Kate legt ihren Sicherheitsgurt an und wendet sich Nick zu, der sich bereits in den Listener vertieft hat, ein kryptisches Kreuzworträtsel, das so vertrackt ist, dass Kate davon Kopfschmerzen bekommt. Woche für Woche lässt er sich stundenlang davon fesseln und löst Frage um Frage – er ist wie besessen. Sollte er jemals krause sexuelle Gelüste entwickeln, wird er sie vermutlich bitten, sich als komplizierte Rätselfrage zu verkleiden.
«Vier habe ich schon gelöst», sagt er und streckt ihr die Seite stolz hin. Sie schaut kopfschüttelnd darauf: Wie um alles in der Welt kann dieses Wort die Lösung für jene Frage sein?
Sie lehnt sich in ihrem Sitz zurück und schließt die Augen, müde, weil der Wecker sie um drei Uhr früh aus dem Schlaf gerissen hat, trotzdem ist sie aufgeregt. Dies wird ihr erster richtiger gemeinsamer Urlaub sein, und wenn sie ehrlich mit sich ist – das ist sie nicht immer –, wäre sie gern schon früher einmal mit Nick verreist. Es gibt naheliegende Gründe, warum sie anderthalb Jahre gebraucht hat, um Nick in dieses Flugzeug zu bekommen. Bevor er sich im April arbeitslos meldete, war er ein Workaholic gewesen, der an den Wochenenden oft freiwillig arbeitete (so gar nicht Kates Stil). Und danach hatte er kein Einkommen. Außerdem neigt Nick bei allem dazu, l-a-n-g-s-a-m vorzugehen. Kate hat viel darüber nachgedacht, und auch ihre Mutter Rita hat ihren Senf dazugegeben: «Kinder aus schwierigen Familien haben eine Tendenz, alles unter Kontrolle haben zu wollen.» Nun, wer nicht?
Nick hatte sich so vorsichtig auf ihre Beziehung eingelassen, dass Kate nach Verlauf eines Monats Bindungsscheu bei ihm befürchtete. Und so fragte sie damals geradeheraus: «Was möchtest du?» Er antwortete, er habe außer in einer kurzen Beziehung in seinen Zwanzigern und in einem gescheiterten Zwischenspiel in seinen Dreißigern keine Erfahrungen gesammelt. Bei diesen Worten leuchtete in Kates Kopf ein Warnlämpchen auf, und sie bot Nick einen Schlussstrich an, bevor einer von ihnen (zum Beispiel sie selbst) verletzt würde. Er schaute sie lange an, sodass sie errötete. Dann schloss er sie fest in die Arme und sagte: «Ich will das. Ich will dich.»
Von diesem Moment an gingen sie die Beziehung ernsthaft an, wenn auch in maßvollem Tempo – häppchenweise, Mahlzeit für Mahlzeit und Tag um Tag. In den letzten Monaten spürte sie, dass er sich ihr noch stärker angenähert hatte. Dennoch empfand sie, gleich nachdem er ihr das Zusammenziehen angeboten hatte, das dringende Bedürfnis, als Vorsichtsmaßnahme etwas Bedeutsames in seine Wohnung zu bringen: Ein paar Kisten mit Kochbüchern und ihre gebundene Ausgabe von Der Distelfink reichten ihr dann zur Beruhigung.
Als Nick letzten Samstag wandern war, hat ihre beste Freundin Bailey ihr geholfen, die Sachen hinüberzuschaffen. Kate fragt sich manchmal, ob der Charakter einer Person durch das Haar geformt wird – wenn sie selbst mit Baileys wunderbaren blonden Locken zur Welt gekommen wäre, wäre sie dann ebenfalls jederzeit gelassen und anmutig? Bailey, mit der Kate seit ihrem vierten Lebensjahr befreundet ist, hat es gewiss nicht leicht gehabt – ihr Exmann Tom hat sie betrogen und mit ihren kleinen Töchtern sitzenlassen. Offensichtlich hielt er es für seine Pflicht, mit jeder Frau, die er ins Bett kriegen konnte, «seine Lust zu erforschen», wie er das nannte. Doch als Kate und Bailey an den vielen Abenden vor der Scheidung zusammensaßen, Wein tranken und über den Schlamassel redeten, war es Kate, der Bailey die Lust ausreden musste, Tom zu ermorden. Manchmal durchleben am Ende die Freunde die Gefühle, die für einen selbst zu ungenießbar sind.
Kate schlägt die Augen auf, und Nick wendet sich ihr mit einem strahlenden Lächeln zu.
«Schon vierzehn insgesamt, eines neben dem anderen!», sagt er und hält ihr die Seite hin wie einen Lotterieschein, dessen Nummer gezogen wurde.
Sie streckt lächelnd die Hand aus, um ihm das Haar zu zerzausen, doch das Flugzeug macht einen plötzlichen Satz, und sie ergreift stattdessen seine Hand. Er drückt ihre Finger sanft, und sie stellt sich vor, wie ihre verflochtenen Hände sich in die alter Menschen mit runzliger, altersfleckiger Haut verwandeln werden. Mit Nick an ihrer Seite wäre das Alter erträglicher.
Letzten Monat hatte er bei der Hochzeit eines Freundes etwas zu viel getrunken und gestand ihr während der Heimfahrt, er wünsche sich drei Kinder mit ihr. Er tätschelte zärtlich ihren Bauch und legte den Kopf in ihren Schoß.
«Das Einzige, was du darin jemals hören wirst, ist ein Hochzeitskuchen», sagte sie, um nicht bei dem Gedanken zu verweilen, dass ihre Eierstöcke sich rasch ihrem Verfallsdatum näherten.
«Ich weiß, dass ich betrunken bin, Kate Parker, aber ich liebe dich genau so, wie du bist, wirklich.»
Dieses Gefühl beruht unbedingt auf Gegenseitigkeit.
Als Kate und Nick San Marcel erreichen, ein kleines Dörfchen in der Nähe eines geringfügig größeren Dorfs, brennt die Sonne heiß am tiefblauen Himmel. Sie müssen sich noch mit Vorräten versorgen und legen einen Halt ein. Süßer Butterduft frisch gebackener Brioches lockt sie in einen Laden. An der Theke probieren sie reifen Käse, gefleckte Salami und tintenschwarz glänzende Oliven. Mit Tüten voller Gläser, Flaschen, frischer Kräuter und reifer Pfirsiche kommen sie wieder heraus.
Sie fahren weiter zu Kavitas Haus, einem einfachen Bauernhaus mit drei Zimmern, einer großen Terrasse und, am besten von allem, einem eiskalten Pool. Nick schlüpft in seine Badehose und springt ins Wasser, während Kate ihren Koffer ins Schlafzimmer trägt, um ihren Bikini von H&M herauszuangeln. Sie hat nie viel Geld in ihre Schwimmbekleidung investiert – wozu die Mühe. Keine Glanzleistung der Bademode und kein hoch geschnittenes Bein könnten die Tatsache verbergen, dass Kate einen normalen weiblichen Körper besitzt: Sie hat einen dicken Hintern, Cellulitis und ein altersgemäßes Verhältnis zur Schwerkraft. Zum Glück wird sie sich nie wieder für das erste Mal mit einem neuen Mann entkleiden müssen.
Sie schaut erneut in den Spiegel. Unsicherheit ist in ihrem Alter nicht sexy. Außerdem kann sie in den nächsten zwei Minuten nichts daran ändern, dass sie vier Kilo Übergewicht hat. Wie Rita immer sagt: «Konzentrier dich auf das Positive – wenn du etwas finden kannst.» Kates Haar sieht gut aus – karamellbraun, schulterlang und leicht gewellt. Sie legt die Sonnenbrille ab. Ihre Augen, die vom frühen Aufstehen etwas gerötet sind, empfindet sie noch immer als ihren größten Pluspunkt – grünlich grau und mandelförmig, mit einem forschenden Blick, den sie von ihrem Vater geerbt hat. Sie wischt sich ein Sandkorn aus den Augen, greift nach ihrem Sarong und schlingt ihn um sich.
Nick sitzt im Schatten, das Kreuzworträtsel in der Hand. «Geh ins Wasser, Babe. Es ist phantastisch.» Und das stimmt. Die Eiseskälte haut Kate zwar zunächst fast um, aber gleich darauf empfindet sie Glück pur. Sie schwimmt ein paar Bahnen, steigt aus dem Wasser, lässt sich mit dem neuen Roman von Anne Tyler im Liegestuhl neben Nick nieder und entspannt sich, während die Hitze die Gliedmaßen wärmt.
Als der Tag endet, essen sie in den letzten Sonnenstrahlen draußen auf der Terrasse – einen einfachen Thunfischsalat mit grünen Bohnen und eine Handvoll reifer Tomaten, ein frisches, krosses Baguette mit großartiger französischer Butter, und dazu trinken sie eine Flasche eisgekühlten Rosé. Nick betrachtet Kate, er lächelt, und sie sieht reine Freude in seinen Augen. Sie streicht mit einem Finger seine freche rechte Augenbraue gerade. Er zieht sie für einen Kuss an sich, und dann für den nächsten.
Ist sie nicht ein Glückspilz? Noch vier Tage lang nichts weiter tun als lesen, in der Sonne baden und in den blauen Pool springen – vier Tage reiner, purer Wonne.