Kaiserpalast, zur gleichen Zeit
[10:00 h]
Es geht doch nichts über ein Bad!, dachte sie, während sie ihr durchsichtiges Gewand abstreifte und sich in das wohltemperierte Marmorbecken gleiten ließ. Danach fühlte sie sich wie neugeboren, voller Zuversicht, ihre Pläne in die Tat umsetzen zu können. Sie genoss es, einfach so dazuliegen, die Arme auf dem Rand und den Duft in der Nase, welcher aus dem Becken in die Höhe stieg. Schon Kleopatra, so die Legende, hatte in Eselsmilch gebadet, und was für die ägyptische Königin und Gemahlin von Julius Cäsar recht war, das war für sie, deren Schönheit allenthalben gerühmt wurde, nur billig.
»Du wolltest mich sprechen, Herrin?«, ließ sich die Stimme hinter dem Seidenvorhang vernehmen, welcher das Becken vor den Blicken der Dienerschaft verbarg. Im Hintergrund, begleitet von Sistrum und Flöte, war der einschmeichelnde Klang einer Harfe zu hören. »Berenike sagt, es sei dringend.«
»Das ist es in der Tat«, sprach sie, wie immer, wenn sie badete, eher gnädig gestimmt. »Hatten wir nicht vereinbart, du würdest mir Bescheid sagen – umgehend?«
Die Stimme hinter dem Vorhang bejahte. »Was dein Ansinnen betrifft, lief alles nach Wunsch«, beeilte sie sich hinzuzufügen, derjenigen einer Frau täuschend ähnlich. »Die Schmach, welche dir angetan wurde, ist getilgt.«
»Das hoffe ich!«, versetzte sie, legte den Kopf in den Nacken und ließ den Körper, auf den sie so stolz war, auf der Wasseroberfläche treiben. »Für dich.«
Mehr als der Wink mit dem Zaunpfahl und das leichte Anheben ihrer Stimme waren nicht nötig, um den Domestiken jenseits des Vorhangs das Fürchten zu lehren. Sie war es gewohnt, dass man sich ihren Wünschen fügte, je früher, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Betreffende nicht in Ungnade fiel. Lief dagegen etwas nicht nach Plan, konnte er von Glück sagen, wenn er nicht ausgepeitscht und den Löwen im Amphitheater zum Fraß vorgeworfen wurde.
»Was auch geschieht, Herrin, du kannst dich auf mich verlassen.«
»Auch das will ich hoffen!«, gurrte sie, wovon sich niemand, der sie kannte, täuschen ließ. Hinter der Nymphe, welche die Männer um den Verstand brachte, steckte eine Frau, die keinerlei Skrupel besaß. Die, falls nötig, ihre Kontrahenten aus dem Weg räumen würde. Am Hof des Kaisers, wo es von Spitzeln, Verrätern und Verleumdern nur so wimmelte, war dies oberstes Gebot. Um zu überleben, musste man sich der Täuschung bedienen, nach Bedarf drohen, nachgeben oder, wie gerade jetzt, einen süßlichen Ton anschlagen. Vertrauen war hier fehl am Platz, und wer das Herz nicht auf der Zunge trug, besaß die Hoffnung, die Schlangengrube zu überleben. »Sonst, mein Lieber, bist du die längste Zeit in meinen Diensten gewesen.«
Ah, dieser Duft, verströmt durch das Räucherwerk, welches ringsum entzündet worden war. Berenike, ihre Leibsklavin aus Nubien, hatte wieder einmal ganze Arbeit geleistet, Duftkerzen mit dem Aroma von Moschus und Sandelholz entzündet und um das Becken, auf dessen Oberfläche unzählige Rosenblätter trieben, einen Kreis aus Öllampen gebildet. Dies alles, verbunden mit dem Wohlgefühl, welches ihren Körper durchströmte, sorgte dafür, dass sich ihre Stimmung hob.
Kein Wunder, stand doch fest, dass ihre Schmach getilgt worden war.
Allein, damit würde sie sich nicht zufriedengeben. Betört von dem Duft, den sie einsog, wanderte ihr Blick zur Decke des Baderaumes empor. Wahrlich, dachte sie, während ihr Blick auf dem bunten Fresko ruhte, so wie diesem Zentauren, der sich dem Willen einer Mänade unterwirft, wird es auch meinen Widersachern gehen. Widersetzen sie sich, führt ihr Weg ins Verderben, weder Rang, noch Namen, noch Verdienst werden sie dann retten.
»Heißt das, du bist unzufrieden mit mir?«
Keineswegs, ganz im Gegenteil. Sie, die beinahe 30 Jahre Jüngere, hatte den Speichellecker auf der anderen Seite des Vorhangs aus der Gosse gezogen, unter ihre Fittiche genommen und zu ihrem willfährigen Werkzeug geformt. Sie hatte ihn zu dem gemacht, was er war, einer derjenigen, welche jeden Befehl ausführen würden. Ohne Zögern, ohne Widerspruch, ohne auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen ihres Tuns zu verschwenden.
»Ach, übrigens!«, warf sie plötzlich ein, nicht zuletzt, um ihrem Domestiken einen Schreck einzujagen, »wie geht es eigentlich meinem Gemahl?«
»Vorzüglich, soviel ich weiß«, quiekte die Stimme, was, wie sie fand, auf das Trefflichste mit dem Aussehen ihres Gesprächspartners harmonisierte. Der Fleischberg hinter dem Vorhang, auf dem sich sein unförmiger Wanst abzeichnete, sah nicht nur aus wie ein Schwein, sondern war auch eins. Jede noch so schnöde Behandlung, jede noch so große Schikane ließ er ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Aus diesem Holz waren die Kreaturen geschnitzt, mit denen sie sich umgab. »Große Ereignisse werfen eben ihre Schatten voraus.«
»Wie recht du doch hast«, flüsterte sie in dem für sie typischen Ton, längst nicht mehr so sanft und einschmeichelnd wie zuvor. »Vorausgesetzt, die Dinge entwickeln sich so, wie ich es geplant habe.«
»Darf man fragen, was Hoheit zu tun gedenken?«
»Nein, darf man nicht!«, zischte sie im Stil einer Kobra, welche sich aufrichtet, um ihr Opfer zu attackieren. Dann gab sie ihrer Leibsklavin einen Wink, ihr beim Abtrocknen behilflich zu sein, ließ sich ein mit Goldfäden durchwirktes Seidengewand reichen und strich mit dem Zeigefinger über die Lettern, welche in Brusthöhe eingestickt waren. Ein F, ein M und ein F – die Gewähr, dass jeder ihrer Wünsche erfüllt wurde. »Erst dann, wenn wir unter vier Augen sind.«
*
Und so geschah es. Eine halbe Stunde später, parfümiert, frisiert, frisch geschminkt und in das eng anliegende Gewand gehüllt, lag – oder vielmehr rekelte – sie sich auf ihrem Ruhebett und genoss es, wie der Mann, über dessen Körperfülle man sich allenthalben lustig machte, ihrer Befehle harrte. Ob Schuhwerk, Gewand oder Haut, alles an diesem Fleischberg war weiß, mit Ausnahme der Perücke aus dunklem Rosshaar, unter der sich ein kahl geschorener Schädel verbarg. Um den kurzen, feisten Hals trug er ein Pektoral aus Gold, Glasfluss und Edelsteinen, welches Horus, den ägyptischen Falkengott, darstellte. Nicht genug damit, benutzte er reichlich Schminke, Puder und Khol, so viel, dass sich die Dienerschaft schon darüber lustig machte. Kein Zoll an seiner Hand, der nicht mit Ringen, Schmuck oder dem Armreif mit dem Abbild der Göttin Isis bedeckt war. Kein Zoll, wo die Haut, rissig wie ausgebleichtes Pergament, auch nur die Spur einer Pigmentierung aufwies.
»Wie lauten deine Befehle, Herrin?«
Anstatt zu antworten, zog die Frau mit dem Kinderantlitz eine Schriftrolle unter dem Berg gelber Kissen hervor, auf dem ihr Oberkörper ruhte, streckte die Hand aus und wartete, bis die Kröte das Schriftstück in Empfang genommen, entrollt und Wort für Wort studiert hatte. Dies nahm geraume Zeit in Anspruch, nicht etwa, weil der Text so lang, sondern weil das, was auf dem Papyrus stand, so ungeheuerlich war, dass es das Vorstellungsvermögen des Fleischberges bei Weitem überstieg.
»Noch Fragen?«
Die von unechten Wimpern überwölbten Augen weit offen, starrte die Kröte bald auf die Instruktionen, bald auf das Ruhebett, von wo aus eine sichtlich amüsierte Nymphe jede seiner Bewegungen verfolgte. »Aber …«, quiekte er, kaum noch Herr seiner Fistelstimme, deren Klang von den Wänden des Gemaches widerhallte. »Aber das … das wäre Hoch … Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll!«
»Sprich dich ruhig aus, Chrysaphius.«
»Ich meine, bist du dir bewusst, welches Risiko du eingehst? Wenn nur ein Wort von dem, was wir besprechen, an die Öffentlichkeit dringt, wird es dich das Leben kosten.«
»Wenn hier jemand etwas riskiert, Chrysaphius, dann du.«
»Wie … wie meinst du das, Herrin?«
»Genau so, du Hasenfuß, wie ich es sage!«, fauchte Fausta, Gemahlin Kaiser Konstantins, und bedeutete ihrem Kammerherrn, die Schriftrolle zurückzugeben, um sie im Anschluss daran über ein Räucherbecken zu halten, wo der Papyrus umgehend Feuer fing. »Wenn etwas schiefgeht, mein Lieber, werde ich natürlich alles abstreiten.« Die Augen von Flavia Maxima Fausta, grünlich schimmernd wie ein Saphir, verschwanden hinter dunkel geschminkten Lidern. »Oder denkst du, irgendjemand würde dir glauben, wenn du mich der Mitwisserschaft bezichtigtest?«
Stumm vor Entsetzen stierte der Eunuch vor sich hin. »Nein.«
»Na also.«
»Aber warum, Herrin – warum?«
»Da fragst du noch?« Mit einem Ruck, der Chrysaphius zusammenfahren ließ, schnellte die Kaiserin in die Höhe. »Kann es sein, dass dein Gedächtnis Schaden genommen hat?«
»Nein, Herrin.«
»Dann ist es ja gut.« Kurz davor, aus der Haut zu fahren, schnappte die Kaiserin nach Luft. »Warum, warum?«, giftete sie, schwang die Füße vom Bett und lief wutentbrannt hin und her. »Ausgerechnet du musst mich das fragen!«
»Der Weg zur Macht ist eben mit Leichen gepflastert«, warf der Kammerherr achselzuckend ein, eine Bemerkung, die er umgehend bereute.
»Willst du etwa damit sagen«, schnaubte die Kaiserin und bewegte sich lauernd auf ihn zu, »willst du etwa damit sagen, dass der Tod meines Vaters reiner Zufall war? Ein Zufall, mit dem mein Gatte nichts zu tun gehabt hat?«
»Nein, nein – wo denkst du hin!«, winselte der Fleischberg und riss die enthaarten Arme empor. »Das natürlich nicht.«
»Allmählich, mein lieber Chrysaphius, solltest du dir Gedanken machen, auf wessen Seite du stehst.« Die Hände an den Hüften, stierte die Kaiserin ihren Kammerherrn an. »Sonst könnte es sein, dass du dort landest, wo du hergekommen bist. Oder hältst du dich für unentbehrlich?«
»Nein, Herrin.«
»Na also!«, säuselte die Kaiserin, würdigte den Eunuchen keines Blickes mehr und ließ sich wieder auf ihr Ruhebett sinken. »Dann tu, wie dir befohlen wurde, sonst …«
»Eure Hoheit können sich auf mich verlassen.«
»Genau das wollte ich hören.« Flavia Maxima Fausta, gut 20 Jahre jünger als ihr ungeliebter Gemahl, griff nach einer Weintraube, öffnete ihren Schmollmund und zerkaute eine Beere. »Und nicht vergessen: Wehe, du enttäuschst mich!«
»Lieber sterbe ich!«, beteuerte der Eunuch, worauf die Kaiserin ein breites Schmunzeln aufsetzte. »Ich denke, meine Wahl wird auf den Richtigen fallen.«
»Und wie heißt er?«
»Scorpio.«
»Ein Pseudonym – wie aufregend.« Überbordend vor Ironie, spendete die Kaiserin Applaus. »Hoffentlich macht er seine Sache gut. Denk dran: Zuerst kommt der Kaiser an die Reihe. Danach seine Speichellecker. Wer das ist, brauche ich nicht zu sagen.«
»Nein Herrin.«
»Nur Mut, Chrysaphius. Ist der Kaiser erst tot, geht alles wie von selbst. Dann bin ich am Zug. Und das bedeutet, dass ich vorhabe, sämtliche Posten mit Leuten meines Vertrauens zu besetzen. Das fängt beim Prätorianerpräfekten an und hört beim Oberhofmeister auf. Ein paar Tage, vielleicht Wochen – und nichts wird mehr so sein, wie es war, nichts wird mehr an meinen Herrn Gemahl und seine Sippschaft erinnern. Dafür werde ich sorgen, verlass dich drauf. Dafür wirst auch du sorgen – inklusive meiner Parteigänger, deren Namen du dir hoffentlich eingeprägt hast!« Berauscht von den eigenen Worten, hielt die Kaiserin inne und starrte in das Kohlenbecken, wo außer einem Aschehaufen nichts mehr an den Papyrus mit der Namensliste der Verschwörer erinnerte. Dann flüsterte sie: »Du weißt doch, Chrysaphius: Die Dinge haben sich immer noch so entwickelt, wie ich es vorausgesehen habe.« Die Frau, die vor nichts haltmachte, lächelte stillvergnügt vor sich hin. »Noch Fragen?«
»Mit Verlaub – ja.« Chrysaphius fingerte nervös an seinem Pektoral herum. »Einmal angenommen, einer deiner Gefolgsleute läuft über – was dann?«
»Mach dir keine Sorgen. Auf die Personen, deren Namen auf dem Papyrus stehen – oder vielmehr standen –, ist Verlass. Jederzeit. Und in jeder Situation.«
In Chrysaphius, der einen scheuen Blick auf das Kohlenbecken warf, regten sich dennoch Zweifel. »Ich hoffe nur, dass Scorpio keinen Fehler macht.«
»Kenne ich ihn?«
»Wohl kaum.« Chrysaphius dämpfte die Stimme. »Ein Mann ohne Skrupel, ohne Hemmungen, ohne Nerven. Er hat mich gestern nicht enttäuscht, dann wird er mich auch in Zukunft nicht enttäuschen. Wer es fertigbringt, einen Gladiator zu töten, dem muss vor deinem Gemahl nicht bange sein.« Chrysaphius trat nervös auf der Stelle. »Falls Majestät wissen, worauf ich anspiele.«
Die Antwort bestand aus einem Lächeln. »Wobei ich zuversichtlich bin, dass auch du, Chrysaphius, dein Handwerk verstehst.«
Der Kammerherr machte eine Verbeugung. »Wie gesagt: Majestät können sich auf mich verlassen.«
»Das hoffe ich!«, warf Flavia Maxima Fausta ein und schlang die messerscharfen Krallen um den Kelch, welcher neben dem mit Trauben, Feigen, getrockneten Pflaumen und gesüßten Datteln überhäuften Silbertablett stand. »Schade, wenn dir etwas zustoßen würde!«