Hätte man Kate vor einem Vierteljahr gefragt, mit wem sie ihren vierzigsten Geburtstag am liebsten verbringen würde, hätte dieser herrische alte Drache aus dem Lauderdale House es nicht auf die Shortlist geschafft, und auch auf keine längere Liste. Doch Kate verspürt eine so intensive Sehnsucht danach, Cecily zu besuchen, dass sie sich direkt zu ihr begibt, ohne vorher nach Hause zu fahren und ihre Reisetasche abzustellen.
Mit ihr ist alles in Ordnung, in allerbester Ordnung. Sie muss nur dieses Chaos in ihrem Kopf für ein paar Stunden bändigen. Dann wird sie sich gut zureden und wieder zur Ruhe kommen.
«Jedes Mal, wenn Sie an einem Samstag kommen, frage ich mich, ob ich noch ganz zurechnungsfähig bin», sagt Cecily und zieht bei Kates Anblick vergnügt die Augenbrauen hoch.
«Ich wollte diesen Sekt mit einer guten Freundin teilen. Sie trinken doch Sekt, oder?»
Cecily wiegt den Kopf. «Wenn Sie ein, zwei Rülpser ertragen, kann ich ein Glas Sekt vertragen. Sekt zum Frühstück?»
«Hat Mrs. Gaffney Ihnen von meinem Alkoholproblem erzählt?», fragt Kate lachend.
«Ich war mir nicht sicher, ob der große Tag heute oder morgen ist, sonst hätte ich Ihre Geburtstagskarte fertig.»
«Keine Sorge, ich bin eigentlich kein Fan von Geburtstagen.»
«Ich auch nicht. Sie feiern den Tag nicht mit Freunden?»
«Ich habe sie gestern Abend eingeladen.»
«Ach ja? Wie war das Dinner?»
«Phänomenal. Ich hätte Ihnen ein paar Reste mitgebracht, aber es gab keine.»
«Für diese Lasagne braucht man Zeit, aber es ist so tröstlich – sie zu kochen und sie zu essen. Ich habe das Rezept in Bologna kennengelernt, ein Jahr bevor ich anfing, das Buch zu schreiben. Eine großartige Stadt, Bologna. Waren Sie schon einmal dort?»
«Ich war in Florenz.»
«Oh, Italien ist ein wirklich wundervolles Land, überall Farben, Schönheit und aufregende Dinge. Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass ich fast ein Jahrzehnt dort gelebt habe?», fragt Cecily verträumt. «Na ja, das war erst in den sechziger Jahren, aber jene Reise muss ich 1953 oder 54 gemacht haben. Ich hatte Ein Herz und eine Krone gesehen, und ein Freund schlug vor, ich solle doch Italien bereisen – Mailand, Bologna und Venedig. Ich war in ziemlich niedergeschlagener Stimmung, raffte mich aber auf. Es war das Beste, was ich tun konnte, und es hat meine Freude am Kochen und Essen wiedergeweckt. Diese kleinen, mit Rinderragout gefüllten Nudelteigtaschen, übergossen mit cremiger Tomatensauce.» Sie spitzt die Lippen zu einem Luftkuss. «Delizioso! Genau das, was ich brauchte. Ihre Freunde haben also Ihre Mühe zu schätzen gewusst?»
«Es war ein schöner Abend.»
«Er hat Ihnen selbst keinen Spaß gemacht?»
«Sie haben ihn genossen.» Kate lächelt, aber Cecilys Miene lässt erkennen, dass sie um das Aufgesetzte dieses Lächelns weiß.
«Und heute Abend essen Sie zu Abend mit …?»
«Ja, das ist der Plan.»
«Der Plan?», fragt Cecily, die etwas Bissigeres sagen will, sich aber zurückhält.
«Mrs. Finn, könnten Sie mir Ihre Geschichte weitererzählen? Ich würde sie wirklich gern hören. Ich muss zumindest für eine kleine Weile in eine andere Welt als in meine eigene abtauchen.»
Cecily betrachtet sie mit so intensivem Mitgefühl, dass Kate am liebsten weinen würde. «Der Krieg war vorbei», sagt Kate und räuspert sich. «Ihr Vater war gestorben.»
«Ach ja», seufzt Cecily. «Das war der Endpunkt jenes Kapitels meines Lebens. Was würden Sie gern als Nächstes hören? Etwas über die italienischen Jahre? Über mein Desaster in Hollywood? Oder wie ich auf Hawaii Hula tanzen lernte?»
«Machen Sie doch einfach da weiter, wo Sie aufgehört haben. Vielleicht erzählen Sie mir, wie es zu Ihrer ersten Veröffentlichung kam?»
Cecily hält inne, trinkt einen Schluck Sekt und klopft sich dann leicht aufs Schlüsselbein. «Das ist ein und dasselbe Kapitel, aber ein recht bittersüßes. Nicht direkt eine Lieblingsphase meines Lebens. Und ich glaube nicht, dass Sie gerade in einer guten Verfassung dafür sind.»
«Nein, erzählen Sie weiter», sagt Kate, trinkt noch einen Schluck und macht es sich in ihrem Sessel bequem.
«Nun, wenn Sie sich sicher sind. Der Krieg war vorbei, und für Samuel und mich war endlich die Zeit gekommen, nach England zurückzukehren. Wir bestiegen das Schiff, diesmal zusammen. Es fühlte sich so an, als fänden wir jetzt wirklich unser Zuhause beieinander. Schweden hatte mich verändert; ich war selbstbewusster geworden, hatte schöne Kleider und eine neue, hochgebürstete Frisur, die mir besser stand. Ich hatte meinen Horizont erweitert und meinen Geschmack verfeinert – alles oberflächliche Dinge, aber gut für die Moral. Doch das Gesicht meines Bruders, als er uns am Hafen abholte, brachte mich rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. Er hatte die letzten schrecklichen Jahre der Bombardierungen und Rationierung durchlebt und machte eine Bemerkung über meine Kleider. Ich hätte ihm gern erklärt, dass ich meinen wunderschönen Samtmantel als Bezahlung für Englischstunden erhalten hatte, aber es war sinnlos. Es erfüllte mich mit Schuldgefühlen, dass der Krieg für mich so angenehm verlaufen war, während sie so viel gelitten hatten.»
«Das war wohl kaum Ihre Schuld.»
Cecily zuckt mit den Schultern. «Als ich in das Haus in Bournemouth zurückkehrte, verließ mich der Mut. Mama sah so geschrumpft aus. Und in meinen sentimentalen Erinnerungen war mir das Haus größer und wärmer erschienen – jetzt erfüllte es mich nach all dem modernen Komfort Stockholms mit Schrecken. Papa hatte mir in seinem Testament 1500 Pfund vermacht, und wir beschlossen, nach London zu ziehen. Wir leisteten eine Anzahlung auf ein Haus in Finchley, und Mama zog bei uns ein. In den letzten zwei Jahren ihres Lebens war sie gut versorgt. Ich werde nie vergessen, wie nett Samuel zu ihr war. Jeden Morgen kochte er ihr Tee und plauderte stundenlang mit ihr, obwohl sie ständig über die kleinsten Dinge meckerte.»
Kate unterdrückt ein Kichern, da sie sich Cecilys Mutter als eine exakte Kopie Cecilys vorstellt.
«Samuel machte jeden Samstag eine Spazierfahrt mit ihr. Er behandelte Mama wie seine eigene Mutter, obgleich er immer noch um Shindel trauerte. Mamas Gesundheit wurde schlechter, und als sie spürte, dass sie mehr Pflege brauchte, als wir ihr geben konnten, bestand sie darauf, in ein Pflegeheim zu gehen. Sechs Wochen später starb sie dort ohne viel Aufhebens. So sollte es auch sein. Es war ein großes Geschenk für mich, dass ich damals an ihrem Bett sitzen und ihre Hand halten konnte, sodass sie nicht allein war, als sie starb. Im Tod war sie genauso schön wie im Leben, unter dem runzligen Elfenbein ihrer Haut zeichneten sich ihre feinen Knochen ab. Ihr glänzendes Haar war auf dem Kopfkissen ausgebreitet, als ich es zum letzten Mal bürstete.»
«Sie waren eine sehr gute Tochter.»
«Einfach eine durchschnittliche. Ich trauerte natürlich um Mama, aber ich war erleichtert, dass sie in ihren letzten Jahren nicht zu einsam gewesen war – es gibt nichts Schlimmeres als Einsamkeit», sagt Cecily und legt bei dem Gedanken die Stirn in Falten. «Doch jedes Mal wenn ich mich niedergeschlagen fühlte, war Samuel für mich da, und ich wusste, dass ich mich erholen würde. Nach einigen Monaten kehrte das Leben zu seinem normalen Gang zurück. Meine Schwester May zog in jenem Frühjahr nach Amerika, mit ihrem Mann. Und Leo kaufte eine Wohnung in Brighton. Samuel und ich lebten in unserem Haus in Finchley. Wir machten es zu einem gemütlichen Zuhause und legten einen Garten an. Inzwischen ertrug Samuel seine Trauer leichter – endlich war er wieder optimistischer. Er fand eine Arbeit, die ihm gefiel, als Übersetzer für eine Schifffahrtsgesellschaft, er bekam ein gutes Gehalt. Ich erwog, mir eine Stelle im Restaurantbereich zu suchen, meine Arbeit im Hotel hatte mir gefallen. Und wir redeten erneut über eine Adoption. Nachdem Samuel seine eigene Familie verloren hatte, wollte er gern einem bedürftigen Kind ein glückliches Zuhause geben. Auf unsere geplanten Abenteuer freuten wir uns ebenfalls. Wir würden mit einer zweiwöchigen Reise nach Amerika beginnen, meine Schwester in New York besuchen, dann einen Wagen mieten und nach Florida fahren, wo Gisele inzwischen lebte.»
«Samuels Nichte?»
«Genau. Sie hatte sich in einen amerikanischen GI verliebt, und die beiden waren in die Staaten zurückgekehrt. Gisele hatte ihre eigene Schneiderwerkstatt eröffnet und kurz zuvor eine Tochter zur Welt gebracht, die sie nach Sophie benannt hatte. Samuel war so aufgeregt, er konnte es gar nicht erwarten, den Neuankömmling kennenzulernen. Er hatte dem Baby bereits bei Liberty’s eine wunderschöne rosa Decke gekauft. Ich war am Vormittag wegen der Tickets in der Reiseagentur gewesen. Samuel wollte, dass wir stilvoll reisten. Ich machte mir Sorgen wegen der Ausgaben, aber ihm war es wichtig, dass ich die Reise genoss. Er wollte immer das Beste für mich, er war ein so lieber Mann. Ich verbrachte eine gute Stunde in der Reiseagentur, besprach unsere Optionen und schrieb die Einzelheiten auf, um später am Abend mit ihm darüber zu reden. Als ich die Reiseagentur verließ, begann es zu regnen – ein plötzlicher Aprilschauer, obgleich das Wetter an diesem Tag mild war, tatsächlich sogar recht schwül. Ich hatte meinen Regenschirm vergessen, und so ging ich spontan ins Kino, um Gangster in Key Largo zu sehen – vermutlich hatten mich unsere Gespräche über Florida auf die Idee gebracht. Nach dem Film beschloss ich, Samuel sein Lieblingsgericht zu kochen, und kaufte Lammkoteletts. Als ich nach Hause kam und gerade den Schlüssel aus der Handtasche nahm, hörte ich im Flur das Telefon klingeln. Normalerweise rief tagsüber nie jemand an. Ich setzte meine Einkäufe auf der Türschwelle ab, und ich erinnere mich, dass ich hastig mit dem Schlüssel hantierte und zum Telefon eilte. Ich dachte, es müsse die Reiseagentur sein. Aber ich irrte mich. Es war Samuels Sekretärin. Sie hatte seit Stunden versucht, mich anzurufen. Es war etwas Schlimmes passiert.»
«Wieso? Was denn?», fragt Kate überrumpelt.
«Etwas wirklich Schreckliches …», sagt Cecily und schüttelt den Kopf. «Samuel war an seinem Schreibtisch zusammengebrochen. Ich sollte sofort ins Krankenhaus kommen.» Sie blickt auf ihre zitternden Finger hinunter. «Ich eilte in Panik auf die Straße. Mein Nachbar sah mich und bot mir an, mich zu fahren. Ich sagte mir selbst, dass alles gut werden würde, redete mir gut zu, aber als ich auf der Station ankam, machte mir das Gesicht der Schwester klar, dass etwas absolut nicht in Ordnung war.» Sie streichelt langsam ihre Hand, den Blick gesenkt.
«Was war geschehen?», fragt Kate mit einem Gefühl plötzlichen Erschreckens.
Cecily schüttelt den Kopf, diesmal langsamer. «Ein Aneurysma», sagt sie und schluckt kräftig.
«Was?», fragt Kate und hält den Atem an. «Aber mit ihm war doch alles in Ordnung, oder nicht? Er war nicht – er hat nicht … es war alles okay mit ihm?»
«Nein», antwortet Cecily und begegnet endlich Kates Blick. «Es war nicht okay.»
«Aber … was?», fragt Kate mit ungläubigem Kopfschütteln.
«Samuel ist auf dem Weg zum Krankenhaus im Krankenwagen gestorben. ‹Er ist erloschen wie eine Kerze.›»
«Aber … aber … nein!», sagt Kate, der plötzlich übel wird.
Cecily schüttelt den Kopf, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. «Als ich endlich zu ihm durfte, hatte er nichts mehr von meinem Samuel. Mamas Leiche hatte immer noch wie Mama ausgesehen, aber Samuel? Dort lag ein Fremder im Bett, die Augen geschlossen, die Haut aschfahl und eiskalt. Wie konnte das derselbe Samuel sein, der mich am Morgen mit einem Kuss verabschiedet hatte, ein Mann von solch unerschöpflicher Wärme und Lebendigkeit?», sagt sie mit hängendem Kopf.
«Ach, Mrs. Finn …»
«Ich erinnere mich, dass mir schwindlig wurde», erzählt Cecily und beißt sich auf die Lippen. «Und als Nächstes weiß ich nur, dass die Krankenschwester mir gesüßten Tee reichte und mir einen Blick zuwarf, den ich nie wieder in jemandes Gesicht sehen möchte. Dieser Blick machte mir klar, dass es wahr war. Nach einiger Zeit, es müssen Stunden gewesen sein, fuhr mein Nachbar mich nach Hause. Die Einkaufstasche stand noch im Flur. Ich muss wohl unter Schock gestanden haben, aber ich konnte nur daran denken, dass ich der Reiseagentur so bald wie möglich würde absagen müssen …» Sie holt tief Atem und sieht Kate erneut an, die nun selbst damit kämpft, die Tränen zurückzuhalten.
«Die schlimmsten Zeiten des Kriegs zu durchleben», sagt Cecily, «und jeden zu betrauern, den er liebte … Er war im Angesicht all dieses sinnlosen Schreckens so tapfer gewesen … und endlich hatte er wieder angefangen, das Leben zu genießen. Wie kann man diese Welt gerecht nennen? Es ergibt noch immer keinen Sinn», sagt sie, plötzlich von einer Traurigkeit ergriffen, die ihren ganzen Körper erbeben lässt.
Kate eilt zu Cecily, kniet sich neben sie und umfasst ihre geballte Faust.
«All die Jahre, die wir im Krieg getrennt verbracht haben – man denkt, man hat alle Zeit der Welt, aber so ist es nicht. Wissen Sie, ich hätte jetzt gern einen Whisky, meine Liebe», sagt sie, während sie mit zitternden Fingern Kates Hand festhält. «Unter dem Nachttisch.»
Kate schenkt Cecily den Whisky ein, bedeutet ihr dann mit einer Geste, dass sie auch gern einen Schluck hätte, und gießt ihn in ihr leeres Sektglas. Dann setzt sie sich wieder neben Cecily auf den Boden.
«Aber ich hatte keine Ahnung, Mrs. Finn – ich dachte, sie seien zusammen alt geworden. All diese gemeinsamen Mahlzeiten in Ihrem Buch und die Geburtstagsdinner, all die Menüs mit Samuels Lieblingsgerichten?»
Cecily schüttelt den Kopf. «Leider reine Fiktion», sagt sie unglücklich. «Der arme Samuel hat seine Zukunft nicht bekommen, und so habe ich eine für ihn geschrieben. Ich habe mir die Mahlzeiten vorgestellt, die wir zusammen genossen hätten. Wenn ich darüber schreiben konnte, wie wir uns gemeinsam an einen Tisch setzten und gemeinsam aßen, konnte ich einen Teil von ihm am Leben halten.»
«Aber, Mrs. Finn, Sie sagten, Sie seien mit ihm nach Hollywood gefahren und er sei mit Ihnen in Italien gewesen …»
«Aber das war er auch», erklärt Cecily mit solcher Überzeugung, dass es Kate mit Schmerz erfüllt. «Ich hatte ihn in meinem Herzen.»
«Und Schweden – Sie sagten, zu seinem achtzigsten Geburtstag seien Sie noch einmal mit ihm dorthin gereist? Um die wunderschönen Blumen zu sehen – das haben Sie gesagt.»
«Es ist meine Wahrheit. Ich bin an den Ort zurückgekehrt, den zu zeigen ich ihm versprochen hatte und an dem er gern gewesen wäre. Er war auf jedem Schritt des Weges bei mir.»
«Mrs. Finn, das ist einfach … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir furchtbar leid, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Sie niemals gebeten, von ihm zu erzählen.»
«Ach, Kate, ich habe über sechzig Jahre ohne ihn gelebt. Manchmal kam mir unsere Ehe wie ein Traum vor. Trotzdem hört man nicht auf, jemanden zu lieben, nur weil er nicht mehr mit einem im selben Zimmer ist.»
«Aber Sie haben nie wieder geheiratet? Sie waren noch jung.»
«Jung wohl kaum. Samuels Tod so bald nach dem meiner Eltern – das hat alles seinen Tribut gefordert. Es folgten mehrere düstere Jahre. Ich muss zugeben, hätte ich das geringste Vertrauen in Gott oder den Himmel gehabt, hätte ich versucht, mich dorthin zu befördern. Erst als ich ungefähr in Ihrem Alter war, habe ich mich allmählich wieder auf das Leben eingelassen.»
«Ach nein», sagt Kate und reibt sich die Herzgegend. «Es tut mir leid, dass ich Sie gebeten habe, davon zu erzählen.»
«Sie haben mich gefragt, wie ich zur Schriftstellerin geworden bin. Ich hatte das niemals vorgehabt. Samuel und ich hatten so viele Pläne gehabt, aber das Leben hatte andere. Eines hat sein Tod mich gelehrt: Wer das Leben nicht zu dessen eigenen Bedingungen umarmt, der wird entsprechend leiden.»
«Und was haben Sie getan?»
«Ich habe getrauert. Manchmal dachte ich, der Kummer würde mich besiegen. Aber die Welt dreht sich weiter, ob es einem nun gefällt oder nicht. Ich habe mich gezwungen, darüber nachzudenken, was Samuel sich gewünscht hätte – er hätte niemals gewollt, dass mein Herz gebrochen bleibt. Und so begann ich, mich aus dem Schmerz herauszuschreiben. Ich versuchte, das Kinderbuch zu überarbeiten, aber es erinnerte mich zu sehr an Schweden. Erst ein Jahrzehnt später habe ich mich wieder damit befasst. Das Einzige, was mich in meinem Leid tröstete, war das Kochen – dieser kreative Akt war heilsam. Und wenn ich die Erinnerungen und die Rezepte der Mahlzeiten niederschrieb, machte sie das zu etwas Greifbarem. Thought for Food hatte ganz kurze Kapitel, es waren kleine Ausschnitte des Lebens – jedes Mal, wenn ich dachte, das ist doch albern, ich sollte aufgeben, wusste ich, dass nur noch ein oder zwei Seiten fehlten. Es war nicht so, als schriebe ich einen Proust-Roman. Dieses Buch hat mich gerettet. Ich schuf etwas, das die Zeit überdauern würde. Wenn es einmal veröffentlicht wäre, könnte ich es auf meinem Regal anschauen, und dann würde ich wissen, dass Samuel und ich existiert hatten – und ich war ja immer noch da. Alles, was ich mir vom Leben erwartet hatte, blieb aus, aber was ich stattdessen bekam, war wundervoll. Es gab jedoch nur eine einzige Möglichkeit, in dieses neue Leben einzutreten, nämlich das loszulassen, was ich mir von meiner Zukunft erhofft hatte. Seien Sie tapfer, Kate. Ich weiß, loszulassen ist schwer, wenn man Angst hat.»
«Reden Sie nicht so, Mrs. Finn. Es klingt so, als würden Sie sterben.»
«Natürlich werde ich sterben, Kate, ich bin siebenundneunzig.»
«Nein, ich meine, als würden Sie heute sterben – und das würde meinen Geburtstag, ehrlich gesagt, weiter verdüstern.»
«Heute ist nicht dieser Tag», sagt Cecily, und ihr Kinn fällt auf die Brust, als sie den Kopf schüttelt und einen kleinen Rülpser ausstößt. «Nehmen Sie den restlichen Sekt mit nach Hause», sagt sie und drückt Kates Hand erneut. «Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Lassen Sie ihn sich von niemandem verderben.»
Kate erwidert Cecilys Händedruck und küsst sie dann sanft zum Abschied. Sie geht in die Küche und bringt den Rest des Sekts zu Bernadette, die Kate mit einer ungeschickten Umarmung gratuliert, sie an sich drückt und darauf besteht, ein Glas mit ihr zu trinken.
Als Kate auf der Straße steht, atmet sie tief durch. Es ist einer dieser gnadenlos grauen Wintertage; es wird den ganzen Nachmittag unausgesetzt regnen. Paris dagegen ist selbst bei Regen schön.
Nick hat ihr erneut eine Nachricht geschickt und fragt, ob mit ihr alles in Ordnung ist. Sie antwortet:
Alles gut, wir sehen uns beim Dinner.
Normalerweise würde sie besorgt sein, das könnte kalt klingen, aber Cecilys Geschichte hat sie aus der Fassung gebracht, sodass sie sich ausnahmsweise keine Mühe gibt, Nick ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vielmehr zieht sie ihren Schal enger um den Hals und macht sich auf den Heimweg. Sie wird den Nachmittag im Bett verbringen, lesen und Reste des Geburtstagskuchens essen. Wenn die Zeit für das Dinner gekommen ist, wird sie hoffentlich mehr Appetit darauf haben als jetzt.