XXII

Kaiserpalast, zur gleichen Zeit

[17:20 h]

»Ans Messer geliefert, verhaftet und demnächst des Amtes enthoben: Sic transiit gloria mundi!« Der Mann, vor dem der gesamte Hofstaat zitterte, hielt mit seiner Häme nicht hinterm Berg. »Und weshalb? Weil du den Hals nicht voll kriegen konntest!«

»Wer … äh … wer gibt dir eigentlich das Recht, mich hier festzu …«

»Du enttäuschst mich, Chrysaphius. Ich hätte dich für klüger gehalten. Seien wir doch mal ehrlich: Hast du wirklich geglaubt, du kämst mit deinen Ränkespielen durch? Wenn ja, bist du naiver, als ich dachte. Du weißt doch: Mir entgeht nichts. Niemand im Umkreis von zehn Meilen rührt einen Finger, ohne dass ich davon erfahre. Der Kaiser weiß es, alle anderen hier wissen es, der Pöbel weiß es – nur du weißt es anscheinend nicht. Darum lass dir gesagt sein: Wenn du mich über den Tisch ziehen willst, musst du früher aufstehen. Vor allem, wenn du vorhast, eine Verschwörung anzuzetteln.«

»Eine Verschwörung?« Chrysaphius, Eunuch und Kammerherr der Kaiserin, nahm all seinen Mut zusammen, richtete sich auf und versuchte, dem Blick seines Todfeindes standzuhalten. »Davon weiß ich nichts.«

»Typisch Grieche. Lügen, dass sich die Balken biegen. Theater machen. Den Leuten Sand in die Augen streuen.« Sein Gegenüber, ein Mittdreißiger mit dalmatischem Akzent, verzog keine Miene. Er wusste, wie man mit Leuten vom Schlage des Kammerherrn umgehen musste, und er wusste auch, was von ihm erwartet wurde. Die Aufdeckung einer Verschwörung war eine Sache, die Entlarvung der Mitwisser etwas ganz anderes. »Aber nicht mit mir, hörst du, nicht mit mir!«

»Und wenn du dich auf den Kopf stellst, Tiro – aus mir bekommst du nichts heraus.«

»Du bist dabei, einen großen Fehler zu begehen.« Tiro, Magister Officiorum und rechte Hand des Kaisers, warf einen Blick auf die Papyrusrolle, die vor ihm auf dem Stehpult lag, streifte sie mit dem Zeigefinger und murmelte: »Aber macht nichts, dann muss ich dir eben auf die Sprünge helfen.«

»Du hast nichts gegen mich in der Hand!«, quäkte der Kammerherr und betupfte die schweißnasse Stirn. »Rein gar nichts!«

»Na schön, offenbar willst du es nicht anders.« Ein Lächeln im Gesicht, begann Tiro in der schmucklosen Amtsstube auf und ab zu gehen. Aus der Ferne war der Lärm des Festzuges zu hören, und das Tageslicht, welches durch das vergitterte Fenster fiel, begann allmählich zu verblassen. »Hörst du den Jubel, Chrysaphius?«, fuhr der Oberhofmarschall, vor nicht allzu langer Zeit noch Leibgardist, mit süffisantem Lächeln fort: »Hörst du, wie das Volk den Kaiser hochleben lässt?«

Der Kammerherr ließ den Kopf hängen und schwieg.

Nicht so Tiro, der zusehends in Fahrt geriet. »Sag mal, bist du so dumm oder tust du nur so? Dir muss doch klar gewesen sein, dass du auf verlorenem Posten stehst. Die Welt liegt dem Kaiser zu Füßen, und dann kommst du daher und schmiedest ein Komplott gegen ihn! Das ist nicht nur ruchlos, sondern ein Frevel. Ein Frevel ohnegleichen. Weißt du, was du bist, Chrysaphius? Du bist ein gewissenloser Halunke, ohne einen Funken Ehrgefühl im Leib, einzig und allein auf deinen Vorteil bedacht. Nur gut, dass ich dir rechtzeitig das Handwerk gelegt habe.« Die Miene des Oberhofmeisters verfinsterte sich, und die Zornesader an seiner Stirn schwoll an. »Versuchter Staatsstreich, Bruch des Treueides, Gefährdung der inneren Sicherheit, Verrat am Kaiser, Verrat am eigenen Volk – tiefer kann man eigentlich nicht sinken.«

»Mir wurde befohlen, und ich habe gehorcht.« Chrysaphius zuckte die Achseln. »Wenn das Hochverrat ist, Tiro – nun, dann richte über mich!«

»Alle Achtung, du bist ja ein ganz Schlauer.« Lucius Valerius Tiro, knapp 37, bar jeglicher Skrupel und so gewissenlos, dass er nicht zögern würde, sich dem Meistbietenden anzudienen, lachte in sich hinein. »So viel Scharfsinn habe ich dir gar nicht zugetraut. Aber ich muss dich enttäuschen. Mit einem wie dir lasse ich mich auf keine Diskussionen ein.« Rein äußerlich die Ruhe selbst, nahm Tiro die silberne Karaffe, die griffbereit auf seinem Stehpult stand, goss sich ein und trank einen Schluck Falerner. »Auch ein Glas?«

»Nein danke.«

»Wer weiß – es könnte dein letztes sein.«

Chrysaphius erbleichte, das Gesicht so weiß wie die Tunika, die er trug. »Du hast nichts gegen mich in der Hand!«, wiederholte er, längst nicht mehr so gefasst wie zuvor.

»Doch.« Der Oberhofmeister trank aus, seufzte und ließ die Fingerkuppe über die Kante seines Bechers gleiten. Er tat dies ohne Hast, seiner Sache mehr als sicher. »Doch, Chrysaphius – das habe ich.«

»Dann … dann lass das Geplänkel und spann mich nicht länger auf die …«

»Immer mit der Ruhe, Kastrat, das mit der Folter kommt erst später.« Der Oberhofmeister stellte den Becher ab, nahm die Papyrusrolle zur Hand und umrundete den Tisch, welcher in der Raummitte stand. »Was mich betrifft, muss es aber nicht so weit kommen.«

»Nimm dich in Acht, Tiro. Der Arm der Kaiserin reicht weit.«

»Siehst du, jetzt kommen wir der Sache näher.« Der Dalmate lächelte. »Zeit, ein Geständnis abzulegen, oder?«

»Warum sollte ich!«

»Weil du ein kluger Mann bist, deshalb. Und weil ich dich in der Hand habe.« Tiro atmete geräuschvoll aus. »Genaugenommen gibt es für dich zwei Möglichkeiten: Entweder du machst reinen Tisch und ersparst dir die Folter, einen Schauprozess und einen qualvollen Tod, oder du hältst der Kaiserin die Treue. Wozu, wenn du mich fragst, keinerlei Anlass besteht. Du hast die Wahl, Abschaum – entscheide dich! Leugnest du, lasse ich dich den Löwen zum Fraß vorwerfen.« Der Oberhofmeister konnte seine Häme nicht verbergen. »Endlich mal was anderes als Tierhetzen. Oder diese ewigen Gladiatorenkämpfe. Ich weiß nicht, wie es dir geht, Chrysaphius, ich persönlich habe die Nase voll davon. Abwechslung ist das halbe Leben, findest du nicht auch?«

»Und was, wenn ich …?«

»Wenn du auspackst, werde ich mich erkenntlich zeigen.«

»Wie?«

»Darüber, Kammerherr, habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.«

Bleich wie der Tod fingerte der Eunuch an seinem Pektoral herum. »Zuerst … als Erstes will ich wissen, was da steht!«, stammelte er, ein nervöses Zucken im Gesicht. »Wer sagt mir, dass ich dir trauen kann?«

»Niemand. Aber lies selbst.«

Die Papyrusrolle in der Hand, tat Chrysaphius, wie befohlen.

Und erstarrte.

Der Oberhofmeister sah es mit Genugtuung. »Wie du siehst, hat die Kammerfrau der Kaiserin ein Geständnis abgelegt. Daraus geht hervor, dass ihre Herrin dem Kaiser nach dem Leben getrachtet hat. Weshalb, kann man sich denken. Sie wollte die Macht an sich reißen, dich und andere Schmarotzer die Dreckarbeit erledigen lassen. Schade nur, dass nichts daraus geworden ist. Kopf hoch, Chrysaphius! Dass ich dir zuvorkommen würde, konntest du nicht ahnen.«

»Was willst du, Tiro?«, quiekte der Eunuch, in der Hoffnung, seine Haut doch noch retten zu können. »Was verlangst du von mir?«

»Eine Gefälligkeit, nichts weiter. Darf ich?« Der Oberhofmeister nahm die Papyrusrolle wieder an sich und deponierte sie in dem mit der Aufschrift ›secretus‹ versehenen Regal. »Was ich verlange, fragst du? Als Erstes wirst du mir sämtliche Hintermänner nennen. Namen, Berufe, Herkunft und so weiter.«

»Und die Kaiserin?«

»Gut, dass du mich daran erinnerst, Chrysaphius! Du wirst nicht umhin kommen, mir die Namen all derer anzuvertrauen, mit denen deine Herrin in Kontakt gestanden ist. Besucher, Bittsteller, Vertraute – du weißt schon, wen ich meine.«

»Was hast du mit ihr vor, Tiro?«

»Darüber zu entscheiden, steht allein dem Imperator zu.«

»Und mit mir?«

»Mit dir?« Der Blick des Oberhofmeisters sagte mehr als viele Worte. Gerade eben noch ausdruckslos, sprühten seine Augen vor Hass. »Dir, mein Lieber, wird es vergönnt sein, den Schierlingsbecher zu leeren. Nicht gerade angenehm, ich weiß, aber besser, als in der Arena zerfleischt zu werden!«