«Ich hab es Ihnen ja gesagt», bemerkt Cecily und wedelt so schwungvoll mit der Hand wie ein Stierkämpfer. «Dieser Mann befand sich direkt vor Ihrer Nase. Sie sollten auf Ihre gute Fee hören.»

Kate lächelt verlegen. «Es ist ein reiner Glückstreffer, Mrs. Finn. Mich hat noch nie jemand in einem Café angesprochen. Natürlich bin ich geschmeichelt. Und Martin ist sehr attraktiv, aber ich bin emotional an Nick gebunden. Es kommt mir wie Untreue vor. Und ich habe versucht, Ihnen zu erklären, dass Nick …»

«Oy vey, wenn man Ihr Gehirn einem Huhn einsetzte, würde es direkt zum Schlachter rennen», sagt Cecily und schlägt mit der Faust so kräftig auf den Tisch, dass ihr Tee überschwappt. «Sie werden mit diesem Mann ausgehen. Sie werden Ihren Spaß haben und Amöbe nicht erwähnen. Dann treffen Sie sich erneut, und Sie bereiten ihm das ‹Dinner für einen charmanten Fremden› zu …»

«Moment mal.» Kate unterbricht Cecily. «Wollen Sie mein Leben von jetzt an dirigieren? Sie sagten doch, sie seien vor Ablauf des Monats tot. Sehr weit kommen wir also auf diese Weise nicht, oder?»

«Ich bin bereit, noch einige Wochen länger zu bleiben, weil ich es nicht ertrage, wenn eine intelligente Frau so dumm ist.»

Kate sieht Cecily an und schüttelt den Kopf. «Was soll denn das heißen?»

«Ich rede mit einem einzigen, zufällig dahergelaufenen Mann in einem Café, na und? Das ist kein Grund, mein Leben dermaßen mieszumachen.»

«Nennen Sie das ein Leben?»

Kate seufzt. «So schlecht ist es nicht.»

«Wenn ich die Möglichkeiten hätte, die Sie haben …»

«Was dann?»

«Dann wäre ich mutig. Ich würde alles machen, alles. Die Welt erkunden! Wie alt sind Sie?»

«Neununddreißig fünf Sechstel Jahre», nuschelt Kate.

«Genau – als ich vierzig wurde, hatte ich bereits siebenunddreißig Länder gesehen. Mit fünfzig hatte ich drei angesehene Berufe, und als ich mit achtundsechzig in Rente ging, sind wir zu Machu Picchu gewandert. Das Leben ist genauso lang, wie es kurz ist.»

«Was soll denn das bedeuten?»

«Es bedeutet: Finde das, was deine Seele nährt, entdecke deine Fähigkeiten – lebe dein Leben gut.»

Kate hat viele Nächte im Bett gelegen und das Gefühl gehabt, nichts mit ihrem Leben angefangen zu haben, aber seit sie sich in Nick verliebt hat, sind diese Gefühle vergangen. Sie betrachtete eine glückliche Beziehung gewissermaßen als die Ziellinie eines Marathonlaufs.

«Ich gehe ein Mal mit Martin aus», sagt Kate und verschränkt die Arme vor der Brust, als müsste sie sich vor Cecily schützen.

«Schön – immer ein Schritt nach dem anderen, wenn Sie der ängstliche Typ sind.»

«Mit einem Esel soll man nicht Schach spielen und sicher nicht noch ein zweites Mal», sagt Cecily und zieht entsetzt den Kopf zurück.

«Ist das wieder eine Metapher, Mrs. Finn?»

«Diese Frage ist zweifellos rhetorisch», antwortet Cecily und runzelt verwirrt die Stirn. «Nun, ich denke, Sie können es so oder so sehen.» Sie greift achselzuckend nach einem weiteren Shortbread. «Wenn man sich mit einem langohrigen Sturkopf misst, kann es nicht gut gehen.»

Kate hat keine Lust auf Metaphern und noch weniger auf Cecilys kryptischen Unsinn. «Noch Tee?», fragt sie und greift nach der Kanne. «Helfen Sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge, Mrs. Finn, was sieht das Menü beim ‹Dinner für einen charmanten Fremden› vor?»

«Boeuf aux Champignons und zum Dessert Torrone Molle – eine Nougatmasse, die man im Voraus zubereitet, sodass man am Abend mehr Zeit darauf verwenden kann, verführerisch zu sein. Ich habe diese Nachspeise während unserer Flitterwochen in Italien zubereiten gelernt, da habe ich also ein bisschen geschummelt, aber trotzdem …»

«Wie kommt es, dass Sie sich an jedes Menü aus dem Buch erinnern?»

«Ich erinnere mich fast an jedes bedeutsame Essen meines Lebens.»

«Sie haben ein erstaunliches Gedächtnis. Äh, was meinen Sie mit Ihres Lebens?»

«Das ‹Dinner für einen charmanten Fremden›? Es ist die erste Mahlzeit, die ich Samuel je zubereitet habe – oder

«Moment mal, ich dachte, Samuel war Ihr Mann?»

«Mein Mann und mein bester Freund.»

«Ja, sicher, aber Moment», wiederholt Kate und rechnet stumm. «Sie waren beinahe vierzig, als Sie ihn kennengelernt haben?»

Cecily runzelt verärgert die Stirn. «Das habe ich nie gesagt. Ich war zwanzig, als wir geheiratet haben. Papa hätte mich in ein Kloster geschickt, wenn ich noch viel länger gewartet hätte.»

«Das Buch wurde 1957 veröffentlicht, nicht wahr? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie mir eine Erstausgabe geliehen haben. Das Buch mit dem Cover in Rosa und Gelb?»

«Es gab nur eine einzige Ausgabe, was wirklich schade ist.»

«Thought for Food wurde 1957 veröffentlicht, aber damals waren Sie schon mit Samuel verheiratet?»

«Die Hochzeit war mehr als zwei Jahrzehnte früher. Wie kommen Sie zu Ihrer falschen Vorstellung?»

«Na ja, wie kann die erste Mahlzeit, die Sie für ihn gekocht haben, aus einem Buch stammen, das erst gut zwanzig Jahre nach dieser Mahlzeit veröffentlicht wurde?»

«Reden Sie über mein Buch?», fragt Cecily und wirft Kate einen fragenden Blick zu.

«Also, das klingt jetzt wirklich wie eine rhetorische Frage», sagt Kate völlig verwirrt.

«Das Buch ist eines meiner eigenen Bücher», sagt Cecily, als erwartete sie mehr von Kate.

«Warum reden Sie so, als wäre ich der Trottel hier im Raum? Warum, meinen Sie wohl, habe ich Ihnen das Buch geliehen?»

«Sie sagten mir, ich solle jedes beliebige Buch auswählen. Sie glaubten, ein Kochbuch würde mich aufmuntern.»

«Sie haben das Buch nicht ausgewählt, Sie Dumme, das Buch hat Sie gewählt. Ich habe das Buch für Sie ausgewählt, ich habe das verdammte Ding geschrieben!»

«Was?»

«Ich. Habe. Das. Buch. Geschrieben.»

«Aber … Nein, Sie – aber …. Was?», fragt Kate und versucht, aus Cecilys Miene zu deuten, ob diese sie auf den Arm nimmt oder nicht.

Cecily stößt Luft aus und sieht sich nach links und rechts um, als suchte sie Unterstützung. «Eine von uns beiden hat während dieses Gesprächs einen Schlaganfall erlitten, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es nicht bin.»

Kate sperrt den Mund auf und bewegt die Lippen, doch im Kopf ist sie noch nicht so weit.

«Junge Dame, warum fällt es Ihnen so schwer, das zu verstehen?»

«Weil ich davon ausgehe, dass Sie diese Tatsache schon früher erwähnt hätten! Weil Sie nicht Esther Shavin heißen. Oder vielleicht doch? Waren Sie ebenfalls eine Spionin?»

«Herr im Himmel, es ist einfach ein Pseudonym. Esther

Kate schüttelt den Kopf. «Und ich hatte mich schon gefragt, wie es kommt, dass sie alle Seitenzahlen auswendig kennen.»

Jetzt ist Cecily diejenige, der die Worte fehlen. «Sie haben wirklich geglaubt, ich könnte mich an jedes Wort jedes Buches in diesen Regalen bis hin zur Seitenzahl erinnern?» Sie stößt ein schrilles Lachen aus. «In dem Fall hätten Sie die Erlaubnis, mich an einen Zirkus zu verkaufen. Sie würden etwas Geld verdienen, und ich könnte vor meinem Tod noch einen Elefanten reiten.»

«Sie haben also dieses Buch geschrieben und außerdem ein Kinderbuch und mehrere Drehbücher für Filme?»

«Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich in Hollywood war. Dachten Sie etwa, das wäre geflunkert?»

«Wie kommt es denn, dass Sie in Hollywood waren?»

«Oh, man hat sich für ein Remake eines der Filme interessiert, für die ich das Drehbuch geschrieben hatte: The Man Who Liked Funerals. Wir sind 1968 hingeflogen, und ich hatte wochenlang endlose Besprechungen mit den Managern des Filmstudios. Sie versprachen, dass Peter Sellers die Hauptrolle übernehmen würde, aber dann fiel das Projekt durch. So ist es in dieser Branche oft. Zum Glück hat Samuel mir zur Seite gestanden. Wenn ich abends zutiefst niedergeschlagen in unser Motelzimmer zurückkehrte, hat er mich jedes Mal zum Lachen gebracht und mir klargemacht, dass ich ein Glückspilz bin», erzählt sie mit einem Seufzer.

«Also, Moment mal – können wir zu Thought for Food

«Ich hatte Sie für intelligenter gehalten.»

«Oder Sie haben mich absichtlich hinters Licht geführt … wie viele Bücher haben Sie verkauft?»

«Ich habe kein Vermögen verdient, aber doch genug, dass wir gut essen und die nächsten zehn Jahre in Italien verbringen konnten.»

«Es muss ein Bestseller gewesen sein.»

«Überhaupt nicht. Aber nach der Veröffentlichung des Buches hatte ich eine große Sehnsucht danach, nach Italien zurückzukehren. Samuel und ich hatten unsere Flitterwochen dort verbracht, es war das Land, in dem wir am glücklichsten gewesen waren. Wir fuhren nach Rom und beschlossen, eine Weile zu bleiben. Aus der Weile wurde dann beinahe ein Jahrzehnt. Ich schrieb dort ein weiteres Buch, und als das Geld allmählich knapp wurde, fing ich mit Drehbüchern an. Innerhalb Italiens zogen wir ein paarmal um, Genua, Florenz, Palermo …»

«Wie wunderbar! Und was hat Samuel in dieser Zeit getan?»

«Wir haben damals nicht üppig gelebt, es war schlicht und schön. Der Sonnenschein, diese phantastischen Wochenmärkte und die umwerfende Architektur. Ich schrieb tagsüber und kochte am Abend, es war ungeheuer belebend. Erst als mein erstes Drehbuch als Film produziert wurde, sind wir nach England zurückgekehrt, und dann war da noch die gescheiterte Hollywood-Erfahrung. Wie dem auch sei, da Sie nun wissen, dass ich die Autorin des Buches bin, werden Sie es hoffentlich weise benutzen.»

«Eine Prise poetische Freiheit hier und da», antwortet Cecily kokett und reibt die Finger zusammen, als gäbe sie mehr Salz in die Suppe.

«Welche Teile stimmen denn? ‹Dinner für die Verlobte Ihres Sohnes› – haben Sie einen Sohn?» Kate war davon ausgegangen, dass Cecily keine Familie besaß, aber vielleicht waren sie zerstritten, was nicht besonders überraschend wäre.

«Wir hatten keine Kinder. Es war ein Essen, das meine Schwiegermutter Shindel für mich zubereitet hat.»

«Ah, Sie haben also die Perspektive gewechselt. Was gehörte noch einmal zum Menü?»

«Ein Gooseberry Fool zum Nachtisch und eine Ermahnung, das Kochen ernst zu nehmen.»

«Mrs. Finn, erzählen Sie mir, wie Sie Samuel kennengelernt haben? Es klingt, als wäre er ein wunderbarer Mann gewesen.»

«Ja, ja, ein andermal», antwortet Cecily und gähnt lang und ausgiebig. «Ich bin müde, und Ihre Dummheit erschöpft mich.»

«Wieso sind Sie manchmal so gemein?»

«Weil ich eben manchmal so bin», erwidert Cecily barsch. «Und jetzt sagen Sie einer der Filipinas, sie möge mir eine Kopfschmerztablette bringen.» Sie schließt die Augen und atmet schnaufend durch die Nase aus.

«Soll ich Sie nächsten Sonntag besuchen?», fragt Kate, die verlegen neben dem Sessel verweilt.

«Oh, ah ja. Na gut, geben Sie mir Bescheid, falls ich Ihnen irgendetwas mitbringen kann.»

Cecily verscheucht sie mit einer gereizten Handbewegung.