Rita hat für Sonntagmorgen eine Notfallsitzung einberufen. Denn Berichten zufolge wurden Samstagabend zwei hiesige Jugendliche von Mr. Pring beim Rauchen von etwas entdeckt, was «wie eine Marihuana-Zigarette» aussah. Mr. Pring befürwortet eine Null-Toleranz-Politik gegenüber allem außer Vintage-Pornographie und besteht darauf, dass die Bewohnerversammlung darüber spricht, wie und wann man die örtliche Polizei informieren sollte.
Kate ergreift die Flucht und macht sich auf den Weg zum Aposta, um einen Kaffee zu trinken. Als sie dort ankommt, will sie schon wieder gehen – das Café ist voller verliebter Paare, die sich auf den Sofas fläzen und sie daran erinnern, wie sie sich sonntagmorgens an Nick kuschelte – aber das ist lange her, und sie muss diese Gedanken verbannen. Während sie jetzt hier ist, wacht Nick vermutlich gerade verkatert in einem Zelt mit seinen idiotischen Freunden auf und sehnt sich kein Stück nach ihr, weil es ihm so viel besser als ihr gelingt, im Hier und Jetzt zu leben.
Nachdem sie sich einen Kaffee bestellt hat, lässt sie sich mit der Sonntagsbeilage einer Zeitung in einem niedrigen Ledersessel hinten im Raum nieder. Wow, als Vertreterin zeitgenössischer Weiblichkeit ist sie ein totaler Flopp. Sie sollte besser Grünkern essen und ihre Samstage damit zubringen, in Metallic-Leggins ihr eigenes Körpergewicht zu stemmen. Entsetzt wirft sie die Lifestyle-Beilage auf den Couchtisch, wo sie sofort ein Mann ergreift, der ein paar Plätze weiter sitzt. Sie blickt auf und schaut etwas genauer hin – sie kennt ihn aus einer Komödie, die letztes Jahr auf Channel 4 lief. Er besetzte zwar nur eine Nebenrolle, legte jedoch zu einem Song von Shakira einen schreiend komischen Tanz in Glitzerlederhosen hin. Nick war damals so begeistert, dass sie die Stelle ein Dutzend Mal zurückspulten und erneut schauten. Wenn Nick nackt aus der Dusche kommt, ahmt er diesen Tanz manchmal nach – nicht zuletzt deswegen grinst Kate zunächst breit und spürt, wie sie heftig errötet.
Der Mann erwidert ihr Lächeln. Er hat eine Glatze und durchdringende blaue Augen. Zur Levi’s trägt er ein schwarzes T-Shirt, sein Selbstbewusstsein und Lächeln machen ihn unglaublich sexy. «Ich hoffe doch, dass Sie das Horoskop nicht aus der Beilage gerissen haben», sagt er. «Ich muss wissen, was die Sterne laut Shelley von Strunckel für mich in petto halten.»
«Falls Sie Schütze sind, ist es Zeit für ein neues Kapitel in Ihrem Liebesleben, meint Shelley. Sagen Sie ja zu einem faszinierenden Angebot aus einer unerwarteten Richtung», erklärt Kate, und ihr Gesicht wird noch heißer.
«Woher wissen Sie, dass ich Schütze bin?», fragt er mit echter Überraschung in der Miene.
«Oh, wir haben das gleiche Sternzeichen?!»
«Ich bin Martin», sagt er, streckt seine Hand aus und hält die ihre ein wenig länger als nötig fest.
Ja, stimmt, so heißt er. Martin und irgendein italienischer Nachname – du meine Güte, sie muss sich furchtbar beherrschen, um ihn nicht um ein Selfie zu bitten und es sofort Nick zu schicken.
«Ich heiße Kate.»
«Kate, ich glaube nicht, dass ich dich hier schon einmal gesehen habe. Bist du aus der Gegend?»
«So halb und halb. Und du?»
«Ich wohne in Richtung Archway. Ich mag dieses Lokal sehr, sie haben tollen Kaffee. Manchmal komme ich zum Arbeiten hierher.»
«Was für eine Arbeit machst du denn?» Eine blöde Frage! Es wird kaum zu übersehen sein, dass sie ihn wie einen Star anhimmelt, aber irgendwie erscheint es ihr noch peinlicher zuzugeben, dass sie ihn ein Dutzend Mal bei seinem Shakira-Lederhosentanz beobachtet hat.
Er zuckt mit den Schultern und schaut sie mit einem lässigen Gesichtsausdruck an. «Ach, ein bisschen von allem: Schauspielerei, Comedy, aber inzwischen schreibe ich überwiegend. Letztes Jahr habe ich als Co-Autor eine Fernsehserie und eine Pilotversion entworfen, derzeit schreibe ich für HBO. Ich weiß nicht, ob etwas daraus wird, aber du weißt ja, heutzutage landet der ganze gute Stoff im amerikanischen Fernsehen. Und was machst du, Kate?»
«Ich bin ebenfalls Autorin, und vielleicht kennst du mein Werk sogar. Mein letztes großes Projekt war das Kleingedruckte auf einer Auswahl von Fletchers’ Schweinefleisch-Pies.»
Er lacht entzückt. «Das ist das Witzigste, was ich je gehört habe.»
«Es ist leider wahr.»
«Deswegen ist es ja so witzig, Schatz.»
Als er sie Schatz nennt, schlägt etwas in Kates Bauch einen kleinen Purzelbaum.
«Deine Augen … Du hast einen sehr eindringlichen Blick, Kate. Wahnsinnig nachdenklich, als ginge in deinem Kopf eine Menge vor sich.»
«Lass dir sagen, Martin, Verpackungen für Schweinefleisch-Pie beschriften sich nicht von selbst …»
«Ich verstehe, du bist eine tiefgründige Denkerin. Und du hast diese tollen haselnussbraunen Flecken um die Pupillen.»
Kate errötet. Nick hat etwa ein Jahr gebraucht, um sie zu entdecken.
Martins Handy piept, er wirft einen Blick darauf und nickt. «Was hast du heute Nachmittag vor?»
«Ich? Wieso?»
«Ich habe eine Karte übrig für eine Show von einem Kumpel von mir. In einem Pub in Crouch End. Hast du Lust?»
Kate holt tief Luft. «Ich habe keine Zeit.»
«Was könnte mehr Spaß machen, als mit mir zu einer Comedyshow zu gehen?»
«Ich bin zu einem Besuch bei einer knurrigen siebenundneunzigjährigen Dame in Hampstead verabredet.»
«Irgendeine knurrige alte Dame oder deine Großmutter?»
«Nein, sie ist nicht verwandt. Und mit knurrig tue ich ihr unrecht – sie ist cool. Na ja, sie ist interessant. Sie ist eine von denen, die ungefiltert reden.»
«Wow, du bist hübsch und gut – so eine Art sexy Mutter Teresa. Okay, ich muss los – gib mir deine Nummer, dann gehen wir diese Woche aus.»
Kate zögert. Sollte sie sagen, dass sie einen Freund hat? Aber das stimmt ja nicht, sie befindet sich in einer Situation … «Äh, das klingt jetzt ein bisschen komisch, aber im Moment mache ich gerade eine Beziehungspause.»
«Perfektes Timing.»
«Na ja, es ist nur so …»
«Lebst du mit diesem Mann zusammen?»
«Nein …»
«Habt ihr derzeit, du weißt schon …» Er lächelt und schnalzt mit der Zunge.
«Das ist eine ziemlich persönliche Frage! Aber nein, wir sind vorläufig einfach nur Freunde.»
«Schau mal – wir gehen in eine Galerie, trinken einen Kaffee, keine große Sache. Du darfst doch mit anderen Männern reden, oder? Er ist doch nicht der Typ, der mich gleich ersticht?»
Vielleicht mit seinem Kreuzworträtsel-Bleistift, denkt Kate. «Wir schauen uns einfach nur Kunst an, richtig?»
«Genau, das ist ein Ja, oder? Das Leben ist zu kurz, um sich keinen Spaß zu gönnen.»
Kate unterdrückt ein Lächeln, als sie Martin ihre Kontaktdaten gibt. Cecily wird sich freuen.
Und Kate freut sich insgeheim ebenfalls.