Die persönliche Anerkennung durch die Spitze der bayerischen Politik und die Münchner Gesellschaft stärkte Hitlers Position innerhalb der NSDAP. Hitler wusste allerdings auch genau, wie sehr seine Popularität und seine politische Bedeutung zu diesem Zeitpunkt an München gebunden waren. Deshalb reagierte er sehr gereizt, als im Frühjahr 1921 innerhalb der Partei über eine Fusion mit der «Deutschsozialen Partei» oder der «Deutschen Werkgemeinschaft» gesprochen wurde, die der promovierte Augsburger Studienrat Otto Dickel gerade gegründet hatte. Hitler war entschieden gegen Fusionen, konnte sich aber zunächst nicht durchsetzen. Als Dickel dann auch noch auf Einladung der NSDAP-Führung im Hofbräuhaus einen Vortrag hielt, der beim Publikum sehr gut ankam, zog Hitler die Notbremse. Während die Parteispitze begeistert davon war, einen weiteren volkstümlichen und zugkräftigen Redner gewonnen zu haben, und weiter Gespräche über Zusammenschlüsse mit anderen Parteien führte, erklärte Hitler am 11. Juli wutentbrannt seinen Austritt aus der Partei.
Dieses Vabanque-Spiel hätte durchaus das Ende seiner politischen Karriere bedeuten können, aber dank Eckarts Vermittlung ging Drexler schnell auf Hitler zu und ließ anfragen, unter welchen Bedingungen er sich eine Rückkehr in die Partei vorstellen könne. Hitler nutzte die sich jetzt bietende Chance skrupellos und forderte am 14. Juli ultimativ das Amt des Ersten Vorsitzenden «mit diktatorischer Machtbefugnis». Daneben verlangte er eine definitive Absage an alle Fusionsbestrebungen, ein «Verbot jeder Änderung des Namens und des Programms der Partei für die Dauer von sechs Jahren» sowie die «unverrückbare» Festlegung von München als «Sitz der Bewegung».[1]
Die Parteiführung kapitulierte sofort und akzeptierte Hitlers Forderungen ohne Abstriche. Am 26. Juli trat er als Mitglied Nr. 3680 erneut in die NSDAP ein. Drei Tage später fand im Hofbräuhaus eine außerordentliche Mitgliederversammlung statt. Die 554 anwesenden Mitglieder wählten ihn wie gewünscht zum Vorsitzenden und übertrugen ihm «mit nur einer Gegenstimme»[2] diktatorische Befugnisse. Hitlers Machtergreifung in der Partei zeigte, dass er politische Taktik und Intrige meisterhaft beherrschte. Das half ihm auch dabei, «die von ihm okkupierte Partei ganz auf sich auszurichten.»[3]
Mit aller Intensität trommelte Hitler nun weiterhin als Redner für seine Partei und den Nationalsozialismus. Oberstes Ziel war «die Nationalisierung der Massen»,[4] und dafür bot das Jahr 1921 reichlich Anknüpfungspunkte. Im Versailler Vertrag war zwar grundsätzlich geregelt worden, dass Deutschland Reparationen für entstandene Kriegsschäden zu leisten hatte, aber die Höhe dieser Zahlungen wurde erst im Frühjahr 1921 nach einem langen Verständigungsprozess unter den Siegermächten von der Reparationskommission bekanntgegeben. Zunächst belief sich die Forderung auf 226 Milliarden Goldmark, zahlbar über einen Zeitraum von 42 Jahren. Das war eine Summe, die nicht nur jede Vorstellungskraft sprengte, sondern auch die deutsche Volkswirtschaft vollständig überforderte. Entsprechend fielen die Reaktionen in Deutschland aus, und sie blieben nicht ohne Wirkung. Im April setzte die Reparationskommission den Gesamtbetrag der Reparationen auf 132 Milliarden Goldmark fest und stellte zugleich einen Zahlungsplan auf, der eine Begleichung innerhalb von 66 Jahren vorsah.
Hitler nutzte die Situation zu heftigen Angriffen gegen die «inneren Feinde des Volkes», die er für die Niederlage im November 1918 verantwortlich machte. Am 28. April forderte er «Protest um Protest» gegen «diese Bande von Hundsföttern, die uns in dieses unermessliche Elend gestürzt hat und unter uns die ausschließliche Schuld trägt.» Hitler verlangte, «Nationalverbrecher» wie Matthias Erzberger vor einen «Staatsgerichtshof» zu stellen und forderte, dass «unsere Verderber nicht den Tod erleiden durch eine ehrenvolle Kugel, sondern durch den Strang.»[5]
Der Londoner Zahlungsplan der Entente traf am 6. Mai 1921 in Berlin ein, verbunden mit einem auf sechs Tage befristeten Ultimatum des Obersten Rats der Alliierten, das die sofortige Besetzung des Ruhrgebiets androhte, falls der Plan nicht angenommen würde. Die Besetzung des Ruhrgebiets war seit längerem das Ziel einflussreicher Kreise in Paris, «denen deshalb eine deutsche Ablehnung gar nicht unwillkommen gewesen wäre.»[6] So weit kam es jedoch nicht, der Plan wurde angenommen. Strategie der deutschen Politik war es, dem Plan zunächst bis zur Grenze der deutschen Leistungsfähigkeit gerecht zu werden, um den Alliierten zu demonstrieren, dass die Forderungen am Ende schlicht unerfüllbar waren.[7] Die gesamte politische Rechte tobte gegen die «Erfüllungspolitiker» in Berlin, und Hitler war wieder einer der schlimmsten Hetzer.
Auch die Auseinandersetzungen in Oberschlesien ließ Hitler sich nicht entgehen. In Oberschlesien fand am 20. März 1921 eine Volksabstimmung über die Frage statt, ob das Gebiet bei Deutschland verbleiben oder dem neu geschaffenen polnischen Staat angehören wollte. Diese Abstimmung war im Versailler Vertragswerk vorgesehen, und sie brachte ein für Deutschland günstiges Ergebnis: Fast 60 Prozent der Abstimmenden votierten für Deutschland, gut 40 Prozent für Polen. Anfang Mai kam es daraufhin zu einem polnischen Aufstand in Oberschlesien. Die französischen Besatzungstruppen bezogen Position für Polen, die Engländer wollten dagegen das Industriegebiet bei Deutschland belassen und duldeten die Organisierung eines deutschen Selbstschutzes.[8] Auch Ehrhardts Männer und der bayerische Bund Oberland beteiligten sich an den Kämpfen.[9]
Trotz militärischer Erfolge der deutschen Freikorps endete die Auseinandersetzung um Oberschlesien für Deutschland enttäuschend. Der Rat des Völkerbunds empfahl die Teilung des Abstimmungsgebietes, und entsprechend beschloss der Oberste Rat der Alliierten am 20. Oktober 1921 eine Aufteilung, durch die das ostoberschlesische Industriegebiet fast komplett Polen zugeschlagen wurde.[10] Auch diese Auseinandersetzung trieb die nationalen Leidenschaften in die Höhe und bot perfekte Anknüpfungspunkte für nationalistische Propaganda.
1921 brachte auch die Zuspitzung des Konflikts um die bayerischen Einwohnerwehren. Zum 1. Januar war die im Friedensvertrag vorgesehene Begrenzung der Reichswehr auf 100.000 Mann in Kraft getreten. Am 29. Januar verlangten die Alliierten ultimativ die Auflösung der Wehren bis zum 30. Juni 1921.[11] Völlig zurecht sahen sie in ihnen paramilitärische Hilfsverbände der Reichswehr: Auf dem Höhepunkt ihrer Macht verfügte die bayerische Einwohnerwehr über mehr als 500.000 Gewehre, Tausende von Maschinengewehren und Hunderte von Geschützen.[12] Forstrat Escherich hatte hier eine gewaltige militärische Macht geschaffen, die mit einer «Einwohnerwehr» im eigentlichen Sinn des Wortes nichts mehr zu tun hatte. Der württembergische Gesandte in München berichtete am 2. April 1921 nach Stuttgart, er habe vom preußischen Geschäftsträger in München erfahren, die «hiesige Einwohnerwehr habe einen großen Stab von früheren Offizieren, meist Generalstäblern, mit einer Organisation, wie sie früher der große Generalstab gehabt habe, einer Presseabteilung, einer kartographischen Abteilung u. s. w. Mit den Büroräumen sei ein ganzes großes Hotel belegt und die Kosten seien auf 15 Millionen veranschlagt, würden sich aber wohl auf mindestens 25 Millionen im Jahr belaufen. Diese Organisation sei es, die der Entente auf die Nerven gehe, und darin habe sie nicht so ganz unrecht. Von den Offizieren dieses Stabes sei die Regierung Kahr abhängig, und das sei das Schlimmste.»[13]
Monatelang ließ Kahr alle Schreiben der Reichsregierung ins Leere laufen, die ihn bewegen sollten, die Forderungen der Alliierten zu erfüllen. Bockig und stur brach der Ministerpräsident damit nicht nur einen zusätzlichen massiven Konflikt mit Berlin vom Zaun, sondern provozierte auch heftige Reaktionen der Alliierten – bis hin zur militärischen Besetzung von Teilen des Landes. Es ist nicht auszuschließen, dass Kahr dies durchaus bewusst war. Inzwischen hatte er Kontakt zu Ludendorff, der von einem nationalen Freiheitskampf des Volkes träumte, wie es ihn ein gutes Jahrhundert zuvor gegen die Herrschaft Napoleons gegeben hatte. Weil er in solchen Phantasien schwelgte, war der «Nationalfeldherr» Ludendorff in München zum Hoffnungsträger der militärischen Revanchisten geworden.
Ein solches Spiel mit dem Feuer war den bürgerlichen Parteien im Bayerischen Landtag dann doch zu gefährlich. Auf Vorschlag der Bayerischen Volkspartei verständigten sie sich darauf, der Einwohnerwehr die freiwillige Auflösung nahezulegen[14] – und so geschah es dann. Bei den beiden letzten Führerbesprechungen der Einwohnerwehren im Mai 1921 wurde allerdings festgelegt, «dass man über eine Scheinauflösung der Wehren nicht hinausgehen werde.» Die bisherige Mitgliederzahl konnte unter den gegebenen Umständen nicht erhalten werden, aber die schlagkräftigsten Einheiten sollten in eine neue Untergrundorganisation übergehen. Um deren Tarnung zu erleichtern, sollte eine äußerliche Zerlegung «in unverfängliche kleine Vereine» eingeleitet werden, deren Zusammenhalt durch eine Oberleitung aus dem bisherigen Stab der Einwohnerwehr sichergestellt werden sollte.[15] Viele der bisherigen Einwohnerwehr-Aktivisten wechselten einfach zu anderen paramilitärischen Gruppierungen, die in München weiterhin aktiv blieben. Attraktiv war vor allem der Bund «Bayern und Reich», in dessen Ideologie sich wie bei den Einwohnerwehren regionalistische und nationalistische Motive mischten.[16]
Man verständigte sich in der Einwohnerwehr auch darauf, im Rahmen der Selbstauflösung nur den kleinsten Teil der Waffen bei der Interalliierten Militärkontrollkommission abzuliefern. Besonders Oberbayern wurde nun regelrecht in ein Waffenlager verwandelt. Mit tatkräftiger Unterstützung der Reichswehr wurden in Einödhöfen und Forsthäusern, in adeligen Landsitzen, Burgen und Schlössern, ja selbst in Klöstern Waffenarsenale angelegt. Die bereits bestehenden Beziehungen zwischen Angehörigen der Reichswehr und Mitgliedern paramilitärischer Organisationen wurden dadurch vertieft und erweitert. «Das Wissen um die verborgenen Waffenlager schuf das Gefühl einer gemeinsamen Verschwörung.»[17]
Kahr ließ all dies geschehen, forcierte die Auflösung der Einwohnerwehr nicht, rief aber am Ende auch nicht zum Widerstand auf. Zugleich blieb er auf hartem Konfrontationskurs gegenüber der Reichsregierung, sah keine vernünftigen politischen Alternativen. Gegenüber dem württembergischen Gesandten Moser erklärte er im Gespräch am 30. Juli 1921, die ganze äußere und innere Lage «sei derartig verzweifelt, dass er nicht sehe, wie wir auf normalem Wege uns allmählich wieder herausarbeiten sollen, er glaube, dass diese Lage nur durch eine gewaltsame Lösung eine Änderung werde erfahren können. Es müsse noch einmal Kämpfe im Innern und Krieg nach außen geben. Diejenigen, die dann noch am Leben seien, könnten dann das neue Deutschland aufbauen.»[18]
Kahr wurde für die Bayerische Volkspartei vollends zum Problem, als am 26. August 1921 der ehemalige Reichsfinanzminister Matthias Erzberger bei Bad Griesbach im Schwarzwald ermordet wurde. Der Zentrumspolitiker war bereits deshalb ins Fadenkreuz der extremen Rechten geraten, weil er im November 1918 den Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet hatte. Aber auch mit seiner Finanzreform hatte er sich speziell in Bayern viele Feinde gemacht, weil er dem Reich eigene Steuerquellen zu Lasten der Länder erschlossen und die Weichen «eindeutig in Richtung Einheitsstaat»[19] gestellt hatte.
Die Spur von Erzbergers Mördern führte direkt nach München. Dort war im unmittelbaren Umfeld von Kapitän Ehrhardt die «Organisation Consul» (OC) gegründet worden – «Consul» war der Name, den Ehrhardt innerhalb seiner Organisation führte.[20] Die OC hatte als rechtsextreme militärische Sammlungsbewegung begonnen und war seit dem Spätherbst 1920 eine «reichsweit operierende Geheimorganisation, die sich mit einem von Monat zu Monat fester geknüpften Netz über das Reich erstreckte.»[21] Die Münchner Zentrale führte die Ortsgruppen der Ehrhardt-Männer an kurzer Leine. Nach heutigem Rechtsverständnis war die OC eine terroristische Vereinigung, die aus nationalistischen Motiven schwerste Verbrechen verübte, zu denen auch Mord gehörte. Sie nahm einerseits Männer und Frauen ins Visier, die von den geheimen Waffenlagern wussten und ihr Wissen preisgaben. Diese «Fememorde» der OC verbreiteten ein Klima der Angst und des Schreckens. Andererseits bedrohten und töteten Killerkommandos der OC politische Repräsentanten der Republik. Das erste dieser Opfer war der Fraktionsvorsitzende der USPD im Bayerischen Landtag, Karl Gareis, der in der Nacht vom 9. zum 10. Juni 1921 vor seiner Haustür erschossen wurde, als er von einem Vortrag nach Hause kam.[22] Das zweite Opfer war Erzberger, der auf dem Kniebis bei einem Spaziergang von zwei Männern mit zwölf Revolverschüssen getötet wurde. Sein Begleiter, der Zentrumsabgeordnete Carl Dietz, wurde schwer verwundet.
Als Täter ermittelte die badische Polizei schnell Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, beide führende Mitglieder der OC. Die Münchner Polizei ermöglichte den Tätern, sich nach Ungarn abzusetzen, bevor die badische Polizei in München eingetroffen war, um sie festzunehmen. In München konnte nur das OC-Mitglied Kapitänleutnant Manfred von Killinger verhaftet werden. Er stand im Verdacht, den Tätern schon vor der Tat Beistand für die Zeit danach zugesagt zu haben, wurde aber vor Gericht freigesprochen. Zumindest aber deckte die badische Polizei mit ihren Ermittlungen erstmals die Aktivitäten und das Netzwerk der terroristischen Vereinigung Organisation Consul auf.[23]
Reichsregierung und Reichspräsident reagierten mit Verordnungen zum Schutz der Republik, die sich gegen antirepublikanische Versammlungen, Druckerzeugnisse und Vereinigungen richteten. Zugleich verlangte Berlin von Kahr, den seit 1919 in Bayern bestehenden Ausnahmezustand abzubauen. Kahr lehnte das ab. Es ging dabei um die Grundlagen seiner eigenen diktatorischen Gewalt.[24] Auch die Führer der vaterländischen Verbände forderten «unbedingte Härte des Ministerpräsidenten gegen Berlin». Allerdings wollten es die bürgerlichen Parteien, nachdem endlich die Auflösung der Einwohnerwehr erledigt war, nicht schon wieder zu einer Dauerkrise mit dem Reich kommen lassen. Eine Parlamentarierdelegation handelte am 8./9. September in Berlin einen Kompromiss aus. Als Kahr sich weigerte, den mitzutragen, entzog ihm die BVP die parlamentarische Unterstützung.[25]
Am 12. September 1921 trat Kahr als Ministerpräsident zurück und kehrte auf seinen früheren Posten als Regierungspräsident von Oberbayern zurück. Sein Nachfolger wurde Hugo Graf Lerchenfeld-Köfering, damals Reichsgesandter in Darmstadt. Auch er stammte aus dem königlich-bayerischen Verwaltungsdienst, wirkte aber wie ein Gegenpol zu Kahr: «ein Aristokrat mit amerikanisch-demokratischem Gehaben, geistreich und geistigen Dingen lebendig aufgeschlossen», charakterisierte ihn Karl Alexander von Müller. «Der neuen deutschen Demokratie hing er ehrlich an und sein ausgesprochenes Ziel war, die Spannungen zwischen München und Berlin zu beenden.» [26] Tatsächlich trat im Dauerkonflikt zwischen Bayern und dem Reich, «der in den zurückliegenden Monaten in so erheblichem Maße als innerbayerisches Bindemittel der Rechten gewirkt hatte»[27], unter Lerchenfeld eine gewisse Entspannung ein.
Kurze Zeit nach Kahr stellte der Münchner Polizeipräsident Pöhner sein Amt zur Verfügung und wurde mit der Ernennung zum Richter am bayerischen Obersten Landesgericht entschädigt. Pöhner näherte sich Hitler nun zwar noch offener an,[28] konnte aber in seiner neuen Position weit weniger für ihn tun. Das war für die Nationalsozialisten inzwischen zu verkraften. Ludendorff war im Mai durch Heß auf Hitler aufmerksam gemacht worden, «und seither hatte der Name des Generals Hitler viele Türen geöffnet.»[29]
Im Juni hatte Dietrich Eckart ihn im Salon der Helene Bechstein eingeführt, der Frau des bekannten und wohlhabenden Berliner Klavierfabrikanten. Helene Bechstein war nicht nur fasziniert von dem aufstrebenden Politiker, sondern entwickelte eine geradezu «mütterliche Zuneigung» zu dem dreizehn Jahre jüngeren Mann. Ihr hatte Hitler es zu verdanken, wenn er nach und nach gesellschaftsfähig wurde. Helene Bechstein kleidete ihn neu ein, brachte ihm passable Umgangsformen bei und gab ihm bei ihren Empfängen im «Vier Jahreszeiten» Gelegenheit, sich Münchens «besserer Gesellschaft» zu präsentieren.
Zur Unterstützung aus diesen «besseren Kreisen» kam verstärkter Rückenwind aus der Reichswehr. Das Heer sah in den paramilitärischen Verbänden, zu denen auch die NSDAP und ihre SA gehörten, eine Einsatzreserve für Krisenzeiten und förderte sie nach Kräften. Was in Norddeutschland die «schwarze Reichswehr» war, repräsentierten in Bayern die vaterländischen Vereine und die paramilitärischen Kampfverbände. Wichtigster Verbindungsmann der Reichswehr zu den Verbänden war Hauptmann Ernst Röhm, Stabsoffizier der Brigade Epp, wie das Freikorps nach seiner Integration in die Reichswehr hieß. Röhm hatte bereits die Einwohnerwehren mit Waffen, Munition und militärischem Gerät bedient und organisierte nach deren Auflösung die geheimen Waffenarsenale, aus denen die Verbände weiterhin versorgt werden konnten. Röhm standen mit seiner geheimen «Feldzeugmeisterei» die technischen und materiellen Möglichkeiten zur Verfügung, die zur Instandhaltung der geheimen Waffenbestände und für deren immer häufiger notwendige Verlagerung vor dem Zugriff der Entente notwendig waren.[30]
Röhm war bereits Ende 1919 der DAP beigetreten (Mitgliedsnummer 623) und bald darauf in engeren Kontakt mit Hitler gekommen – «er war einer der wenigen Parteigänger der ersten Stunde, die den späteren ‹Führer› duzten.»[31] Röhm war maßgeblich daran beteiligt, aus dem Saalschutz, den die NSDAP 1920 gegründet hatte, eine schlagkräftige paramilitärische Truppe zu machen. Zunächst war noch von der «Turn- und Sportabteilung» der NSDAP die Rede, Anfang August 1921 verfügte Hitler dann die Umwandlung in eine kampfstarke Sturmabteilung (SA). Ähnlich wie andere paramilitärische Verbände profitierte die SA von der Auflösung der Einwohnerwehren, aber sie hatte den großen Vorteil, dass der entscheidende Verbindungsmann zur Reichswehr der eigenen Partei angehörte. Seit Herbst 1921 ging die SA dazu über, nicht nur die Veranstaltungen der NSDAP zu schützen, sondern die Versammlungen der politischen Gegner zu stören und Juden auf offener Straße zu verprügeln. Mitte September 1921 sprengte sie eine Versammlung des Bayernbundes im Löwenbräukeller und fügte dabei dessen Leiter, dem Ingenieur Otto Ballerstedt, eine stark blutende Kopfwunde zu. Im Januar 1922 wurde Hitler deshalb wegen Landfriedensbruchs zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt, «von der er aber nur einen Monat – vom 24. Juni bis zum 27. Juli 1922 – im Gefängnis Stadelheim absitzen musste.»[32]
Während die SA unter ihren politischen Gegnern Furcht und Schrecken verbreitete, schwelgten Bayerns Monarchisten in Erinnerungen an die «gute alte Zeit». Am 18. Oktober 1921 starb König Ludwig III. von Bayern im ungarischen Exil. Die Beisetzungsfeierlichkeiten bescherten der monarchistischen Stimmung gewaltigen Auftrieb – «zumal Kronprinz Rupprecht von Bayern erklärte, in die Rechte seines Vaters, der niemals auf den Thron der Wittelsbacher verzichtet habe, eingetreten zu sein.»[33] Vor der Beisetzung des ehemaligen Königs am 5. November verdichteten sich sogar Gerüchte über einen geplanten Putsch. Es wurde erwartet, dass Rupprecht sich am Beisetzungstag «die Königskrone aufs Haupt setzen werde.»[34] Das hätte die Trennung Bayerns vom Reich bedeutet, was in Monarchistenkreisen durchaus nicht als Katastrophe empfunden worden wäre. Alle Putschüberlegungen waren jedoch erledigt, als Reichswehroffiziere dem Befehlshaber der bayerischen Division erklärten, «dass sich das Offizierskorps auf keinen Fall zu etwas gebrauchen lasse, was gegen den Diensteid sei.»[35]