Während ihrer ersten Lektüre war es Kate nicht aufgefallen, aber nachdem sie nun Thought for Food zweimal von vorn bis hinten durchgelesen hat, begreift sie, dass Cecily aus diesem Buch zitiert hat und ihr scheinbar verwirrtes Gemurmel Sinn ergibt. Der Zwischenruf während der Vorführung mit dem Gooseberry Fool stammt aus dem Kapitel: «Dinner für die Verlobte des Sohns», und Cecily hat Coleridge zitiert. «Nicht hold ist sie dem äußerlichen Blick» – vermutlich weil im Menü dieses Kapitels ein Gooseberry Fool vorgeschlagen wurde. Und das Zitat, das Kate während ihrer zweiten Vorführung unangenehm berührt hatte – «Jetzt wach ich auf, ohn’ Trost, verbraucht und alt» –, entstammte einem Gedicht von Christina Rossetti, und als Menü für ein «Katerfrühstück» ist ein Sandwichtoast vorgesehen, in Verbindung mit einem guten Ratschlag: «Das dringendste Bedürfnis wird dem Kaffee gelten. Schwächere Gemüter sollten, falls sie aufrecht sitzen können, Bacon angeboten bekommen.» Wie wahr. Dieses Buch hat sich einen festen Platz in Kates Handtasche erobert; es ist ihre neue Bibel.
Für ihren nächsten Besuch wird Kate Cecily ein Rezept aus dem Buch backen, Kekse aus dem Kapitel «Tee für eine reizbare Tante – Ziel: Falls sie eine geliebte Tante ist, soll sie sich wertgeschätzt fühlen.» Kate ist weit von Liebe entfernt, aber sie würde Cecily gern eine Freude bereiten, und die Kekse klingen köstlich – Shortbread mit Kirsche und Mandel –, ein nussig-fruchtiger Geschmack mit einem lockeren, krümeligen Teig. Sollte Cecily das Gebäck nicht essen, wird Kate es verputzen. Nachdem wochenlang jedes Essen wie Asche geschmeckt hat, hat dieses Buch ihren Appetit wieder geweckt.
Trüge Cecily nicht eine andere Seidenbluse und eine neue Kameebrosche, würde Kate schwören, dass sie sich seit dem letzten Sonntag nicht aus dem Sessel gerührt hat. Mrs. Gaffney sagt, dass Cecily kaum je ihr Zimmer verlässt. Zusammen mit ihrem Appetit hat sie auch ihre Zuversicht verloren, sie setzt sich nicht in den Park und kommt nur ganz selten zu einer Veranstaltung – und das vermutlich nur, damit sie mittendrin gehen kann. Mit Sicherheit ist sie nicht aufgestanden, um ein Fenster zu öffnen – die Luft fühlt sich so an, als liefe die Heizung auf Hochtouren. Cecily allerdings sieht nicht erhitzt aus, sondern kühl und elegant, das Haar hat sie auch diesmal wieder zu einer tadellosen weißen Spitze gebürstet.
«Wie war die Woche, Mrs. Finn?»
«Ich lebe noch, oder?», antwortet Cecily mit finsterer Miene. «Bestellen Sie bitte Tee und Kekse, wären Sie so gut?»
«Nicht nötig», entgegnet Kate, nimmt die Tupperdose aus ihrer Handtasche und bringt stolz das Shortbread zum Vorschein. «Kirsche und Mandel …»
«Aus meinem Buch?», fragt Cecily mit einem Blick, den Kate fast als beeindruckt deuten könnte.
«Ja! Ich fand es großartig», antwortet Kate, zieht das Buch aus ihrer Handtasche und reicht es Cecily zurück. «So eines habe ich noch nie gelesen.»
«Behalten Sie es.»
«Nein, schon gut. Ich habe mir ein paar Ausgaben im Internet bestellt.»
«Man kann dieses Buch im Netz kaufen?»
«Mrs. Finn, im Netz kann man sogar Nuklearwaffen kaufen.»
«Behalten Sie es, bis die bestellten Bücher eintreffen. Ich bestehe darauf.»
«Danke.» Kate steckt das Buch in ihre Handtasche zurück. «Was ich fragen wollte: Ihre Mutter war offensichtlich eine tolle Köchin, und Sie sind in einem Süßigkeitenladen aufgewachsen. Wann haben Sie also …»
«Oh, ich durfte den Laden nie betreten. Er war ein verbotenes Paradies, was ihn nur umso verlockender machte. Einmal habe ich mich hineingeschlichen, um Sahnebonbons zu naschen, und zu viele davon vertilgt. Ich hatte eine schreckliche Angst, dass Papa es merken würde, und habe darum kleine Steine in das leere Bonbonpapier gewickelt.»
«Klingt wie das Rezept für eine Katastrophe.»
«Mrs. Milton hat sich einen Zahn abgebrochen! Ich spüre bis heute die harte Ohrfeige, die Papa mir verpasste», sagt sie und fasst sich sanft an die Wange. «Aber es war die Sahnebonbons wert.» Sie lacht. «Machen Sie die Tür auf?»
Kate nimmt der Pflegekraft das Tablett ab, serviert den Tee und beobachtet nervös, wie Cecily nach einem Keks greift. Cecily kaut langsam mit zusammengezogenen Augenbrauen, und als sie nahezu unmerklich nickt, spürt Kate Freude. Endlich ein Erfolg: Cecily isst etwas, das Kate zubereitet hat, und es scheint ihr zu schmecken.
«Ist Ihre Mutter eine gute Köchin?», fragt Cecily und tupft die Krümel weg, die sich auf ihrer Unterlippe gesammelt haben.
«Eine schreckliche, Essen bedeutet ihr nichts.»
«Dann würde sie mir auch nicht viel bedeuten», sagt Cecily, beißt zweimal schnell ab und streckt dann sofort die Finger nach einem weiteren Keks aus. «Hat Ihr Vater gekocht?»
«Dad? Der hat höchstens mal ein paar Brote mit Käse belegt.»
«Und wer hat Ihnen dann das Kochen und Backen beigebracht?»
«Ich mir selbst, wenn auch nicht gänzlich erfolgreich. Als ich acht war, haben meine Eltern an meinem Geburtstag mit mir einen Ausflug nach Chinatown gemacht. Wir haben gebratenen Reis mit Ei gegessen, superlecker, und in der Woche darauf habe ich bei Mum gebettelt, sie soll das doch einmal zum Abendessen zubereiten. Ihre Antwort war, ich solle es selbst kochen. Ich wusste bereits, wie man Rührei macht, es kam mir also nicht besonders schwierig vor. Ich habe den Reis gebraten und Erbsen und Ei hinzugefügt, aber Mum hatte mir nicht gesagt, dass ich den Reis erst hätte kochen müssen.»
Cecily kichert so heftig, dass ihr ganzer Körper bebt. Und Kate beglückwünscht sich insgeheim dazu, dass sie die alte Frau zum Lachen gebracht hat.
«Mum hat gewitzelt, ich hätte zwar Dads Aussehen geerbt, aber nicht seinen Verstand», fährt Kate fort. «In diesem Moment habe ich mir geschworen, ich würde lernen, mich selbst mit gutem Essen zu verköstigen. Und außerdem habe ich mir gelobt, wenn ich schon nicht so schön sein könnte wie meine Mutter, würde ich wenigstens niemals so grausam werden wie sie.» Kate hat diese Geschichte im Laufe der Jahre mehrmals zum Besten gegeben, und jedes Mal war sie erstaunt, wie gemein ihre Mutter war. Rita bestreitet ihre Rolle in dieser Geschichte eisern und behauptet, Kate litte unter falschen Erinnerungen, doch Kate weiß, dass es passiert ist, weil sie damals den Schmerz bis tief ins Herz spürte.
Cecily schweigt kurz und wendet den Blick zum Fenster. «Ich war nie auch nur annähernd so, wie mein Vater es sich gewünscht hätte. Das eine, was wir unseren Eltern nie vergeben können, ist ihr Gefühl, von uns enttäuscht worden zu sein.» Sie wendet sich mit einem hilflosen Lächeln zu Kate zurück.
«Haben Sie Lust, mir von Ihrem Mann, dem Spion, zu erzählen?»
«Heute nicht», antwortet Cecily. Sie zieht die Augenbrauen zusammen und bedeutet Kate, ihr Tee nachzuschenken. «Erzählen Sie mir mehr von diesem Mann, mit dem Sie zusammen sind.»
«Das möchte ich eigentlich nicht», antwortet Kate und sieht auf ihre Hände.
«Ich habe den Verdacht, dass Sie durchaus darüber reden wollen. Und auch wenn nicht: Ich habe trotzdem Lust auf eine Geschichte, vor allem auf eine, die katastrophal schiefläuft.»
«Es ist kompliziert», sagt Kate und richtet sich ungehalten auf. «Ich versuche, nicht daran zu denken.»
«Unsinn», gibt Cecily fröhlich zurück. «Wie heißt dieser Bursche, und sieht er gut aus?»
«Er heißt Nick, und ich zeige Ihnen sein Bild», sagt Kate und kauert sich neben Cecily nieder. Sie scrollt durch ihre Fotos. «Hmm, das hier ist das neueste …» Sie hat es an ihrem zweiten Tag in Frankreich aufgenommen, ein Selfie von ihnen beiden, wie sie mit Sonnenbrand auf der Nase auf ihren Liegestühlen ruhen. Ihre Gesichter sprechen von nichts als Glück, und doch war nur sieben Stunden später …
Dieses Foto zu betrachten, fühlt sich noch immer so an, als drückte man an einer offenen Wunde herum. Kate scrollt weiter zurück. «Ah, hier ist ein gutes.» Damals im Mai hatte sie darauf bestanden, dass Nick sich vom Sofa erhob, sein Kreuzworträtsel weglegte und mit ihr einen Ausflug nach Brighton machte. «Wir sind zur Küste gefahren, aber kaum waren wir da, wurde es kalt. Schließlich haben wir eine Pizza gekauft und sie während einer Sturmbö am Strand gegessen. Ich habe die Pizzaschachtel benutzt, um mich vor dem Wind zu schützen, aber am Deckel klebte noch Bacon, und ich habe nicht gemerkt, dass sich die Stücke in meinem Haar verfingen. Das Foto haben wir geschossen, als Nick gerade die Speckstücke aus meinem Haar gepickt und aufgegessen hatte», erzählt Kate und lacht, weil es so klingt, als wären sie zwei ziemlich unkultivierte Menschen. Auf dem Foto wendet sich Kate Nick mit einem angedeuteten Lächeln zu, das Gesicht aufwärts ihm entgegengeneigt. Er hat ihr den Arm fest um die Schulter gelegt und strahlt –in seinen grünen Augen steht ein Lachen.
Cecily sieht das Foto ungeduldig blinzelnd an. «Ich kann ihn nicht deutlich erkennen.»
Kate zoomt das Bild heran, bis Nicks lächelndes Gesicht das ganze Display füllt.
Cecily deutet auf das Foto. «Die Schläfen sind grau, doch der Geist wirkt kindisch.»
«Wie um Himmels willen wollen Sie anhand eines Handyfotos seinen Geist erkennen?»
«Ich kann es eben. Wie sieht die Lage aus?»
«Um eine lange Geschichte abzukürzen, er kommt mit Gefühlen nicht zurecht.»
Cecily zuckt mit den Schultern. «Das ist bei Männern nicht selten.»
«Genau, danke! Wir waren also anderthalb Jahre zusammen und haben uns glänzend verstanden. Wir haben viel miteinander gemein. Er hatte mich gerade gebeten, bei ihm einzuziehen. Aber dann sind wir ein paar Tage nach Frankreich geflogen, und plötzlich sagte er, er habe den Impuls, sich zurückzuziehen.»
«Was soll das bedeuten?»
«Eben, das ist es ja gerade. Er sagte, er wolle derzeit nicht mit mir zusammenleben. Es war unglaublich verwirrend.»
«Und dann?» Cecily beugt sich vor, als müsste gleich eine Enthüllung kommen. «Hat er etwas Spektakuläres unternommen, um es wiedergutzumachen?»
«Oh, Nick ist absolut kein Romantiker. Er denkt wissenschaftlich, analytisch, und er ist vielleicht sogar leicht autistisch. Er hat den größten Teil seines Lebens als Single verbracht.»
«Sind das schon die Punkte, die für ihn sprechen?»
«Er ist vollkommen rational und absolut nicht emotional – aber das ist in Ordnung so, ich habe genug Gefühle für uns beide. Schauen Sie, Mrs. Finn, ich glaube nicht an Märchen, ich brauche keinen Ritter auf einem weißen Ross. Er ist bereit, eine Therapie zu machen …»
«Oh nein. Nein, nein, nein. Machen Sie kurzen Prozess mit diesem Mann.»
«Eine Therapie ist für jemanden wie ihn ein schwerwiegendes Unterfangen, und bis dahin sind wir übereingekommen, einfach nur Freunde zu sein. Wir reden täglich miteinander, aber ich will mich erst wieder mit ihm treffen, wenn er sicher weiß, was er will.»
Cecily wischt Kates Erklärung beiseite. «Lächerlich – Freunde helfen einander und tun einander nicht weh. Jedenfalls ist das alles kein Grund zur Sorge; Sie sind nicht der erste Mensch der Welt, dem das Herz gebrochen wurde. Wenn diese Person emotional zu eingeschränkt ist, um Sie zu lieben, sollten wir einen Mann suchen, der es kann.»
«Was?»
«Es gibt mehr als einen Mann auf der Welt, der Pizza aus Ihrem Haar essen würde.»
«Mrs. Finn, haben Sie eigentlich eine Vorstellung, wie schwer es ist, heutzutage einen Mann kennenzulernen? Bitten Sie mich nicht, Ihnen Tinder zu erklären, Sie fänden es einfach nur fürchterlich, aber das Internet hat im Grunde genommen die menschlichen Beziehungen ruiniert. Dort im Netz läuft nichts normal. In London hält sich jeder über Vierzigjährige mit Bierbauch für berechtigt, eine attraktivere, jüngere Frau zu daten. Männer weisen absolut reizende Frauen zurück, weil sie nach unrealistischer Perfektion Ausschau halten, und sie machen sich vor, sie hätten eine ‹unbegrenzte› Auswahl. Und die Frauen klammern sich an diesen unbrauchbaren Männern fest, weil die Jahre schrecklicher Dating-Erfahrungen sie fertiggemacht haben.»
Cecily deutet verwirrt auf Kate.
«Nein, so sieht meine Situation absolut nicht aus», sagt diese. «Denn zum Glück habe ich Nick – er ist unglaublich intelligent, er kocht toll, er ist lieb …»
«Lieb? Einer Frau im Urlaub den Laufpass zu geben?»
«Er hat mir nicht den Laufpass gegeben. Im Alltag ist er eine sanfte Seele, er hat überhaupt nichts Boshaftes.»
«Und leider auch keine der entscheidenden Qualitäten.»
«Er hat einen Hauch von Zweifel über unsere Zukunft angedeutet. Das ist nicht unvernünftig», sagt Kate, die spürt, wie ihre Wangen rot anlaufen.
«Ich finde es unvernünftig. Der einzige Grund, Zweifel eines Mannes zu billigen, sind eigene Zweifel an ihm.»
Kate schweigt, während sie etwas sucht, womit sie erst sich selbst und dann Cecily davon überzeugen kann, dass das nicht der Fall ist.
Cecily starrt sie an, dann entspannen sich ihre Gesichtszüge. «Zu meiner Zeit hatte man schon jenseits der zwanzig die besten Jahre hinter sich. Papa war außer sich, in seinen Augen war ich eine ‹alte Jungfer›, eine Schande. Aber am Ende habe ich meinen Seelengefährten gefunden. Er war das Warten wert. Papa hatte mich dazu veranlasst, Lehrerin zu werden …»
«Sie waren Lehrerin?»
«In einem meiner vielen Leben. Papa hat mich dazu gezwungen. Er sagte, dann hätte ich wenigstens eine Pension, denn keiner werde mich heiraten, weil ich so unansehnlich sei.»
Kate rückt sich verlegen im Sessel zurecht, doch Cecily bleibt gefasst. «Wann immer ich zu einem Tanztee ging, sagte er: ‹Wenn irgendwer, der besser aussieht als eine Kröte, dich bittet, ihn zu heiraten, sag ja.›»
«Aber Sie haben am Ende geheiratet», meint Kate abwehrend.
«Und zwar einen Prinzen und keine Kröte.»
«Aber keinen echten Prinzen?», fragt Kate, die es für möglich hält, dass Cecily sich gleich auf Verwandtschaft mit einem Königshaus beruft.
«Jemand Besseren als einen Prinzen – einen Mann, der mir immer zur Seite gestanden hat.» Sie hält inne, um Kate genauer zu betrachten. «Tun Sie etwas für mich, Kate. Suchen Sie sich einen anderen Mann zum Ausgehen.»
«Was?»
«Hoffen und Warten machen uns zu Narren. Diese Amöbe, dieser Kerl …»
«Amöbe?»
«Hieß er nicht so?»
«Er heißt Nick», erwidert Kate und verkleckert ihre Untertasse mit Tee, als sie diese auf den Tisch zurückstellt.
«Er ist eindeutig unzulänglich. Er merkt gar nicht, welches Glück er hat. Suchen Sie sich einen besseren Mann.»
«Das kann ich nicht. Wir machen eine Beziehungspause, während er seine Probleme bearbeitet. Er möchte mich nicht erneut verletzen und ich umgekehrt ihn natürlich auch nicht. Wir verhalten uns verantwortungsbewusst. Ich glaube, dass er mich liebt – warum sollte er sonst seine Zeit mit mir verschwenden?»
«Seine Zeit geht mich nichts an. Ihre dagegen schon.» Cecily deutet warnend auf Kate. «Hat er irgendetwas fest zugesagt?»
«Er möchte mich im Dezember an meinem Vierzigsten zum Essen ausführen …»
Cecily schüttelt ungeduldig den Kopf. «Grundgütiger, wenn der Magen leer ist, ist es auch der Kopf. Hören Sie auf mich – Sie müssen Alternativen erkunden.»
«Selbst wenn ich ja sagen würde, schafft man es in London nicht, einfach so einen Mann kennenzulernen – die Leute verabreden sich nur noch via Handy-App.»
«Wieder Unsinn. Die Technik mag sich verändert haben, aber die Menschen haben es nicht. Unternehmen Sie am nächsten Wochenende etwas, irgendetwas, was Sie interessiert. Tun Sie etwas, was Ihnen Spaß macht, dann kommt alles andere von selbst. Gehen Sie in ein Museum oder im Hyde Park spazieren. Nächsten Sonntag möchte ich hören, dass Sie mit zumindest einem anderen Mann geredet haben. Das ist wirklich nicht viel verlangt, und, ganz ehrlich, ich habe es zwar nicht erwähnt, aber ich hatte in letzter Zeit heftiges Herzklopfen. Ich glaube nicht, dass ich den Oktober überlebe. Sie könnten mir diesen letzten Gefallen tun.» Cecily legt sich die Hand auf die Brust und gibt ein leises, wenig überzeugendes Stöhnen von sich. «Ich spüre es, es schlägt zu schnell. Es wird Zeit, dass Sie gehen.»
«Mrs. Finn, es ist doch alles in Ordnung mit Ihnen?»
«Ich werde mich erholen, aber nur, wenn Sie nächstes Wochenende Fortschritte zu vermelden haben.»
«Sie spielen das nur.»
«Sie könnten nicht mit Ihren Schuldgefühlen leben, falls Sie sich irren», entgegnet Cecily, während Kate bereits auf dem Weg zur Tür ist. «Gelegenheiten gibt es überall. Glauben Sie das einer Frau, die es weiß.»
Als Kate nach draußen geht, blickt ein Mann, der im Empfangsbereich sitzt, von seinem Handy auf. Er ist ein paar Jahre älter als sie, hat dunkelblaue Augen, sandfarbenes Haar und eine lange, schmale Nase. Er lächelt sie herzlich an.
In letzter Zeit hat Kate eine Menge männlicher Aufmerksamkeit genossen. Es liegt vermutlich daran, dass sie seit Frankreich vier Kilo abgenommen hat und ihr Bauch jetzt flach ist. Oder daran, dass sie so verletzlich aussieht. Sie ist die reinste Jungfer in Nöten, und darauf stehen manche Männer – bedauernswerte Männer, die sich zerbrechliche Frauen wünschen, damit sie sich stark fühlen können. Ihr ist überhaupt nicht der Gedanke gekommen, dass die Männer sie vielleicht anschauen, weil sie eine attraktive Frau in einem hübschen Sommerkleid ist und sie einfach, nun ja, Gefallen an ihr finden.
Kate erwidert das Lächeln des Mannes. Falls Cecily recht hat und die Welt voller Gelegenheiten ist – wenn man sich nur für sie öffnet –, wird er jetzt gleich ein Gespräch mit ihr beginnen und sie zum Ausgehen einladen. Das wäre dann Schicksal. Kate hält seinen Blick fest, möglicherweise zu lang, denn er macht schließlich ein verlegenes Gesicht und wendet sich wieder seinem Handy zu.
Wahrscheinlich schickt er einer Dreißigjährigen in Unterwäsche eine Tinder-Nachricht, denkt Kate auf dem Weg zur Tür.