Villa Aurelia, Beginn der vierten Stunde
[08:00 h]
Endlich allein – jedenfalls so gut wie. Varro, Anwalt und Literat aus Leidenschaft, war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Endlich hatte er wieder einmal Zeit für sich, sein Steckenpferd und für das, was er am liebsten tat: Bücher schreiben. Mittlerweile war die Beschäftigung mit der Vergangenheit zur Passion geworden, belächelt von seinen Ratskollegen, die dazu neigten, ihn als verschroben hinzustellen. Varro wäre jedoch nicht Varro gewesen, wenn ihm dies etwas ausgemacht hätte, und so nutzte er die Gelegenheit, um sich in seinem Studierzimmer zu verschanzen. Außer Fortunata, die seine Liebhaberei als Zeitverschwendung betrachtete, und Antigonos, seinem Verwalter, hatte hier niemand Zutritt, und jedermann hütete sich, das ungeschriebene Gesetz zu übertreten.
»Wo waren wir gerade stehen geblieben?«
»Beim Tod des göttlichen Tiberius, Tribun.«
Varro stieß einen gequälten Seufzer aus. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst mich nicht mehr mit ›Tribun‹ an …«
»Verzeih mir, Herr – ich vergaß!«, entschuldigte sich der Zypriote, ruhender Pol in Varros Haushalt und seit zehn Jahren in Diensten seines Herrn, und rückte die Schreibtafel zurecht, welche auf seinem Oberschenkel lag. Jede der insgesamt drei Seiten, am linken Rand durch eine Kordel verbunden, war mit einer dünnen Wachsschicht überzogen, in die der Verwalter der Villa Aurelia seine Notizen einritzte. Im Verlauf der Jahre war so eine ansehnliche Sammlung zusammengekommen, weit mehr als 100 Tafeln, welche Antigonos, Verwalter, Sekretär und Hauslehrer in einer Person, in einer Truhe verwahrte. Der Hausherr, nicht gerade ein geborener Bürokrat, setzte diesbezüglich vollstes Vertrauen in ihn, wohingegen er den Griechen, Antigonos’ Landsleuten, eher mit Misstrauen begegnete. Varros Ansicht nach taugten die Hellenen nicht viel, und wer den Fehler beging, ihnen Geld zu leihen, lief Gefahr, es nicht wiederzusehen. »Soll nicht wieder vorkommen!«
»Ich weiß nicht, wie oft du das schon gesagt hast!«, gab Varro zur Antwort, längst wieder in die Schriftrolle vertieft, welche er mit gerunzelter Stirn überflog. Für ihren Erwerb hatte er ein kleines Vermögen bezahlt, aber das war ohne Belang. Schließlich handelte es sich um eine Abschrift von ›De Vita Caesarum‹ von Sueton, das allein war Rechtfertigung genug. Um Material für seine ›Kriminalgeschichte des Römischen Reiches‹ zu beschaffen, scheute er weder Kosten noch Mühen, selbst auf die Gefahr, als Verschwender dazustehen. »Also: Wo waren wir stehen geblieben?«
»Beim Tod des göttlichen …«, begann der greise Hauslehrer, wurde jedoch umgehend unterbrochen.
»Tiberius – stimmt!«, murmelte Varro und setzte seine Wanderung durch das Studierzimmer, in dem eine heillose Unordnung herrschte, mit nachdenklicher Miene fort. Überall, selbst auf Varros Klappstuhl, lagen Papyrusrollen herum, manche verschnürt, andere achtlos hingeworfen. Das Regal neben dem Stehpult quoll davon fast über, von Schreibtafeln, Griffeln und vollgekritzelten Pergamentstreifen ganz zu schweigen. »Merkwürdig, da soll mal einer schlau daraus werden.«
»Aus was denn?«
»Hör dir das mal an: ›Manche sagen, es sei ihm von Gaius ein langsam wirkendes, zehrendes Gift beigebracht worden; andere, man habe ihm Nahrung verweigert; einige, er sei mit einem Kissen erstickt worden, als er …‹«
»Mit einem Kissen? Wie umständlich!«
»Erstens: Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass dein Humor nicht jedermanns Sache ist?«
»Und zweitens?«, antwortete der Zypriote, zu dessen hervorstechendsten Merkmalen das verfilzte graue Haar, abstehende Ohren und listig blinzelnde Augen gehörten, denen nichts, was sich in seiner Gegenwart ereignete, zu entgehen schien.
»Zum Zweiten, mein Lieber, wäre ich dir dankbar, wenn du mir nicht andauernd ins Wort fallen würdest«, grummelte Varro, der Antigonos, dem unverzichtbaren Faktotum, einfach nicht gram sein konnte. »Sonst kommen wir auf keinen grünen Zweig.«
»Ich höre.«
»Schreib auf: Tiberius Claudius Nero, Nachfolger des Augustus, starb im 78. Jahr seines Lebens, im 23. seiner Regierung beziehungsweise am 16. März, unter dem Konsulat des Gnaeus Acerronius Proculus und des Gaius Pontius Nigrinus.«
Antigonos rührte keinen Finger.
»Was ist? Passt dir etwas nicht?«
»Wenn du mich so fragst, Herr – ja.« Der Zypriote wog bedächtig das Haupt. »Was du diktiert hast, hört sich – mit Verlaub – viel zu trocken an. Ich denke, es wäre besser, wenn das Ganze ein wenig … hm … wenn es ein wenig …«
»Reißerischer klänge?«
»Genau!« Antigonos lächelte verschmitzt, wobei Varros Verdacht, ihm seien die Worte in den Mund gelegt worden, nicht gänzlich unbegründet war. »Unter uns, Dominus: Wir beide, du und ich, würden uns freuen, wenn deine Kriminalgeschichte so viele Leser wie möglich fände, richtig? Ich sehe, wir denken das Gleiche. Nun gut, wenn das so ist, sollten wir uns über ein paar Dinge im Klaren sein.«
»Und die wären?«
»Das Volk giert nach Sensationen, Herr.«
»Dann sollen die Leute ins Amphitheater gehen.«
Antigonos atmete geräuschvoll aus. »So merkwürdig dies auch klingen mag, mein Gebieter, dies trifft auch auf das Lesepublikum zu.« Antigonos rieb sich die Nasenspitze, darauf bedacht, die Worte sorgfältig zu wählen. »Ob du es nun hören willst oder nicht: Die Leute interessiert es nicht, wann genau dieser oder jener Kaiser in die elysischen Gefilde entschwebt ist. Sie wollen wissen, was für eine Sorte Mensch er war. Für Tugendbolde vom Schlag des Augustus haben die nicht viel übrig.« Antigonos gab ein verächtliches Schnauben von sich. »76 Jahre, davon 52 Jahre verheiratet, und dann auch noch friedlich im Bett entschlummern – langweiliger geht es wirklich nicht. Ausschweifungen, Komplotte, Morde aus Eifersucht, Skandale und Affären, Herr! Das ist es, worüber sich die Leute die Köpfe heiß reden wollen.« Der Zypriote war kaum zu bremsen. »Hier, Dominus!«, ereiferte er sich und wedelte mit einer Papyrusrolle, die, wie Varro wusste, das sechste Buch der ›Annalen‹ des Tacitus enthielt. »Ich zitiere: ›Von seinen Ausschweifungen ließ Tiberius in keiner Weise ab, obwohl sich sein Gesundheitszustand verschlechterte.‹ Das ist der Stoff, aus dem der Erfolg eines Literaten gewoben wird! Das ist es, worüber sich der Pöbel das Maul zerreißt! Gib ihm schlüpfrige Geschichten, gib ihnen Kaiserinnen wie Messalina und Poppaea, und du kannst sicher sein, dass dein Werk reißenden Absatz findet.«
»Zu deiner Information, Antigonos: Es geht hier um Geschichte, nicht um Geschichten.« Varros Miene verfinsterte sich. »Ich finde, eine Nymphomanin wie die Gattin des Claudius oder eine Ehebrecherin, die das Pech hatte, an einen Wahnsinnigen zu geraten, haben in einem seriösen Werk nichts verloren.« Varro besann sich und ergänzte: »Sagen wir mal, nicht viel!«
»Nun, was die Eskapaden der Mächtigen angeht, hat sich in den letzten 250 Jahren wenig geändert.«
Hellhörig geworden, hielt Varro inne. »Was willst du damit sagen?«
»Ich?«, ruderte der Zypriote zurück, wohl wissend, dass er zu weit gegangen war. »Gar nichts!«
»Raus mit der Sprache – worauf spielst du an?«
»Auf Gerüchte, welche derzeit die Runde machen«, gab Antigonos zurück und hantierte umständlich an seinem Schreibgriffel herum. »Falls du verstehst, was ich meine, Herr.«
»Nein.«
»Es heißt, dass die … nun, es heißt, die Kaiserin setze ihrem Gemahl Hörner auf.«
»So, heißt es das!«
»Bei allem gebührenden Respekt, Herr: Ich gebe nur wieder, was man sich erzählt.« Der Zypriote, über dessen Lidern die Brauen wie Unkraut hervorwucherten, gab ein verlegenes Räuspern von sich. »Naja, die Kaiserin ist ja auch über 20 Jahre jünger.«
»Mag sein. Aber das heißt doch noch lang nicht, dass …«
»Verzeih, dass ich dich schon wieder unterbreche, Herr. Was ich damit sagen will, ist: Frauen in ihrem Alter gelüstet es eben nach Zerstreuung. Und hin und wieder nach ein wenig Abwechslung.«
»Abwechslung – so nennt man das also!«
»Wie gesagt, Herr: Ich tue nur kund, was an Gerüchten die Runde macht.«
»Und was erzählt man sich noch?«
»Dass der Imperator Cäsar Flavius Constantinus, der gewaltige, fromme und glückliche Augustus, auch nicht den Schimmer einer Ahnung hat.« Der Verwalter, fast zwei Köpfe kleiner als sein Brotgeber, setzte ein anzügliches Grinsen auf. »Kein Wunder, hat ja genug mit sich selbst zu tun.«
»Deine Ironie kannst du dir sparen!«, fuhr Varro ihn an, während sein Blick das opulente Wandgemälde streifte, welches die Längsseite des Studierzimmers einnahm. Es zeigte die Geburt der Venus, deren Züge, so stand zu vermuten, an eine der zahlreichen Geliebten seines Vaters erinnerten. Der Herr Senator hatte eine Vorliebe für so etwas gehabt, ganz anders als sein Sohn, welcher sich viel lieber mit Literatur beschäftigte. Mit Venus, der Liebesgöttin, konnte Varro ohnehin wenig anfangen, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. Ein Grund mehr, dachte er insgeheim, das Gemälde samt Muschel und auf Delfinen reitenden Putten übermalen zu lassen. »Oder denkst du, es macht Spaß, das Imperium zu regieren?«
»Spaß? Nein, Dominus, Spaß macht die Sache ganz bestimmt nicht. Hier die Barbaren, welche nur darauf warten, dem Reich den Garaus zu machen, dort die Rivalen, welche einem beim Griff nach der Macht im Wege stehen – nein, Herr, wenn ich ehrlich bin, möchte ich nicht in seiner Haut stecken!«
»Was ist dir lieber, Antigonos – ein halbes Dutzend Prätendenten, die nach der Krone greifen oder … oder …«
»Da kommst du ins Grübeln, was, Dominus?« Der Zypriote konnte seine Genugtuung nicht verbergen. »Schon gut, schon gut – ich weiß, was du sagen willst: So wie vor drei Jahren, als es sieben Kaiser gab, möchte niemand mehr leben. Krieg, Krieg und abermals Krieg, nichts Schöneres, als wenn endlich Schluss damit wäre!«
»Na also, dann sind wir uns ja einig.«
»Für den Fall, dass die Waffen fortan schweigen – ja.« Antigonos senkte den Blick. »Ich fürchte nur, das werden sie nicht.«
»Wieso?«
»Weil der Kaiser weder rasten noch ruhen wird, bis der letzte Widerstand gebrochen, Licinius besiegt und das Imperium wieder in einer Hand vereint sein wird.«
»Na und? Wäre das so schlimm?«
»Ob das schlimm wäre, fragst du?« Der Ton des Verwalters verwandelte sich in ein Flüstern. »Und ob!«
»Du wagst es, so über den Kaiser zu reden?«
»Bei allem Respekt, den ich dir schuldig bin, Herr: So wie ich denken viele in der Stadt. Ach, was sag’ ich – im ganzen Reich.«
»Jetzt ist es aber genug, buckliger Satyr!«
»Nenne mich, wie es dir beliebt, Gaius Aurelius Varro – ich sage die Wahrheit.«
»Noch ein Wort«, zischte Varro und stampfte vor Erregung auf, »noch ein Wort, und ich … ich … Fluch über dich, verdammtes Bein!«
Wachsbleich im Gesicht, fuhr der kleinwüchsige Zypriote in die Höhe, legte die Schreibtafel beiseite und eilte auf Varro zu, welcher mit schmerzverzerrter Miene auf einen Faltstuhl sank. »Verzeih mir, Herr, ich … das habe ich nicht gewollt!«
»Stell dir vor, ich auch nicht!«, gab der Advocatus zurück, selbst nicht ganz schuldlos an dem Disput. Dann warf er einen Blick auf seine Rechte, an welcher sich der Ring mit der Inschrift ›Fidem Constantino‹ befand. »Aber lassen wir das. Politik ist und bleibt eben ein schmutziges Geschäft. Besser, wir gehen wieder an die Arbeit, Graeculus!«
»Ich fürchte, das wird nicht gehen.«
Fortunata – und das ausgerechnet jetzt. Einen Fluch auf den Lippen, welchen er wohlweislich für sich behielt, richtete Varro die Augen zur Tür. »Und wieso nicht?«
»Weil du Besuch hast, Gaius, darum!«, gab seine Amme ebenso bestimmt wie unerschrocken zurück. »Von einer Klientin.«
»Eine Frau – auch das noch!«, ächzte Varro, den Blick abwechselnd auf Antigonos und auf seine Amme gelenkt. »Kann es sein, dass ich darum bat, in Ruhe gelassen zu werden?«
Fortunata gab einen unwilligen Grunzlaut von sich. »Schon möglich«, räumte die Alte ein, nachdem sie einen kurzen Blick über die Schulter geworfen hatte. »Am besten, du sagst es ihr gleich selbst. Was mich betrifft, habe ich keine Zeit, mich mit einer Schankwirtin herumzuärgern!«
*
»Eine Morddrohung?«, entfuhr es Varro, während sein Blick auf der Suche nach seinem Stock im Atrium umherirrte. »Ist das alles?«
Die Fremde, Antigonos zufolge Pächterin eines seiner Häuser, ließ sich jedoch nicht beirren. »Einstweilen schon«, tat sie halb missbilligend, halb spöttisch kund. »Es sei denn, der Kerl macht Ernst. Dann musst du sehen, wie du zu deiner Pacht kommst, Herr!«
Drauf und dran, der Fremden eine Lektion in Sachen Ehrerbietung zu erweisen, schnappte Varro nach Luft. Dass es dabei blieb, versetzte ihn in Erstaunen, umso mehr, da er jeden, der so dreist gewesen wäre, in hohem Bogen vor die Tür befördert hätte. »Was ich damit sagen will, ist: Morddrohungen sind hierzulande keine Seltenheit«, gab der Advocatus zurück und unterließ es, nach dem Gehstock zu greifen, welchen er erspäht hatte. »Oder denkst du, Treveris besteht nur aus Ehrenmännern?«
»Damit wir uns nicht falsch verstehen, Advocatus«, hielt die Ägypterin dagegen, welche die Frage scheinbar ignoriert, sich dem Rand des Impluviums genähert und ungefragt des dort liegenden Gehstocks bemächtigt hatte, »der Mann hat gedroht, mich umzubringen, sollte ich ein Wort von dem, was sich zugetragen hat, weitererzählen. Hier – Euer Stock!«
»Das ist ja wohl die …«, polterte Varro und machte sich Vorwürfe, dass er die Fremde, die ihn wie einen Greis behandelte, gewähren ließ. Um im Anschluss, als Krönung des Ganzen, hinzuzufügen: »Nun gut, dann eben noch mal von vorn. Du behauptest …«
»Mit Verlaub, Patronus – ich behaupte es nicht nur, ich weiß es.«
»Na schön, damit du zufrieden bist!«, fuhr Varro dazwischen, der das Gefühl nicht loswurde, sich lächerlich zu machen, »du gibst zu Protokoll, dass … wie lautet doch gleich dein Name?«
»Aspasia. Witwe von Celsus, Legionär im Dienste Roms.«
»Legionär.« Wider Willen berührt, horchte Varro auf, hielt es jedoch für unschicklich, weiter nachzuhaken. »Legionär, so, so.«
»In der Armee Diokletians!«, fügte die Schankwirtin, nicht annährend so zurückhaltend wie er, mit Nachdruck hinzu. »Eben jenes Kaisers, welchem es gefiel, sich vor nunmehr 17 Jahren meiner Heimatstadt zu bemächtigen.«
»Weiblich und Ägypterin – womit hab ich das verdient!«
»Was hast du gesagt, Herr?«
»Nichts, nichts!«, beteuerte Varro und hob abwehrend die Hände. »Nur ein kleiner Scherz am Rande.«
»Mit Verlaub, Herr – mir ist nicht nach Scherzen zumute.«
»Mir auch nicht!«, versicherte Varro, darauf aus, das Gespräch wieder auf seinen Gegenstand zu lenken. »Wie gesagt: Du gibst kund, es sei am gestrigen Abend in deiner Taverne zu einem Zwischenfall gekommen.«
»Gelinde ausgedrückt.«
»Ich fasse also zusammen: Circa eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang geraten zwei deiner Gäste derart heftig miteinander in Streit, dass einer der beiden, der Geldwechsler Lupicinus, nur mit Mühe davon abgehalten werden kann, seinem Kontrahenten körperlichen Schaden zuzufü … was ist – stimmt etwas nicht?«
»Auf die Gefahr, deinen Zorn zu erregen, Herr – mir scheint, du stellst die Dinge viel zu nüchtern dar.«
»Merkwürdig – aber das Gleiche habe ich vorhin schon einmal gehört.«
»Und wenn wir gerade dabei sind: Ich finde, du solltest einen Arzt aufsuchen. Dein Bein bedarf dringend der Pflege.«
»Stell dir vor: Auch das habe ich heute schon gehört!«, blaffte Varro, nur um aufs Neue einen versöhnlicheren Tonfall anzuschlagen. »Frage: Worum genau ist es eigentlich gegangen?«
»Ehrlich gesagt – das weiß ich selbst nicht so genau.«
»Etwa um eine Frau?«, ergänzte Varro spitz, im Bewusstsein, welch ansehnliches Exemplar der Spezies Weib ihm da ins Haus geschneit war. »Würde mich nicht wundern.«
Aspasia ließ sich jedoch nicht aus der Reserve locken. »Nach allem, was ich aufgeschnappt habe, ging es um die Spiele.«
»Moment mal: Willst du damit sagen, die beiden hatten nichts Besseres zu tun, als sich wegen ein paar Gladiatoren in die Haare zu …«
»Mit ›in die Haare kriegen‹ hatte das nichts zu tun!«, versicherte Aspasia und strich ihre dunklen Locken aus dem Gesicht. »Das war bitterer Ernst, eine Sache auf Leben und Tod. So wütend habe ich Lupicinus noch nie gesehen.«
»Stammkunde?«
Aspasia nickte. »Und ein höchst spendabler dazu. Inhaber einer Wechselstube auf dem Forum. Geld wie Heu. Geht, wie man hört, über Leichen. Die Hinterlist in Person, gewieft wie ein Levantiner und mit allen Wassern gewaschen.«
»Hört sich nicht gerade schmeichelhaft an.«
»Ist aber, fürchte ich, die Wahrheit.« Aspasia atmete tief durch. »Ein Mann, um den man einen Bogen machen sollte. Es sei denn, man besitzt eine Schenke.«
»Was der Zecher, mit dem er aneinandergeriet, offenbar nicht beherzigt hat. Ach, übrigens: Wie hieß der Zweite im Bunde doch gleich?«
»Tut mir leid, das weiß ich nicht.«
»Bis dato unbekannt?«
Die Alexandrinerin nickte. »Bevor ich’s vergesse: Der Streit hat sich offenbar um Niger gedreht.«
Varro runzelte fragend die Stirn.
»Ein Retiarius«, fügte Aspasia erklärend an. »Abgott unter Triers Gladiatoren. Sieger über Pugnax den Thraker, seines Zeichens Secutor.«
»Lass mich raten: Er hat ihn getötet.«
»Du bist kein Freund von Gladiatorenkämpfen, stimmt’s?«
»Nicht unbedingt – aber lassen wir das.« Mit Blick auf die Wasseruhr, wo der Pegel die mit einer Vier versehene Markierung überschritten hatte, stieß Varro einen kaum hörbaren Stoßseufzer aus. »Lupicinus, sagst du, hatte also eine Mordswut im Bauch.«
»Mit Betonung auf ›Mord‹.«
»Präziser, wenn ich bitten darf!«
»Er hat gedroht, Niger umzubringen, sobald er ihm über den Weg laufen würde.«
»Und wie, bitte schön, soll das gehen? Ich meine, ein Gladiator wäre sein Geld nicht wert, wenn er sich von einem Geldwechsler …«
»… ins Elysium befördern ließe? Stimmt. Dennoch waren genau das seine Worte.« Aspasia atmete geräuschvoll aus. »Auf die Gefahr, dass du mich für überspannt hältst – ich bekam es mit der Angst.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Du glaubst mir nicht, oder?«
»Was ich glaube oder nicht, tut nichts zur Sache«, beschied Varro seine Gesprächspartnerin und warf einen neuerlichen Blick auf die Uhr. »Und dann – was ist im Anschluss an das Handgemenge passiert?«
»Lupicinus hat sich getrollt.«
»Und sein Widersacher?«
»Der zunächst auch.«
»Ausführlicher, wenn ich …«
»Um deine kostbare Zeit nicht über Gebühr zu beanspruchen, Patronus: Er hat mir aufgelauert und gedroht.«
»Tatsächlich?«
»Er werde meine Taverne in Schutt und Asche legen lassen, hat er gesagt, falls ich oder meine Tochter, die ebenfalls Zeugin der Auseinandersetzung war, auch nur ein Wort über den Streit mit Lupicinus verlauten lassen würden.«
»Hm.« Nachdenklich geworden, rieb Varro sein lädiertes Bein und bemühte sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Aus dem Vormittag, wie er ihn sich erträumt hatte, würde nichts mehr werden. Damit musste er sich notgedrungen abfinden. »Sonst noch jemand, der als Zeuge fungieren könnte?«
»Zwei Gäste, die mithalfen, die beiden im Zaum zu halten – nicht mehr ganz nüchtern, fürchte ich.«
»Bleiben nur du und deine Tochter«, murmelte Varro, in sich gekehrt und die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Und du meinst wirklich, der Kerl macht ernst?«
»So wahr ich hier stehe, Herr – er hat gedroht, mich umzubringen. Mich und Penelope.«
»Wenn er sich da mal nicht verrechnet hat.«
»Heißt das, du wirst mir helfen?«
Auge in Auge mit der Schankwirtin, deren Blick er nur mit Mühe standhalten konnte, rang sich Varro zu einem Nicken durch. »Syphax, mein Leibsklave, wird ein Auge auf dich haben«, versprach er nach kurzem Nachdenken. »Ich hoffe, das wird fürs Erste genügen.«
»Und Niger? Was geschieht mit ihm? Findest du nicht, man sollte ihn …«
»Warnen, meinst du? Und wovor?« Varro schüttelte den Kopf. »Was glaubst du, wie viele Treverer eine Rechnung mit Gladiatoren zu begleichen haben! Zuschauer, deren Erwartungen nicht erfüllt, Frauen, die von ihnen sitzen gelassen, Ehemänner, denen Hörner aufgesetzt wurden. Ziemlich lange Liste, was? Nein, Aspasia, was den Retiarius angeht, wüsste ich nicht, auf welche Weise ich tätig werden sollte.« Der Advocatus wandte sich achselzuckend ab. »Ich fürchte, dieser Niger wird sich selbst helfen müssen.«
»Und … und was, wenn Lupicinus seine Drohung wahr macht?«
»Dann, Tochter der Venus«, sprach Varro und bedeutete der Schankwirtin, ihn zum Ausgang zu begleiten, »dann habe ich ein Problem!«