Kate ist sich ziemlich sicher, dass sie vor Nick ein ganz passables Leben geführt hat, nur hat sie inzwischen verlernt, ohne ihn Spaß zu haben. Nachdem Rita am Samstag ihre Dienste verlangt hat und Kate bei Aldi eine Stunde für eine billige Duftkerze anstehen und dann das Protokoll der letzten Bewohnerversammlung tippen musste, verabredet sie sich mit Cara auf einen Drink in einer Bar in Soho.
Vor neunzehn Jahren haben sie beide am selben Tag bei Fletchers angefangen und sofort einen guten Draht zueinander gefunden, sie waren beide der Meinung, dass ein Supermarkt seine Milch anders anbieten sollte als in H-Milch-Tüten, die einem immer die Kleider vollspritzen. Cara ging schnell von Bord und führt jetzt eine angesagte Werbeagentur für Nahrungsmittel. Kate kann ihr nur ehrfürchtig zusehen.
Cara kommt zu spät, sieht aber tadellos aus – das dunkle Haar ist hinten zusammengefasst, und der weich verblendete Lidschatten ist perfekt konturiert. «Du schreibst doch nicht gerade diesem Arschloch eine Nachricht, oder?», fragt sie, als sie sich Kate gegenübersetzt und einen Schluck von Kates Wein nimmt.
Kate steckt ihr Handy in die Handtasche. «Er ist kein Arschloch, er ist verwirrt.»
«Was bringt dich auf diesen Gedanken?»
«Er hat es in Frankreich so gesagt. Und seit damals …»
«Vielleicht hat er es nur gesagt, weil er dich nicht verletzen wollte.»
«Er war gerade dabei, aus meinen Herzen Reibekäse zu machen, und da meinst du, er hat innegehalten, um mich zu trösten? Jedenfalls habe ich mich letzten Mittwoch mit ihm getroffen, und …»
«Warum triffst du dich denn mit einem verwirrten Schwachkopf?»
«Wir hatten ein sehr gutes Gespräch, und er wird seine Probleme bearbeiten.»
«Du bist verrückt, dass du überhaupt noch mit ihm redest.»
«Er ist in Panik geraten, zum Teil, weil er sich vor Nähe fürchtet, und zum Teil wegen Stress mit seiner Arbeit. Nick ist vollkommen unfähig zum Multitasking …»
«Oh ja, wie damals, als er deinen Geburtstag vergessen hat?»
«Das war keine große Sache.»
«Verfassen wir doch einmal eine Liste mit Nicks Minuspunkten – schubs ihn vom Podest, auf den du ihn gestellt hast», sagt Cara und nimmt sich einen Stift und eine Papierserviette. «Erstens – vergisst Geburtstage. Zweitens –»
«Cara, ich habe keine Lust, meinen Samstagabend auf diese Weise zu verbringen.»
«Spielt mit vierundvierzig noch auf der PlayStation», sagt Cara und kringelt die Zahl verächtlich ein.
«Es sind keine Ballerspiele, sondern er löst Rätsel – wie andere Kreuzworträtsel lösen.»
«Aber das Entscheidende ist, dass er sich lieber mit diesen Spielen beschäftigt, als Zeit mit dir zu verbringen.»
«Cara, du erwartest, dass ein Mann dich rund um die Uhr hofiert. Ich bin viel leichter zufriedenzustellen und akzeptiere, dass Nick Raum braucht.»
«Hör auf, ihn zu entschuldigen, und nimm hin, dass er nicht so besonders auf dich steht.»
«Herr im Himmel, das ist die größte Vereinfachung, die ich je gehört habe, und überhaupt nicht hilfreich. Dieser … Vorfall hat sich nicht bei einem ersten Date ereignet, sondern Nick hatte mich kurz zuvor gebeten, bei ihm einzuziehen. Es ist kompliziert.»
«Es gibt so viele Männer, die in Frage kommen. Dieser Typ dort im roten T-Shirt schaut ständig zu dir rüber.»
Kate macht sich nicht die Mühe, sich umzusehen. «Nick hat einen Fehler gemacht, er ist nicht perfekt. Ich kann bis zum Abwinken Listen darüber schreiben, wie er seine Zehennägel schneiden oder dass er mir mehr Blumen schenken sollte, aber Stift und Papier werden nichts daran ändern, dass ich ihn liebe.»
«Na gut.» Cara zuckt mit den Schultern. «Wenn du keine Lust hast, mit den heißen Männern zu reden, muss ich mich eben für uns beide ins Zeug legen.»
Um 22 Uhr knutscht Cara in einer Ecke der Bar mit einem kräftigen Dänen. Kate hat in einer anderen Ecke alle Hände voll damit zu tun, einen schwitzenden verheirateten Lustmolch aus Croydon abzuwehren. Da Cara absolut nichts dagegen hat, mit dem Dänen allein gelassen zu werden, fährt Kate nach Hause und verflucht ihre Entscheidung, Nicks Einladung zu Steak, Fritten und einer DVD ausgeschlagen zu haben.
Was Nick betrifft, liegt Cara vollkommen verkehrt. Seit ihrem Treffen hat er Kate ausführliche Nachrichten geschickt. Am Freitag hatte er eine phantastische erste Sitzung mit einem Therapeuten, und er wird ihn von jetzt an jede Woche treffen. Kate macht sich große Hoffnungen, dass er seine Probleme löst, aber es wäre dumm von ihr, die Beziehung sofort wieder aufzunehmen. Daher hat sie seine Einladung für heute Abend abgelehnt. Sie haben sich darauf geeinigt, einfach nur «Freunde» zu sein, während er mit sich selbst ins Reine kommt. Kate wird mitfühlend und geduldig sein, aber sicheren Abstand wahren, bis er weiß, ob er sich eine gemeinsame Zukunft wünscht. Wenn sie sich mit ihm austauscht, ihn aber nicht persönlich trifft, wird sie sicher nicht verletzt werden.
Am folgenden Morgen wacht Kate schlecht gelaunt auf. Cara geht ihr nicht aus dem Kopf. In dieser miesen Stimmung Mrs. Finn zu besuchen, wäre purer Masochismus, und außerdem ist Kate dieser Frau zu nichts verpflichtet. Nein. Sie wird absagen und ein gutes Buch lesen und vielleicht im Park eine Runde joggen.
Als sie gerade in ihren Jogging-Klamotten nach draußen gehen will, um Zigaretten zu kaufen, fängt Rita sie ab und besteht darauf, dass Kate sie zum Recyclinghof in Kentish Town begleitet, um eine alte Mikrowelle zu entsorgen. Der Ausflug fängt harmlos an, und Kate zieht eine kindliche Befriedigung daraus, das Krachen und Klirren von Glas und Metall zu hören. Doch sobald sie wieder in den Wagen steigt, behauptet Rita, sie brauche Kates Rat. Dabei will sie einfach nur tratschen. John Pring, das kleinkarierteste Mitglied des Bewohnerrats des Heathview-Gebäudes – einmal hat er Mrs. Ren, die einen Gehstock braucht, eine Parkerlaubnis verweigert, weil ihr Antrag einen Tippfehler enthielt –, hat sich wortreich über das Nagerproblem beschwert. Nach einer weiteren Begehung wurde am Freitag Mikhail, der Nachtportier, zu Mr. Pring gerufen und entdeckte ein riesiges Nest von Mäusekindern in einem Schrank, der von Mr. Prings vergilbten Pornozeitschriften aus den 1970er Jahren überquoll!
«Das ist total abstoßend», sagt Kate.
«Ich weiß es nur, weil Mikhail es Sonia erzählt hat, Gerrys Reinigungskraft. Aber da wir es jetzt alle wissen: Wie sprechen wir das Thema John gegenüber an?»
«Ach, geh einfach darüber hinweg, Mum.»
Doch damit wiegt sich Kate in einem Gefühl falscher Sicherheit. Ihre Mutter wirft einen Blick auf ihr eigenes Spiegelbild im Rückspiegel und lächelt. Kate ist alarmiert. «Gerry und ich sind der Meinung, es wird Zeit, dass du einmal zum Dinner mit Jeremy ausgehst. Wenn ich fünf Jahre jünger wäre, würde ich selber die Fühler nach ihm ausstrecken.»
Also doch! So harmlos ist dieser Ausflug nicht! «Äh, selbst wenn ich etwas für Jeremy übrighätte – was nicht der Fall ist –, möchte ich nicht, dass du mich mit jemandem verkuppelst.»
«Er hat eine ausgezeichnete Stelle. Er ist jetzt Verlagsleiter. Und zwar eines sehr großen Verlags.»
«Keines kleinen?»
Rita packt das Lenkrad fester.
«Schau mal, Mum, ich weiß zu schätzen, dass du mir helfen willst, aber bitte verkuppele mich nicht. Und sowieso brauche ich kein Date, mit Nick entwickelt es sich inzwischen gut.»
Rita zieht die Augenbrauen zusammen, und Kate wendet sich zur Seite und schaut aus dem Fenster. Sie hätte ihrer Mutter kein solches Infohäppchen zuwerfen sollen, das war ein echter Anfängerfehler.
«Du hast dich Mittwoch mit Nick getroffen, oder? Als du heimkamst, habe ich gleich gesehen, dass du ein schlechtes Gewissen hattest.»
«Ich hatte kein schlechtes Gewissen und sah auch nicht so aus. Ich war in Gedanken versunken. Er hat endlich wieder eine Stelle und ist bereit, eine Therapie zu machen. Bist du jetzt nicht zufrieden, hast du nicht endlich recht bekommen?»
«Was für eine Therapie?»
«Keine Ahnung – vermutlich die Sorte, bei der man auf einem Stuhl sitzt und über seine Mutter herzieht.»
Rita lacht bellend. «Ich habe immer gesagt, alles klänge danach, als hätte seine Mutter ihn emotional vernachlässigt.»
«Ich stimme zu, dass es der Fehler der Mutter war», sagt Kate spitz.
«Ach! Deinem Vater gibst du allerdings nie irgendeine Schuld, der ist heilig.»
«Wie nett von dir.»
«Du musst mir glauben, dass ich es so gut gemacht habe, wie ich konnte. Lies nach, was Winnicott über ausreichend gute Elternschaft schreibt. Das Buch steht in meinem Regal.»
«Dein Bücherregal ist ein ganzer Berg von Psycho-Blabla – wenn irgendeines dieser Bücher einem wehen Herzen helfen könnte, hätte es sich besser verkauft als Fifty Shades of Grey und Harry Potter zusammengenommen.»
«Darling, ich will ehrlich mit dir sein.»
«Bitte nicht.»
«Auf der Kübler-Ross-Kurve befindest du dich im Verhandlungsstadium deiner Trennung. Dieses Stadium kommt vor der Akzeptanz, aber inzwischen solltest du diese Phase eigentlich hinter dir haben. Nach dem Tod deines Vaters warst du genauso.»
«Manchmal braucht man eine Weile, um mit der Trauer fertigzuwerden», sagt Kate, die sich zwingt, den Köder ihrer Mutter nicht zu schlucken. «So oder so befinden Nick und ich uns nicht mehr in einer Trennungssituation.»
«Wahrscheinlich doch – nur in einer chaotischen, die sich in die Länge zieht. Nick wird sich nicht über Nacht ändern», sagt Rita und blinkt nach links, während sie nach rechts abbiegt. «Er führt seit vierundvierzig Jahren ein nicht gelingendes Leben. Es gibt keine Wunderheilungen. Er wird Jahre brauchen, um psychisch gesünder zu werden. Vielleicht wird er niemals ein vollständig entwickelter Erwachsener sein. Unterdessen solltest du das eine oder andere über Co-Abhängigkeit nachlesen.»
«Ich weiß, was Co-Abhängigkeit bedeutet – es bedeutet, dass man schwierigen Menschen gestattet, einen auszunutzen.»
«Du behauptest immer, dass Nick das Problemkind ist, aber er scheint mir absolut imstande, sich um seine eigenen Bedürfnisse zu kümmern.»
«Das liegt nur daran, dass er nicht weiß, was seine wahren Bedürfnisse sind.»
«Darling, da redet eine Co-Abhängige, wie sie im Buche steht. Du brauchst ebenfalls eine Therapie.»
«Das stimmt nicht … Ich brauche nur eines: dass Nick mich liebt.»
«Du verschwendest deine Energie an die falschen Menschen. Okay, ich fahre jetzt zu Selfridges, um diese Keilabsatzschuhe von L.K. Bennett zurückzugeben. Das Parken ist dort ein echtes Problem, du musst also im Auto sitzen bleiben, während ich schnell in den Laden springe.»
«Und das wäre ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass ich meine Energie an die falschen Menschen verschwende», sagt Kate triumphierend. «Außerdem bin ich bei jemandem zum Tee eingeladen.»
«Bei Nick?»
«Bei einer Person, die mich mehr braucht als du.»
Kate wartet auf die nächste rote Ampel, dann ergreift sie die Flucht und springt aus dem Auto. Mit dem Gefühl einer kleinen rebellischen Befriedigung schlägt sie den Weg nach Hampstead ein.
Sie war unhöflich zu Rita. Sie braucht gutes Karma. Nun ist sie unterwegs, um sich mit dem Drachen anzufreunden.