Kate musste Mrs. Gaffney um eine Sondererlaubnis der Küchenchefin Bernardette bitten, um die Zubereitung des Soufflés Donnerstagabend in der Küche vorführen zu dürfen. In letzter Zeit ist Kate länger als üblich im Büro geblieben, um ihren Eifer unter Beweis zu stellen, daher trifft sie gehetzt und ein wenig verschwitzt ein. Bernadette kommt ihr entgegen, eine eindrucksvolle Frau um die fünfzig, die ihr schwarz gefärbtes Haar in einem straffen Knoten trägt. Ihre Küche glänzt in makellosem Edelstahl, und in der warmen Luft liegt der nicht unangenehme Duft von frischem Gebäck und Zitronenreinigungsmittel.

«Sie sollten Mrs. Finn nicht verwöhnen», sagt Bernadette, während sie sich mit einigen Resten zu schaffen macht, sie mit Alufolie abdeckt und in den Kühlschrank stellt. «Ich habe jedenfalls keine Zeit, Soufflés auf Bestellung zu zaubern. Wir planen unsere Mahlzeiten Monate im Voraus.»

«Es ist ja eine einmalige Ausnahme», sagt Kate, die das Dutzend Stühle aus dem Speisesaal in einem ordentlichen Halbkreis vor der Küchentheke aufstellt.

«Wir servieren extrem ausgewogene, nahrhafte Mahlzeiten – alles wird täglich frisch zubereitet. Die Damen bekommen immer ihr Gemüse, ob sie es mögen oder nicht. Sie hatten heute Nachmittag einen leckeren Schinken-Pie zum Tee und zum Nachtisch Sommerfruchtsülze mit frisch geschlagener Sahne.»

«Mrs. Finn genießt das Meckern mehr als das Essen», sagt Bernadette. «Parkinson beeinträchtigt die Funktion der Geschmacksknospen, wissen Sie. Mrs. Paisner leidet ebenfalls darunter, hat aber den Anstand, sich nicht alle fünf Minuten zu beschweren. Einige Damen sind recht anspruchsvoll. Das hier ist aber kein Fünf-Sterne-Hotel.» Trotz der strengen Worte liegt in ihrer Stimme Wärme. «Gut, ich fahre jetzt zum Zumba, räumen Sie also bitte hinterher auf. Ich will morgen früh kein schmutziges Geschirr vorfinden. Und sollte Mrs. Finn Ihnen das Leben schwermachen, erheben Sie sich darüber – wie eines Ihrer tollen Soufflés.» Beim Lachen über ihren eigenen Scherz verzieht sich ihr Gesicht zu Falten.

 

Kate hätte nicht erwartet, dass Cecily noch unhöflicher sein könnte, als sie es am Sonntag war – aber wie sich herausstellt, ist sie dazu sehr wohl imstande. Nachdem die alte Dame das Soufflé eigens bestellt hat, macht sie sich heute Abend noch nicht einmal die Mühe zu erscheinen.

Während Kate die Schokolade geschmolzen und die Eier zu Schnee geschlagen hat, hat sie die ganze Zeit erwartet, dass Cecily mit einer neuen, aufregenden Beleidigung eintreten und einen großen Einzug halten würde. Jedes Mal, wenn eine Krankenschwester oder ein Pfleger vorbeikamen, hat sie sich neue Hoffnungen gemacht, doch als sie jetzt das Soufflé aus dem Ofen holt und sich erneut ihrem Publikum zuwendet, spürt sie einen Stich: Sie ist versetzt worden.

«Die Soufflés sehen köstlich aus», sagt Bessie. «Was sind Sie doch für eine geschickte Frau.»

In ihr macht sich Ernüchterung breit, während die Damen essen. Als sie fertig sind, ist es 20.40 Uhr. Cecily hatte erwähnt, sie hoffe bald zu sterben. Daraus, wie energisch die alte Dame bei diesen Worten die Kiefermuskeln anspannte, schloss Kate, dass sie nicht in Gefahr eines baldigen Ablebens stand und vermutlich alle einschließlich Kate überleben würde.

Den Abwasch wird Kate später erledigen, erst aber sollte sie sich bei Mrs. Gaffney erkundigen, ob mit Cecily alles in Ordnung ist.

 

«Sie hat eine Nachricht für Sie hinterlassen», sagt Mrs. Gaffney und schüttelt entschuldigend den Kopf. Als sie Kates geknickte Miene sieht, fügt sie hinzu: «Nein, nein, alles in Ordnung. Sie ist in ihrem Zimmer.» Sie reicht Kate einen Umschlag aus dickem cremefarbenem Papier. «Sie wird noch wach sein, falls Sie jetzt bei ihr vorbeischauen wollen. Zimmer dreizehn am Ende des Korridors.»

Im Umschlag steckt ein Gedicht, das in einer schnörkelreichen, eleganten Handschrift notiert ist:

Nur selten verstehen Gute und Kluge

So gut sich wie sie sollten.

Die Guten sind hart zu den Klugen,

Ihnen wird es mit Grobheit vergolten.

 

Zögernd bleibt Kate vor der Tür zu Zimmer dreizehn stehen, dann eilt sie in die Küche zurück, um ein Soufflé zu holen. Es ist inzwischen in der Mitte eingesunken, aber wenigstens kann sie beweisen, dass sie versucht hat, Mrs. Finn eine Freude zu machen. Allerdings bezweifelt sie, dass die alte Dame auch nur einen Anflug von schlechtem Gewissen empfinden wird.

Mit dem Dessertlöffel klopft sie leise an die Tür, dann lauter, weil Cecily nicht reagiert. Und dann noch ein drittes Mal. Schließlich ruft Cecily: «Was zum Teufel …?» Ein wärmeres Willkommen wird Kate wohl nicht bekommen.

Sie setzt ein Lächeln auf und betritt den warmen, hellen Raum – mit offenem Mund bleibt sie stehen, ihr gezwungenes Lächeln weicht einem vollkommen natürlichen. In Cecilys Wohnbereich steht ein schmales Bett und daneben ein kleiner Nachttisch aus Holz. Jedes andere Objekt, das man sieht, ist ein Buch. Jeder Zentimeter der Wand – vom Boden bis zur Decke – wird von Regalen eingenommen. Kate zählt an den Hauptwänden jeweils acht Regalfächer. Auch das große Erkerfenster, das auf den Garten hinausgeht, ist von Regalbrettern gesäumt. Kate erhascht einen Blick ins Bad und lacht entzückt auf. Über dem Waschbecken, wo normalerweise ein Spiegel hängen würde, sind ebenfalls Regalbretter angebracht, und sogar unter dem Waschbecken liegen Bücherstapel. Die Bücher sind grob nach Größe geordnet, die Buchrücken reichen von den verblichenen grünen und braunen Lederbindungen des 19. 

Cecily sitzt in einem beigefarbenen Ohrensessel hinten in der Ecke, den Rücken so gerade, als säße sie auf einem Thron. Auf einem Tabletttisch an ihrer Seite steht ein kleines tragbares Radio, daneben liegen ein schnurloses Telefon und eine Brille. Der starke, vertraute Duft von altem Papier und Tinte erinnert Kate liebevoll an das winzige Arbeitszimmer ihres Vaters, aber es liegt auch noch eine süßere Note in der Luft, die Kate als Chanel No. 5 identifiziert. Und tatsächlich, ein kleines Zugeständnis an etwas anderes als das geschriebene Wort ist eine schwarz-goldene Tube mit Körperpuder, die auf dem Nachttisch liegt.

«Ich staunte, als ich sah, wie all mein Wohlstand ward gefasst von solchem kleinen Raum …», sagt Cecily und macht eine Geste zu der Wand von Büchern hinter ihr. «Traherne, einer der Metaphysiker. Er wohnt im Badezimmer.»

«Das hier ist das schönste Zimmer, das ich je gesehen habe.» Kate schaut erstaunt zu den obersten Regalbrettern hinauf. «Ich könnte hier den ganzen Tag glücklich und zufrieden verbringen.»

«Nach meinem Neunzigsten bin ich in meinem reizenden, alten Zuhause in Finchley einige Male gestürzt. Nur unter der Bedingung, dass ich kurz darauf tot sein würde, war ich bereit hierherzukommen. Seit zweitausend und noch was Tagen sitze ich in dieser kleinen Schuhschachtel gefangen, umgeben von Büchern, die ich nicht mehr lesen kann. ‹Glücklich und

«Ich habe Ihnen Ihr Soufflé gebracht», sagt Kate und streckt Mrs. Finn das Dessert hin, doch diese wendet den Kopf ab, als wäre der Anblick abstoßend. «Ich bin überrascht, dass Sie heute nicht gekommen sind.»

«Ich bin müde», erklärt Mrs. Finn. «Außerdem hätte ich es nicht ertragen, mir nochmals eine Sitzung lang das Geplapper dieser Bessie Burbridge anhören zu müssen.»

«Bessie? Wie kann man denn Bessie nicht mögen?»

«Sie hat so eine dumme Art, sich lieb Kind zu machen.»

«Ich dachte, Maud sei diejenige, die Sie nicht mögen.»

«Diese aufgeblasene Angeberin mit dem Clownsgesicht? Ich habe Tee mit Ingrid Bergman getrunken, habe mir mit König Eduard VII. einen angezwitschert und habe in Harry’s Bar in Venedig Bellinis mit Richard Burton gekippt – oder mit seinem Doppelgänger, denn weil ich ziemlich angesäuselt war, bin ich mir nicht sicher –, aber ich lasse das nicht in jedem Gespräch fallen. Außerdem, warum sollte ich irgendeine dieser Frauen mögen?»

«Es würde Ihr Leben vielleicht einfacher machen.»

«Au contraire, es würde diese De-luxe-Müllkippe für Alte sogar noch unerträglicher machen. Also – was halten Sie von dem Gedicht?»

«Haben Sie es verfasst?»

Cecily schnaubt. «Ob ich es verfasst habe? Wohl kaum. Es ist von Wordsworth.»

«Wirklich?»

«Nicht dieser Wordsworth, eine andere Wordsworth, seine Großnichte Elizabeth. Nun?»

«Und wenn ich Ihnen sagte, dass tatsächlich ich es geschrieben habe?»

Kate lacht befangen. «Ich würde Sie durchaus für fähig und willens halten, mich auf diese Weise zu beschämen, aber ich vermute, dass Sie ein besseres Gedicht schreiben könnten.»

«Hmm», sagt Cecily und verzieht das Gesicht, um zu verbergen, dass sie sich insgeheim über das Kompliment freut. «Jedenfalls möchte ich jetzt zu Bett gehen, Sie können also aufbrechen. Ich wollte aber noch eines sagen: Sparen Sie sich die Mühe mit diesem halbgaren blödsinnigen Ehrenamt. Ich rieche aus einer Meile Entfernung, dass da etwas faul ist.»

«Entschuldigung?»

«Es ist Zeitverschwendung.»

«Nun, Sie haben ja schon mit den Füßen abgestimmt – den anderen Damen scheint es zu gefallen.»

«Die haben keine Ahnung von Essen, aber ich wollte sagen, es ist eine Verschwendung Ihrer Zeit.»

«Warum?»

«Sie leben bei Ihrer Mutter? Sie haben einen Job, den ein halber Affe mit einer halben Schreibmaschine in einer halben Stunde erledigen könnte? Kein Wunder, dass Sie ständig einen Ausdruck des Elends im Gesicht tragen.»

«Das stimmt nicht … oder?»

«Soweit ich das beurteilen kann, packen Sie Ihr Leben völlig verkehrt an und stolpern durch die Welt wie ein Furz durch ein Fass mit sauren Gurken», sagt Cecily.

«Sie sollten für alles dankbar sein. Sie haben die Freiheit, zwischen Möglichkeiten zu wählen, Ihre Augen sehen scharf, Ihr Mund tut seinen Dienst …»

«Genau wie Ihrer …»

«Sie sind jung und attraktiv und können duschen, ohne zu Ihrer Schande eine winzige Filipina mit ungeschickten Händen im Bad dulden zu müssen. Jedes einzelne Buch in meiner Bibliothek könnte in kyrillischer Schrift verfasst sein, so gut kann ich es lesen. Seit 2005 habe ich nichts mehr gegessen, was die Mühe wert gewesen wäre, und selbst wenn man vom Parkinson absieht, war jede hier servierte Mahlzeit ein Kriegsverbrechen. Jeder Mensch, den ich je geliebt habe, ist schon lange tot, und die anderen Bewohnerinnen? Jede ist auf ihre ganz eigene Weise unerträglich. Die einzige interessante Mitbewohnerin, Dora Bassett, ist im Mai an einer Lungenentzündung gestorben – dabei wäre ich als Nächste dran gewesen, Dora war erst zweiundneunzig!», erklärt sie wütend. «Ich entbehre schon viel länger, als einem Menschen zuzumuten ist, ein vernünftiges Gespräch, und so sage ich Ihnen rundheraus: Ich spreche, mit wem ich will und wie ich es will, aber wie dem auch sei, gehen Sie jetzt bitte, ich bin extrem müde.» Cecily schließt die Augen und atmet tief durch. Ihre knochige Brust hebt und senkt sich.

Mühsam atmet sie ein und aus. «Cecily, ist alles in Ordnung …», fragt Kate.

«Ich heiße Mrs. Finn. Und jetzt gehen Sie.»

Kate öffnet die Tür und geht, ihr Gesicht ist heiß vor

Kate steht vor der Küchenspüle und wäscht die Auflaufförmchen ab, noch immer von dem Gespräch verletzt, als sie Schritte hinter sich hört.

«Dann hatten Sie also ein interessantes Gespräch?», fragt Mrs. Gaffney mit kaum verhüllter Neugier.

Kate schüttelt den Kopf. «Tut mir leid, aber diese Frau ist verteufelt schwierig. Wie halten Sie es nur mit ihr aus?»

«Normalerweise hält sie es nicht mit uns aus. Fassen Sie ihr Interesse als Kompliment auf.»

«Eher schon bin ich Frischfleisch für sie», sagt Kate und stellt die letzten abgewaschenen Gegenstände auf die Abtropffläche.

«Sie hat mich gerade eben angerufen.»

«Ach ja?», fragt Kate und wischt sich die Hände an den Jeans ab. «Bestimmt hat sie sich nicht beschwert, dass ich schüchtern war.»

«Sie sagte, sie hätte gern, dass Sie sie Sonntag besuchen. Und dann sagte sie noch etwas über das Dressieren eines Affen.»

Kate schaut kopfschüttelnd in den Speisesaal und durch die Fenster in den Park. «Mrs. Gaffney, ich finde Mrs. Finn tatsächlich ziemlich boshaft.»

«Ach ja?»

«Ich denke, Mrs. Finn könnte die Gesellschaft mehr genießen, als sie sich anmerken lässt, und außerdem denke ich, auch Sie könnten von der Begegnung profitieren.»

«Ich möchte mir den Ärger ersparen.»

«Die Sache ist die … die Teilnehmerzahl an den Wochenenden ist so gering, dass Ihr Sonntagstermin nicht gerechtfertigt ist, und die Donnerstage allein sind wenig sinnvoll. Die Kochvorführungen sind also für uns nichts.»

«Wollen Sie mich erpressen?», fragt Kate lachend.

«Es wäre sehr nett von Ihnen. Cecily ist hier die Einzige, die nie Besuch bekommt.»

«Tja, das liegt daran, dass sie gemein ist.»

«Ich mache Ihnen einen Vorschlag – kommen Sie Sonntag und besuchen Sie Mrs. Finn, und wenn Sie der Sache dann nicht gewachsen sind …»

«Ich bin der Sache gewachsen. Ich will mich nur nicht damit abgeben.»

«… und falls es Ihnen keinen Spaß macht, rede ich nicht wieder davon.»

Kate legt das Geschirrhandtuch zusammen. «Ich schätze, darüber muss ich erst einmal nachdenken.»