XVIII

Gladiatorenkaserne, zu Beginn der zehnten Stunde

[16:00 h]

»Viginti unus – duo – tres.« Der Ohnmacht nahe, biss Myron die Zähne zusammen. Keine Stelle auf seinem Rücken, die nicht schmerzte. Kein Fleck, an dem seine Haut intakt, kein Fingerbreit, der nicht zerfetzt, mit Blut verschmiert und aufgeplatzt war.

Drei Jahre zuvor, während einer Schmuggelfahrt auf der Ägäis, hatte er das Pech gehabt, den Kurs einer römischen Liburne zu kreuzen. Dass dies ausgerechnet an seinem Geburtstag geschah, hatte dem Missgeschick, das ihm unterlief, die Krone aufgesetzt. Von da an, seit jenem verhängnisvollen Tag im Iulius, war sein Leben aus den Fugen geraten, und es schien, als ob es sich heute, am Tag des Saturn, dem Ende zuneigen würde.

Doch der Schein trog. Denn da war auch noch Maximinus, ein Halsabschneider, der seinesgleichen suchte. Zugegeben, er hatte es genossen, ihn auszupeitschen, ihn zu martern, ihn vor aller Augen zu demütigen. Dennoch – oder gerade deshalb – war er bisher nicht bis zum Äußersten gegangen, für Myron keineswegs überraschend. Der Lanista war zwar ein Hitzkopf, ein Dummkopf war er aber noch lang nicht. Das wusste der Hoplomachos genau. Und er wusste, dass Gladiatoren umso wertvoller wurden, je mehr Gegner sie bezwungen hatten. Bei ihm, flink, treffsicher und geschickt, waren es bereits neun, was bedeutete, dass der Lanista nicht so töricht sein würde, ihn zu töten.

»Viginti tres.« Eins musste man Maximinus lassen: Er wusste genau, was er tat. Und warum er es tat. Auf die Idee, für jedes Lebensjahr einen Peitschenhieb zu verhängen, musste man erst einmal kommen.

Den Tod vor Augen, bäumte sich Myron auf. Knapp zwei Dutzend Peitschenhiebe, einer schmerzhafter als der andere. Zu wenige, um zu sterben, aber genug, um ihm einen Denkzettel zu verpassen. Um, wie Maximinus verkündet hatte, ein Exempel zu statuieren. Ein Exempel, das keiner so schnell vergessen würde.

Uri, vinciri, verberari. Ich werde es hinnehmen, gebrandmarkt, in Ketten gelegt und ausgepeitscht zu werden.

An eine Säule gekettet, auf die das pralle Sonnenlicht fiel, fragte sich Myron, was mit ihm geschehen würde. Was führte der Lanista im Schilde? Was in aller Welt hatte dieser Sklaventreiber vor?

Der Hoplomachos mobilisierte die letzten Kräfte, jeder Muskel, der noch funktionstüchtig war, bis zum Zerreißen gespannt. Kein Zweifel: Wer Maximinus kannte, wusste, dass er noch etwas in petto haben würde.

Die Frage war lediglich, was. Myron sollte recht behalten. Kaum war er zu der Erkenntnis gelangt, durchzuckte ihn ein Schmerz, wie er ihn selten zuvor verspürt hatte. Die Stirn an der Säule, drang ein Schrei aus seinem Mund. Kein Schrei im eigentlichen Sinn, sondern ein lang gezogenes, markerschütterndes und von den Wänden widerhallendes Heulen. Gefolgt von einem Geruch, wie ihn jeder, der eine Leichenfeier erlebt hatte, kannte.

Er hat es getan!, durchzuckte es den Hoplomachos, dieser Bastard hat es tatsächlich getan. Der Gestank von versengtem Fleisch hing in der Luft, stieg ihm in die Nase, raubte ihm den Atem. Myron würgte, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten. Wahrlich, ein Gladiator war nicht besser dran als ein Tier. Oder sogar schlechter. Ein Tier, und sei es auch ungefährlich, konnte sich irgendwie wehren. Er aber, der an Händen und Füßen Gefesselte, konnte das nicht. Er war der Bestie, die sich Lanista schimpfte, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Ausgeliefert? Vielleicht. Aber nicht auf ewig. Der Tag der Vergeltung würde kommen. Der Zeitpunkt, an dem er es Maximinus heimzahlen, an dem er sich für das Brandmal an der Schulter rächen würde.

Nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber er würde kommen.

»Ich denke, das genügt. Lass dir das eine Lehre sein.«

Myron schwieg. Nein, den Gefallen würde er dem Lanista nicht tun. Er würde sich zu keiner Unbeherrschtheit hinreißen lassen. Er, Myron, konnte warten.

Der Tag der Abrechnung würde kommen.

Garantiert.

»Da hat es dir die Sprache verschlagen, was? Wie gesagt: Lass dir das eine Lehre sein.« Als könne er Gedanken lesen, ließ der Lanista das Brandeisen in den bereitstehenden Eimer sinken, lachte und wandte sich betont lässig um. »Oder, korrekt ausgedrückt, lasst es euch allen eine Lehre sein!«

Da standen sie nun im Halbkreis, einer neben dem anderen. Die einen teilnahmslos, andere furchtsam, die Mehrheit abwartend. »Wem irgendetwas nicht passt, der möge vortreten!« Die Daumen hinter dem Gürtel, richtete sich der Lanista zu voller Größe auf. Dann ließ er den Blick reihum wandern. »Schon mal den Namen Spartakus gehört? Nein? Dann wird es Zeit, eure Bildungslücke zu schließen.«

»Nicht nötig. Wir wissen auch so, wie der Hase läuft.«

»Was du nicht sagst, Ursus!«, spottete der Lanista, die Andeutung eines Lächelns im Gesicht. »Ich muss sagen, ihr überrascht mich immer wieder.«

»Und du uns.«

»Tatsächlich? Das tut mir aber leid!« Das Gesicht hart wie Granit, hielt Maximinus den Blicken seiner Widersacher stand. »Wer mir dagegen nicht leidtut, ist Myron. Daher merkt euch eins: Wer glaubt, er kann mir auf der Nase rumtanzen, bekommt Ärger. Darauf könnt ihr Gift nehmen. Und noch was: Wer aufmuckt, kriegt es mit mir zu tun. So gut müsstet ihr mich inzwischen kennen.« Um zu verdeutlichen, was er meinte, legte der Lanista eine Kunstpause ein, grinste und ließ die Handkante über seinen Adamsapfel wandern. »Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Sollte mir auch nur ein Haar gekrümmt werden, wird man kurzen Prozess mit euch machen. Was das heißt, brauche ich niemandem zu erklären. Crassus ist mit Spartakus fertig geworden, dann werden sie auch mit euch fertig werden.«

»Wenn du dich da mal nicht irrst, Maximinus.«

Kalt wie ein Fisch schlenderte Maximinus auf Bato zu. »Mir scheint, du bist schwer von Begriff, Junior. Ich bin es, der hier das Sagen hat, klar? Wenn ich sage, das Thema Niger ist erledigt, dann ist es das auch. Dann habt ihr das Maul zu halten, alle miteinander. Geht das in deinen alamannischen Dickschädel rein?«

»Du bist dabei, einen großen Fehler zu begehen.«

»So, findest du?« Die Hand an der Peitsche, die in einem ledernen Halfter steckte, blieb der Lanista unmittelbar vor Bato stehen. »Weißt du was, Junior? Du bist es, der dabei ist, einen Fehler zu begehen. Angenommen, ihr probt den Aufstand – was, denkst du, wird dann passieren? Na? Richtig! Wenn ihr Glück habt, werdet ihr auf der Stelle niedergemacht. Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie euch den Löwen zum Fraß vorwerfen werden. Natürlich nicht, ohne euch vorher auf den Zahn zu fühlen. Ohne Folter macht das Ganze ja nur halb so viel Spaß.« Ohne den Blick abzuwenden, tastete Maximinus nach seiner Peitsche, zog sie aus dem Halfter und entwirrte die Lederstriemen, an deren Ende Widerhaken aus Blei baumelten. »Damit, Junior, haben sie bis jetzt noch jeden kleingekriegt. Dann werden sie das auch bei dir schaffen. Verzeihung – ich wollte natürlich ›euch‹ sagen. Beim Militär, Bato, verstehen sie nämlich keinen Spaß. Die bringen es glatt fertig und nageln euch ans Kreuz. So wie der gute alte Crassus. Hat nicht lang gefackelt, soweit ich weiß. 6000 Aufrührer, gekreuzigt an der Straße von Rom nach Capua. Ich finde, das sollte dir zu denken geben!«

»Wir sind über 20, Maximinus, schon vergessen?«

Die Antwort bestand aus einem abfälligen Grinsen. »Kann es sein, Kleiner, dass du mich auf den Arm nehmen willst? Oder bist du tatsächlich so naiv, wie du tust?« Der Lanista lachte verächtlich auf. »Ich denke, es ist an der Zeit, euch eine weitere Lektion zu erteilen. Eine war anscheinend nicht genug.«

Ohne die Umstehenden zu beachten, machte Maximinus kehrt und spazierte auf die Säule zu, an der Myron festgekettet worden war. Dort angelangt, drehte er sich um. »Mir scheint, ihr habt immer noch nicht begriffen, wie der Laden läuft!«, bellte er, das Wort abwechselnd an Bato und die übrigen Gladiatoren gerichtet. »Erstens: Weder du, Bato, noch du, Euphrates, und schon gar nicht du, Mucro, haben hier etwas zu melden. Zweitens: Wer das Wort Niger noch einmal in den Mund nimmt, kann sich auf was gefasst machen. Dem wird es genauso wie diesem griechischen Päderasten gehen. Glotzt nicht so dumm, ich meine es ernst! Drittens: Um euch zu zeigen, dass ihr mich beim Wort nehmen könnt, werde ich Myron eine weitere Tracht Prügel – sprich: zehn Hiebe – verpassen. Ich nehme an, er wird es überleben. Wenn nicht, hat er Pech gehabt. Noch Fragen?«

»Ja.«

Maximinus stutzte, fing sich jedoch wieder. »Ich will wissen«, schäumte er, die Peitsche in der klobigen Hand erhoben, »ich will sofort wissen, wer da eben dazwischengequatscht hat! Macht euer Maul auf, sonst werde ich Myron zu Tode prü …«

»Ich!«

Kaum war die Antwort, welche über die Köpfe der Anwesenden hinweghallte, an sein Ohr gedrungen, zückte der Gladiatorenunternehmer die Peitsche und stierte die Phalanx seiner Gegenspieler an. »Raus mit der Sprache, sonst knüpfe ich mir jeden von euch einzeln vor.«

»Nicht nötig.«

Bass erstaunt, verschlug es Maximinus die Sprache. Im selben Moment lichteten sich die Reihen, und während er dem Blick der Kämpfer folgte, fiel sein Auge auf einen Unbekannten in mittleren Jahren, anhand seiner Toga unschwer als Ratsmitglied zu erkennen. »Was hast du hier zu suchen?«, fuhr er ihn an, die Peitsche, an der noch Blut klebte, in der rechten Hand. »Verzieh dich, aber ein bisschen plötzlich!«

»Ich fürchte, das wird nicht gehen.«

»Sag mal, hörst du schlecht? Ich hab gesagt, du sollst verschwinden. Weißt du überhaupt, wer ich bin?«

Der Fremde ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Nun, ich denke, du bist der Mann, nach dem ich suche!«, antwortete er mit Bedacht und schlenderte auf den Lanista zu, begleitet von zwei Männern, die ihm auf dem Fuße folgten. »Erlaubt, dass ich mich vorstelle.«

»Ich kann’s kaum erwarten.«

»Mein Name ist Gaius Aurelius Varro, Dekurio und Advocatus. Und hier ist mein Freund Probus, von Beruf Medicus. Wie ich sehe, wird er allerhand zu tun haben.«

»Was soll das heißen? Glaubst du, ich lasse mir von dir Vorschriften …«

»Ich fürchte, dir wird nichts anderes übrig bleiben.« Ohne eine Miene zu verziehen, streifte Varro seinen Ring ab und hielt ihn dem Lanista unter die Nase. »Du siehst: Solltest du dich nicht fügen, steht dir jede Menge Ärger ins Haus.«

»Was willst du?«

»Das wirst du früh genug erfahren.« Kühl bis ins Mark, streifte Varro den Ring wieder über und sagte: »Einstweilen wird sich Probus um den Mann kümmern, der da drüben angekettet ist.«

»Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder?«

»Doch.« Der Anwalt runzelte die Stirn. »Und du tust gut daran, dich nicht einzumischen.«

Kalkweiß im Gesicht, spie der Lanista die Worte nur so aus. »Und was, wenn ich es doch tue?«

»Auf die Gefahr, mich zu wiederholen: Ich rate dir, meine Anordnungen zu befolgen. Darüber hinaus muss ich dich bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten.«

»Ich wüsste nicht, was es zwischen uns beiden zu bereden …«

»Aber ich. Ach, übrigens: Darf ich dir meinen Leibsklaven vorstellen? Wenn ich nicht irre, seid ihr euch schon einmal begegnet. Stimmt doch, Syphax, oder?«

»Ja, Herr – vor der Taverne am Brückentor.«

Der Lanista verschränkte die Arme und schwieg.

»Die Welt ist klein, was, Maximinus?« Varro verzog keine Miene. »Wie gesagt: Ich würde dich jetzt gern unter vier Augen sprechen – im Beisein von Syphax, versteht sich. Er war selbst einmal Gladiator, kurios, nicht?« Der Anwalt schmunzelte maliziös. »Keine Angst, er weiß sich zu benehmen. Es sei denn, du versuchst, mich hinters Licht zu führen.«

»Soll das etwa eine Drohung sein?«

»Nein, aber eine Prognose«, versetzte Varro und ließ den Blick über die Gesichter der Anwesenden wandern. »Du musst wissen, Syphax kann verdammt ungemütlich werden. Besonders wenn ein Verhör nicht so verläuft, wie wir es uns vorgestellt haben!«