Ruf mich an. Bitte ruf mich an. Bitte ruf mich jetzt einfach an.
Seit den ersten furchtbaren Tagen nach Frankreich hat Kate nicht mehr derart verunsichert an ihrem Handy geklebt. Jerry hat gesagt, er würde sich Anfang der Woche melden, aber erst am Donnerstagmorgen, als sie auf dem Weg zur Arbeit im Bus sitzt, taucht sein Name endlich auf dem Display auf, als das Handy klingelt. Sie nimmt eilig ab.
«Kate! Hoffentlich ist es nicht noch zu früh für meinen Anruf?»
«Überhaupt nicht», antwortet sie möglichst leise, da ihre Sitznachbarin ihr einen säuerlichen Blick zuwirft.
«Prima. Zunächst danke für das Dinner letzte Woche, wir waren begeistert. Du bist eine talentierte Köchin.»
«Das höre ich gerne», sagt Kate, deren Magen sich nervös zusammenzieht, während sie hofft, dass er endlich zur Sache kommt.
«Also, wir hatten gestern unsere Besprechung zur Auftragsvergabe. Wir haben uns über dein Exposé unterhalten. Nach deiner harten Arbeit dachte ich mir, du hast einen Anruf verdient und nicht nur eine E-Mail.»
«M-hm», sagt Kate, die spürt, wie ihre Kehle trocken wird.
«Ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt hatte, aber wir haben auch Celina Summer von dem möglichen Auftrag informiert – ihre Agentin sucht ein neues Projekt, um Celina ansprechbarer zu machen.»
«Oh. Ich wusste nicht, dass ich in Konkurrenz zu ihr stehe», sagt Kate geschockt. Cara hat mehrere Food-Events mit Celina veranstaltet und erzählt, sie sei eine unglaubliche Zicke, die viel mehr auf Kokain abfahre als auf Essen.
«Nun – Celina hat viele Fans in den sozialen Medien und schreibt gerade ihr sechstes Buch …»
«M-hm …», sagt Kate nur, denn Celinas Bücher sind so dünn und lahm wie Celina selbst, und der Gedanke, dass Celina dieses ganz besondere Buch mehr schlecht als recht hinsudeln wird, ist ziemlich verstörend.
«Bei den Altersgruppen, auf die es ankommt, ist sie eine gut eingeführte Marke», sagt Jerry. «Mütter mit Kindern, Millenials …»
«Ich verstehe», sagt Kate, die Enttäuschung in sich aufsteigen fühlt.
«Und die Sache ist die, für unser Verkaufsteam wäre es viel einfacher, Celina auf den Markt zu bringen als eine Unbekannte. So läuft dieses Geschäft nun mal.»
Kate nickt, denn sie befürchtet, dass nur ein erstickter Laut der Enttäuschung herauskommt, sollte sie den Mund aufmachen.
«Aber ich lege keinen Wert darauf, meinem Verkaufsteam die Arbeit einfacher zu machen», sagt Jerry. «Ich will großartige Bücher verkaufen, darum geht es mir – Bücher mit Herz und Integrität.»
«Ich verstehe», sagt Kate. Wie soll sie Cecily die schlechte Nachricht eröffnen?
«Was hältst du also davon, morgen in den Verlag zu kommen, um das Team kennenzulernen? Unterdessen können wir einen Vertrag aufsetzen. Ich würde dir raten, dir einen Agenten zu suchen. Wir können dir ein paar Leute empfehlen.»
«Entschuldigung, einen Agenten wofür?»
«Was du geschrieben hast, hat mir sehr gefallen, Kate. Deine Stimme ist unverwechselbar und liebenswert. Deine Menüs sind köstlich, kein einziges Quinoa-Körnchen in Sicht. Und du bist eindeutig sehr engagiert.»
«Du meinst, ihr habt euch für mich entschieden?», fragt Kate, und ihre Stimme wird lauter, während sie strahlend lächelt. Soll sich ihre Sitznachbarin doch aufregen!
«Ich bin mir ziemlich sicher, dass ‹komm und schau dir deinen Vertrag an› genau das bedeutet», antwortet er lachend. «Ja! Wir haben uns für dich entschieden.»
Am folgenden Vormittag verlässt Kate Jerrys Büro mit einem Vorvertrag in den Händen und von brennender Erregung erfüllt. Es ist ein wunderschöner, sonniger Tag, und William erwartet sie nicht vor eins. Sie hat also Zeit, in Soho einen Kurzwarenladen mit besonders schicker Ware aufzusuchen. Dort kauft sie das schönste Band aus rotem Satin, das sie finden kann, und bittet die Verkäuferin, die sieben Seiten mit einer perfekten Schleife zusammenzubinden. Dann springt sie in ein Taxi zum Lauderdale House und eilt am Empfang vorbei in Cecilys Zimmer.
Sie klopft an, erhält aber keine Antwort. Es ist elf Uhr vormittags. Da Cecily inzwischen sehr viel schläft, macht sie wahrscheinlich gerade ein Nickerchen. Kate klopft erneut an und öffnet vorsichtig die Tür.
Das Bett ist leer, ebenso Cecilys Sessel. Kate schaut im Badezimmer nach: Auch dort ist sie nicht. Letzten Sonntag war Cecily Kate ganz besonders gebrechlich vorgekommen, und plötzlich ist sie davon überzeugt, dass das böse und ironische Universum nach allem, was vorgefallen ist, ausgerechnet diesen Tag ausgewählt hat, um Cecily zu sich zu rufen. Sie eilt zum Empfang zurück und klopft an Mrs. Gaffneys Tür.
Mrs. Gaffney nimmt Kate sanft beim Arm. «Kommen Sie mit», sagt sie verschwörerisch und führt sie durch den Korridor nach hinten und von dort in den Garten. Dort deutet sie auf den Rosengarten, wo eine einsame Gestalt in einem marineblauen Kostüm auf einer Bank sitzt.
Kate sieht Mrs. Gaffney verblüfft an, doch die zuckt nur mit den Schultern. «Sie sagte, sie wolle zur Abwechslung einmal frische Luft schnappen.»
Kate eilt über den Rasen, und als sie sich Cecily nähert, sieht sie, dass diese die Augen geschlossen hat. Kate kann nicht sagen, ob sie schläft, doch als sie zu ihr tritt, schlägt die alte Dame langsam die Augen auf und lächelt schwach. Kate setzt sich neben sie und reicht ihr wortlos den mit dem Satinband geschmückten Vertrag. Hoffnungsvoll fragend zieht Cecily die Augenbrauen hoch, und Kate nickt, unfähig, ein strahlendes Lächeln zu unterdrücken.
Cecily nimmt das Dokument, legt es sich auf den Schoß und streicht mit einem Seufzer tiefer Zufriedenheit darüber. Sie ergreift Kates Hand und drückt sie. Ihre Finger sind kalt und knochig, aber ihr Griff ist kräftig. Sie hält Kates Hand und lässt sie nicht los.
In frohem Schweigen sitzen die beiden Frauen eine Weile da, das Gesicht der wärmenden Sonne zugewandt.