Seit Petes Hochzeit hat Kate mehrere Nachrichten von Nick erhalten. Er wollte sie Montagabend zu Spaghetti bolognese einladen, ihrem Lieblingsgericht. Beinahe hätte er sie mit dem Essen geködert, doch sie hat abgelehnt, Montag und Dienstag sind für das Probebacken des Soufflés reserviert. Außerdem braucht sie Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Und sie will Nick nicht in seiner Wohnung besuchen – die Vorstellung macht ihr Angst, da an diesem Ort zu viele Gespenster verflossenen Glücks herumgeistern.

Ihr Gegenvorschlag: sich auf neutralem Boden zu treffen, in der magischen Hoffnung, dass ihr an einem öffentlichen Ort nicht erneut etwas Traumatisches zustößt. Und so haben sie sich im Aposta verabredet, einem reizenden Café in Fußnähe zu Ritas Wohnung – der Kaffee ist großartig, und für Hintergrundlärm, der laute heftige Auseinandersetzungen oder gar Weinen übertönt, ist angesichts der Raumakustik gesorgt.

 

In den frühen Tagen ihrer Beziehung hat Kate einmal etwas auf Nicks iPad nachgeschaut, eine falsche Taste gedrückt und ist zufällig auf einer Seite gelandet, auf der er eine der Nachrichten entworfen hatte, die sie dann von ihm erhalten hat. Es war eine reizende, witzig geschriebene Botschaft mit der Bitte, sich sonntags für einen Lunch zu verabreden. Gerührt hat Kate festgestellt, dass er offensichtlich so nervös gewesen

Der Einsatz ist hoch. Kate muss Klarheit erlangen und Macht zurückgewinnen oder zumindest die Hilflosigkeit abstreifen, die sie seit Frankreich empfindet. Nick hat einmal behauptet, Emotionen seien Zeitverschwendung, aber verdammt noch mal, Kate wird ihn knacken und wenigstens einen Spalt zu seinen Gefühlen öffnen. Sie hungert danach, die Gründe seines Verhaltens nachvollziehen zu können. Nick hat ihr immer ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Wenn sie ihn bisher vollkommen falsch beurteilt hat, wie kann sie ihrem Urteil dann in Zukunft noch vertrauen?

Vielleicht kann sie Nick die Sache auch leichter machen? Soll sie ihm einen Kuli in die Hand drücken und ihn bitten, die zutreffenden Kästchen anzukreuzen?

Nick Sullivan, bist du:

□ von tiefem Bedauern über dein Herumeiern erfüllt?

□ unfähig, gleichzeitig arbeitslos zu sein und eine Beziehung zu haben?

□ ein narzisstischer Soziopath ohne jede Empathie?

□ alles unter A–C zusammen?

□ bereit, eine Therapie zu machen und ein emotional offener, kommunikativer und rundum phantastischer Freund zu werden?

□ ratlos und denkst, «ich verstehe die Fragen hier nicht»?

Ihr Treffen wird entweder mit dem gefürchteten, aber äußerst notwendigen Strich unter ihrer Beziehung enden – oder es könnte der Startpunkt in eine vertrauensvollere Zukunft sein.

 

Als Kate im Aposta eintrifft, sitzt Nick zu ihrer Überraschung in einem schicken marineblauen Anzug an einem Tisch. Er sieht gut aus – jünger als vor einem Monat, er hat Gewicht verloren, und seine Haut ist gebräunt. Seine Augen leuchten bei ihrem Anblick auf, und sie kann nicht anders und strahlt zurück.

«Du siehst toll aus», sagt er und steht auf, um sie mit einem Kuss zu begrüßen. Im ersten Moment weicht sie davor zurück – tritt dann aber wieder näher – und veranlasst auf diese Weise einen ungeschickten kleinen Tanz, der damit endet, dass beide nervös lachen. Er ergreift ihre Hand und drückt sie leicht. Die kleine Geste bringt ihr Herz nach all den Wochen aufgestauter Sehnsucht dazu, wild zu hämmern.

«Kommst du gerade von einem Bewerbungsgespräch?», fragt Kate.

«Einarbeitung mit meinem neuen Team. Ich habe meine alte Stelle zurückbekommen. Bei Allsom. Ich habe vor ein paar Wochen Ivan angerufen, und er meinte, ich sollte für ein Gespräch vorbeikommen.»

Vor Monaten hat Kate ihm ans Herz gelegt, sich um eine Stelle bei seiner früheren Firma zu bemühen. Er hat diese

«In der Datenbankintegration wurde eine neue Position geschaffen, mein Traumjob.»

«Oh, das freut mich wirklich sehr für dich. Das muss eine Erleichterung sein.»

«Um ehrlich zu sein, ja», antwortet er begeistert. «Mir war nicht klar, was es heißt, arbeitslos zu sein. Am Ende fühlt man sich recht nutzlos.»

«Dann geht’s dir jetzt besser? Du siehst gut aus.»

«Ich habe ein bisschen Gewicht verloren.» Er zuckt mit den Schultern. «Joggen. Täglich fünf Kilometer im Park.»

Die Nachricht von Nicks Fortschritten macht Kate zu schaffen. Anscheinend hat sie während dieser unendlich langen Wochen eine veraltete Nick-Version vor Augen gehabt und mit sich herumgeschleppt. In ihren Gedanken saß er verzagt auf dem Sofa – aber tatsächlich war sie von ihnen beiden die Verzagte und hat es nur mit Mühe geschafft, den Alltag aufrechtzuerhalten. Nick hat sich perfekt um sich selbst gekümmert, während sie nichts anderes getan hat, als ihre körpereigene Chemie mit allem zu verstopfen, was das Gegenteil von Endorphinen ist.

Sie sitzen da und sehen sich mit verwirrter Miene, aber durchaus liebevoll an. Warum herrscht dieses Chaos, wo sie doch beide so wirken, als wollten sie sich im nächsten Moment über den Tisch beugen und sich küssen und versöhnen?

Schließlich löst Kate den Blick, um sich in den Griff zu bekommen. «Nick – ich verstehe nicht, was in Frankreich passiert ist.»

«Ich verstehe es ja selbst nicht, Kate. Ich habe dich jeden

«Das weiß ich, Nick, aber was du getan hast, hat mich verletzt.»

«Kate, ich habe keine Ahnung von dem allen», sagt er und macht eine umfassende Handbewegung, als meinte er die Gesamtheit der menschlichen Existenz.

«Das weiß ich ebenfalls, aber keine Ahnung haben ist nicht harmlos. In Frankreich habe ich mich gefühlt, als wäre ich von einem fahrerlosen Wagen überrollt worden. Ich weiß, dass du bei dieser Sache nicht das Steuer gelenkt hast, Nick, aber du hast trotzdem auf dem verdammten Fahrersitz gesessen.»

«Ich war von dem, was ich gesagt habe, genauso überrascht wie du», antwortet er und sieht sie eindringlich an.

«Was hat das nun wieder zu bedeuten?», fragt sie. Verärgerung steigt in ihr auf.

«Ich hatte nicht vor, es zu sagen, wirklich nicht.»

«Aber du hast es gesagt, und du hast es auch nicht zurückgenommen.»

«Kate», sagt er und ergreift ihre Hand, «was auch immer geschieht, ich möchte dich nicht noch einmal verletzen. Aber ich weiß nicht, wie man das alles macht.»

«Nick, das weiß keiner, aber Liebe ist ein Akt des Vertrauens. Schau mal, meinst du nicht, dass jetzt eine gute Zeit sein könnte, einige deiner Probleme zu bearbeiten? Ohne deinen Eltern zu nahe treten zu wollen, kann ich sagen, dass sie dir ganz schön übel mitgespielt haben – wie manche Eltern. Aber du kannst professionelle Hilfe bekommen.»

«Es ist einfach so schwierig, über alles zu reden …»

Verzweifelt und ein wenig verängstigt schaut Nick sie an. Kate kommt es vor, als würde sie einem kleinen Jungen zusetzen. Wieso soll sie jetzt plötzlich die Böse sein?

Nick rutscht auf seinem Stuhl herum. Er hat sich wieder gefasst und sagt munter: «Ich hab’s geschafft, Karten für Radiohead im Roundhouse zu bekommen!»

«Was?»

«Ich habe fünf Stunden in der Schlange gestanden – ich weiß, dass du die Gruppe toll findest.»

«Was für ein schreiend auffälliger Trick, das Thema zu wechseln», sagt Kate ungläubig.

«Nein, es ist mir gerade wieder eingefallen – ich wollte es dir sagen.» Er nimmt seine Brieftasche heraus und will ihr die Karten in die Hand drücken. Sie schlägt sie weg.

«Nick – wir haben über uns geredet. Du kannst dieses Gespräch nicht einfach abblocken.»

«Aber ich weiß nicht, was ich unseretwegen tun soll.»

«Möchtest du, dass wir gemeinsam eine Chance haben?»

«Natürlich!»

«Dann geh zu einem Therapeuten. So bald wie möglich.»

«Du hast recht.» Er nickt. «Ich kümmere mich darum. Sobald in meinem Job ein wenig Routine eingekehrt ist.»

Kate schüttelt den Kopf. «Ich kenne dich. Du wirst es aufschieben und einen Bogen darum machen, wie du einen Bogen um alles schlägst, das unangenehm werden könnte.»

«Doch, ich tu’s, Kate. Ich weiß, dass ich das mit uns

«Solange du deine Probleme nicht löst, kann ich dich nicht in mein Leben lassen. Es ist vorbei. Ich gehe jetzt.»

«Nein, warte», sagt er und greift nach ihrem Arm. «Kate – du bist der Mensch, den ich am meisten liebe. Es tut mir leid. Bitte nimm wenigstens die Karten.» Erneut versucht er, ihr die Karten in die Hand zu drücken. «Der Auftritt ist nächsten Monat, und wir müssen nicht zusammen hin, du kannst mit Bailey gehen oder so. Ich möchte, dass du sie nimmst. Bitte. Ich habe im Regen angestanden …»

Widerstrebend nimmt Kate die Karten und steckt sie in ihre Handtasche. Sie erträgt es nicht, Nick hier allein zurückzulassen, denn er sieht plötzlich furchtbar verletzlich aus. Sie möchte die Arme um ihn schlingen und ihm sagen, dass alles gut wird, doch sie hält sich zurück und geht. Während sie über die Straße davoneilt, spürt sie, wie sein Blick ihr folgt.

Seine nächste SMS erreicht sie, noch bevor sie bei Rita angekommen ist:

Ich habe drei Therapeuten in der Nähe meines Arbeitsplatzes gefunden. Ich rufe sie gleich morgen früh an. Ich will meine Probleme lösen.

Kate schließt die Wohnungstür auf und lässt sich mit einem erleichterten Seufzer auf Ritas Sofa fallen. Nick wird sein Seelenleben in Ordnung bringen. Am Ende wird alles gut.