Mach, dass das nicht die Türklingel ist, bitte mach, dass das nicht die Türklingel ist.
Kate ist diesen Abend in Ritas Wohnung, um eine Lieferung von Tesco anzunehmen, während Rita aus ist. Den ruhigen Abend nutzt Kate für einen Akt radikaler Selbstfürsorge: eine selbstgemachte Haarpackung aus Avocados. Gerade hat sie sich die Kopfhaut mit grüner Pampe eingerieben und hält noch einen Rest in der Hand. Der Bote von Tesco ist erst in einer Stunde angekündigt. Aber das ist eindeutig erneut die Türglocke.
Vielleicht ein Nachbar, wahrscheinlich John Pring, der sich über Nager beschwert, oder Lizzette, die sich über John Pring beschwert. Als Kate sich mit lautem Rufen erkundigt, wer da sei, hört sie zu ihrer Überraschung, dass es Gerrys Sohn Jeremy ist.
«Mum ist ausgegangen – mit deiner Mum und mit Patrick. Ins Odeon. In den neuen Tom-Hanks-Film. Sie kommt gegen 23 Uhr zurück», ruft sie und hofft, dass er wieder geht.
«Ja, das weiß ich. Ich habe etwas für dich.»
Bestimmt Bücher für Rita. «Okay, legst du es bitte vor die Tür?»
«Ich fürchte, es wird sich nicht gut halten.»
Kates Finger krümmen sich zu grün verschmierten Klauen, während sie sich bemüht, die Tür mit dem Ellbogen zu öffnen. Dort steht tatsächlich Jeremy in einem Tweed-Jackett und senfgelben Cordhosen, das graue Haar ordentlich zur Seite gekämmt. Zu Kates Überraschung hat er eine Flasche Wein und eine Tüte mit Essen dabei.
«Hallo», sagt Jeremy. «Rita erwähnte, du seist allein zu Hause und würdest vielleicht gern einen Happen essen.»
«Das hat sie gesagt?» Kate tritt zurück, um ihn hereinzulassen, während ihr Magen ein leises Knurren von sich gibt. «Leider bin ich nicht zum Abendessen gekleidet, aber immerhin habe ich Salat im Haar …»
Er wirft einen Blick auf ihren Haaransatz, ist aber zu höflich, um eine Bemerkung zu machen. «Soll ich es aufwärmen?»
Kate hebt resigniert die Hände. Sie betrachtet die Speisen, die er auspackt, zunächst mit Appetit, dann aber rasch mit eiskaltem Entsetzen: Hähnchenschnitzel mit Kartoffelbrei, gefolgt von einem Blaubeer-Pie mit Riemchendeckel. Nein! Aber natürlich ja. Komm und warte auf Tesco? Eher hätte Rita sagen sollen, komm und lass dich mit einem Nachbarn verkuppeln. Seite fünfunddreißig, «Dinner zwecks Partnersuche – es ist besser zu heiraten, als zu brennen». Paulus …
«Was genau hat Mum dir gesagt?», fragt Kate misstrauisch.
«Oh, nicht viel.»
«Nicht viel … nämlich was genau?»
«Sie erwähnte, du würdest heute Abend ihre Wohnung hüten und dich vielleicht über Gesellschaft freuen.»
«Äh, warum?»
«Na ja, da du deinen Freund und deinen Arbeitsplatz verloren hast.»
«Hm. Ich würde nicht direkt sagen, dass ich Nick verloren habe – und meinen Job habe ich mit Sicherheit nicht verloren, sondern ich hatte endlich den Mut zu gehen, aber wie dem auch sei. Alles ist in bester Ordnung, ich liebe meinen neuen Job. Ich kann es nicht fassen, dass sie das gesagt hat.» Sie kann es nicht fassen, dass Rita sie wie eine totale Loserin aussehen lässt.
«Und was machst du jetzt?»
«Ich arbeite als Kellnerin im Aposta, in diesem Café an der Hauptstraße. Und ich bin dabei, einen Dinner-Club zu gründen – inspiriert durch das Buch, das deine Mum sich von mir geliehen hat.» Kate hätte schon vor Monaten darauf bestehen sollen, dass sie es zurückgibt.
«Ooh, ich war noch nie bei einem Dinner-Club.»
«Dann komm doch zum nächsten Abend. Es gibt noch ein paar Eintrittskarten für Samstag in zwei Wochen. Dinner für ernsthafte Pasta-Fans. Natürlich nicht ernsthaft im Sinne von ernst», fährt sie fort und senkt den Blick.
«Das klingt toll», sagt er begeistert. Er ist kaum älter als Nick, aber er sieht aus wie ein Mann in den mittleren Jahren – seine Wangen sind gerötet, und mit seinem Outfit wäre er im Rotary-Club genau richtig.
«Hör mal, ich wollte mit meiner Frage eigentlich bis nach dem Nachtisch warten …», sagt er mit nervösem Lächeln. «Aber da du das Buch bereits erwähnt hast – es ist der Hauptgrund, weshalb ich hier bin.»
«Oh … okay … meine Güte! Superpeinlich», sagt Kate und beißt sich auf die Lippen. «Schau mal, Jeremy …»
«Nenn mich Jerry.»
«Deine Mutter heißt doch schon Gerry.»
«Das wird anders geschrieben.»
«Ach so, ja. Klingt allerdings gleich. Aber okay – also, Jerry, ich bin sehr geschmeichelt, aber ich bin nicht auf dem Markt …»
«Für was?»
«Du weißt schon …»
«Ich glaube eher nicht.»
«Bitte, denk nicht, dass es an deinem Alter liegt. Oder daran, dass du bei deiner Mutter lebst», sagt sie mit verlegenem Lachen. «Ich bin ja selbst bis vor kurzem bei meiner Mutter untergeschlüpft.»
«Tut mir leid, Kate, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.»
«Du sagtest, der Grund, aus dem du hier bist, ist das Buch», sagt Kate, die sich windet, weil sie es so quälend findet, lang und breit über das Ganze reden zu müssen.
«Das stimmt.» Er nickt, doch sein Gesicht ist noch immer verständnislos. Für einen Mann, der einen wichtigen Job in einem Verlag hat, sitzt er ziemlich auf der Leitung.
«Du bist offensichtlich vorbeigekommen, weil Mum dir gesagt hat, dass ich hier bin.»
«Ja, andernfalls hätte ich dich allerdings angerufen.»
«Und du hast mir Schnitzel mitgebracht? Ausgerechnet Schnitzel?»
«Ich verstehe nicht recht, wie du von paniertem Hähnchen zu einer romantischen Verwicklung gelangst», sagt er mit verwirrter Miene.
«Das ist das Eheanbahnungsdinner», sagt Kate und spürt, wie sie noch tiefer errötet.
«Oh Gott, nein!», sagt er ein wenig zu heftig für Kates Ego. «Ich habe das Menü gewählt, weil ich Schnitzel mag, und nicht, weil ich eine Beziehung mit dir möchte», sagt er lachend. «Du hast es wörtlich genommen? Ahhh, das ist sehr schmeichelhaft.» Er stößt erneut ein Lachen aus, diesmal ein schallendes Gelächter. «Tut mir leid, Kate, aber ich bin derzeit vergeben.»
Kate schüttelt den rot angelaufenen Kopf.
«Schau, lassen wir das Schnitzel noch zehn Minuten stehen», sagt er. «Ich mache den Wein auf. Und dann erkläre ich dir, was ich tatsächlich will.»
Zwanzig Minuten später hat Kate das Gefühl, sie würde diesen Mann sehr gern umarmen – zwar nur platonisch, aber doch innig.
«Ich habe immer gedacht, eine moderne Version mit neuen Rezepten wäre eine tolle Idee», sagt Kate aufgeregt.
«Und du hast eine großartige PR-Geschichte, du könntest eventuell im Anschluss Mrs. Finns Original veröffentlichen.»
«Du glaubst wirklich, dass eine zeitgenössische Version sich verkaufen würde?»
«Kate, wir haben im vergangenen Jahr ein Dutzend Titel zu Clean Eating herausgegeben. Vertraulich kann ich dir sagen, dass die Rezepte ein mit Quinoa angerichteter Einheitsbrei sind. Ich mag an Mrs. Finns Buch unter anderem, dass sie eine klare Stimme hat – ich würde also jeden Schreiber, den wir beauftragen, dazu anhalten, den Geist des Originals einzufangen.»
«Mrs. Finn wird überglücklich sein, dass ihr Buch noch einmal zu neuem Leben erweckt wird», sagt Kate, als Jerry ihr Wein nachschenkt. «Sie redet immer wieder darüber, dass ihr so lange schon alles sinnlos erscheint. Sie hat keine Kinder, daher hat sie kein ‹Vermächtnis› – dieses Buch war gewissermaßen ihr Baby, falls das nachvollziehbar klingt?»
«Und jetzt hast du das Copyright. Für die moderne Version solltest du um die tausend Pfund bekommen, und falls wir das Original neu auflegen, erhältst du hundert Prozent der Tantiemen – vielleicht fünftausend? Leider nicht genug, um sich zur Ruhe zu setzen, aber auch nicht zu verachten.»
«Ich weiß nicht, was Mrs. Finn mit dem Geld anfangen wird, aber sie wird entzückt sein.»
«Du bist also im Prinzip einverstanden, dass wir nächste Woche einer Food-Autorin den Auftrag geben?»
«Oh, unbedingt.»
«Du möchtest nicht noch das Wochenende darüber nachdenken?»
«Es gibt nichts nachzudenken. Und jetzt hol das Schnitzel.»
Zwei Stunden später, der Tesco-Bote war inzwischen da, und Jerry ist gegangen, ist Kate überglücklich. Sie wäscht sich das Haar aus und denkt über die Logistik ihres Dinner-Club-Abends mit zwei Pasta-Gängen nach, als ihr ein Gedanke kommt und sie warm durchflutet wie ein Schluck Jägermeister, aber ohne das bedauerliche saure Nachbrennen. Eilig spült sie den letzten Rest Avocado aus ihrem Haar, verzichtet auf Schuhe, schnappt sich ihren Schlüssel und rennt nach unten und durch den Korridor bis zu Jerrys Wohnungstür.
«Habe ich etwas vergessen?», begrüßt Jerry sie herzlich.
«Tut mir leid», sagt Kate, die kaum innehält, um Atem zu schöpfen. «Aber ich hätte nicht so rasch ja sagen sollen. Ich habe noch einmal darüber nachgedacht.»
«Das ging schnell», sagt er und verzieht enttäuscht das Gesicht.
«Nein, nicht, was du denkst, ich möchte unbedingt, dass das Buch veröffentlicht wird. Aber ich möchte nicht, dass du nächste Woche jemanden mit dem Schreiben beauftragst», sagt sie und schaudert bei dem Gedanken zusammen.
Er schaut sie verwundert an. «Falsches Timing?»
«Nein», antwortet Kate, die sich mit ihren Worten beeilt, bevor sie den Mut verliert. «Die Autorin. Die Sache ist die, Jerry, ich kenne dieses Buch, es ist wie ein Teil meiner selbst. Ich habe es ständig mit mir herumgetragen – ganz buchstäblich –, seit Cecily es mir damals geliehen hat. Ich interessiere mich leidenschaftlich fürs Kochen – und ich habe lange als Texterin gearbeitet … Es ist einfach so – falls irgendjemand eine moderne Version dieses Buches verfasst, sollte ich das sein.» Nachdem sie nun ihr Anliegen losgeworden ist, kann sie nicht mehr aufhören zu reden. «Ich bin mir sicher, eine andere Autorin könnte gute Arbeit leisten, aber ich würde so viel mehr hineingeben – mehr Gedanken, mehr Liebe, mehr Aufmerksamkeit. Ich würde dem Text alles geben.»
Er lacht leise und verlegen. «Aber du hast nie zuvor ein Buch geschrieben.»
«Genau wie sonst auch niemand, der oder die einen Erstling verfasst. Ich kann dieses Buch schreiben, da bin ich mir sicher. Ich kann Menüs entwerfen und sie ausprobieren, und ich weiß, wie man köstliches Essen zubereitet. Und ich denke viel darüber nach, sogar viel zu viel, was im Kopf anderer Leute vor sich geht.»
Er verschränkt die Arme vor der Brust und macht ein unbehagliches Gesicht. Kate hat noch nicht darüber nachgedacht, was sie tun wird, sollte er ablehnen. Dieses Buch hat Cecily das Leben gerettet, und Kate möchte es nur zu gern benutzen, um sich selbst ein anderes Leben zu verschaffen. Könnte sie sich mit der Idee abfinden, dass jemand anderes es schreibt? Wahrscheinlich schon. Wird sie für die Chance kämpfen, es selbst zu tun? Unbedingt.
«Ich habe im Januar eine Miniversion einer modernen Fortsetzung verfasst», fährt sie fort. «Und mein Dinner-Club ist im Grunde eine Event-Version des Buchs. Außerdem kann ich mir nichts vorstellen, was Mrs. Finn glücklicher machen würde, als wenn ich das Buch selbst schreibe.»
Er seufzt. «Nun, ich fürchte, dieser letzte Punkt hat kommerziell gesehen wenig Gewicht, aber wir können ja einen Versuch machen. Zeig mir doch ein paar Probekapitel. Unterdessen informiere ich schon einmal eine andere Autorin. Ich müsste selbst ziemlich begeistert sein, um mein Team von deinem Vorschlag zu überzeugen. Denkst du, du könntest in, sagen wir, vier Wochen, ein Exposé und eine Zusammenfassung von insgesamt etwa dreißig Seiten fertig haben?»
«Du bekommst sie in zwei Wochen.»
Als Rita und Patrick an diesem Abend vom Kino nach Hause kommen, umarmt Kate Rita begeistert. Diesmal ist es ihre Mutter, die sich mühsam befreit.
Rita legt ihren Mantel übers Sofa und zieht sich die Schuhe aus. «Deine Mutter ist schließlich doch zu etwas gut. Siehst du, Patty Cakes? Endlich gibt meine Tochter zu, dass ich eine tolle Mutter bin.»
«Danke, Mum, dass du die Art von Mutter bist, die meine Post aufmacht, meine Bücher klaut und sie an die Nachbarin verleiht», sagt Kate, während Rita wider Willen lachen muss. «Es tut mir leid, dass ich dir deswegen so böse war.»
«Solange du das Buch mir widmest, sind wir quitt.»
Es ist ziemlich klar, wem Kate das Buch widmen würde, aber das ist kein Problem. Sie kann Rita im Dank unterbringen.