XII

Forum, kurz vor Beginn der achten Stunde

[3:20 h]

»Machs Maul auf, Abschaum, sonst kannst du was erleben!« Holconius, Besitzer eines Steinbruchs unweit der Stadt, hob die Faust und zielte auf das Gesicht des Mannes, der das Pech hatte, seinen Zorn heraufbeschworen zu haben. »Wo ist das Geld, das ich auf diesen scheiß Neger gesetzt habe?«

»Na, wo denn wohl!«, würgte Lupicinus hervor und versuchte, sich dem Griff des 300-Pfund-Kolosses zu entwinden, dessen Linke ihn mit eisernem Griff am Kragen gepackt hatte. »In den Taschen der Gewinner. Alles weg, bis auf ein paar Kupfermünzen.«

»Alles weg? Und du buckliger alter Zwerg traust dich, mir das ins Gesicht zu sagen? Rück meinen Einsatz raus, oder ich mache Hackfleisch aus dir!«

Lupicinus, von Beruf Geldwechsler, bedarfsweise jedoch auch Pfandleiher und Buchmacher, bei dem man Wetten über den Ausgang von Kämpfen abschließen konnte, wandte den Blick reflexartig ab. Diesem Grobian, der zu den engsten Freunden des Stadtpräfekten zählte, traute er einfach alles zu, und er überlegte fieberhaft, wie er den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. »Ich weiß nicht, wie oft ich es dir noch sagen soll«, japste er, das Gesicht, welches von einer Hakennase dominiert wurde, vor Angst totenbleich, »ich musste das Geld auszahlen. Das weißt du so gut wie ich. Sonst … sonst hätten sie mir die Bude in Brand gesteckt!«

»Und warum, du armenischer Scheißhaufen, hast du mir dann diesen Floh ins Ohr gesetzt? Denkst du vielleicht, ich lasse mich an der Nase rumführen?« Vor Wut kaum zu bändigen, fegte der Koloss mehrere Münzstapel, Schuldverschreibungen und eine Silberwaage vom Tresen und zerrte Lupicinus zu sich heran. »Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir spreche!«, brüllte er so laut, dass die Passanten vor der Tür der Wechselstube aufhorchten. »Was soll der Quatsch – willst du mich verarschen, oder was?«

»Wenn hier einer verarscht worden ist, dann ich!«

»So, so – und von wem?«

»Glaubst du vielleicht, ich bin lebensmüde? Meinetwegen schlag hier alles kurz und klein – von mir erfährst du kein Wort!«

»Ich will dir mal was sagen, du Gnom: Entweder du rückst das Geld raus, oder du kriegst dermaßen was auf deinen Zinken, dass der Rotz drei Meilen weit …!«

»Ich hab einen Wink bekommen – kapier’s doch endlich.«

»… spritzt. Einen Wink – aha! Nennt man das jetzt so. Du verlangst hoffentlich nicht, dass ich dir das glaube! Ich bin ein Mal auf dich reingefallen, das reicht.«

Zappelnd wie ein Aal, rang Lupicinus nach Luft. »So wahr ich hier stehe, Herr: Genau so war’s! ›Niger wird den Kampf verlieren!‹, hat mein Gewährsmann gesagt. ›Darauf kannst du deinen Arsch verwetten.‹«

»Was du nicht sagst. Und du grauhaariger alter Hanswurst warst so blöd, um ihm das zu glauben?«

»Warum nicht?«

»Verstehe ich das richtig, Schlappschwanz: Da erhältst du einen … Wie sagtest du doch gleich? Genau! Da kriegst du also einen Wink – wer weiß, am Ende vielleicht von Hermes höchstpersönlich! –, riechst ein dickes Geschäft und entsinnst dich deines Freundes Holconius, mit dem du bereits mehrere dicke Geschäfte gemacht hast. Auf dass die Bande, welche wir geknüpft haben, gefestigt werden mögen. Ist es das, was du mir weismachen willst?«

»Genau!«, winselte der Geldwechsler in der Hoffnung, die angedrohte Tracht Prügel oder Schlimmeres würde ihm erspart bleiben. »Kleine Geschenke erhalten schließlich die Freundschaft.«

»Weißt du, was du bist, Lupicinus?«

Krebsrot im Gesicht, aus dem die Augen wie Luftblasen hervorquollen, hielt der Geldwechsler den Atem an. Entweder es würde gleich Hiebe setzen oder, im günstigsten Fall, weiter Beschimpfungen hageln. »Wie ich dich kenne, wirst du es mir gleich sagen.«

»Genau.« Nur eine Armlänge von seinem Opfer entfernt, blähte der Koloss die Nüstern, blinzelte und blies Lupicinus seinen übel riechenden Atem ins Gesicht. »Du bist der größte Halunke, den ich kenne. Mit mir teilen – das kannst du deiner Großmutter erzählen.« Holconius prustete vor Lachen. »Ich zähle jetzt bis drei, du Drecksack, und dann rückst du mit der Wahrheit raus. Eins, zwei …«

»Und drei!«, ertönte es so plötzlich, dass beide, sowohl Lupicinus als auch sein Peiniger, zusammenzuckten. Doch da war es bereits zu spät, und der Unbekannte, welcher sich Holconius von hinten genähert hatte, drehte ihm die Rechte auf den Rücken. Der Steinbruchbesitzer, beileibe kein Schwächling, schrie vor Schmerz und holte mit dem Ellbogen aus, um ihn dem Angreifer in den Leib zu rammen. Ehe es dazu kam, spürte er jedoch einen weiteren, mindestens ebenso starken Schmerz. Der Unbekannte, alles andere als zimperlich, packte seinen Oberarm und drückte ihn wie morsches Holz zusammen. Holconius schrie auf – und ergab sich in sein Schicksal. »Was ist«, höhnte eine Stimme in seinem Rücken, »hat es dir die Sprache verschlagen?«

Mehr als ein Winseln, auf das der Angreifer mit Schadenfreude reagierte, brachte Holconius jedoch nicht zuwege. Schuld daran war natürlich sein Oberarm, der schmerzte, als ob er sich in einem Schraubstock befand. Die Rechte, immer noch an Ort und Stelle, spürte er schon fast nicht mehr.

»Hier, als Geste des guten Willens.« Doch plötzlich, ebenso schnell, wie Holconius überwältigt worden war, hatte die Qual ein Ende. Der Griff des Fremden lockerte sich und gab die Rechte wieder frei. Mehr noch, als der Koloss den schmerzenden Oberarm betasten wollte, erlebte er eine faustdicke Überraschung, spürte, als träume er, plötzlich einen Schnürbeutel in der Hand. »Beziehungsweise als Wiedergutmachung.«

»Und was muss ich dafür tun?«, ächzte Holconius, der nicht den Mut hatte, sich umzudrehen. »Ich dachte schon, du brichst mir den Arm.«

»Warum sollte ich? Damit ist niemandem geholfen.«

»Na, du hast vielleicht gut reden!« Weit schneller als erwartet gewann der Steinbruchbesitzer die Fassung zurück, argwöhnisch beäugt von Lupicinus, dessen Blick verriet, dass er den Fremden kannte. »Erst fällst du über mich her und dann machst du einen auf Versöhnung.«

»Wie schade – ich wollte dir nur einen Gefallen tun.« Der Fremde atmete geräuschvoll aus, räusperte sich und blaffte: »Jetzt tu nicht so, das Geld gehört dir!«

»Na, wenn das so ist, will ich nicht so sein.« Fast wieder der Alte, drehte sich Holconius um.

Und hielt überrascht inne.

Der Mann, welcher ihn das Fürchten gelehrt hatte, war nicht annähernd so groß wie er, dafür aber kräftig, um nicht zu sagen muskulös, braun gebrannt und dunkelhaarig. Zwar hatte er, was unschwer zu erkennen war, den Zenit seines Lebens bereits überschritten, wirkte deswegen aber nicht alt. Unter dem Umhang, welcher durch eine Silberfibel zusammengehalten wurde, zeichneten sich kräftige Schultern ab, und das galt auch für seine Hände, wovon Holconius mittlerweile ein Lied singen konnte.

All dies war einschüchternd genug, jedoch nichts im Vergleich zu der Aura, die den Mittvierziger umgab. Mittelgroß, bullig und untersetzt, haftete ihm etwas Bedrohliches, nahezu Raubtierhaftes an, ein Eindruck, welcher durch die Klappe über dem linken Auge verstärkt wurde. Arme und Gesicht waren mit Narben übersät, teils verblasst, zum Teil nur wenige Tage alt. Vulgär oder gewöhnlich sah der Unbekannte dennoch nicht aus, nicht zuletzt dank der weinroten und mit Blattwerk und Ranken bestickten Tunika, Sandalen aus Hirschleder und dem Armreif, auf dem eine Kampfszene abgebildet war.

»Was gibt’s da zu glotzen, noch nie einen Syrer gesehen?«

Natürlich hatte Holconius, der aus Smyrna stammte, schon genug Landsmänner des Fremden gesehen, aber das war eine Ewigkeit her. »Syrer? Jede Menge!«, beeilte er sich folglich zu versichern, was, wie ein Blick auf den Unbekannten verriet, die gewünschte Wirkung jedoch verfehlte. »Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen – und danke für das Geld.«

Nicht so einfältig, um die Unterwürfigkeit des Steinhauers für bare Münze zu nehmen, nahm der Fremde sein Gegenüber ins Visier. »Ich hoffe, wir sind quitt.«

»Klar doch.« Ein Blick in den Beutel, und die Miene des Kolosses hellte sich auf. »Natürlich sind wir das.«

»Vergiss das Ganze, es ist besser so.«

Holconius antwortete mit einem Kopfnicken, empfahl sich und verschwand. »Und du auch, Lupicinus, haben wir uns verstanden?«

»Und was ist mit der Ägypterin?« Alles andere als überzeugt, umrundete der Geldwechsler die Theke und begann, die am Boden verstreuten Münzen aufzusammeln. »Wird nicht leicht werden, sie zum Schweigen zu bringen.«

»Kommt drauf an, was man darunter versteht.« Nachdenklich geworden, fuhr der Unbekannte mit dem Zeigefinger über den Tresen und begutachtete den Staub, der daran haften blieb. »Wärst du gestern Abend nicht aus den Latschen gekippt, hätten wir jetzt ein Problem weniger.«

»Und Geld zum Fressen.«

»Falls das ein Vorwurf gewesen sein soll, Lupicinus – wird nicht wieder vorkommen!«

»Das sagt sich so leicht, Maximinus.« Fast zwei Köpfe kleiner als der Syrer, dem er mit spürbarem Misstrauen begegnete, richtete sich der Geldwechsler auf und ließ eine Reihe von Münzen auf den Tresen gleiten, unter ihnen einen Solidus, auf dem das Konterfei des Kaisers abgebildet war. »Wenn so etwas wie gestern noch mal vorkommt, können wir beide ein …«

»Einpacken – kommt nicht infrage.« Die Handfläche auf dem Türpfosten, schwieg sich Maximinus, Ex-Gladiator und Veranstalter der Spiele, zunächst aus, beobachtete das Treiben auf dem Forum und wandte sich geraume Zeit später wieder seinem Gesprächspartner zu. »Dazu, mein Bester, steht viel zu viel auf dem Spiel.«

»Und der Neger? Ich finde, man sollte ihm eine Lektion erteilen.«

»Das, mein lieber Lupicinus, findest nicht nur du.« Die Lippen des Syrers kräuselten sich. Aus dem Lächeln, welches sich andeutete, sollte jedoch nichts werden. »Aber sei unbesorgt, alter Freund: So schnell wird uns der Verräter nicht mehr in die Quere kommen.«

»Dein Wort in Jupiters Gehörgang, Lanista.«

»Nicht nötig!«, antwortete der Syrer, hob die Hand und wandte sich zum Gehen. »Dafür wurde längst Sorge getragen!«