Schon seit Monaten hat sich Kate nicht mehr so gut gefühlt. Ihr Vierzigster steht bevor, und sie und Nick sitzen wieder fest im Sattel – nicht mehr lange, und sie wird bei ihm einziehen. Ihr neuer Teilzeitjob gefällt ihr. Und heute Abend trifft sie sich mit Bailey, die sie zu einem von Caras Events mit kostenlosem Essen und Trinken begleitet. Das Essen klingt zwar fragwürdig, aber der Alkohol wird sicher okay sein.
«Du siehst toll aus», sagt Bailey und begrüßt Kate am Eingang der Food-Markthalle mit einer festen Umarmung. «Wir haben uns nur einen Monat nicht gesehen, und du siehst zehn Jahre jünger aus. Du hast dich wirklich nicht liften lassen?»
«Soll ich etwa meine ganze Abfindung für ein so teures Geburtstagsgeschenk für mich selbst rausschmeißen? Kommt nicht in Frage. Nein, ich habe Kaffeetassen abgewaschen und mit Nick bei Netflix einen Film nach dem anderen geschaut.»
«Nun, das bekommt dir. Du glühst.»
«Wahrscheinlich vor Gereiztheit. Cara hat schon eine Stunde Verspätung, und das bei ihrem eigenen Event», erklärt Kate und sucht den Raum nach ihrer Freundin ab. «Und ‹Ein Abend zur Feier von laktose- und glutenfreien Nahrungsmitteln› ist doch sicherlich ein Widerspruch in sich.»
«Ich habe Cara seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Das letzte Mal auf dem Taco-Fest im Battersea Park.»
«So lange ist das schon her? Damals kannte ich Nick noch nicht, das ist fast drei Jahre her. Nun, Cara redet immer noch so unverblümt wie eh und je», erzählt Kate lachend.
«Warum hat sie für diese Party Deptford gewählt? Es liegt doch total ungünstig», fragt Bailey, die sich selten beklagt.
«Deptford ist das neue Peckham, oder war es das neue Dalston? Eines von beidem – es muss stimmen, denn so steht es in ihrer Pressemitteilung», antwortet Kate und nimmt das zerknitterte Blatt aus ihrer Jackentasche.
«Wir sind zu alt für das alte Deptford, geschweige denn das neue», sagt Bailey und lässt den Blick durch die Halle schweifen, deren Ausmaße an einen Flugzeughangar erinnern. Sie ist mit Dutzenden von Food-Ständen gefüllt, deren fluoreszierende Markisen von Schriftzügen bedeckt sind. Dazwischen drängen sich Scharen von Twens, die Cocktails aus Mason Jars trinken und zu einem lauten Bass-Soundtrack mit den Köpfen wippen.
«Londons beste laktose- und glutenfreie Pop-up-Stände unter einem Dach», liest Kate. «Bao, Bun, Pike, Pho …»
«Klingt wie die Teletubbies.»
«Hier gibt es globale Street-Food-Highlights von Sri Lanka bis San Francisco …» Kate schnalzt missbilligend mit der Zunge. «Cara hätte mich bitten sollen, diesen Text zu schreiben. San Francisco ist eine Stadt, Sri Lanka ein Land, man sollte das nicht vermischen.»
«Und wie heißt dann die Hauptstadt von Sri Lanka, du Schlaumeier?»
«Ooh, Colombo, oder? Wie Peter Falk.»
«Fast. Columbo schreibt sich mit einem ‹u›», sagt Bailey. «Den Detektiv meine ich, nicht die Stadt.»
«Wenn du hier einen einzigen Mann ohne angeberische Gesichtsbehaarung findest, kriegst du fünf Pfund von mir», sagt Kate mit einem Blick auf die Gruppe von Männern, die vor einem Stand mit Beef-Briskets anstehen. Sie alle tragen entweder krause Bärte mittlerer Länge oder gewachste Schnurrbärte mit spitzen Enden. «Adam hat keinen dämlichen Bart, oder?»
«Er hat entzückende Bartstoppeln auf seiner sehr kantigen Kieferpartie. Habe ich dir erzählt, dass er mit mir nächstes Wochenende Kew Gardens besucht? Anscheinend gibt es dort eine phantastische Galerie, und er interessiert sich sehr für Kunst.»
«Ich bin schon sehr gespannt darauf, diesen Mann einmal kennenzulernen. Unterdessen ist Cara bestimmt mit ihrem tollen Dänen hinten im Büro. Ach, wenn man vom Teufel spricht. Wo warst du denn, du kommst eine Stunde zu spät.»
«Leute, was für ein Abend», sagt Cara, eilt herbei, küsst Kate zur Begrüßung und umarmt Bailey. «Ich musste mich mit den Bloggern treffen, ein Haufen Blödmänner, die glauben, auf alles ein Anrecht zu haben … ‹Wo ist mein Beutel mit Leckereien?›, ‹Weißt du nicht, dass ich Londons wichtigste Grünkohl-Influencerin und Burger-Kuratorin bin?› …»
«Was ist eine Burger-Kuratorin?», fragt Bailey.
«Sie», antwortet Cara und deutet unauffällig auf eine zaunlattendürre Blondine zwischen einer Gruppe von Männern mit übertriebenen Frisuren, die in ihre iPhones vertieft sind.
«Wow, sie mag Burger kuratieren, aber es ist ausgeschlossen, dass sie sie auch isst», sagt Kate. Man kann bei der Frau jede Rippe einzeln zählen.
«Durch Ehrlichkeit gewinnt man keine Million Follower auf Instagram», sagt Cara und schaut auf ihr Handy. «Shit. Ich habe nur noch zwanzig Minuten, dann muss ich die Begleiter des Grime-Musikers begrüßen.»
«Es wird schlimmer und schlimmer», sagt Kate.
«Grime?», fragt Bailey.
«Grime and Punishment», witzelt Kate. «Wie bei Dostojewski. Cara, gibt es nicht einen Thekenbereich für Senioren wie uns, wo man sich setzen kann?»
«Kommt mit in den VIP-Cocktailbereich! Dort empfängt euch Friko.»
Friko?, flüstert Bailey mit lautlosen Lippenbewegungen.
Keine Ahnung, flüstert Kate genauso zurück.
«Kann er mir eine Piña Colada machen?», fragt Bailey.
«Gibt es dort auch wirklich Sitzgelegenheiten?», fragt Kate.
Sie steigen eine wacklige Treppe zu einem kleinen Thekenbereich hinauf, der wie eine Spelunke aufgemacht ist. Dort lassen sie sich an einem Tisch nieder, und Cara bestellt drei Negronis, die «dekonstruiert» eintreffen: Der Gin wird in einer riesigen Spritze serviert, der Wermut und der Campari als zwei große Eiswürfel, und die Orangenschale ist papierdünn und quadratisch.
«Du siehst phantastisch aus», sagt Cara, die Kate prüfend ansieht. «Hast du eine neue Frisur?»
«Nein, ich fühle mich nur nicht mehr so elend», antwortet Kate lächelnd.
«Dann bist du also wieder mit ihm zusammen?», fragt Cara, nimmt einen der Eiswürfel aus der Schale und schnüffelt misstrauisch daran.
«Ja. Ich habe vor einer Weile ein köstliches Essen für ihn gekocht, und seitdem läuft es super. Weißt du, ich glaube, durch die Trennung sind wir uns noch nähergekommen. Nick ist viel offener geworden», erzählt Kate, die den Blick bemerkt, den Cara Bailey zuwirft. «Cara, es wäre schön, wenn du dich für mich freuen könntest.»
«Ich freue mich darüber, dass du glücklich bist.»
«Warum sagst du das auf diese Weise?»
Cara bedenkt Kate mit einem Blick, als wäre das offensichtlich.
Kate atmet tief durch. «Wie geht es dem Dänen?»
«Ich hab ihn vor zwei Wochen abserviert.»
«Ich dachte, du ziehst bei ihm ein?»
«Man findet eine Menge über einen Menschen heraus, wenn man mit ihm zusammenwohnt.»
«Ja, und deshalb ist es im Allgemeinen am besten, die Person vorher kennenzulernen – was war das Problem? Nasse Handtücher auf dem Bett? Vorratsschränke voller Instant-Nudelsuppe?»
Cara sieht Kate an, als wäre sie verrückt geworden. «Er ist ein dänischer Banker mit einem Harvard-Hintergrund, kein Student.»
«Und wo liegt dann das Problem?»
«Er ist um fünf Uhr morgens beim Fitnesstraining und sitzt um sechs Uhr, wenn der Handel eröffnet, an seinem Schreibtisch. An Werktagen liegt er gern um neun Uhr abends im Bett. Schlafen um 21 Uhr? Um die Zeit hab ich noch nicht einmal mein Make-up aufgelegt.»
«Hättet ihr keinen Kompromiss finden können?», fragt Bailey.
«Weniger Lidschatten nehmen?», erwidert Kate lachend. «Für die wahre Liebe wäre das kein großes Opfer. Den letzten Mann hast du sitzenlassen, weil er nicht hart genug gearbeitet hat, und den Musikproduzenten davor, weil er nie ins Fitnessstudio gegangen ist.»
«Pete? Der hatte einen total schwabbeligen Oberkörper.»
«Empörend. Ich hoffe, sie haben ihn eingesperrt und den Schlüssel weggeworfen», sagt Kate und wirft Bailey einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
«Kate: Ich weiß, was ich will, und ich bin nicht der Typ für faule Kompromisse.»
Kate schaut erneut auf Bailey, doch Bailey wahrt einen diplomatischen neutralen Blick in die Ferne.
«Willst du damit sagen, dass Nick ein Kompromiss ist?», fragt Kate.
«Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass er mit dir einen Haupttreffer gelandet hat», sagt Cara, nimmt die Spritze und sprüht sich Alkohol auf die Zunge.
«Cara, in drei Wochen werde ich vierzig. Soll ich vielleicht ewig auf den perfekten Mann warten? Wenn du mich fragst, ist der ein Mythos.»
«Du wirst vierzig, mein Schatz … nicht neunzig.»
«Schau mal, Nick ist nicht perfekt, aber ich bin es auch nicht.»
Cara schüttelt den Kopf, als läge nicht nur der Rauch und Qualm des großstädtischen Lebens in der Luft, sondern so viel Verrücktheit, dass das Atmen unmöglich wird. «Mein Dad hat Mum nach dreißig Jahren Ehe und vier Kindern um der Sekretärin willen verlassen. Als er zurückgekrochen kam, hat Mum ihm nicht die Tür aufgemacht.»
«Was im Himmel hat das mit mir zu tun?»
«Du hast jemand Besseren verdient, hör also auf, dich unter Preis zu verkaufen.»
«Das mit deiner Mum tut mir leid, Cara, aber Nick hat mich überhaupt nicht betrogen.»
«Das ist noch schlimmer. Er hat dich um niemandes willen verlassen.»
Bailey, die den Wermut-Eiswürfel zerkaut hat, blickt nervös auf ihre Spritze.
«Wenn Nick dich wenigstens für die Büro-Schlampe verlassen hätte wie damals Baileys Mann, läge es nicht daran, dass er dich nicht wollte.»
«Wow, danke vielmals», sagt Kate und lässt die Schultern nach unten sacken. «Und sehr einfühlsam – ich glaube nicht, dass Bailey sich toll gefühlt hat, als Tom sie wegen dieses Flittchens sitzenlassen hat, oder?»
Bailey, die sich gerade einen Schuss Alkohol in den Mund spritzt, schüttelt heftig den Kopf.
«Und, so oder so, zum hundertsten Mal, Nick hat mich nicht abserviert. Es war eine Auszeit.»
«Semantische Haarspalterei, natürlich hat er dich abserviert.»
«Cara, du klingst manchmal ganz schön hart», sagt Bailey.
«Hart? Ich? Ich habe das größte Herz von allen.»
«Nein, du hast die größte Klappe», entgegnet Kate. «Das ist absolut nicht dasselbe Organ.»
«Erinnerst du dich nicht mehr, dass ich vollkommen am Boden zerstört war, als Michael Jackson gestorben ist? Und George Michael. Da habe ich fast eine Woche lang geweint.»
«Ja, tote Popstars namens Michael – da bist du das Mitgefühl in Reinform», murmelt Kate. «Wenn Michael Bublé stirbt, wirst du vielleicht ein Requiem komponieren.»
«Cara – Kate und Nick sind glücklich», sagt Bailey.
«Und ich will, dass du glücklich bist», sagt Cara und reibt Kates Schulter.
«Ich werde außer mir vor Glück sein, wenn du deine Meinung für dich behältst», sagt Kate und wehrt sie mit einem Schulterzucken ab. «An meinem Vierzigsten musst du höflich zu Nick sein.»
«Ich bin immer reizend zu jedermann, das ist mein Beruf. Was ist noch einmal geplant?»
«Ich koche am Freitag für euch alle. Bailey bringt Adam mit, Pete wird mit seiner Kinderbraut kommen und Kavita mit ihrem Mann Dom. Cara, du kannst den bedauernswerten Muskelprotz mitbringen, über den du bis dahin stolperst.»
«Na, ich bringe rosa Champagner mit, da ja dein Neunzigster gefeiert wird. Okay – ich gehe eine paffen. Kommt ihr mit?»
«Ich habe mit Rauchen aufgehört.»
«Was? Du hattest doch gerade erst wieder damit angefangen.»
«Ich habe keine Lust mehr darauf, seit ich mich wieder normal fühle.»
«Schau mal, Kate, tut mir leid, wenn du denkst, dass ich hart urteile, aber du weißt, dass ich immer ehrlich bin. Es gibt irgendwo jemand Besseren für dich, einen Mann, der von Anfang an weiß, was er an dir hat, jemanden, der weniger kaputt ist. Oder aber – es gibt auch einfach dich selbst. Ist dir jemals der Gedanken gekommen, dass du selbst besser für dich bist? Denk einfach mal darüber nach. Nick ist kein Projekt. Du bekommst keine Brownie-Punkte dafür, dass du seine psychischen Probleme in Ordnung bringst.»
«Brownie-Punkte?»
«Zusatzpunkte.»
«Ich tue es nicht für Brownie-Punkte. Ich liebe Nick.»
«Oooh, können wir bitte ein paar Brownies besorgen oder irgendwas anderes, das lecker schmeckt?», fragt Bailey und zieht die Nase kraus. «Ich glaube, sie haben Reinigungsmittel in diese Spritze getan.»
«Es gibt Linsen-Brownies. Hinten in der Ecke für süße Sachen.»
«Ooh, juhu», ruft Kate und klatscht in die Hände. «Wie man es schafft, einen Brownie völlig ungenießbar zu machen.»
«Du hättest hier einen Stand bekommen können», sagt Cara. «Letzte Woche ist jemand ausgefallen. Ich hätte dir Bescheid geben sollen.»
«Ich? Was hätte ich denn machen sollen?»
«Diese tollen Brownies mit dem Frischkäse, die du zu meinem Geburtstag mitgebracht hast? Oder dieses wunderbar würzige Maisbrot?»
«Ja, und wichtige Zutaten sind Gluten, Milchprodukte und Butter.»
«Jetzt, wo du Zeit hast, solltest du einmal über einen Pop-up-Verkauf nachdenken.»
«Ich habe nicht viel Zeit, dort im Café habe ich ganz schön zu tun.»
«Ich bin total beeindruckt, dass du Fletchers verlassen hast», sagt Cara. «Ich hoffe, sie haben eine schöne Abschiedsfeier für dich geschmissen.»
«Soll das ein Scherz sein?», fragt Kate lachend. «Ein trockener Bobby-the-Butterfly-Kuchen, zwei Flaschen warmer Prosecco und ein verdrossener Devron, der sich weigerte, mir in die Augen zu schauen. Er war sehr unfreundlich. Es ist eigenartig – sobald man ein bisschen Abstand gewinnt, erkennt man, wie sehr man als Selbstverständlichkeit betrachtet wurde. Er wollte, dass ich für diesen Job dankbar bin, hat mir gesagt, ich sei der Glückspilz – wo doch Fletchers viel mehr von der Situation profitiert hat als ich.»
«Hmmm, dann gibt es ja keinerlei Parallelen zwischen deinem Arbeitsleben und deinem Privatleben», sagt Cara mit glucksendem Lachen.
«Was?», fragt Kate und schüttelt aufgebracht den Kopf. «Cara geh deine Zigarette rauchen – oder am besten gleich zwei. Ehrlich.» Sie wendet sich an Bailey. «Trage ich ein Schild auf Kopf, auf dem steht: ‹Böse Zicken: bitte angreifen›?»
«Wenn du gemein sein möchtest, sei es ein paar Minuten zu mir, Cara – lass Kate eine Verschnaufpause.»
«Kate kommt mit kurzen Pausen nicht gut zurecht, oder, mein Schatz?», fragt Cara und zwinkert ihr zu.
«Sag mir, warum sind wir nochmals befreundet?»
«Ich weiß, dass du meine Sprüche insgeheim genießt, sonst würdest du sie dir nicht gefallen lassen.»