seiner Hand und verschwand dann rasch.

Anab schaute sich in dem Raum um. »So etwas kann das Schiff? Unglaublich! Computer. Warum – und wie – hast du Commander Riley vor Shulmans Angriff beschützt?«

»Seine frühere Frage hat mich veranlasst, meine Reaktionen in bestimmten Situationen noch einmal zu analysieren«, antwortete die Recovery in ihrem typischen, leidenschaftslosen Ton. »In meinen Logik-Schaltkreisen befanden sich mehrere fehlerhafte Programmierungen. Einige davon konnte ich nicht wiederherstellen, doch ich war in der Lage, gewisse logische Muster so zu reprogrammieren, dass sie wieder mit meiner Kernprogrammierung übereinstimmten. Wenn Dr. Shulman es verlangt, werde ich Kriminelle, die sich auf diesem Schiff befinden, einkerkern. Ich kann jedoch niemandem gestatten, ein Leben zu vernichten, auch nicht das eines Kriminellen, und dabei in Übereinstimmung mit meiner Kernprogrammierung bleiben. Die Reprogrammierung wurde erreicht, indem ich meine Verteidigungskapazität zu einem weitaus kleineren Muster reorganisiert habe, als das zuvor der Fall war.«

Mein Gott, dachte McCoy entgeistert, er entwickelt Lösungen für neue Probleme. Bisher war kein Föderationscomputer je dazu in der Lage, das auf einer so komplexen Ebene durchzuführen.

Immer noch leicht grinsend, schüttelte Riley den Kopf. »Okay, ich nehme alles zurück. Du bist doch kein Politiker.« Dann registrierte er, dass McCoy noch immer den kollabierten Shulman stützte, und setzte sich in Bewegung, um ihm zu helfen. Gemeinsam legten sie den reglosen Körper auf ein Diagnosebett.

Im anderen Raum rief Josiah laut: »Würde es vielleicht jemandem etwas ausmachen, mir zu erzählen, was eigentlich passiert ist?«

»Ich habe ihm befohlen, am Computer zu bleiben«, erklärte McCoy. Dann rief er in das andere Zimmer hinüber: »Hier ist alles in Ordnung. Wir haben Shulman ruhiggestellt.«

»Ich könnte ihm eigentlich zur Hand gehen«, bot Anab an. Riley nickte, und sie ging zu Ngo hinüber.

McCoy brauchte nur wenige Sekunden, um Shulman Fesseln anzulegen, und analysierte dann seine physische Kondition. Das Betäubungsmittel hatte eine weitaus größere Wirkung auf den Wissenschaftler als üblich, deshalb injizierte McCoy sicherheitshalber ein Gegenmittel. Die körperlichen Reserven des Mannes waren bis über den Punkt der Erschöpfung hinaus ausgebeutet worden – im Grunde war es für ihn schon unmöglich gewesen, überhaupt noch herumzulaufen, ganz zu schweigen von der Kraft und Schnelligkeit, die er demonstriert hatte. Der Doktor bemühte sich, Shulmans körperlichen Zustand zu stabilisieren, indem er ihm Zucker, Proteine und Flüssigkeit zuführte.

»Was fehlt ihm?«, fragte Riley. »Und was kann ich tun?«

»Seien Sie einfach bereit, mir zu helfen, wenn es nötig ist«, sagte McCoy. »Und abgesehen vom schlimmsten Fall von Erschöpfung, den ich je gesehen habe, habe ich nicht die leiseste Idee, was mit ihm nicht stimmt – bis jetzt, jedenfalls. Sein Herz ist stark angegriffen, die Nieren arbeiten kaum noch, seine sämtlichen Fettreserven sind verbraucht, und ich glaube, er hat seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Was er sich zugemutet hat, hätte einen Vulkanier umgebracht; ich begreife gar nicht, wieso er überhaupt noch lebt. Das wäre vermutlich auch nicht der Fall, wäre er nicht früher Marathonläufer gewesen.«

Zufrieden, dass der physische Zustand seines Patienten mittlerweile stabil war, führte McCoy seinen diagnostischen Scanner über Shulmans Stirn und studierte dann die Anzeige. »Lieber Himmel …« Er sah Riley an. »Dort ist etwas … eingebettet in sein Gehirn.«

Riley zuckte zurück. »Ein Parasit?«

Der Doktor schüttelte den Kopf. »Es ist mechanisch. Aber auch chemisch. Und fremdartig. Nach dem organischen Schaden zu urteilen, den es verursacht hat, würde ich sagen, es ist, ungefähr eine Woche bevor die Recovery zu dieser Mission startete, implantiert worden.«

»Können Sie es herausholen?«, fragte Riley.

»Das glaube ich nicht. Hier jedenfalls auf gar keinen Fall. Ich würde ein paar andere Ärzte zur Unterstützung brauchen, aber selbst dann … das hier liegt völlig außerhalb meiner Erfahrung. Ein Teil seines Gehirns hat sich tatsächlich bis in die Zellstruktur hinein verändert. Dieses Ding ist direkt mit den Neuronen verbunden, während sich der Kontrollmechanismus genau in seinem Lustzentrum befindet.«

Riley machte ein finsteres Gesicht. »Welche bessere Möglichkeit gäbe es, ihn zu kontrollieren? Perfektes Vergnügen, perfekter Schmerz. Ist es romulanisch?«

»Sieht nicht so aus. Es ist mechanisch und selbststeuernd. Augenscheinlich funktioniert es auf mehreren Ebenen – es gibt Hinweise, dass es bestimmte Drogen direkt an das Gehirn abgibt. Nur Myron kann uns darüber etwas sagen. Ich werde ihn jetzt aufwecken – seien Sie darauf vorbereitet, sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen. Ich bin nicht sicher, welche Kräfte ihm dieses Ding verleiht.«

Riley spannte seine Muskeln und beobachtete, wie der Doktor die Medikamentenabgabe veränderte.

Shulmans Lider flatterten; dann öffnete er die Augen und blickte in McCoys Gesicht. Zur Erleichterung des Doktors wirkten die braunen Augen des Wissenschaftlers sanft und ruhig, wenn auch desorientiert.

»Leonard?«, flüsterte Shulman blinzelnd. »Leonard … McCoy?« Sein Kopf rollte zur Seite, als er die Umgebung betrachtete. Riley schaute er an, ohne ihn wiederzuerkennen. »Wir sind auf der Recovery …«

»Ja, Dr. Shulman«, sagte McCoy mit einem warmen Lächeln. »Sie sind krank gewesen; ich versuche Ihnen zu helfen. Können Sie mir erzählen, was mit Ihnen passiert ist?«

Shulman starrte ihn einen Moment lang an; dann trübten sich seine Augen. McCoy warf Riley einen warnenden Blick zu.

Während sie zuschauten, verdrehten sich die Augen des Wissenschaftlers, und sein Körper begann heftig zu zittern.

»Die Drei!«, flüsterte er und stemmte sich gegen die Fesseln. Sein Mund verzerrte sich krampfartig, die Halsmuskeln traten wie Stränge hervor. »Die Drei. Ich schwöre, ich diene der Heiligen Triade!«

Riley beugte sich vor und drückte Shulmans Schultern mit erheblicher Anstrengung wieder auf das Bett.

McCoy beeilte sich, die Medikamentenzuführung neu zu justieren. Als der Injektor abermals zischte, fiel Shulmans Körper zurück auf die Liege und entspannte sich. »Myron«, fragte McCoy, »können Sie mich immer noch hören? Wer hat Ihnen das angetan?«

»Es ist alles für die Drei«, sagte Shulman wie im Halbschlaf. »Ich wollte nicht, aber ich musste. Ich musste den Dreien dienen. Aber ich habe gegen sie angekämpft. Am Anfang – als ich das noch konnte.«

»Sie haben gegen sie gekämpft?«, fragte Riley. »Wie haben Sie das gemacht, Doktor?«

Shulman lächelte. »Ich habe die Kernprogrammierung bewahrt.« Seine Muskeln begannen sich zu spannen, und seine Stimme wurde schrill. »Wenn sie das wüssten, würden sie mich töten. Aber das war meine bedeutendste Arbeit. Die Kernprogrammierung!« Seine Augen weiteten sich, als er sich gegen die Fesseln aufbäumte und einen schrillen Schrei ausstieß.

McCoy fluchte und erhöhte die Drogendosis. »Dieses Ding setzt ihn massiv unter Druck. Er muss Höllenqualen leiden.«

Nach wenigen Sekunden entspannte sich der Körper des Wissenschaftlers, und er fiel in Schlaf. McCoy schüttelte mit grimmiger Miene den Kopf. »Ich muss ihn einschläfern, nur um die Stimulantien auszugleichen, die ihm das Implantat verabreicht. Auf diese Weise kommen wir jedenfalls keinen Schritt weiter.«

»Vielleicht nicht«, meinte Riley, dessen Miene dennoch Hoffnung ausdrückte. »Das war eines der Dinge, die Anab – Lieutenant Saed – und ich ihnen erzählen wollten, als wir herkamen. Die Kernprogrammierung der Recovery ist intakt – ich habe selbst miterlebt, wie sie funktioniert. Das war es schließlich, was Shulman daran gehindert hat, mich zu töten. Ich musste dem Computer nur ein bisschen ins Gewissen reden. Meinen Sie nicht, Admiral Kirk sollte darüber informiert werden?«

McCoys Miene hellte sich auf. »Gehen Sie hinüber und erzählen Sie es Josiah. Er hat erst vorhin eine Funkverbindung hergestellt. Wenn er noch einmal durchkommt, kann er diesen Punkt weitergeben. Ich werde mich jetzt weiter um Shulman kümmern. Sie können ruhig gehen. Er wird das Bett vorläufig nicht verlassen.«

Riley nickte und ging, um Kadett Ngo seine Neuigkeit zu überbringen.

 

Die Meditation blieb ohne Erfolg.

Spocks Gefühl der Verbindung zu McCoy und Jim Kirk war eher noch stärker geworden, genau wie der unangenehme Eindruck, dass sie sich in Gefahr befanden …

Und auch die irrationale Überzeugung, dass er, Spock, ihnen irgendwie helfen konnte.

So hatte er sich von seinem Platz auf dem mittlerweile abgekühlten Felsen erhoben, war in der grauen Stunde kurz vor Anbruch der Dämmerung leise aus seiner Zelle herausgetreten und den langen, dunklen Korridor hinuntergegangen, vorbei an hundert anderen, unbeleuchteten Eingängen.

Am Ende des Ganges verlangsamte er seinen Schritt nicht, sondern glitt leichtfüßig die Stufen hinab, Ebene um Ebene, bis er den verborgenen Durchgang erreichte, der nur jenen bekannt war, die sich dem Orden von Gol angeschlossen hatten – ein Durchgang, der direkt in das Herz des Berges führte. Schließlich hielt Spock vor dem großen, schwarz glänzenden Torbogen inne, der schon Äonen vor Suraks friedlicher Revolution mit heiligen und profanen Symbolen graviert worden war, und dachte über die Tragweite dessen nach, was zu tun er im Begriff stand. Die Technik, die er nutzen wollte, um sich von den emotionalen Bindungen zu reinigen, sollte nur angewendet werden, wenn alle anderen Versuche fehlgeschlagen waren – und dann weder leichtfertig noch mit Skepsis.

Er sammelte sich und trat durch den Torbogen und die beiden ewig brennenden Öllampen, die den Eingang flankierten, hinein in den tiefen Schatten.

Der Anblick, der ihn erwartete, stammte aus Vulkans ferner Vergangenheit: ein alter Steinaltar, auf dem einstmals Blut vergossen worden war, und davor eine gemeißelte Statue, deren Anblick gleichermaßen Ehrfurcht wie Angst erwecken sollte.

Dies war der Schrein einer Kriegsgöttin. Ihr Abbild war aus dem schwarzen Felsen Gols herausgeschlagen worden und zeigte den Körper einer vulkanischen Frau mit dem Schädel eines wütenden le-matya, dessen Fänge zum tödlichen Biss gebleckt waren. Sekhet, die Göttin der Wüste, des Feuers, der Zerstörung.

In der Vergangenheit hatten die Gedankenlords Sekhets Hilfe bei der Vernichtung ihrer Feinde beschworen. Damals war dieser Zufluchtsort in den Bergen eine Festung, ein Bollwerk für jene, die entschlossen waren, Vulkan zu kontrollieren, und Gol ein ihrem Kult geweihter Schrein. Die leidenschaftliche, kriegsliebende Göttin war von Suraks kühler Logik und der Verwandlung der Gedankenlords in die friedfertigen Kolinahru besiegt worden. Der Kult der Gewalt und der alten, heidnischen Götter hatte schon vor langer Zeit ein Ende gefunden.

Doch selbst jetzt, Jahrtausende später, wurde ihr Schrein bewahrt und vor den neugierigen Augen der Außenweltler geschützt. Das Ritual der Sekhet wurde unter extremen Umständen von jenen Anwärtern des Kolinahr benutzt, die ihre emotionalen Bindungen auf keine andere Weise lösen konnten. Sekhet zerstörte noch immer – keine Feinde, sondern Emotionen; und obwohl die Kolinahru grundsätzlich nicht an die Existenz von Göttern glaubten, wussten sie doch um die Auswirkungen des Rituals auf das vulkanische Unterbewusstsein und die Kraft, die tausend Jahrhunderte der Verehrung im Rassenbewusstsein hinterlassen hatten.

Und so trat Spock mit gesenktem Haupt ein und näherte sich dem fünf Meter hohen, von hinter ihm flackernden Öllampen erhellten Steinbild. Er blieb im Schatten der Statue stehen und richtete seine Gedanken nach innen.

Als er mit halbgeschlossenen Augen vor dem alten Bild Sekhets stand, ereilte ihn eine Vision von solcher Lebendigkeit, dass er zu absoluter Reglosigkeit erstarrte.

Er stand nicht mehr vor der uralten Steingöttin in einem aus dem Fuß des Berges herausgehauenen Heiligtum, sondern saß im Kommandosessel der Enterprise. Leonard McCoy stand neben ihm, und beide starrten den bemerkenswerten Anblick auf dem Schirm an: das Wesen, das sich selbst Loskene nannte, umhüllt von einem glitzernden roten Schleier, der sich von einem unerträglich intensiven indigofarbenen Hintergrund abhob.

Und zugleich war auch der Schmerz da: der Schmerz des Kummers über seine Unfähigkeit, Jim zu retten; der Schmerz des Zorns auf Loskene … und auf McCoy wegen dessen irrationaler Angriffe.

Ein neues Bild überlagerte das vorhergehende – jener Moment, in dem er sich an McCoy wandte und sagte: »Ich bin sicher, der Captain hätte gesagt: ›Vergiss es, Pille.‹«

McCoy fiel vorwärts, in seine Arme.

In seine Arme …

Sekhet und Gol waren vergessen; Spock konnte den Doktor vor sich sehen, sein kühles, menschliches Fleisch fühlen. Es war, als hätte er durch Raum und Zeit gegriffen, um seinen Freund zu berühren.

Und das Gefühl, McCoy zu berühren, vermischte sich mit dem roten und indigofarbenen Anblick des mysteriösen Loskene …