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«Ordnungszelle» Bayern –
Der Traum vom «Marsch auf Berlin»

Separatistische Tendenzen hatten in Bayern seit 1919 Konjunktur. «Weg von Berlin» war für viele eine durchaus attraktive Parole. Der Preußenhass hatte schon im Lauf des Krieges deutlich zugenommen, besonders als auf Weisung Berlins Kirchenglocken eingeschmolzen und zu Granaten verarbeitet werden mussten.[1] Zeitweise war ein Bund der süddeutschen Staaten unter Einbeziehung Deutsch-Österreichs im Gespräch, zeitweise ein Rheinbund, dem auch die rheinischen Teile Preußens zugeschlagen werden sollten. Im Herbst 1922 kursierte ein recht konkreter Umsturzplan, der auch mit französischem Geld finanziert und vorbereitet wurde. Ziel war die – zumindest vorübergehende – Loslösung Bayerns vom Deutschen Reich. Die Wiedereinführung der Monarchie sollte als Option offengehalten werden, geplant war ein «Regentschaftsrat» mit diktatorischer Gewalt. Als die Separatisten versuchten, den ehemaligen Kronprinzen Rupprecht einzubinden, erstattete der Anzeige. Der Prozess im Juni 1923 offenbarte «einen Morast, dessen Spritzer recht weite Kreise trafen».[2]

Frankreich stand solchen Plänen äußerst wohlwollend gegenüber, weil sie das definitive Ende des Deutschen Reiches mit seinem bedrohlichen Potential an Bevölkerung, Wirtschaftskraft und militärischer Stärke bedeutet hätten. Der bayerischen Seele hätte wohl vor allem gutgetan, nicht mehr im Schatten des übermächtigen Preußen zu stehen. Die Wahrung eigenstaatlicher Interessen Bayerns war eines der zentralen Motive hinter den anhaltenden Spannungen und Konflikten zwischen Berlin und München. Das andere war die radikale Ablehnung der sozialistischen Politik, die in Berlin angeblich betrieben wurde. Häufig wurde diese Politik mit den Etiketten «jüdisch» und «marxistisch» markiert. Schwarz-rot-gold dachten in München nur die sozialdemokratische Arbeiterschaft und einige versprengte Demokraten. Die Bayerische Volkspartei hatte sich von der Zentrumspartei gelöst, von der die Weimarer Republik mitgetragen wurde. Die DDP war zwar in Franken stark, spielte aber in München und Südbayern keine Rolle.[3]

Im fränkischen Nordbayern lagen die Dinge insgesamt anders als in Ober- und Niederbayern. Hier war das Bürgertum traditionell eher national gesinnt und weniger weiß-blau. Hier hatte man die Tendenz der Weimarer Verfassung hin zum Einheitsstaat durchaus begrüßt. Hier war die monarchistische Stimmung bei weitem nicht so stark wie in München. Im fränkischen Bürgertum dominierte der demokratische Gedanke, und auch die fränkische Arbeiterschaft war republikanisch gesinnt, neigte nicht zum Radikalismus. Das soziale Klima war in Franken deutlich ausgeglichener als in München.[4] Nur: Die bayerische Politik wurde in München und Oberbayern gemacht, nicht in Nürnberg.

Nach Lerchenfelds Amtsantritt im September 1921 hatte sich zunächst manche aufgeregte Auseinandersetzung der Zeit Kahrs gelegt. Die vaterländischen Verbände verloren mit dem Wechsel von Kahr zu Lerchenfeld den unmittelbaren Zugang zur offiziellen bayerischen Politik. Für sie waren nun Monate der inneren Konsolidierung angesagt. Nach der Auflösung der Einwohnerwehren war eine Reihe von vaterländischen Vereinen und paramilitärischen Verbänden neu entstanden, bereits bestehende hatten den erheblichen Zulauf neuer Mitglieder zu verarbeiten. Die gesamte Landschaft der nationalen und völkischen Verbände in Bayern war keineswegs nur für die Kontrolleinrichtungen der Alliierten verwirrend und unübersichtlich.

In dieser Phase konnte Hitler das Profil seiner Partei weiter schärfen. Als Redner erreichte er jetzt ein immer größeres Publikum. Max von Gruber, Professor für Hygiene an der Universität München, erlebte ihn im Circus Krone. «Ich bewunderte seine Fähigkeit, zwei Stunden lang ohne Ermüdung in dem Riesenraum frei zu sprechen. Er beherrschte die vieltausendköpfige Menge vollständig, obwohl er ganz ruhig und ohne Gesten sprach und ohne unmittelbare Aufstachelung der Leidenschaften. Es war mir höchst merkwürdig, wie dieselben Bevölkerungsteile (kleine Leute, Handlungsgehilfen, Arbeiter, kleine und mittlere Beamte, kleine und mittlere Geschäftsleute usw.), welche vor ein bis eineinhalb Jahren ganz und gar von demokratischen und sozialistischen Träumen und Wünschen erfüllt waren nun wieder nationalbegeistert waren, ‹Deutschland, Deutschland über alles› und ‹Die Wacht am Rhein› sangen.»[5]

München; Zirkus Krone; Versammlung d.NSDAP um 1922/1923; Gruppenbild(Blick in d.vollbesetzten Saal; m.Aufdr.: "Hitler spricht!"), Material/Technik: Fotografie, Höhe x Breite 6 x 7 cm, Inventar-Nr.: 25313 , Copyright: bpk | Bayerische Staatsbibliothek | Heinrich Hoffmann

Hitler spricht im Circus Krone. Im Frühjahr 1921 gelingt es ihm erstmals, mehr als 6000 Zuhörer zu fesseln. In den folgenden zwei Jahren wird er zum populärsten Redner Münchens. Seine Fähigkeit, Massen zu faszinieren, macht ihn für die rechtskonservativen Kreise zur interessanten Figur. Man möchte ihn gern für die eigenen Zwecke nutzen.

Gruber war keineswegs der Einzige der Münchener Professoren, der von Hitler fasziniert war. Die Ludwig-Maximilians-Universität entwickelte sich zum Sammelbecken für völkisch und nationalistisch gesinnte Professoren und Studenten und wurde ein wichtiger Rückhalt für Hitlers Bewegung. Wichtig für Hitlers Denken wurde der Geograph Karl Haushofer mit seiner «Lebensraumtheorie». Haushofer schrieb kulturell «führenden» Nationen das Recht zu, sich den zum Überleben «notwendigen» Raum anzueignen. Rudolf Heß brachte Haushofer und Hitler 1922 zusammen.[6]

Hitler wurde immer mehr zu einer interessanten öffentlichen Figur. «Der Beiname ‹König von München›, den ihm seine innerparteilichen Gegner ironisch angeheftet hatten, traf immer mehr die Wirklichkeit.»[7] Dazu trug Ernst Hanfstaengl maßgeblich bei, der aus einer alteingesessenen Münchner Verleger-Familie stammte. «Putzi», wie er von seinen Freunden genannt wurde,[8] hatte in Harvard studiert und dann die New Yorker Filiale des väterlichen Kunstverlages geleitet. Im Sommer 1921 war er nach München zurückgekehrt und dann auch auf Hitler aufmerksam geworden. Im November 1922 erlebte er einen Auftritt Hitlers im «Kindlkeller» und hatte noch lange danach «die faszinierende Rhetorik Hitlers im Ohr». Neben den Inhalten, mit denen er zu «gut 95 Prozent» übereinstimmte,[9] begeisterte ihn auch Hitlers Stimme. «Wer Hitler nur aus den Veranstaltungen der späteren Jahre kennt – als den schon zur Maßlosigkeit entarteten tobenden Demagogen und Diktator am Mikrophon –, hat keine Vorstellung von dem registerreichen und volltönenden Instrument seiner natürlichen, nicht künstlich verstärkten Stimme in den ersten Jahren seines politischen Debüts. Da hatte sein Bariton noch Schmelz und Resonanz, da standen ihm noch Kehltöne zur Verfügung, die einem unter die Haut gingen, da waren seine Stimmbänder noch unverbraucht und befähigten ihn zu Nuancierungen von einzigartiger Wirkung.»[10]

Für Hanfstaengl war klar: «Zweifellos, hier war ein Virtuose auf der Klaviatur der Massenseele im Kommen, der eines Tages das Spiel auf der politischen Szene maßgeblich mitbestimmen würde.»[11] Hanfstaengl beschloss, Hitlers nähere Bekanntschaft zu suchen und ihn nach Kräften zu unterstützen. Bald gehörte der Großbürgersohn zu Hitlers Entourage und öffnete ihm vollends die Türen zu den exklusivsten Münchner Privathäusern und Salons, zu denen durchaus auch seine eigene Wohnung in der Gentzstraße am Rande von Schwabing gehörte.[12] Auch hier war Hitler von nun an häufig zu Gast.

Dort erlebte ihn Karl Alexander von Müller zur Kaffeezeit: «Wir anderen saßen schon zu viert am blanken Mahagonitisch vor dem Fenster, als die Wohnungsglocke klang; durch die offene Tür sah man, wie er auf dem schmalen Gang die Gastgeberin fast unterwürfig höflich begrüßte, wie er Reitpeitsche, Velourhut und Trenchcoat ablegte, schließlich einen Gürtel mit Revolver abschnallte und gleichfalls am Kleiderhaken aufhängte. Das sah kurios aus und erinnerte an Karl May (…) Der Mann, der hereinkam, war nicht mehr der trotzig-verlegene Ausbilder in einer schlechtsitzenden Uniform, der mir 1919 gegenübergestanden war; aus seinem Blick sprach schon das Bewusstsein des öffentlichen Erfolges: aber etwas seltsam Linkisches haftete ihm immer noch an».[13]

Vermutlich haben auch seine Unterwürfigkeit und sein exotisches Auftreten Hitler für Münchens wohlhabende Bürger interessant gemacht, nicht nur seine nationalistischen Thesen und seine kompromisslose Agitation gegen die Berliner Republik. Es war «nicht zuletzt seine soziale Randständigkeit, seine Aura eines Kellerkindes der Gesellschaft, die auf gelangweilte Damen und Herren der Gesellschaft einen gewissen Reiz ausübte und einen Hauch von Verruchtheit und Gefahr in ihr Leben zu bringen versprach.»[14] Jedenfalls kam von Angehörigen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite Münchens nun der «vielleicht wichtigste Schub für Hitler». Ohne deren Unterstützung wäre er vermutlich ein «zweitrangiger Bierkellerprophet» geblieben.[15]

Wichtig war dieser Schub auch ganz profan in finanziellem Sinn. Mitgliedsbeiträge und Einnahmen aus den Versammlungen deckten bei weitem nicht die laufenden Kosten der NSDAP für Personal und Verwaltung. Auch der Völkische Beobachter konnte nur erscheinen, weil er laufend erhebliche Zuschüsse bekam. Ohne potente Geldgeber wäre die Partei längst am Ende gewesen. Zu den frühen Förderern gehörte der Augsburger Fabrikant Dr. Gottfried Grandel. Dazu kam der bei den Siemens-Werken in Berlin tätige Chemiker Dr. Emil Gansser, der mit Dietrich Eckart befreundet war. Gansser öffnete Hitler erste Türen in Berlin. So konnte er am 29. Mai 1922 einen Vortrag im Berliner «Nationalen Klub von 1919» halten, der neben Offizieren und Beamten auch Unternehmer zu seinen Mitgliedern zählte. «Danach scheinen einige Spenden von Berliner Industriellen geflossen zu sein, unter anderem von Ernst von Borsig und dem Kaffeefabrikanten Richard Franck.»[16]

Die Monate der – scheinbaren – Beruhigung der politischen Verhältnisse im Land endeten am 24. Juni 1922 mit einem brutalen Mord. Mitten in Berlin wurde Reichsaußenminister Walther Rathenau von einem Kommando der Organisation Consul erschossen.[17] Rathenau war einer der Hauptexponenten der «Erfüllungspolitik» gegenüber den Siegermächten – und er war Jude. Die Mörder folgten Rathenau, als er morgens von seiner Wohnung in Grunewald im offenen Wagen ins Amt gefahren wurde, schlossen zu ihm auf, feuerten mit einer Maschinenpistole Salven auf ihn ab und warfen zuletzt noch eine Eierhandgranate in den Wagen des Reichsaußenministers.[18]

Am selben Tag trat der Reichstag zusammen, und Reichskanzler Joseph Wirth, ein Südbadener vom linken Flügel der Zentrumspartei, hielt eine hochemotionale Rede, in der er mit der politischen Rechten und ihren ständigen extremistischen Angriffen auf die Republik abrechnete. Die Rede gipfelte in dem bis heute häufig zitierten Schlusssatz: «Da steht (Wirth drehte sich zu den Abgeordneten der Rechtsparteien – WN) der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!»

Solemn Reichstag ceremony in honour of Germany 's murdered foreign minister Walther Rathenau President Ebert , Chancellor Wirth and the heads of the Government after the ceremony in the Reichstag . 1 June 1922

Nach der Trauerfeier für den ermordeten Reichsaußenminister Walther Rathenau am 27. Juni 1922 vor dem Reichstagsgebäude. Unmittelbar neben dem ersten PKW Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Joseph Wirth. Die anschließende Beisetzung Rathenaus wird zu einer Demonstration für die Republik, an der sich in Berlin Hunderttausende beteiligen. In vielen Städten des Reiches finden demokratische Kundgebungen statt.

Das demokratische Deutschland reagierte mit einer Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz der Republik, die am 26. Juni in Kraft trat. Sie knüpfte an die Verordnung an, die im Jahr zuvor nach der Ermordung Erzbergers erlassen worden war, richtete nun aber auch einen Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik ein, vor dem künftig alle Verfahren wegen Hochverrats und politisch motivierter Gewaltkriminalität verhandelt werden sollten. Das war ein wichtiger und nur allzu verständlicher Schritt. Speziell die bayerische Justiz hatte in den Jahren zuvor hinlänglich unter Beweis gestellt, dass ihr nichts weniger am Herzen lag als die Demokratie. Für rechtsextreme Mörder hatte sie stets ein mildes Urteil gefunden. Von einer republikfeindlichen Justiz konnte man keine fairen Verfahren gegen Feinde der Demokratie erwarten.

Durchaus zurecht sahen die Wehrverbände und die vaterländischen Vereine in der Einrichtung dieses Staatsgerichtshofs zum Schutz der Republik einen Angriff auf ihre bayerische Festung und reagierten entsprechend heftig. Die bayerische Politik trat den Verbänden nicht etwa entgegen, sondern stellte sich auf deren Seite, indem sie gegen einen angeblichen Eingriff des Reiches in die Justizhoheit der Länder wetterte. Gegenüber dem württembergischen Gesandten Moser erklärte Ministerpräsident Lerchenfeld recht offen, «dass die Verordnungen in Bayern nur durchgeführt werden könnten, insoweit das Rechtsempfinden und die Verfassung nicht beeinträchtigt würden. Nehme er die Verordnungen unbesehen hin, so wäre er bei der hier herrschenden Stimmung in wenigen Tagen weggefegt und dann könnte es zu den schlimmsten Unruhen, ja zum Bürgerkrieg kommen.»[19] Das politische Klima in Bayern wurde nicht von der Regierung oder vom Landtag bestimmt, sondern vom «nationalen Lager».[20]

Um Maßnahmen zum Schutz der Republik eine breite und sichere Grundlage zu geben, blieb es nicht bei der Verordnung des Reichspräsidenten. Der Reichstag verabschiedete vielmehr am 18. Juli mit verfassungsändernder Mehrheit ein entsprechendes Gesetz – gegen die Stimmen der DNVP, der BVP, des Bayerischen Bauernbundes, einiger Mitglieder der Deutschen Volkspartei und der Kommunisten.[21] Es trat am 21. Juli in Kraft und führte vor allem wegen der Einrichtung des Staatsgerichtshofs in Leipzig sofort zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Bayern.

Am 24. Juli verabschiedete der bayerische Landtag eine Verordnung «zum Schutze der Verfassung der Republik» und erklärte darin, das Reichsgesetz sei «eine Verletzung der Reichsverfassung». Im Gegensatz zum Reichsgesetz hieß es in der bayerischen Verordnung, in Bayern seien «die Volksgerichte» zuständig und «nichtbayerischen Polizeiorganen» sei «die selbstständige Vornahme von Amtshandlungen in Bayern verboten».[22] Verantwortlich für diese scharfe Reaktion war in erster Linie die Spitze der BVP, nicht Ministerpräsident Lerchenfeld, der die Angelegenheit «mehr dilatorisch» behandeln und zunächst abwarten wollte.[23]

In der Debatte des bayerischen Landtags am folgenden Tag erklärte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Johannes Timm, diese Verordnung stelle «einen Treubruch gegen das Reich und eine Verfassungsverletzung dar, die ohne Beispiel in der Geschichte sind.»[24] Mit einer klaren Ablehnung durch die SPD hatte man in der Regierung und der BVP natürlich gerechnet, und nicht nur das. Der württembergische Gesandte berichtete bereits am 22. Juli nach Stuttgart, man rechne in München «ziemlich stark damit, dass die Demokraten aus der Koalition ausscheiden, die dann durch den Eintritt der Mittelpartei (der bayerischen Schwester der Deutschnationalen Volkspartei – WN) nach rechts erweitert werden müsste. Einem etwa ausbrechenden Generalstreik soll durch sofortige Verhängung des Belagerungszustandes begegnet werden.»[25]

Man reibt sich die Augen, wenn man liest, mit welcher Wucht Bayern die Konfrontation gesucht haben soll, aber die Berichte Mosers sind in höchstem Maße glaubwürdig. Er war bereits lange vor dem Krieg als württembergischer Gesandter nach München gekommen und hatte beste Kontakte in die traditionelle bayerische Politik. Als Gesandter konnte er jederzeit alle Minister und Beamten um Unterredungen bitten und war bestens informiert.[26]

Die bayerische Politik steuerte offenbar sehenden Auges in einen massiven Konflikt mit dem Reich und nahm dafür große Auseinandersetzungen im eigenen Land bis hin zur Verhängung des Belagerungszustandes in Kauf. Immerhin nannte die Reichsregierung die Dinge klar beim Namen. Am 26. Juli erklärte sie, «zum ersten Mal seit der Gründung des Reiches» verweigere eine Landesregierung «einem verfassungsmäßig zustande gekommenen Reichsgesetz die Geltung». Die bayerische Verordnung sei «verfassungswidrig und ungültig».[27] Am 28. Juli drohte der Reichspräsident in einem Schreiben an den bayerischen Ministerpräsidenten mit der Reichsexekution,[28] deutete aber Offenheit für Gespräche an, so dass Lerchenfeld «recht befriedigt schien».[29] Vom 9. bis 11. August wurde unter dem Vorsitz Eberts verhandelt, aber das Ergebnis dieser ersten Runde lehnten die bayerischen Regierungsparteien am 17. August ab. Erst als das Reich auch noch die Errichtung eines eigenen süddeutschen Senats beim Staatsgerichtshof und eines besonderen bayerischen Referats beim Oberreichsanwalt sowie die Mitwirkung der bayerischen Staatsanwälte bei Überweisungen von Strafsachen an den Staatsgerichtshof zusagte, wurde das Abkommen vom bayerischen Landtag genehmigt und die bayerische Notverordnung außer Kraft gesetzt.[30]

Die bayerische Rechte feierte das forsche Auftreten gegen Berlin am 16. August mit einer Großkundgebung auf dem Königsplatz, wo sich 70.000 Menschen versammelten. Veranstalter waren die vaterländischen Verbände. Zweiter Redner bei der Kundgebung war Adolf Hitler. Er rief der Menge zu, im Kampf des Reiches gegen Bayern gehe es nicht um besondere bayerische Reservatrechte, sondern darum, dass Bayern «der deutscheste Staat im Deutschen Reich» sei. Deshalb bekämpfe man Bayern von Berlin aus. Man wolle «Bayern den Berliner Kurs aufzwingen, damit es dem östlichen Judentum verfalle, und das deutsche Volk dadurch den russischen Verhältnissen zuführen.» Von nun an müsse mit den Kompromissen Schluss gemacht werden, «wenn Deutschland nicht seinem Untergang entgegentreiben soll.»[31] Hitlers Auftritt bei dieser Kundgebung zeigte: Er und seine Bewegung waren zu einem relevanten Faktor im Lager der politischen Rechten geworden.

Die vaterländischen Verbände werteten die Großkundgebung als gewaltigen Erfolg. Im Anschluss gab es konkrete Überlegungen zwischen Otto Pittinger, dem Vorsitzenden des größten und einflussreichsten der Verbände, dem Bund «Bayern und Reich», Hauptmann Ernst Röhm, Stabsoffizier bei der VII. Reichswehrdivision und Verbindungsmann zu den Verbänden, und dem Münchner Polizeipräsidenten Ernst Pöhner, am 25. August eine weitere Demonstration anzusetzen und sie zu einem Putsch gegen die bayerische Staatsregierung zu nutzen. General Möhl und General Epp wurden informiert – und die Spitze der bayerischen Reichswehrdivision leitete keinerlei Maßnahmen zum Schutz der Regierung ein. Auch Hitler wurde eingeweiht, doch dann zögerte Pittinger im letzten Moment. Er ließ nur einen kleinen Teil seiner Wehrmänner aufrufen, und als die Staatsregierung kurzfristig ein Verbot der Versammlung verfügte, blieb er vollkommen passiv.[32]

Die Episode macht deutlich, wie massiv Lerchenfelds Kurs des Dialogs und der Verständigung mit Berlin in den vaterländischen Verbänden abgelehnt wurde. Deutlich sichtbar war Mitte August 1922 aber auch, dass selbst die Spitze der BVP diesen Kurs nicht mehr weiter unterstützte. Am 6. September berichtete der württembergische Gesandte Moser nach Stuttgart, Lerchenfeld habe sich ihm gegenüber bitter darüber beklagt, «wie schwer ihm seine Amtsführung gemacht werde. Er würde diese Bürde lieber heute als morgen abschütteln, aber zur Zeit wolle er den Leuten, die seinen Rücktritt verlangten, diesen Gefallen nicht tun.» Moser berichtete auch, Lerchenfeld habe sich über Diktaturideen erregt, die der frühere Polizeidirektor Pöhner gegenüber Dritten geäußert habe. «Man wolle in Bayern eine Militärdiktatur errichten, die sich dann allmählich über das ganze Reich ausbreiten solle. Man versteige sich zu der größenwahnsinnigen Idee, dass von Bayern aus die Gesundung nicht nur des Deutschen Reiches, sondern ganz Europas kommen müsse.»[33]

Es war nur noch eine Frage von Wochen, bis sich ein geeigneter Anlass für Lerchenfelds Rücktritt fand. Nach einer üblen Verleumdungskampagne gegen seine Frau war es am 2. November 1922 so weit. An der Hetze gegen ihn und seine Frau hatten sich auch maßgebliche Männer der BVP eifrig beteiligt.[34] Nach seinem Abschied erklärte Lerchenfeld gegenüber Moser, es sei eben «das Unglück, dass der politische Horizont hier ein so entsetzlich enger sei, man könne sich hier gar nicht vorstellen, dass anderswo die Verhältnisse anders gelagert seien. Da spreche man immer vom Niedergang der Sozialdemokratie, aber die Wahlen in Sachsen hätten bewiesen, dass davon keine Rede sein könne. Auch in den Parteien bedenke man hier nie genügend die Rückwirkung auf andere Teile des Reiches, wo andere Gesinnungen herrschten.»[35]

Bei den sächsischen Landtagswahlen am 5. November 1922 hatte die SPD 41, die KPD 10, die DNVP 19, die DVP 18 und die DDP 8 Sitze errungen. Die bürgerlichen Parteien hatten schwere Verluste hinnehmen müssen. Die Welt in Sachsen war eine völlig andere als die in München. In Sachsen war die Sozialdemokratie die unangefochten führende Kraft, in München dagegen wurden schwarz-rot-goldene Fahnen der Republik heruntergerissen und verbrannt, die aus Anlass eines Besuchs des Reichspräsidenten am Hauptbahnhof und am Messeeingang aufgehängt worden waren. Ebert hatte angekündigt, im Mai 1922 zur Eröffnung der deutschen Gewerbe-Ausstellung nach München zu kommen, sagte nach diesen Vorfällen aber kurzfristig ab. Nachdem Bayern sich zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet hatte, holte Ebert den Besuch am 12./13. Juni nach. Hitler erklärte im Vorfeld, der Besuch des Reichspräsidenten sei eine Beleidigung für Bayern, und drohte mit Gewaltmaßnahmen. Zu Gewalt kam es nicht, aber Besuchsrahmen und Stimmung bewegten sich durchgängig am Rande eines Eklats. Der britische Generalkonsul berichtete nach London: «Der Präsident traf gestern morgen ein und erhielt einen frostigen Empfang. Er hatte das unschöne Erlebnis, ausgebuht zu werden, wohin er auch kam. Es gab keinen Aufmarsch von Gardetruppen und kein Flaggenhissen zu Ehren des Präsidenten, und wahrscheinlich haben nur die wenigsten in der Stadt weilenden ausländischen Touristen überhaupt etwas davon mitbekommen, dass das deutsche Staatsoberhaupt in München zu Besuch war.»[36]

In den Wochen nach dem Mord an Rathenau wurde in vielen deutschen Ländern eine Reihe von nationalistischen Verbänden, wie der Alldeutsche Verband und der Stahlhelm, für aufgelöst erklärt.[37] Die NSDAP wurde zunächst in Baden und Thüringen, dann auf Grundlage des Republikschutzgesetzes in Braunschweig, Hamburg, Preußen und Mecklenburg-Schwerin verboten. Die bayerische Staatsregierung dachte nicht an ein Verbot.[38]

Auf Reichsebene kam es nach dem Mord zu einer Annäherung der DVP an die regierende Weimarer Koalition. Tief erschüttert rief der Vorsitzende Gustav Stresemann in seiner großen Reichstagsrede am 5. Juli aus, jetzt sei die «Ausrottung» der Mordorganisationen «mit Stumpf und Stiel» geboten, es gehe nicht mehr um die Frage «hier theoretische Republikaner, dort theoretische Monarchisten», sondern um den eigentlichen Gegensatz: «Staatsbejahung oder Staatszerstörung». 36 von 56 DVP-Abgeordneten stützten diese neue Linie der DVP.[39]

In Bayern dagegen tickten die Uhren anders. Hier führten die Ermordung Rathenaus und das aus diesem Anlass verabschiedete Republikschutzgesetz zu einer verschärften Tendenz nach Rechtsaußen. Als Hitler am 18. September 1922 im Circus Krone als erste seiner grundlegenden Forderungen die «Abrechnung mit den Novemberverbrechern von 1918» nannte, vermerkte der Bericht des Völkischen Beobachters: «Minutenlanger tosender Beifall».[40] Hitler und seine Bewegung beherrschten inzwischen ganz eindeutig die Münchner Versammlungen und Straßen. Die Mitgliederzahlen der NSDAP stiegen von 6000 Anfang 1922 auf über 20.000 bis zum Jahresende.[41] Ende September 1922 kaufte die NSDAP trotz aller finanziellen Probleme der Partei den ersten «Schnellkraftwagen» für ihren Vorsitzenden, «ein prachtvolles rot lackiertes Sechszylinder Benz-Cabriolet, mit dem sich Hitler von Auftritt zu Auftritt chauffieren ließ.»[42] Inzwischen trat Hitler nicht selten mehrmals am Abend in verschiedenen Biersälen auf.

Unter dem Eindruck von Mussolinis sogenanntem «Marsch auf Rom» am 27./28. Oktober 1922 begannen nun einige Männer aus Hitlers Entourage von ihm als «Führer» zu sprechen. Den Auftakt machte Hermann Esser, der Anfang November im Hofbräuhaus ausrief: «Deutschlands Mussolini heißt Adolf Hitler.»[43] Noch im selben Monat stilisierten auch Berichte des Völkischen Beobachters Hitler zum charismatischen «Führer».[44] Auf Plakaten für zehn Protestkundgebungen am Mittwoch, 13. Dezember 1922, wurde er erstmals offiziell als «unser Führer» angekündigt.[45]

Mussolinis «Marsch auf Rom» beflügelte die Fantasie der gesamten politischen Rechten. Zuvor war in informierten Kreisen immer wieder von einer «Angora-Lösung» für Deutschland die Rede gewesen. Das spielte auf die Entwicklung in der Türkei an, wo Gazi Mustafa Kemal Pascha, der spätere Atatürk, am 23. April 1920 im anatolischen Kernland die Große Nationalversammlung der Türkei ausgerufen hatte und dann von Angora aus, dem späteren Ankara, Druck auf das osmanische Parlament in Istanbul ausgeübt hatte. Die Erhebung der Jungtürken hatte gezeigt, dass es möglich war, das politische System einer korrumpierten Hauptstadt von außen her zu stürzen. München sollte gegen Berlin eine ähnliche Rolle übernehmen wie Angora gegen Istanbul. Mussolinis «Marsch auf Rom» entsprach aber den bayerischen Träumen noch exakter, denn die italienischen Faschisten hatten zuerst Südtirol erobert und von dieser «Ordnungszelle» aus den Marsch auf Rom angetreten. Polizei und Heer gingen zu den Schwarzhemden über, die Regierung stürzte und der König ernannte den Duce zum Ministerpräsidenten.[46] So stellte man sich in Bayern das Ende der verhassten Republik vor – wobei für die Rolle des Duce durchaus unterschiedliche Besetzungen kursierten. Wie in Italien sollte jedenfalls auch in Deutschland die Rettung aus den Bergen kommen.

Ende November 1922 war in Heimatland, dem Blatt der früheren Einwohnerwehr, zu lesen: «Wir müssen den Terror in unserem Vaterland mit denselben Mitteln und Waffen brechen wie Mussolini in Italien. Wir müssen die Hochburgen der roten Reaktion mit stürmender Hand nehmen und die Giftbuden, von denen aus sich täglich die Jauche des Judengiftes in unser betörtes Volk ergießt, in Flammen aufgehen lassen. In Trümmer weiter mit den Parlamenten, diesen Schwatzbuden der Revolution, diesen Kuhhandelsstellen, wo die heiligsten Rechte des Volkes schamlos verhökert werden.»[47]

Seit dem Spätsommer 1922 machten in München Gerüchte die Runde, ein Putsch der NSDAP stehe unmittelbar bevor. Lerchenfelds Nachfolger Eugen von Knilling nahm das nicht sonderlich ernst. Im Gespräch mit Moser erklärte er am 13. November, «dass die Gefahr eines national-sozialistischen Putsches etwas übertrieben werde, woran das Angstgeschrei der Sozialdemokraten nicht zum mindesten die Schuld trage.»[48] Dem amerikanischen Konsul in München, Robert Murphy, versicherte Knilling, Hitler fehle das Format, um «es weiter als bis zum Volksredner zu bringen». Er habe «nichts von den Qualitäten eines Mussolini».[49]

Knilling kam wie Kahr und Lerchenfeld aus dem alten hohen Beamtentum und gehörte der BVP erst seit 1920 als Abgeordneter an. Er war «ein Mann, der wankelmütig und unentschlossen die Ereignisse abwechselnd treiben ließ oder von ihnen getrieben wurde».[50] Der Fraktionsvorsitzende der BVP, Heinrich Held, gab ihm am 16. November im Bayerischen Landtag mit auf den Weg, dass in den vaterländischen Verbänden und Wehren «doch eine ganze Masse bester staatserhaltender Kräfte» am Werk seien. Ob alles, was sie tun und von sich geben, Beifall finden könne, habe mit der entscheidenden Sache nichts zu tun: «Es ist das Ringen um die Heimat, um das Vaterland und die Abwehr gegen den Feind, der das Vaterland umbringen will. Ich halte es für die vornehmste Pflicht einer neuen Regierung, konsolidierend, zusammenfassend einzuwirken. Der neue Staat braucht feste Grundlagen und alle sind gut genug, die als staatserhaltend und -bildend an diesem Staate mitarbeiten.»[51] Die BVP war zu dieser Zeit von einem dogmatischen Antimarxismus geprägt, der sie sehr anfällig für Einheitsfrontgedanken der Rechten machte.[52]

Anfällig für solche Gedanken war auch die Bayerische Reichswehrdivision, die intensiv mit den paramilitärischen Verbänden der nationalistischen und völkischen Rechten zusammenarbeitete und selbst schon seit 1919 zu einem Sammelbecken reaktionärer, antirepublikanischer Kräfte geworden war, unter denen es auch immer mehr Anhänger Hitlers und der NSDAP gab.[53]

Schon Anfang 1922 hatte sich eine bayerische Kompanie, die zum Wachregiment nach Berlin kommandiert worden war, geweigert, die Reichskokarde anzulegen. Sowohl Reichspräsident Ebert als auch Reichswehrminister Gessler waren besorgt wegen dieses Vorfalls.[54] Dem Chef der Heeresleitung gelang es nicht, diese Besorgnis auszuräumen. Angesichts der Entwicklungen in der bayerischen Reichswehrdivision diskutierte das Reichskabinett im Januar und Februar 1922 immer wieder über die Gefahr eines Putsches. Es war nicht unbedingt beruhigend, wenn Seeckt in einer dieser Sitzungen erklärte: «Meine Herren, in Deutschland kann niemand einen Putsch machen als ich. Und ich erkläre Ihnen, ich mache keinen.»[55] Im Lauf des Jahres nahmen die Befürchtungen noch zu, die bayerische Reichswehrdivision könnte sich gegen die Demokratie wenden. Der württembergische Gesandte Moser schrieb am 31. August 1922 nach Stuttgart, man dürfe sich darüber keinen Illusionen hingeben, «dass Reichswehr und Polizeiwehr sowie die Kreise der früheren Einwohnerwehr gegen einen Putsch von rechts nichts unternehmen, sich vielmehr höchstwahrscheinlich demselben anschließen werden.»[56]

Offenbar war Seeckt sehr daran gelegen, über die Verhältnisse in Bayern genauer und zuverlässig informiert zu werden. Ab Herbst 1922 ließ er von seiner Frau Dorothee einen politischen Salon in München unterhalten, der ihn über die Interna Bayerns auf dem Laufenden halten sollte.[57] Seine Frau war für Seeckt auch in politischen Fragen eine wichtige Partnerin, regelmäßig informierte er sie in Briefen über aktuelles Geschehen.

Die VII. (bayerische) Reichswehrdivision hatte im Lauf der Zeit ein bemerkenswertes Sonderleben entwickelt. Ihr Kommandeur, General Arnold von Möhl, hatte 1920 in den Tagen des Kapp-Lüttwitz-Putsches für einen starken Rechtsruck in der bayerischen Politik gesorgt. Infanterieführer der VII. Division war General Epp, der mit seinem Stabschef, Hauptmann Ernst Röhm, die Zusammenarbeit der Reichswehr mit den bayerischen Wehrverbänden bewerkstelligte – unter Einbeziehung von Hitlers SA. Möglicherweise wollte Seeckt dieser Entwicklung ein Ende setzen. Im Herbst 1922 nahm das Heeresamt eine Umbesetzung in der bayerischen Divisionsspitze vor. Das Tandem Epp-Röhm wurde zerschlagen, Epp verließ die Reichswehr zum 31. Oktober. Möhl wurde nach Kassel befördert, und Generalleutnant Otto von Lossow zum Kommandeur der VII. (bayerischen) Reichswehrdivision ernannt. Lossow war ein ehemaliger Kriegskamerad Seeckts von der türkischen Front und genoss ohne Zweifel das Vertrauen Seeckts. In Fragen der bayerischen Wehrverbände war Lossow allerdings «völlig unerfahren und stützte sich vor allem auf den Rat seines Fachmanns Röhm in seinem Stab.»[58]

Im Herbst 1922 wird General Otto von Lossow zum Kommandeur der VII. (bayerischen) Reichswehrdivision ernannt. Der Chef der Heeresleitung verfolgt damit wohl das Ziel, das Eigenleben der Division zu beenden und sie wieder klar der Reichswehrführung unterzuordnen. Erreicht hat Seeckt dieses Ziel nicht. Das zeigt sich im Herbst 1923 sehr deutlich.

Die «Konsolidierung» der vaterländischen Verbände, die der Fraktionsvorsitzende der BVP am 16. November 1922 anmahnte, war zu diesem Zeitpunkt bereits im Gang. Am 9. November wurde die «Vereinigung vaterländischer Verbände in Bayern (VVVB)» gegründet, in der sich 19 Organisationen zusammenschlossen. Die bedeutendsten waren der Bund «Bayern und Reich», die Nürnberger «Reichsflagge» und der «Verband der vaterländischen Bezirksvereine Münchens». Auch die NSDAP wurde Mitglied der Vereinigung. Große Kampfverbände wie die Bünde Oberland und «Wiking», die neue Organisation von Kapitän Ehrhardt, waren nicht dabei, weil ihnen der Einfluss der «weiß-blauen» Kräfte um Pittinger zu groß war. Um möglichst viele Organisationen zur Mitarbeit zu bewegen, wurde jedem einzelnen Verband ein Vetorecht in politischen Richtungsfragen eingeräumt.[59]

Die VVVB unter dem Vorsitz des Münchner Gymnasialprofessors Hermann Bauer war am Jahresende eher ein Papiertiger als eine schlagkräftige Organisation. Die wirkliche «Konsolidierung» der Bewegung stand noch an, als am 11. Januar 1923 60.000 französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet besetzten. Dieser Einmarsch war ein GAU für die deutsche Politik und wirbelte alles durcheinander, im Ruhrgebiet und in Berlin, aber auch in Bayern. 1923 wurde zum «Horrorjahr» der deutschen Republik.