Unauffällig schaut Kate auf die Uhr. Sie nimmt an der ersten Sitzung des Arbeitsbereichs MAKRELE teil, und ihre Kollegen streiten seit vierzig Minuten nur darüber, ob das Akronym für Management und Kreative steigern Leistung im Einzelhandel von MAKRELE zu MAKRONE abgeändert werden sollte. Sie haben an diesem späten Freitagnachmittag noch nicht einmal mit dem ersten Tagesordnungspunkt angefangen, und Kate macht sich allmählich Sorgen, dass sie es nicht mehr rechtzeitig in die Food-Markthalle schafft, bevor diese schließt.
Sobald die Besprechung vorbei ist, ruft sie in der Markthalle an und kann die Leute dazu überreden, sie mit dem Handy bestellen und zahlen zu lassen. So muss sie es nur noch abholen. Das stellt sich als famose Idee heraus, denn als sie ihren Computer heruntergefahren hat und im Eiltempo zur Markthalle läuft, ist es kurz vor Ladenschluss. Sie rennt dankbar von Stand zu Stand, hebt die schwere Tüte von der Fischtheke und eilt zum Fleischhändler, um die Hähnchenschenkel abzuholen, bei deren Preis Kate schwindelig wird.
In der Wohnung angekommen, legt sie den Inhalt der Tüten in den Kühlschrank, lässt sich aufs Sofa fallen und genießt die Ruhe. Sie sollte mit dem Kochen anfangen, aber stattdessen schlüpft sie aus den Schuhen, streckt sich auf dem Sofa aus und wackelt mit den Zehen. Es ist so ruhig, dass sie die Uhr über dem Kamin ticken hört. Wann hat sie sich zum letzten Mal allein so glücklich gefühlt? Wie schön, die Wohnung für sich zu haben – alles friedlich und still, keine verdrießliche Mitbewohnerin, keine Rita, die Kates Grenzen nicht respektiert –, fast so schön wie die Aussicht, ein Heim mit Nick zu teilen.
Nick, genau – es wird Zeit, mit den Vorbereitungen anzufangen. Zuerst der Shortcake – und sie wird noch einen zweiten für Cecily backen. Kate stellt ihre Lieblingsplaylist auf dem iPod ein, Songs der achtziger Jahre – an erster Stelle INXS. Und dann legt sie mit dem Kuchen los! Es ist ein unkompliziertes Rezept – zwei Biskuitböden backen und auskühlen lassen, Erdbeeren und Schlagsahne auf einen der Böden verteilen und den andere Boden auflegen, als Dekoration gibt es Erdbeeren. Sie verrührt sorgfältig den Zucker mit der weichen Butter und schlägt die Eier hinein. Sie atmet das Aroma ein, als sie die Vanilleschote spaltet, und stößt einen zufriedenen Seufzer aus. Nichts fühlt sich für sie besser an, als wenn sie für jemanden kocht oder backt, den sie liebt. Vorsichtig rührt sie das Mehl unter und gießt den Teig in vier verschiedene Kuchenformen. Das Backen ist in weniger als einer Stunde erledigt, und während der süße, tröstliche Duft des Vanillebiskuits sich in der Wohnung ausbreitet und die Räume erfüllt, wendet Kate sich dem Hauptgang zu.
Auch dies ist ein einfaches Rezept, durch das langsame Schmoren wird das Fleisch vom Knochen fallen. Sie brät die Hähnchenschenkel mit fein gehackten Schalotten in golden brutzelnder Butter an, gießt den Cidre hinzu, fügt ein duftendes Kräutersträußchen und gehäutete, entkernte italienische Tomaten bei und schiebt das Ganze bei niedriger Temperatur in den Ofen.
Die Kartoffeln sind ein wahres Werk der Liebe. Laut Cecilys Rezept werden sie geschält und in Quadrate geschnitten, anschließend mit einem Gemüsehobel in Scheiben geschnitten, in Sahne eingeweicht, in zwanzigfacher Schichtung mit Gewürzen und winzigen Butterwürfeln in eine Kastenform gegeben, langsam gebacken, mit einem Gewicht beschwert und über Nacht stehen gelassen. Am nächsten Tag wird das Gericht zu ordentlichen Rechtecken zerschnitten und mit Butter und Thymian gebraten – was ein weiches, mehrfach geschichtetes, sahniges Inneres und ein knuspriges Äußeres ergibt. Es klingt köstlich, ist jedoch harte Arbeit, denkt Kate beim Auslegen der vierzehnten Kartoffelscheibenschicht, worauf sie zum vierzehnten Mal ihre mit Sahne beschmierten Finger wäscht.
Die Kartoffeln brauchen zwei Stunden im Ofen, in dieser Zeit kann sie entspannen und ein Bad nehmen. Als letzte Aufgabe nimmt sie sich die Scampi vor. Die Tüte, die sie aus dem Kühlschrank holt, ist schwerer als erwartet, bestimmt haben sie Eis dazu gepackt – doch als sie sie öffnet, sieht sie mit Entsetzen, dass man in Londons teuerster Food-Markthalle darauf verzichtet hat, den Kaisergranat zu schälen. Dabei sollte angesichts des Preises, den sie für die zwölf Scampi bezahlt hat, mindestens das Schälen inbegriffen sein, außerdem sollten die Leute ihr für den Preis unter die Arme greifen, vorbeikommen und die verdammten Dinger kochen, das Geschirr abwaschen und zusätzlich Ritas Problem mit ihrem Router lösen.
Dies sind keine Black-Tiger-Garnelen sondern hummerartige Krebstiere, jedes so lang wie ein Schullineal. Sie nimmt die kalten, nassen Leiber aus der Tüte und legt sie auf die Theke. Vierundzwanzig glänzende, tote schwarze Augen starren sie anklagend an – sie werden Kate bis in ihre Träume verfolgen.
Sie wünschte, Nick wäre hier, um ihr zu helfen – er liebt den Umgang mit Meeresgetier –, aber er durchlebt ja gerade eine heiße Nacht, in der er mit Oracle- und SQL-Servern herumfummelt – beides, so hat er ihr versichert, sind keine Stripperinnen. Sie sucht in Cecilys Buch nach der Methode: «Schälen und säubern Sie die Krebstiere; tauchen Sie sie in Teig …» Hm, bei ihr klingt es so einfach.
Okay: Sie legt Rage Against the Machine auf, um sich in Stimmung zu bringen. Oh, Krebstiere sind merkwürdige Geschöpfe – schmackhaft, gewiss, doch als sie eines der Tiere in die Hand nimmt, schaudert sie zusammen. Sie wirken wie gepanzerte Schnecken mit langen, schnurrhaarähnlichen Fühlern und eckigen, stacheligen Gelenken; sie begreift nicht, wie jemand einen lebenden Hummer ins kochende Wasser werfen kann.
Sie googelt «Anatomie der Langustine» und macht sich mit Nephros norvegicus vertraut. Das vorne ist der Kopf, das liegt auf der Hand, dann ist da der Panzer, darunter sind die Beine zum Gehen und Beine zum Schwimmen – oh, praktisch, zwei verschiedene Beinsorten –, und innen ist der Eingeweidesack. Hat es in der Geschichte der Kochkunst jemals einen weniger ansprechenden Ausdruck als Eingeweidesack gegeben? Der würde es nicht auf Nicks und ihre Shortlist von Kindernamen schaffen.
Sie googelt: «eine Langustine schälen und ausnehmen». Leider ist es kein einfaches Procedere, da darf man nicht zimperlich sein. Sie findet ein Video und geht vor, wie darin gezeigt: drückt die Dublin-Bay-Garnele an der Kehle nach unten und windet sich innerlich, bevor sie ihr die Messerspitze auf den Rücken setzt, hart zusticht und die Langustine unter dem ekelerregenden Knirschen und Krachen eines aufberstenden Exoskeletts in zwei Teile spaltet.
Kate ist sich ziemlich sicher, dass sie noch nie einem Tier den Kopf abgetrennt hat. Sie blinzelt beim Anblick des blassgrauen Inneren. Sie fragt sich, ob Cecily ihren Leserinnen diese Aufgabe gestellt hat, um ihre Hingabe zu testen. Aber nein, natürlich nicht … dies ist das Mahl, das Cecily für Samuel zubereitet hat, und wenige Wochen später hatte sie sich die Verlobung gesichert: also vorwärts.
Verdammt – jetzt muss Kate das Tier ausnehmen. Sie greift nach einer Pinzette und muss sich beinahe erbrechen, als sie das Werkzeug in das schlüpfrige Fleisch gräbt und die schimmernden Eingeweide der Langustine herauszieht. Sie hätte zu Iceland gehen und zwei gefrorene Scampi für eine Fünfpfundnote holen sollen, Nick hätte den Unterschied gar nicht bemerkt.
Sie blickt mit einer gewissen Befriedigung auf die fertigen Krebshälften, bis sie bemerkt, dass jede Hälfte noch immer in ihrem Panzer steckt. Sie lässt das Video weiterlaufen und verflucht den Vortragenden, als er erklärt, die Garnelen seien nun für den Grill bereit und er werde jetzt eine vollkommen andere Methode für frittierte Langustinen zeigen.
Sie starrt auf die Küchenwand. Sie liebt Nick, wirklich, aber tatsächlich so sehr? Sie seufzt. Hier geht es nicht mehr um Nick: Jetzt heißt es, Kate gegen Garnele. Sie lässt das Video erneut laufen, und nach vielem Ziehen, Zerren, Fluchen und Ringen mit den Eingeweiden hat sie schließlich ein Dutzend Scampi-Schwänze vor sich liegen. Die bei dieser Schlacht gemachte Beute legt sie in den Kühlschrank, wäscht ihre Hände in siedend heißem Wasser und schnüffelt anschließend kritisch an ihren Fingern. Sie riechen intensiv nach den Garnelen. Sie schrubbt und schrubbt sie. Gut, dass sie den Kuchen zuerst gebacken hat, sonst würden die Erdbeeren einen unverkennbaren Beigeschmack nach Fisch erhalten. Dass Hähnchen und Kartoffeln in der Zeit, die sie zum Ausnehmen der Garnelen gebraucht hat, fertig gegart sind, heitert sie wieder auf. Endlich kann sie schlafen gehen.
Als sie ihr müdes Haupt aufs Kissen bettet, lobt sie sich dafür, dass sie eine neue Fähigkeit erlernt hat. Außerdem wird sie das nächste Mal darauf achten, den Verkäufern von Anfang an deutlicher zu erklären, was sie möchte – so hat sie eine wertvolle Lektion fürs Leben gelernt. Und schließlich weiß sie nun Folgendes: Wenn Nick ihr nach all der Mühe, die sie sich gemacht hat, nicht seine ewige Liebe gestehen kann, wird sie seinen Anteil der Scampi aufessen und sich einen Mann suchen, der es kann.