XIV

Tempelbezirk im Irminenwingert, unmittelbar vor Beginn der neunten Stunde

[14:30 h]

Die Männer, denen Maximinus Respekt zollte, konnte man an wenigen Fingern abzählen. Einer davon war sein Vater gewesen, ein weiterer sein Lehrer, bei dem es andauernd Hiebe gesetzt hatte, und wiederum ein anderer sein Zenturio, vor dem die gesamte Einheit gezittert hatte. An den Mann, der ihm gegenüberstand, reichte jedoch selbst der nicht heran.

Mit Körperkraft, wie unschwer zu erkennen war, hatte dies nichts zu tun. Maximinus, Veteran unzähliger Schlachten, Gladiator und Lanista, nahm seinen ganzen Mut zusammen. Selbst jetzt, in mittleren Jahren, hätte er jedem Angreifer Paroli bieten können. Der Syrer verfügte über Bärenkräfte, war, gemessen an seinem Alter, gewandt, verschlagen, argwöhnisch, hitzköpfig und am gefährlichsten, wenn er in die Enge getrieben wurde. Bei einer Messerstecherei hatte er zwar das linke Auge eingebüßt, aber das tat dem Ruf, der ihm vorauseilte, keinen Abbruch. Um Maximinus, Besitzer von zwei Dutzend Gladiatoren, machten alle, die konnten, einen Bogen, nicht zuletzt aufgrund seines Temperaments. Kaum einer, der nicht ausgepeitscht, auf halbe Ration gesetzt oder verprügelt worden wäre, keiner, der es wagte, Widerworte zu geben.

»Man teilte mir mit, du willst mich sprechen.« Von Furcht konnte bei dem Mann, dem sich Maximinus gegenübersah, freilich keine Rede sein. »Dringend

»Das stimmt.«

»Um was geht es?« Der Mann unter dem Türsturz, vernarbt, drahtig, kleiner und nicht annähernd so kräftig wie der Lanista, ließ die Fackel, welche er entzündet hatte, von der rechten in die linke Hand wandern, drehte sich um und verriegelte die Tür. Dann wandte er sich dem Herrn der Gladiatoren zu.

In der Grabkammer, nur einen Steinwurf vom Stammesheiligtum der Treverer entfernt, kehrte augenblicklich Stille ein. Der Atem von Maximinus ging rascher, und wie immer, wenn er sich bedroht fühlte, fuhr seine Hand zum Schwert.

»Nervös?«

»Na, du stellst vielleicht Fragen.« Der Lanista stieß ein abfälliges Lachen aus. »Woher du die Ruhe nimmst, ist mir ein Rätsel.«

»Nenn mir einen Grund, Maximinus, weshalb ich nicht ruhig sein sollte.«

»Jetzt tu doch nicht so, Messala. Du weißt doch genau, weshalb ich dich hergebeten habe.«

»Sagen wir mal so: Ich kann’s mir denken.« Im Gegensatz zu Maximinus, dem man die Nervosität anmerkte, war bei seinem Gesprächspartner nichts Derartiges zu spüren. Er blieb ruhig und gefasst, die Stimme wohltönend, wenngleich eine Idee zu hoch, die Bewegungen geschmeidig, wenn nicht gar elegant. Kein Zweifel, der Mann wusste sich zu benehmen, und er wusste, wie man sich Respekt verschafft. »Hatte ich dir nicht eingetrichtert, keinen Kontakt aufzunehmen? Warum, muss ich wohl nicht erklären.«

»Was ist mit meinem Geld, Messala?« Die Stimme des Lanista drohte sich zu überschlagen, und wie stets, wenn ihm etwas missfiel, blieb die Vernunft auf der Strecke. »Damit ich weiß, an wen ich mich halten muss!«

»Zum hundertsten Mal, Maximinus: Ich weiß es nicht.« Die Stimme aus dem Halbdunkel, welches in dem knapp fünf Schritt im Quadrat großen Grabgewölbe herrschte, hörte sich wie aus der Unterwelt kommend an. Hartgesotten wie kein Zweiter, fuhr Maximinus zusammen, und da er wusste, dass dies nicht unbemerkt bleiben würde, schämte er sich dafür. »Und zweitens: Was kann ich denn dafür, wenn du deine Leute nicht im Griff hast? Ein Gladiator hat zu gehorchen, egal, was der Lanista ihm befiehlt. Oder siehst du das etwa anders?«

»Nein.«

»Na also.«

»Du hast gesagt, ich kriege eine Entschädigung. In angemessener Höhe

»So, habe ich das.« Der Mann, welcher den Spitznamen ›Der Skorpion‹ trug, dunkelhaarig, mittelgroß, in den Dreißigern und mit einer Narbe auf der linken Wange, schnitt eine angewiderte Grimasse. »Tut mir leid, aber das war ein bisschen voreilig.«

»Voreilig, sagst du? Weißt du überhaupt, wie viel Geld ich in diesen Neger gesteckt habe?«

»Ich weiß nur, dass er es wert gewesen ist. Dass er dein bestes Pferd im Stall war. Dass du dich dumm und dämlich an ihm verdient hast. Dass, falls er gespurt hätte, du dich weiter dumm und dämlich hättest verdienen können.«

»Was du nicht sagst. Kann es sein, dass du keine Ahnung hast, was ein Gladiator kostet?« Maximinus holte tief Luft. »100 Goldstücke – in Worten: einhundert! Und wofür?«

»Dein Pech, Maximinus, nicht meines.«

»Und dann auch noch diese scheiß Inflation. Den Aureus kann man sich ja wohl endgültig in den Hintern schieben. Weißt du was, Scorpio? Wenn ich könnte, würde ich die Brut, die uns das eingebrockt hat, erwürgen. Da gibst du einen Haufen Geld aus, so viel, dass man ein ganzes Dorf satt kriegen könnte – und was passiert? Das Geld ist immer weniger wert.«

»Ich weiß, ich weiß: Noch so eine Pleite, und du nagst am Hungertuch.«

»Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen. Sag mir lieber, wie ich zu meinem Geld kommen soll.«

»Keine Ahnung. Deine Schuld, wenn du den scheiß Neger nicht im Griff gehabt hast. Jetzt komm schon, Maximinus, du bist doch sonst nicht so! Hättest du ihm gezeigt, wo’s langgeht, wäre das alles nicht …«

»Hätte, wäre, könnte – das macht ihn nicht lebendig.«

»Besser so.«

Aschfahl im Gesicht, rang der Lanista um Fassung. »Was willst du damit sagen?«

»Gegenfrage: Wie kommst du darauf, dass ich jemandem wie dir Rechenschaft schulde?« Die Fackel in der rechten Hand, bewegte sich der Mann, dessen Name den Wenigsten bekannt war, auf die Mitte des Familiengrabes zu. Dort angekommen, begutachtete er die beiden Sarkophage, unter denen sich eine gemauerte Grablege befand. Erst kürzlich war hier ein Kind bestattet worden, der siebente von insgesamt neun Toten, die einer begüterten Familie aus Treveris entstammten. »Der Befehl lautete, er soll den Kampf verlieren. Alles andere, mein Lieber, geht und ging dich nichts an.«

»Sagst du.«

»Gib acht, Maximinus – und hüte deine Zunge. Es sind schon wichtigere Leute verschwunden als du. Weitaus wichtigere sogar.« Im Schein der Fackel, deren Flamme wie ein Schlangenhaupt emporzüngelte, mutete das Gesicht des Mannes wie eine Geistererscheinung an. »Auf die Gefahr, dein Erinnerungsvermögen zu strapazieren – du warst mir noch eine Gefälligkeit schuldig. Einfach ausgedrückt: Spielschulden sind bekanntlich Ehrenschulden. Selbst dann, wenn man im Geld nur so zu schwimmen scheint.«

»Das, Scorpio, das genau ist der Punkt.« Zitternd vor Furcht nahm Maximinus seinen gesamten Mut zusammen. »Ich will mein Geld zurück, auf der Stelle!«

Das Lachen, welches nun erscholl, hätte Furcht einflößender nicht sein können. »Weißt du, Maximinus«, prustete der Skorpion und hielt sich den Bauch vor Lachen, »weißt du, was ich am meisten an dir schätze? Nein? Deinen Sinn für Humor. Aber ja doch, du hast richtig gehört. Deine Scherze ziehen einem wirklich die Sandalen aus. Denkst du, ich weiß nicht, wie es in deinem Gewerbe läuft? Ein Viertel für dich, das andere für Lupicinus. Je überraschender der Ausgang, desto besser.«

»Was … was zum Henker willst du damit sa …«

»Kannst du dir das nicht denken? Zum letzten Mal, Maximinus: Kümmre dich um deinen eigenen Kram.«

»Und wenn nicht?«

»Dann, mein Lieber«, antwortete der Skorpion, wandte sich um und schlenderte zur Tür, um sie mit einer ruckartigen Handbewegung zu entriegeln, »dann, Maximinus bist du die längste Zeit Lanista gewesen. Du weißt doch: Ich habe Verbindungen, von denen deinesgleichen nur träumen kann. Kein Mensch, und schon gar nicht du, ist unentbehrlich. Memento mori, Maximinus – ich habe zu tun!«