«Hast du meine Post geöffnet?», fragt Kate und sieht Rita empört an.
Rita gibt Süßstoff in ihren Cappuccino und macht ein verständnisloses Gesicht.
«Ich habe dem armen Buchhändler in Lancashire gerade eine böse E-Mail geschickt, weil meine bestellten Bücher verspätet sind, und was habe ich hier? Eines von ihnen – es muss schon wochenlang auf deinem Nachttisch gelegen haben.»
«Die Leute stellen ständig Fragen, auf die sie die Antwort bereits kennen», sagt Rita und streicht hauchdünn Margarine auf ihren Toast. «Du weißt, dass ich das Päckchen geöffnet habe, weil du das Buch gefunden hast – du hältst es in der Hand –, warum fragst du also, ob ich deine Post geöffnet habe?»
«Wie wäre es mit einer Entschuldigung?»
«Du wohnst unter meinem Dach. Du kannst nicht erwarten, dass ich mir eine Lesebrille aufsetze, um jede einzelne Sendung zu untersuchen, die in meinem Briefkasten landet. Ich habe auf ein Buch gewartet, das Patrick mir geschickt hat, und du hattest bereits mehrere Päckchen erhalten. Woher sollte ich wissen, dass noch mehr für dich unterwegs war? Es war ein Versehen», sagt Rita und dreht das Marmeladenglas heftig zu.
«Du bist doch diejenige, die immer Freud zitiert, der sagt, dass es keine Versehen gibt …»
Rita stößt einen gereizten Seufzer aus.
«Und als dir aufgefallen war, dass du meine Post geöffnet hattest?», fragt Kate, «Eine normale Mutter hätte die Bücher in die Versandtasche zurückgesteckt und sie in mein Zimmer gelegt. Stattdessen hast du mir die Bücher gestohlen, dann ‹vergessen›, dass du sie gestohlen hast, und stellst es jetzt so dar, als wäre es mein Fehler.»
«Kommst du nicht zu spät zur Arbeit?»
«Also?»
«Es sah interessant aus. Mir war aufgefallen, dass du mehrere Kopien bestellt hattest. Ich hatte den Eindruck, dass du es nicht vermissen würdest, und ich hatte recht.»
«Hast du dich eigentlich jemals in deinem Leben für irgendetwas entschuldigt? Außerdem habe ich zwei Ausgaben bestellt – wo ist die zweite?»
Rita legt den Kopf zurück und streicht sich mit dem Finger über die Augenbraue. «Gerry Marks hat zufällig hereingeschaut. Das Buch interessierte sie. Ich sagte, ich könne es ihr leihen. Sie bringt mir immer wieder Bücher vorbei, da war es das mindeste, was ich tun konnte.»
«Moment mal, du verleihst eines der Bücher, die du mir gestohlen hast, weil du Gerry einen Gefallen schuldest? In welchem Universum ist das denn hinnehmbar?»
«In einem, in dem ich dich erst nach zwanzig Stunden quälender Wehen aus meinem Leib herausbefördert habe. So oder so gibt Gerry es zurück, sobald Jeremy hineingeschaut hat. Wieso hast du so viele Ausgaben desselben Buchs bestellt?»
«Weil es zufällig von der alten Dame verfasst worden ist, die ich sonntags besuche.»
«Ach! Wirklich? Du hast mir nicht erzählt, dass sie Schriftstellerin ist.»
«Weil du dich niemals nach ihr erkundigt hast.»
«War sie erfolgreich?»
«Warum?»
Rita zuckt mit den Schultern. «Ich frage mich, ob dich dort vielleicht ein kleiner Geldsegen erwartet. Bist du deswegen ihr gegenüber so aufmerksam, während du dein eigen Fleisch und Blut vernachlässigst?»
«Das ist mir nicht einmal eine Antwort wert.»
«Ach komm schon, wo ist dein Sinn für Humor geblieben? Jedenfalls steht es so im Buch.»
«Was steht im Buch?»
«Ein kleiner Limerick darüber, wie man sich bei einer gut betuchten alten Verwandten einschmeichelt – schau es nach. ‹Lunch für eine wohlhabende Gönnerin› oder so», sagt sie und nimmt Kate das Buch aus der Hand. «Wo war es … ah, hier, Seite achtunddreißig: ‹Lunch für eine wohlhabende Tante›.
‹Vor einem Monat Tantchen starb
Und ließ mir all ihr Hab und Gut,
Federbett und Bein aus Holz
Und einen alten karierten Hut.
Ziel: Sie wollen Ihre Freude ausdrücken, einen so seltenen Gast bewirten zu dürfen, und gleichzeitig andeuten, dass Sie niemand sind, der das Geld verschwenden würde, welches sie Ihnen vielleicht einmal in den Schoß wirft. Menü: Gegrillter Heilbutt …›»
«Gib das zurück», sagt Kate, schnappt sich das Buch und streicht zärtlich über das Cover. Von wegen Limerick. Rita hat keine Ahnung. «Was meinst du damit, dass Gerry es Jeremy zeigen will? Warum denn?»
«Jeremy leitet ja jetzt den Verlag, und sie sind immer auf der Suche nach guten Ideen.»
«Ach ja – es reicht dir also nicht, meine Post zu stehlen, jetzt willst du auch noch einer alten Dame ihre Ideen abknöpfen. Na toll.»
«Weißt du was? Ich finde, du solltest bei Nick einziehen und ihm das Leben schwermachen statt mir. Vielleicht kann ich dann montagmorgens in meinem eigenen Zuhause wieder ein Stück Toast essen, ohne mir den Vorwurf anhören zu müssen, ich sei eine Kriminelle. Ach ja, und da du gerade hier bist: Wir haben einen Termin für die Jahresversammlung abgesprochen.»
«Warum erzählst du mir das?»
«Du übernimmst das Catering. Schreib es in deinen Kalender, es ist der Donnerstag nach deinem Geburtstag. Ich komme erst am Vorabend von Lanzarote zurück.»
«Von Lanzarote? Du bist an meinem Vierzigsten nicht da?»
«Es bringt nichts, Sandwiches für die Jahresversammlung zu kaufen, wo du das doch viel besser kannst.»
«Bitte gib mir das Buch zurück, das Gerry jetzt hat.»
«Wir geben dir fünfzig Pfund dafür.»
«Für das Buch?»
«Für das Catering, du Dummkopf.»
«Oh, du brauchst mich nicht zu bezahlen.»
«Ich möchte, dass du deine Sache gut machst.»
«Du brauchst mich nicht zu bezahlen, weil ich es nicht machen werde.»
«Nichts allzu Fettes – ein paar elegante Lachshäppchen wären vielleicht schön.»
«Kein Interesse.»
«Na schön, wir geben dir hundert Pfund, und du kannst nicht nein sagen, weil du hier mietfrei wohnst. Jetzt beeil dich und geh zur Arbeit, damit du nicht auch noch deinen Job verlierst.»