Obgleich Kate nicht das geringste Verlangen hat, jemand anderen als Nick zu daten, beschließt sie nach einigem Nachdenken, das folgende Wochenende getreu Cecilys Anweisungen zu verbringen – nicht um einen Mann kennenzulernen, sondern um der manipulativen alten Dame zu beweisen, dass Letzteres unmöglich ist. Außerdem ist sie von dem Stillstand bei der Arbeit so verärgert, dass sie sich übers Wochenende Ablenkung wünscht.

Nick verbringt das Wochenende mit seinen Freunden Rob und Tasha auf einem angesagten Musikfestival in Sussex. Rob und Tasha, verschlossene Möchtegern-Hipster, sind die einzigen Freunde Nicks, die Kate nicht mag. Nick war so lange der alleinstehende Freund der beiden, dass sie in Kate die Yoko Ono sehen. Würde Kate also gezwungen, sich einem Test mit dem Lügendetektor zu unterziehen, würde sie noch einen dritten Grund einräumen, Cecilys Wunsch zu erfüllen: Sie ist etwas beunruhigt, weil Nick mit diesen Freunden unterwegs ist und seinen Spaß hat, während sie selbst noch immer in der Luft hängt und auf ihn wartet.

 

Vom Food-Bereich abgesehen hat Kate keine ernsthaften Hobbys, und ihr fehlt noch immer der Appetit, um ausgiebig zu kochen. Daher hat sie geplant, den Samstag mit ein wenig Essen, ein wenig Kultur und außerdem einem Mädelsabend zu verbringen.

«Ach, Babe, die Schlange vor dem Kaffee war so lang, dass ich nicht warten wollte», sagt sie mit einem transatlantischen Akzent und schiebt ihre schöne, ungewöhnlich volle Unterlippe vor. Sie wendet sich Kate mit einem neugierigen Blick zu. «Ich bin Yanika.»

«Hi, du Schöne», sagt ihr Freund und legt der jungen Frau den Arm um die Taille. «Diese Dame sagt, dass die Donuts hier phantastisch schmecken.»

«Ach, Babe, du weißt doch, dass ich das nicht darf», antwortet sie und tippt auf ihren nach innen gewölbten Bauch, dorthin, wo das kurze T-Shirt einen Streifen ihrer gebräunten Haut hervorblitzen lässt.

«Oh, Sie sollten sich das nicht entgehen lassen», entgegnet Kate. «Die Donuts sind die Kalorien wirklich wert, und außerdem haben Sie eine phantastische Figur.»

Die junge Frau lächelt schüchtern.

«Die Vanillecreme ist ein Traum», sagt Kate. «Gehaltvoll,

«Ich nehme vier», sagt ihr Freund zu dem Verkäufer. «Und dann noch einen in einer separaten Tüte.» Er reicht Kate den einzelnen Donut, als sie gerade selbst einen kaufen will. «Für Ihr Wissen über Vanillecreme. Danke.»

«Ach, das ist aber nett!», sagt Kate. Eins zu null gegen Cecily und ein geschenkter Donut obendrein – der Morgen hat perfekt begonnen.

Mit ihrem Donut in der Hand geht Kate ostwärts zur Bermondey Street. Es ist ein wunderschöner Tag, und sie erfreut sich daran, wie herrlich sich die rosa- und orangefarbenen Gebäude vor dem tiefblauen Himmel abzeichnen. Sie schlendert zum Maltby Street Market und stößt unter der Eisenbahnbrücke auf einen wunderbaren Gemüsehandel mit angeschlossener Metzgerei. In einem Geschäft für französische Spezialitäten kauft sie eine Flasche Wein für Rita und setzt sich dann in ein Café, um das Treiben zu beobachten. Düfte von gebratenen Falafeln und brutzelnden Zwiebeln ziehen vorbei. Rundum betrinken sich hippe Paare mit Gin und Craft Beer, doch Kate genießt einen tollen Sandwichtoast mit Käse, einen Kaffee und einen Roman von Stella Newman. Sie ist mit sich und der Welt zufrieden – kein Gedanke an die Arbeit oder an Nick macht ihr zu schaffen.

Um zwei Uhr nachmittags fällt Kate auf, dass sie bisher nicht viel unternommen hat, um Cecilys Diktat zu gehorchen. Daher beschließt sie, die angesagte Kunstgalerie in Bermondsey zu besuchen. Sie hat keine Ahnung, was es dort zurzeit zu sehen gibt, aber bei ihren früheren Besuchen war sie jedes Mal stärker

Mit in die Hüften gestemmten Händen mustert sie eines der Gemälde von nackten Frauen. Ein abstraktes Kunstwerk – sie holt unvermittelt Luft, als ihr auffällt, dass die orangefarbenen Linien, die sie angestarrt hat, weibliche Genitalien darstellen und der schwarze Gouache-Klecks daneben eine Küchenschabe.

«Wow, nicht wahr?»

Sie wendet sich um. Neben ihr steht ein Mann mit verschränkten Armen und mustert konzentriert die Leinwand. Er ist nicht unattraktiv – braune Augen, kurzes, dunkles Haar und Designer-Sneaker, die mehr gekostet haben müssen, als Kate in einer Woche verdient.

«Ja», antwortet Kate und lässt ihrerseits ein «wow» folgen, weil ihr sonst nichts Höfliches einfällt und der Ausruf des Mannes möglicherweise von aufrichtiger Bewunderung zeugt.

«Ganz außerordentlich», sagt der Mann, und Kate ist sich nicht sicher, ob er sich nur lustig macht.

«Sie haben das Bild nicht selbst gemalt, oder?»

«Ich? Guter Gott, nein. Ich bin ein Netzwerker, kein Künstler. Wissen Sie, wenn man ein solches Bild sieht, es ist so zwingend …» Er zuckt mit den Schultern.

«Stimmt.» Kate nickt. «Na ja, es ist immer schön, Insekten an ungewöhnlichen Orten zu entdecken», fügt sie hinzu, weil das spöttisch genug klingt, um ihn loszuwerden, ohne eindeutig unhöflich zu sein.

Anscheinend ziehe ich fremde Männer in peinlichen Situationen an, denkt Kate. «Meine Arbeit besteht darin, verschiedene Ausdrucksweisen für die Botschaft zu finden, dass Karotten knackig sind. Ein sehr spezieller Job. Im ganzen Land gibt es nur wenige, die die erforderlichen Fähigkeiten besitzen.»

«Das ist … cool?», sagt er und sieht sie bestätigungsheischend an.

Kate lächelt zum Abschied und tritt hastig zur nächsten Leinwand. Sie möchte keinen weiteren Kontakt zu diesem Mann, der ihr nach dem Mund zu reden scheint. Das Gemälde stammt von derselben Künstlerin und zeigt einen weiblichen Hintern mit einer Wespe, die sich der Gefahrenzone extrem genähert hat.

Anscheinend ist Micky kein Mann, der sich durch Sarkasmus abschrecken lässt. «Besonders relevant an dieser Künstlerin finde ich, dass sie keine Angst hat, Grenzen zu überschreiten», fährt er fort. «Guter Geschmack ist völlig überflüssig.»

«So hat es den Anschein. Ich bin wohl altmodisch, für einen Monet bin ich jederzeit zu haben.»

«Aber darum geht es ja gerade, das hier ist provozierend», sagt er flirtend. «Menschen fühlen sich mit Herausforderungen immer unwohl.»

«Mit einer Wespe am Hintern wäre ihnen noch unwohler», antwortet Kate und geht zur Tür, bevor er Zeit für eine Erwiderung hat. Wirklich, Cecily hat keine Ahnung, wie es hier zugeht.

 

Mit einem Gin Tonic vor sich sitzt Kate allein da und denkt an die Dates zurück, die sie unmittelbar vor der ersten Begegnung mit Nick hatte. Da war der Fernsehproduzent, der ununterbrochen redete und mit einem Halbmond weißen Pulvers um die Nase von der Toilette zurückkehrte. Als Kate ihn darauf hinwies, behauptete er, es handele sich um Feuchtigkeitscreme – ein zweites Date hatte es nicht gegeben. Dann war da der Quizmaster des Kneipenquiz im Pub bei ihr um die Ecke, der sie in ein Restaurant in Chinatown ausführte, wo man ihr Tiefkühlteigtaschen mit Fleischfüllung dubioser Herkunft servierte. Als er merkte, dass Kate nicht mit ihm schlafen würde, nannte er sie verklemmt und behauptete, er habe seine Brieftasche verloren, als sie die Rechnung erhielten – nie wieder Pubquiz für Kate.

Als Cara und der Däne endlich eintreffen, sehen sie aus, als hätten sie sich gerade aus dem Bett gewälzt. Während der Däne an der Theke Getränke besorgt, flüstert Cara ihrer Freundin aufgeregt zu: «Ich ziehe zu ihm.»

«Was? Du kennst ihn doch erst seit zwei Wochen

Cara wirft mit einer schnellen Kopfbewegung ihr Haar zurück. «Wenn man in unserem Alter ist, weiß man, was man will. Warum dann nicht einfach dranbleiben?»

«Aber was für vierzehn Tage!», sagt Cara, und ihre braunen Augen funkeln. «Wir haben jede Nacht gemeinsam verbracht. Er bewohnt ein unglaublich schickes Penthouse in Chelsea. Gestern Abend haben wir nackt auf der Dachterrasse gesessen und Champagner getrunken … und der Sex erst!» Bei diesen Worten zieht sie die Augenbrauen bis fast zum Haaransatz hoch.

Kate weiß nicht, ob sie Magendrücken hat, weil die Geschichte mit Caras Freund zu gut klingt, um wahr zu sein – schließlich will sie nicht, dass ihre Freundin verletzt wird –, oder ob sie es nicht erträgt, mit diesen sexlüsternen Turteltauben den Abend zu verbringen. Jedenfalls muss sie sich lange vor der Sperrstunde verabschieden, weil sie Sorge hat, der Funke, der zwischen Cara und ihrem Dänen hin und her springt, könnte etwas noch Entflammbareres in ihrem Inneren in Brand setzen.

Jetzt wartet sie an der Bushaltestelle am Old Street Roundabout in der Schlange. Die Lichter und die Leuchtreklame der Läden und Werbetafeln tauchen den Nachthimmel in ein mattes, gelblich graues Licht. Der Verkehr steht still. Überall sind Leute, Paare, die sich nach einem Date auf dem Heimweg befinden, und Nachtschwärmer, die jetzt erst losziehen. Wie viele Menschen mögen allein in dieser Schlange, in der sie steht, noch an wahre Liebe glauben? Oder ist das eine Phantasie, die einem beim Älterwerden durch Schicksalsschläge ausgetrieben wird?

Zu Hause im Bett zwingt Kate sich dazu, eine Liste mit Punkten zusammenzustellen, für die sie dankbar ist: ein total

Sie stellt sich Cecily vor, wie sie zwischen ihren von Büchern gesäumten Wänden festsitzt. Cecily könnte keinen dieser Punkte auf eine Liste setzen; sie war gewiss wieder nicht draußen, um die Sonne zu genießen. Sie beschränkt sich auf ihr Zimmer und lebt von Erinnerungen. Kate hat Glück – selbst wenn sie es nicht ständig fühlt. Sie hat noch immer eine Zukunft voller Möglichkeiten vor sich. Sie muss einfach nur herausfinden, wie diese aussehen könnten und wie sie sie wahr werden lassen soll.