XXV

Gladiatorenkaserne, eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang

[19:50 h]

»Es reicht, Maximinus – Schluss mit der Komödie!« Varro war dabei, seine gute Erziehung zu vergessen, und wenn er ehrlich war, hielt sich sein Bedauern darüber in Grenzen. »Du hast gelogen, dass sich die Balken biegen. Du hast versucht, uns hinters Licht zu führen. Du hast in Kauf genommen, dass Niger zu Schaden kommt. Und warum? Aus Habgier, weil du den Hals nicht vollkriegen konntest!« Aus Varros Augen schoss ein Blitz nach dem anderen. »Damit, du Schuft, ist es jetzt vorbei! Ein für alle Mal. Glaubst du, wir lassen uns von dir hinters Licht führen? Entweder du machst den Mund auf, oder ich sorge dafür, dass man dich dazu zwingt. Guck nicht so, ich meine es ernst. Eins kann ich dir garantieren: Nicht alle haben so viel Geduld wie ich. Vor allem nicht der Statthalter. Der fackelt nicht lang, darauf kannst du wetten!«

»Reg dich ab, Varro – aus mir bekommst du nichts heraus.«

»Ich gebe dir einen Rat: Zwing mich nicht, dir das Gegenteil zu beweisen. Das wäre fatal. Weißt du, was du bist? Du bist der größte Schurke, der mir je unter die Augen gekommen ist. Du hast dich zum Handlanger degradieren lassen, hast nicht gezögert, halb Treveris übers Ohr zu hauen. Betrug, Nötigung und Beihilfe zum Mord, wenn das nicht reicht, dich hinter Gitter zu bringen, will ich Nero Claudius Cäsar heißen!«

»Beihilfe zum Mord? Das musst du mir erst beweisen.«

»Ich wüsste nicht, was es hier zu beweisen gibt. Oder bestreitest du, dass du nicht gezögert hast, dich vor den Karren der Kaiserin spannen zu lassen? Raus mit der Sprache: Hast du Niger erpresst, ja oder nein?«

»Keine Ahnung, wovon du sprichst.«

»Und ob du sie hast! Als Niger sich weigert, Pugnax gewinnen zu lassen, drohst du damit, seiner Familie könne etwas zustoßen. Das wirkt. Der Retiarius willigt ein, dem Rivalen das Feld zu überlassen. Wider Erwarten geht jedoch etwas schief. Heißt: Niger lässt sich von dem Secutor provozieren. Was folgt, ist bekannt. Aus dem Kampf, den er verlieren soll, geht der Retiarius als Sieger hervor. Zur Freude des Publikums, aber zum Ärger der Kaiserin, die, wie wir mittlerweile wissen, auf Niger nicht gut zu sprechen war.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Weißt du was, Maximinus? Das glaube ich dir sogar. Leider ist das gegenwärtig nicht der Punkt.«

»Sondern?«

Der Advocatus verzog das Gesicht. »Der Punkt ist, Lanista, dass du nicht fertig gebracht hast, den Mund zu halten. Will heißen: Du hast versucht, aus der Situation Kapital zu schlagen.«

»Unterstellungen, Varro – nichts als Unterstellungen.«

»Ich wusste, dass du das sagen würdest. Deshalb haben wir vorhin noch einen Abstecher zu Lupicinus gemacht. Und siehe da – dein Geschäftspartner war in Plauderlaune, mehr als bei unserem ersten Besuch.«

»Na und? Ich wüsste nicht, was er gegen mich in der Hand hat.«

»Mehr, als du denkst, Maximinus!«, fuhr Varro unbeirrt fort. »Mehr, als du denkst. Oder leugnest du, dass du versucht hast, auch ihn zu erpressen?«

»Zum Henker mit dir – und mit deinen beiden Handlangern!«

»100 Solidi im Austausch für den Hinweis, welche der acht Paarungen manipuliert worden ist. Verbunden mit der Drohung, es gebe auch noch andere Wettbüros. Kommt dir bekannt vor, oder?«

Der Lanista winkte gelangweilt ab.

»Keine Antwort ist auch eine Antwort. Doch zurück zu deinem Freund Lupicinus. 100 Solidi sind eine stattliche Summe, weit mehr, als ein Durchschnittsbürger besitzt. Das wiederum bringt den Armenier auf die Idee, guten Bekannten, unter ihnen der Besitzer eines Steinbruchs, einen Tipp zu geben. Geld erhält ja schließlich die Freundschaft. Hochbeglückt setzen diese auf Pugnax – wie viel, wollte er nicht verraten – und verlieren. Kein Wunder, dass Lupicinus von nun an ein paar Feinde mehr hat. Die, wie man sich denken kann, alles daransetzen, wieder zu ihrem Geld zu kommen. Du verstehst, auf was ich hinauswill, Maximinus? Im Wissen, dass es ihm an den Kragen geht, macht sich Lupicinus auf die Suche nach dir. Findet dich im ›Kantharos‹. Stellt dich zur Rede und gerät in Streit mit dir. Wünscht dich in die Tiefen des Orkus und geht auf dich los. Dir, Maximinus, ist das Ganze natürlich peinlich. Schließlich ist die Wirtin nicht auf den Kopf gefallen und kann sich zusammenreimen, worum es geht. Die Folge: Du drohst ihr, wie zuvor Niger und Lupicinus. Dumm nur, dass du dir die Falsche ausgesucht hast. Zu deinem Leidwesen lässt sich Aspasia nämlich nicht erpressen und erstattet mir Bericht. Durch einen Spitzel, der sie überwacht, erfährst du davon, stattest ihr einen Besuch ab und drohst, ihr und ihrer Tochter etwas anzutun. Fazit: Wäre Syphax, mein getreuer Helfer, nicht zur Stelle gewesen, hätte Aspasia um ihr Leben fürchten müssen. Und um das ihrer Tochter, die du ebenfalls im Visier hast.«

»›Hätte‹, ›wäre‹, ›könnte‹ – mit dem Mord an Niger habe ich nichts zu tun.«

»Sei bedankt für das Stichwort, Lanista – Gesprächspartner wie du sind wirklich rar.« Der Advocatus räusperte sich. »Hast du gehört, Probus?«, fuhr er amüsiert fort. »Unser Freund lernt einfach nicht dazu.«

»Macht nichts. Dann werden wir ihn dazu zwingen.«

»Wie gesagt, Maximinus: Nicht alle bringen so viel Geduld für dich auf wie wir beide. Wie ich ihn kenne, wäre es Syphax eine Freude, dir Manieren beizubringen. Als ehemaliger Gladiator weiß er ja, wie das geht.«

»Drei gegen einen – keine Kunst!«

»Du kannst dir die Prozedur ersparen. Und weißt du auch, wie?«

»Indem ich auspacke?«

»Genau. Ein paar Informationen, und wir lassen dich in Ruhe.«

»Bedaure, Varro. Ich wüsste nicht, wie ich dir zu Diensten sein könnte.«

»Doch, weißt du. Und du weißt, dass die Duumviri keinen Spaß verstehen.«

»Beihilfe zum Mord – dass ich nicht lache.«

»Wenn ich du wäre, Maximinus, würde ich den Kopf nicht so hoch tragen. Nicht genug, dass du Niger erpresst hast, liefertest du ihn auch noch ans Messer.«

»Ich beneide dich um deine Phantasie, Varro.«

»Frage: Wovor hast du eigentlich Angst, Lanista?«

»Vor nichts. Nicht einmal vor dir.«

»Und wie steht es mit dem Mann, der dir aufgetragen hat, Niger in die Falle zu locken?«

»Ich weiß nicht, wovon …«

»Treib es nicht auf die Spitze, du Lump!«, grollte Varro, mit der Geduld am Ende. »Du weißt genau, wovon ich rede. Gestern Abend, kurz nach Sonnenuntergang, steht jemand ganz Bestimmtes an der Pforte. Und wir beide wissen genau, wer.«

Der Lanista schwieg, die Handflächen vor dem Gesicht.

»Woher ich das weiß? Ich habe mir erlaubt, die Torwache zu befragen. Ich weiß, was du jetzt denkst. ›Der hat sie bestochen!‹ Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen. Im Gegensatz zu dir wissen deine Männer, was die Stunde geschlagen hat.« Um die Wirkung zu erhöhen, durchmaß Varro den Raum, blieb zuerst am Fenster und dann vor dem Regal stehen, wo die Akten des Lanista gestapelt waren. Dann erst, nach einem längeren Schweigen, wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu. »Auf den Punkt gebracht: Der Anonymus, dessen Namen du nicht preisgeben willst, ist im Auftrag der Kaiserin unterwegs. Wieso, liegt auf der Hand. Da Niger den Kampf gewonnen hat, ist die Gemahlin des Imperators außer sich, was als Denkzettel gedacht war, artet in ein Mordkomplott aus. Ein Komplott, bei dem du, Maximinus, eine entscheidende Rolle spielst.«

»Und der Beweis?«

»Meine Beweisführung ist lückenlos, keine Bange. Wie gesagt: Um nicht in Ungnade zu fallen, tust du, was von dir verlangt wird. Dumm nur, dass Niger verschwunden ist. So bleibt dir nichts übrig, als dich auf die Suche zu machen. Wo, brauche ich nicht zu sagen.« Varro verschärfte seinen Ton. »Nach deinem Eintreffen in Nigers Wohnung kommt es zu einem Wortwechsel. Niger lässt sich nicht einschüchtern, gibt dir Kontra. Du stellst ihn zur Rede, erinnerst ihn an die Abmachung vor dem Kampf. Ein Gladiator, so das Argument, hat zu gehorchen. ›Uri, vinciri, verberari ferroque necari.‹ Schließlich hat er einen Eid geschworen.«

»Unter die Hellseher gegangen, was?«

»Nein. Aber ich habe nahezu 100 Fälle hinter mir. Da bekommt man Erfahrung.« Der Anwalt unterdrückte seinen Groll und sagte: »Doch plötzlich, von jetzt auf gleich, beruhigen sich die Gemüter wieder. Wie du es schaffst, Niger in die Falle zu locken, spielt keine Rolle. Fakt ist, dass du und der Retiarius die Wohnung kurz darauf verlassen. Doch anders als geplant seid ihr nicht allein. Da sie Verdacht geschöpft hat, heftet sich Merabaudis an eure Fersen. Weit gehen muss sie nicht. Dicht gefolgt von Nigers Frau, seid ihr in Richtung Baustelle unterwegs. Dort angekommen, tappt der Retiarius in die Falle. Es kommt zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Niger von hinten attackiert und meuchlings ermordet wird. Merabaudis kann von Glück sagen, dass sie es nicht mit ansehen musste. Taucht doch ein Mann auf, den sie noch nie im Leben gesehen hat, ein Mann, bei dessen Anblick sie die Flucht ergreift. Dunkelhaarig, mittelgroß und von kräftiger Statur. Besonderes Kennzeichen: eine Narbe im Gesicht. Du verstehst, worauf ich hinauswill, Maximinus? Es handelt sich um deinen Komplizen, um den Mann, der dir den Auftrag erteilt hat, Niger unter Druck zu setzen, der mitten in der Nacht aufgetaucht ist, um dir den Willen der Kaiserin zu offenbaren. Tja, Lanista, was soll ich sagen. Frauen, vor allem die verschmähten, können ziemlich nachtragend sein. Sie sind, wie wir beide wissen, zu allem fähig. Auch dazu, einen Meuchelmörder anzuheuern, um die erlittene Schmach zu rächen.«

»Alle Achtung, Dekurio – von dir hätte selbst Cicero noch etwas lernen können.«

»Heißt das, du wirst ein Ge …«

»Geständnis oder nicht – stört es dich, wenn ich etwas trinke?«

»Nein, keineswegs.« Dies war, wie Varro bald klar wurde, die falsche Antwort gewesen. Maximinus war im Begriff, ihn zu übertölpeln, und er, in Gedanken bereits am Ziel, hatte sich wie ein Anfänger aufgeführt. »Vorausgesetzt, du machst keine Dummheiten.«

»Ich doch nicht – wo denkst du hin.«

»Dann bin ich ja beruhigt.« Vielleicht lag es an der Müdigkeit, die ihn jetzt, im denkbar ungünstigsten Moment, übermannte. Oder es lag an seinem schmerzenden Bein. Oder an der Hitze. Vielleicht lag es aber auch an seiner Naivität. Egal warum, wieso oder weshalb, Varro schöpfte keinerlei Verdacht. Auch dann nicht, als sich der Lanista erhob, um sich einen Becher Wein einzugießen. Denn schließlich war ja da noch Syphax, an Körperkraft allen überlegen. Und Probus, der, argwöhnisch wie immer, jede seiner Bewegungen verfolgte. »Vielleicht löst er dir ja die Zunge.«

»Was das betrifft, kann ich dich beruhigen!«, antwortete Maximinus, nippte an seinem Becher und nahm umständlich Platz. »Prosit, Dekurio, auf dein Wohl! Und natürlich auch auf dich, Medicus. Mit mir kriegt ihr keine Scherereien mehr.«

Spätestens jetzt, im Angesicht des ihm zuprostenden Lanista, hätte Varro stutzig werden müssen. Im Gegensatz zu sonst regte sich jedoch kein Verdacht in ihm. »Wenn dem so ist, Maximinus, solltest du ein Geständnis ablegen.«

»Ein Geständnis? Einen Scheißdreck werde ich tun.«

»Oh doch, das wirst du.« Varro umrundete den Tisch, trat neben den Lanista und zischte: »Und du wirst einen hohen Preis zahlen. Du weißt doch, Maximinus: Leute, auf die kein Verlass ist, stellen eine Gefahrenquelle dar. ›Wer weiß‹, wird dein Spiritus Rector sagen, ›vielleicht ist es doch besser, meinen Komplizen mundtot zu machen! Nur ein toter Mitwisser ist ein guter Mitwisser.‹«

»Und wenn ich …«

»Wenn du auspackst, Maximinus, werden wir weitersehen.«

»Bedaure, aber das ist mir zu vage.« Der Lanista nahm den Becher in die Hand und lächelte. »Wenn das so ist, halte ich lieber den Mund.«

»Besser, als einen Dolch zwischen den Rippen, oder?«

»Kommt drauf an, wie man die Dinge betrachtet.« Ohne eine Miene zu verziehen, nahm Maximinus einen weiteren Schluck. »Nehmen wir an, ich lasse mich auf einen Kuhhandel mit dir ein – was dann?«

»Wie gesagt: Dann werde ich sehen, was sich machen lässt.« Äußerlich gelassen, wandte sich Varro ab und begann, die Schriftrollen im Regal zu durchforsten. »Egal, was noch passiert: Du bekommst einen fairen Prozess.« Varro hielt einen Moment inne. »Zumindest das kann ich dir garantieren.«

»Und was, wenn ich auspacke, wenn ich Namen nenne?« Maximinus blickte spöttisch in die Runde. »Denkst du, dann komme ich mit dem … mit dem Leben davon?«

»Wie heißt der Kerl – raus mit der Sprache!« Mit einem Satz, den ihm weder Probus noch Syphax zugetraut hätten, war Varro bei dem Lanista, packte ihn am Kragen und schrie: »Wie heißt er, verdammt noch mal!«

Doch es war zu spät. Die Pupillen von Maximinus weiteten sich, und ein Zittern ließ seinen Rumpf erbeben. Stumm vor Entsetzen ließ Varro von ihm ab, wurde Zeuge, wie sich der Lanista aufrichtete, einen Halbkreis beschrieb, den Stuhl umwarf und unkontrolliert hin und her zu torkeln begann. Hilflos wie ein Betrunkener stürzte Maximinus auf das Fenster zu, ein Gemisch aus Schaum und Speichel auf dem vorspringenden Kinn. Dann bäumte er sich ein letztes Mal auf, rang nach Luft, hechelte, gurgelte und röchelte – und stürzte kopfüber aus dem Fenster.

Es war zu Ende, unwiderruflich zu Ende.

»Gefleckter Schierling – auf die Idee muss man erst mal kommen.« Umrahmt von Scherben, etliche davon im Gesicht des Lanista, kniete Probus neben dem Leichnam, schloss ihm die Augen und sog den Mäusegeruch, den der Tote verströmte, mit unbewegter Miene ein. Dann rappelte er sich auf, blähte die Backen und ließ die Atemluft entweichen. »Und wir zwei Trottel sind auf ihn reingefallen.«

»Wenn hier einer die Schuld trägt, dann ich«, entgegnete Varro, umklammerte seinen Stock und humpelte von dannen. »Dümmer kann man sich ja wohl nicht anstellen!«