Die nationalsozialistische Legendenbildung um den Putsch hatte schon während des Hitlerprozesses begonnen, als Hitler sich selbst – ganz im Sinne der Anklage – zum Alleinverantwortlichen stilisierte und sich als ehrlichen und aufrechten Kämpfer für die nationale völkische Sache präsentierte. Ihm und der Verteidigung gelang es, Kahr, Lossow und Seißer als Verräter zu brandmarken, die Verantwortung für die Toten des 9. November ganz dem Triumvirat zuzuschieben und damit vollständig von eigenen Versäumnissen und Fehlentscheidungen abzulenken. Die Propagandaschlacht im Gerichtssaal hatte ganz eindeutig Hitler gewonnen. Das zeigte sich nicht nur im Urteil, sondern mehr noch in der Reaktion auf den Straßen.
Während seiner Haftzeit machte Hitler aus dem Debakel des 8. und 9. November eine «heroische Niederlage».[1] Den ersten Band von Mein Kampf widmete er den «Gefallenen des 9. November 1923», denen er «ein freiwilliges Selbstopfer für das Vaterland» zuschrieb.[2] Dieser Linie folgte die Propaganda der Partei vom Tag ihrer Neugründung an. Sie erfand und erzählte die große Geschichte von Helden, die im Kampf für das Vaterland ihr Leben geopfert hatten, die Geschichte eines schmählichen Verrats, den vorgeblich «nationale» Politiker am 9. November 1923 begangen hatten, die Geschichte einer neuen Weltanschauung und einer Volksbewegung, die sich unter «schweren Kämpfen, mit Schmerzen und nicht ohne eigene menschliche Schuld» nach oben ringt und sich nach und nach von allem ablöst, «was den Weg zur deutschen Freiheit nicht gehen will oder nicht gehen kann.» So charakterisierte der Völkische Beobachter zum zweiten Jahrestag des Putsches das Geschehen. «Ehre, Freiheit, Vaterland! – Dem Gedenken der im Kampf um Deutschlands Wiedergeburt gefallenen Kameraden» – das waren die großen Überschriften auf der Titelseite am 8./9. November 1925. In einem Kasten mit Trauerflor mitten auf der Titelseite präsentierte das Zentralorgan der NSDAP in alphabetischer Reihenfolge die Namen der 16 «Gefallenen» des 9. November 1923 mit ihren Berufen und Geburtsdaten.[3] Auch auf das «Verbrechen» der Novemberrevolution ging das Blatt ein, allerdings erst auf seiner vierten Seite.
1926 erklärte Hitler den 9. November zum «Reichstrauertag» der NSDAP. Zum Jahrestag füllte ein großer Kasten mit Trauerrand fast die gesamte Titelseite des Völkischen Beobachters: «Wir gedenken der Toten». Ein markanter einleitender Text verknüpfte die beiden Novemberdaten der Jahre 1918 und 1923 ganz direkt: «Der 9. November, der Tag der Revolution, die im Jahre 1918 Deutschlands Größe brach, der Tag, der uns im Jahre 1923 die bittersten Stunden bescherte, als der edelste Freiheitswille deutschen Frontkämpfer- und Jugendgeistes in Blut und Elend zu Boden geschlagen wurde, dieser 9. November ist und wird uns immer der Tag innerer Einkehr und rückschauenden, ehrfurchtsvollen Gedenkens sein.»[4]
Die enorme Bedeutung des 9. November für das Selbstverständnis der Partei zeigte sich auch im Umfang der jährlichen Beschäftigung mit dem Thema. 1927 widmete der Völkische Beobachter ihm vier Seiten mit den Überschriften: «Der neunte Jahrestag der Novemberrevolte», «Die Börsenrevolte des Judentums», «Die neunjährige Selbstentlarvung von Demokratie und Marxismus», «Die Toten des 9. November», «Der Staat und der 9. November», «Der 9. November ein Deutscher Schicksalstag!»[5]
Die Propaganda begann bereits 1927 das Scheitern des «Marsches auf Berlin» zur notwendigen Voraussetzung für den zukünftigen Erfolg zu stilisieren. «Nichts ist für eine junge geschichtliche Bewegung, die eine große Sendung vor sich hat, gefährlicher als ein rascher und leichter Sieg, denn dieser führt eine solche Menge mittelmäßiger und minderwertiger Menschen in ihre Reihen, dass sie ihre idealen Ziele nicht mehr zu erreichen vermag.»[6] Dadurch wurde dem Sterben der «Blutzeugen» ein geradezu mythischer «Sinn» zugeschrieben. Symbolträchtig wurde die gerettete Fahne vom 9. November 1923 zur «Blutfahne» erhoben. Neue Standarten der SS und andere Parteifahnen wurden durch Berührung mit dem Tuch der Blutfahne geweiht.
All das wurde von der weitaus überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vermutlich noch 1928 als irritierende Spinnerei einer kleinen, rechtsextremen Sekte betrachtet – wenn sie es überhaupt wahrnahm. Bei den Wahlen im Mai 1928 kam die NSDAP nur auf 2,6 Prozent der Stimmen. Und doch gingen genau von dieser Wahl entscheidende Impulse für die Zerstörung der Republik aus.
Aufgrund der massiven Verluste der Deutschnationalen, die fast ein Drittel ihrer Wählerschaft verloren und auf 14,2 Prozent abrutschten, kam es zu einer Radikalisierung der Partei. Der Pressezar Alfred Hugenberg wurde zum Parteivorsitzenden gewählt. Die DNVP gab alle Versuche auf, sich im Rahmen einer Bürgerblock-Politik mit der Republik zu versöhnen. Sie gehörte von nun an wieder zu den entschiedenen Gegnern der Demokratie und setzte auf eine Zusammenarbeit mit der NSDAP.
Die Weltwirtschaftskrise sorgte ab 1929 auch in Deutschland für wirtschaftlichen Niedergang, Arbeitslosigkeit und bittere soziale Not – ein idealer Nährboden für einen Demagogen vom Schlage Hitlers. Die letzte parlamentarische Regierung, eine Große Koalition aus SPD, DDP, Zentrum, BVP und DVP unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller, scheiterte im März 1930 an einer Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Nun begann sich zu rächen, dass mit Paul von Hindenburg seit 1925 ein Mann Reichspräsident war, der von parlamentarischer Demokratie wenig hielt. Hindenburg betrachtete diese Krise des Parlamentarismus als Chance und ernannte den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler, der von nun an mit Hilfe von Notverordnungen des Reichspräsidenten regierte. Hatte Ebert Notverordnungen nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung zur Rettung der parlamentarischen Demokratie eingesetzt, führte Hindenburgs Politik zum Gegenteil. Bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 wurde die NSDAP mit 18,3 Prozent zweitstärkste Partei hinter den Sozialdemokraten. Zugleich verloren die Parteien der Großen Koalition ihre Mehrheit im Parlament. Brünings Versuch, die große Wirtschaftskrise zur endgültigen Lösung der Reparationsfrage zu nutzen, verschärfte die soziale Notlage noch. Bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP mit 37,3 Prozent stärkste Partei.
Nun wurde jedoch die große Wirtschaftskrise langsam überwunden, und das führte bei der folgenden Reichstagswahl, die bereits am 6. November 1932 stattfand, zu einem deutlichen Rückgang der NSDAP-Stimmen. Die Partei verlor 4,2 Prozent. Bei den folgenden Kommunalwahlen beschleunigte sich der Trend. Es war alles andere als zwingend, dass Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte. Die Weimarer Republik wurde zerstört durch die Intrigen im Lager der politischen Rechten und einen Reichspräsidenten, der mit allen Mitteln ein Ende der parlamentarischen Demokratie herbeiführen wollte. Ähnlich wie das Kahr 1923 vorgeschwebt hatte, gedachten auch Hindenburg und die ihn umgebenden konservativ-nationalen Kreise, sich Hitlers zu bedienen, um ihre eigene Agenda zu verwirklichen. Eine katastrophale Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten und des Führers der NSDAP.
Hitlers Machtantritt bedeutete für die Legendenbildung und die Erinnerung an den 9. November 1923 eine klare Zäsur. Während zuvor öffentliche Kundgebungen aus diesem Anlass in München in aller Regel verboten wurden, weil man Unruhen fürchtete, stand nun einer ungehemmten Inszenierung der NS-Propaganda nichts mehr im Weg. Die Toten eines ziellosen Demonstrationszuges im Anschluss an einen dilettantischen und gescheiterten Putsch nahm die NS-Propaganda als willkommenes Geschenk, mit dessen Hilfe sie eine mythische Geschichte von Opfer, Auferstehung und Erfüllung erzählte, eine Geschichte, die großes pseudoreligiöses Potential hatte. Hitler kaperte den 9. November, an dem zuvor vor allem die Sozialdemokraten die Ausrufung der Republik gefeiert hatten, und machte ihn mit Hilfe der «Gefallenen der Bewegung» zum weihevollsten Tag im nationalsozialistischen Festtagskalender. Jahr für Jahr kamen die Führungskader der Partei und ihrer Gliederungen von nun an nach München, um die Inszenierung mitzuerleben. Das Münchner Treffen war der wichtigste Termin in ihrem Kalender.
Bereits am 12. März 1933, drei Tage nachdem die Nationalsozialisten auch in Bayern die Macht übernommen hatten, reiste Hitler nach München und legte auf den Stufen der Feldherrnhalle einen Kranz mit der Aufschrift «Und ihr habt doch gesiegt!» nieder.[7] Ende 1933 stiftete er den «Blutorden», das Ehrenzeichen vom 9. November 1923, das an alle Personen ausgegeben werden konnte, die beim Putsch aktiv eingesetzt oder in Alarmbereitschaft versetzt worden waren. Der Orden war äußerst prestigeträchtig und galt als höchste Auszeichnung der NSDAP.[8]
Im November 1933 wurde ein Bronzedenkmal in Form einer Tafel in der seitlichen Bogenöffnung der Feldherrnhalle zur Residenzstraße aufgestellt. Zentral waren darauf die Namen der insgesamt 16 Toten Putschisten aufgeführt, darüber die Widmung: «Am 9. Nov. 1923 fielen vor der Feldherrnhalle sowie im Hof des Kriegsministeriums folgende Männer im treuen Glauben an die Wiederauferstehung ihres Volkes». Auf seiner Rückseite trug das Denkmal die Inschrift «Und Ihr habt doch gesiegt!» Unterhalb des Denkmals brachte man – «ganz auf ‹Versöhnung› mit der Landespolizei abzielend – eine Gedenktafel mit den Namen der vier getöteten Landespolizisten von 1923 an.»[9]
Im November 1933 fanden die großen Münchner Feierlichkeiten erstmals statt. Seit dem späten Abend des 7. November stand die «Geburtsstadt der Bewegung», so der Völkische Beobachter, «im Zeichen des größten Tages der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung. Die Stadt ist, von den Vorstädten bis ins Stadtinnere hinein, ein einziger Wald von Fahnen und Transparenten.»[10] Ziel war in diesem ersten Jahr vor allem die Inszenierung der «wahren, großen Volksgemeinschaft», wie der Münchner Gauleiter Adolf Wagner in der offiziellen Programmbroschüre erläuterte. «Wir wollen endlich singen und sagen: Deutschland, Deutschland, über alles in der Welt! Das sei der Sinn des 9. November 1933. Und wenn dieser Sinn Gemeingut aller Deutschen wird, dann hat das Blutopfer der zwei Millionen Gefallenen im Weltkrieg, der Gefallenen an der Feldherrnhalle und jener SA-Kameraden, die in den letzten 10 Jahren ihr Leben gaben, seinen Zweck erfüllt.»[11]
Am 8. November übergaben die Freikorps ihre Fahnen an die SA und reihten sich symbolträchtig in die braunen Kolonnen ein. Am Abend traf Hitler im Bürgerbräukeller mit den «Alten Kämpfern» zusammen. Dieser «historische Appell im Bürgerbräukeller» fand von nun an jedes Jahr statt und war die exklusivste Veranstaltung der ritualisierten Münchner November-Feierlichkeiten. Etwa 3000 «Alte Kämpfer» nahmen regelmäßig teil, es gab kaum reservierte Tische, so dass der Eindruck einer kameradschaftlichen Versammlung erweckt wurde. «Im Biersaal hatte man ein Rednerpult an derjenigen Stelle aufgestellt, von der Hitler 1923 den Staatsstreich verkündet hatte. Die vermeintliche Einschussstelle von Hitlers Kugel in der Decke war durch ein goldfarbenes Hakenkreuz markiert.»[12]
Am Ablauf dieses Abends änderte sich bis 1943 kaum etwas. Ab 1940 fand der «historische Appell» allerdings im Löwenbräukeller statt, weil der Biersaal im Bürgerbräukeller beim Bombenattentat Georg Elsers 1939 schwer beschädigt worden war. Regelmäßiger Kern- und Höhepunkt des Abends war Hitlers Rede, in der jedes Jahr drei Elemente wiederkehrten: die Parteierzählung, die Deutung des 9. November 1923 und der aktuelle politische Bezug.
Ritueller Höhepunkt der gesamten Münchner Feierlichkeiten war am 9. November der Marsch der «Blutzeugen», der demselben Weg folgte, den der Demonstrationszug am 9. November 1923 vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle genommen hatte. Im Jahr 1933 weihte Hitler im Anschluss an den Marsch das Denkmal an der Feldherrnhalle ein.[13] In seiner Rede rief er die Anfänge der Bewegung in Erinnerung. Sie hätten seinerzeit der Revolution des November 1918 «als Männer und politische Soldaten den Krieg angesagt, entschlossen, die Verantwortlichen des November zu stürzen, so oder so, und früher oder später zur Rechenschaft zu ziehen.»[14] Für die Nationalsozialisten war die Errichtung des «Dritten Reiches» ihre «Antwort auf die Novemberrevolution».[15]
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte bereits in seiner Rede zur Eröffnung der 10. Funkausstellung 1933 den Rundfunk als das neue Massenmedium des 20. Jahrhunderts bezeichnet.[16] Bei den Münchner Novemberfeierlichkeiten demonstrierte er nun, wie die Propaganda sich dieses neuen Mediums bedienen konnte. Die Übertragungen begannen am späten Abend des 8. November mit einer «historischen Nacht». Ab 11.30 Uhr am 9. November wurde dann zunächst eine Reportage vom «Marsch der Blutzeugen» gesendet. Es folgten die Verleihung der Ehrenbürgerwürde des Landes Bayern an den «Führer», dessen Rede und schließlich die Einweihung des Denkmals für die «Helden» des 9. November 1923. Gegen 15 Uhr endete die Direktübertragung. Um 19 Uhr folgte ein Hörspiel «Novembertage 1923».[17] Die Sendungen über die Münchner Feierlichkeiten wurden über alle Reichssender ausgestrahlt und waren in ganz Deutschland im Radio zu verfolgen.
Ein Deutungsmuster durchzog die Feierlichkeiten schon 1933 wie ein roter Faden: Das – völlig sinnlose – Sterben der Putschisten am 9. November 1923 wurde zum «Opfergang» stilisiert, der den 30. Januar 1933 erst möglich gemacht habe. Dieses «Opfer» sei Voraussetzung für den späteren Sieg gewesen. Rudolf Heß, der «Stellvertreter des Führers», formulierte auf der Titelseite des Völkischen Beobachters: «Am 9. November vor zehn Jahren forderte das Schicksal den Opfertod deutscher Kameraden. Niemand ahnte damals, dass ihr Tod der nationalsozialistischen Bewegung erst das Leben sicherte und dass die Stunde ihres Sterbens zutiefst der Beginn des Werdens war, aus dem fast zehn Jahre später das neue Reich geboren wurde.»[18] In der Rundfunk-Programmansage um 6.30 Uhr am 9. November hieß es: «Sie starben für uns. Aus ihrem Blute wuchs das Dritte Reich.»[19]
Bis in einzelne Formulierungen hinein folgte die Inszenierung der christlichen Liturgie. «Dem Reich Gottes, das durch Leiden, Tod und Auferstehung Christi den Menschen geöffnet wird, sollte das Dritte Reich, das durch Kampf, Tod und Sieg der Opfer des 9. November begründet wurde, entsprechen.»[20] Der Marsch zur Feldherrnhalle wurde in eine nationalsozialistische «Via Dolorosa» umgedeutet, die Machtübergabe an Hitler wurde zur nationalsozialistischen Variante des christlichen Osterfestes. Die «Blutfahne» von 1923 wurde als nationalsozialistische Reliquie nicht nur regelmäßig im Zug mitgeführt, sondern vielfach zur Fahnenweihe und bei Vereidigungen eingesetzt, die im Rahmen der Münchner Novemberfeierlichkeiten stattfanden.
Der Rückgriff auf zentrale Elemente der christlichen Liturgie stammte wohl vom Reichspropagandaleiter der NSDAP höchstpersönlich. Schon am 17. Oktober 1928 hatte Goebbels in seinem Tagebuch notiert: «Was ist uns heute das Christentum? Nationalsozialismus ist Religion. Es fehlt uns nur noch das religiöse Genie, das alte überlebte Formen sprengt und neue bildet. Der Ritus fehlt uns, Nationalsozialismus muss einmal Staatsreligion der Deutschen werden. Meine Partei ist meine Kirche».[21] Der Putsch von 1923 mit seinen «gefallenen Helden» bot sich wie kein anderes Ereignis der Parteigeschichte an, um einen nationalsozialistischen Ritus zu entfalten.
1934 würden die Novembertage «nicht im gleichen großen Stil wie vor einem Jahr begangen», kündigte der Völkische Beobachter am 9. November 1934 an,[22] schwieg sich aber über die Hintergründe aus. Ende Juni/Anfang Juli hatte Hitler die Führungsspitze der SA einschließlich ihres Stabschefs Ernst Röhm in einer «Nacht der langen Messer» ermorden lassen und sich bei der Gelegenheit auch vieler anderer ehemaliger Weggefährten und potentieller Gegner entledigt. Auch Gustav Ritter von Kahr gehörte zu den Ermordeten – Hitler hatte nicht vergessen. Als Folge der Mordaktion gab es im Verlauf des Jahres vier Attentatsversuche auf Hitler. Bei den Münchner Feierlichkeiten wurde deshalb der Marsch zur Feldherrnhalle am 9. November verkürzt, und er folgte einer Route, die von der traditionellen abwich. Hitler beschränkte sich auf eine einfache Kranzniederlegung, hielt nur eine sehr kurze Ansprache und verließ das Areal an der Feldherrnhalle danach sehr rasch.[23]
Im Jahr 1935 knüpfte die NS-Propaganda dann wieder an die Feierlichkeiten von 1933 an, steigerte den Inszenierungsaufwand enorm und nahm eine einschneidende Veränderung vor, mit der die Symbolik der gesamten Veranstaltung noch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden sollte. Der Marsch vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle wurde nun verlängert und führte in einem zweiten Akt bis zum Königsplatz, den man inzwischen in «Königlicher Platz» umbenannt hatte. Dort waren im Vorfeld zwei Ehrentempel für die Gebeine der 16 «Märtyrer» errichtet worden. Der Königliche Platz wurde als großer und zugleich sakraler Feierraum des Nationalsozialismus gestaltet.[24]
Die Überführung der Gebeine der «Blutzeugen», die zu Beginn schon geschildert wurde, machte die Feierlichkeiten zum einmaligen Ereignis. Zugleich aber wurde mit dem Veranstaltungsablauf des Jahres 1935 die Grundform der Feiern zum 9. November mit ihrer Anlehnung an die österliche Liturgie für die folgenden Jahre festgeschrieben: Dem Opfergang folgten Auferstehung und Siegesmarsch. Im Rahmen dieser Grundform wurden die Münchner Feierlichkeiten stets auch durch aktuelle politische Entwicklungen und Aktivitäten der Propaganda geprägt, beispielsweise 1936 durch die Wiedereinführung der Wehrpflicht und den Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland im Jahr zuvor, 1937 durch die Eröffnung der Propagandaschau «Der ewige Jude» im Deutschen Museum.
1938 feierte man sehr groß den «Anschluss» Österreichs, aber auch ein Jubiläum: Zum 15. Jahrestag des gescheiterten Putsches wurden Erinnerungspostkarten mit der Aufschrift «Und Ihr habt doch gesiegt» gedruckt und mit dem Sonderstempel «München, Hauptstadt der Bewegung, 9.11.1923–9.11.1938» versehen.[25] Gemeinsame Ehrenwachen demonstrierten den Schulterschluss zwischen SS und Wehrmacht: «Soldaten in Schwarz und Grau, Bewegung und Armee. Nichts kann beide trennen.»[26]
In nachhaltiger Erinnerung blieb bis heute ein ganz anderes Ereignis, das von den Münchner NSDAP-Feierlichkeiten seinen Ausgang nahm: ein landesweit von Partei und Staat organisierter Pogrom an den deutschen Juden, der als spontaner Racheakt des angeblich empörten Volkes getarnt wurde. Wollte man einen solchen reichsweit koordinierten Pogrom anordnen, ohne eindeutige Spuren zu hinterlassen, so boten dafür die Münchner Feierlichkeiten zum 9. November eine ideale Gelegenheit. Er konnte im Grunde nur ausgelöst werden beim «Kameradschaftsabend der Alten Garde», der jährlich am Abend des 9. November im Alten Münchner Rathaus stattfand. Bei diesem Empfang – und nur bei diesem Empfang – war traditionell das Führungspersonal der Partei und ihrer Gliederungen fast vollzählig versammelt und konnte von einem einzelnen Redner in Marsch gesetzt werden, ohne dass dazu ein förmlicher Befehl nötig war. So geschah es am 9. November 1938 durch Joseph Goebbels. Das Ergebnis waren brennende Synagogen, misshandelte und getötete jüdische Deutsche, geplünderte Geschäfte und zerstörte Wohnungen. Es war ein unvorstellbarer Rückfall in die Barbarei.
Auch im Krieg blieb der 9. November als «Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung» der wichtigste Feiertag im nationalsozialistischen Kalender. Auf zentrale Elemente der sakralen Inszenierungen bei den Münchner Feiern musste das Regime aber nun verzichten. Der traditionelle Marsch zur Feldherrnhalle und zu den Ehrentempeln fand schon 1939 nicht mehr statt. Der «Stellvertreter des Führers» Rudolf Heß legte im Rahmen kurzer feierlicher Zeremonien um 12.30 Uhr an der Feldherrnhalle und um 13 Uhr an den Ehrentempeln auf dem Königlichen Platz Kränze des «Führers» nieder. An der Feldherrnhalle traten dazu der Gaumusikzug und Sturmabteilungen einiger Parteiorganisationen an, auf dem Königlichen Platz wohnten Parteiprominenz, Mitglieder der Reichsregierung, Repräsentanten der Wehrmacht und «Blutzeugen» des 9. November 1923 der Feier bei.[27] Noch wurde die Beflaggung der Häuser ausdrücklich angeordnet, so dass die Stadt erschien wie in Friedenszeiten.
Bereits ein Jahr später untersagte man jede Beflaggung der Häuser «wegen der Gefahr alliierter Luftangriffe».[28] Die britische Regierung plante tatsächlich, am 8. November 1940 die Feldherrnhalle noch vor Beginn der Zeremonien zu zerstören, aber der Versuch misslang.[29] Auch 1940 gab es weder einen Marsch zur Feldherrnhalle noch zur «Ewigen Wache», sondern nur Kranzniederlegungen. Zusätzlich wurde nun auf dem Münchner Nordfriedhof mit Ehrenformationen der Toten des Anschlags vom 8. November 1939 gedacht, des Bombenattentats von Georg Elser. Hitler selbst nahm an diesen Feierlichkeiten nicht teil. Wieder legte Heß die Kränze des «Führers» nieder und ehrte die «Blutzeugen der Bewegung».[30] Heß avancierte in den ersten beiden Kriegsjahren zur Hauptperson der Münchner Feierlichkeiten, bevor er am 10. Mai 1941 nach Schottland flog, um die britische Regierung zu einem Friedensschluss zu bewegen.
Am 9. November 1941 ein ganz ähnlicher Ablauf wie im Jahr zuvor. Auf dem Platz vor der Feldherrnhalle wurde der Toten von 1923 gedacht, auf dem Königlichen Platz an den Ehrentempeln marschierten die Männer des 9. November 1923 auf, «die Blutfahne an der Spitze.» Wieder wurde auf dem Nordfriedhof an die Opfer des 8. November 1939 erinnert, aber deutlich weniger aufwändig als im Jahr zuvor.[31] 1942 wurden die öffentlichen Zeremonien in München weiter eingeschränkt. 1943 reagierte man auf den zunehmenden Bombenkrieg, indem man den Königlichen Platz mit speziellen Tarnnetzen verhängte, «die von den ‹Ehrentempeln› bis zu den Propyläen reichten und aus der Luft das Bild von Gebäuden und Grünanlagen auf dem ‹Plattensee› vortäuschten.»[32] Kranzniederlegungen wurden jetzt in aller Eile und nur noch wenig zeremoniell vorgenommen.
Als einziges Element der Münchner Novemberfeierlichkeiten blieb der Abend des 8. November unverändert, die traditionelle Veranstaltung mit den «Alten Kämpfern». Erst im November 1944 wurde auf sie verzichtet. Ihr Kern war stets die Rede Hitlers, der sich im Kreis der «Alten Garde» gut aufgehoben fühlte. Die Marschierer von 1923 waren für ihn ein idealer Resonanzboden. Redner und Publikum befeuerten sich gegenseitig, und der Funke sprang immer wieder auch auf die über, die am Radio zuhörten. Goebbels ließ die Reden im Rundfunk übertragen.
Der Leitartikel des Völkischen Beobachters zum 9. November 1940 formulierte besonders deutlich, was die NS-Führung sich im Krieg vom Gedenken an den 9. November 1923 versprach: «Es führt eine große Brücke vom Sturmjahr 1923 zum Kriegsjahr 1940. Indem die Männer unserer Sturmabteilungen von damals zeigten, dass die Ideale, für die sie starben, wert genug waren, um für sie das Leben einzusetzen, schufen sie erst die Voraussetzungen für jenes neue Volk in Waffen, das heute in seiner Gesamtheit bereitsteht, die gleichen Ideale im gleichen Opfergeist zu verteidigen.»[33]
1941 wurde das Treffen kurzfristig auf den Nachmittag des 8. November verlegt, um eventuell drohenden Luftangriffen der Royal Air Force zu entgehen. Hitlers Ausführungen zur aktuellen politischen Lage standen vor allem im Zeichen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Seine Rede war eine einzige Ansammlung von Lügen, Verdrehungen, Beleidigungen, Hasstiraden und größenwahnsinniger Selbstüberschätzung. Im Verlauf kam Hitler auch auf «die allerblödesten Hoffnungen» zu sprechen, die Hoffnungen, «in Deutschland breche ein Aufstand, eine Revolution aus.» Die Leute, die hier eine Revolution machen könnten, stellte er fest, seien «gar nicht mehr da». Vor allem aber sei das ganze deutsche Volk heute in einer Bewegung organisiert, «die eifersüchtig darüber wacht, dass sich ein November 1918 niemals mehr wiederholt. (…) Niemals wird sich in Deutschland ein November 1918 wiederholen! Er kann sich gar nicht wiederholen. Alles ist denkbar, nur eines nicht: dass Deutschland jemals kapituliert!»[34] Der alte, ewige Kampf habe 1918 kein Ende gefunden. «Damals hat man uns um den Sieg betrogen, damals haben wir zwei Millionen Tote geopfert, über 7 ½ Millionen Verwundete gehabt und sind trotzdem durch den Wahnwitz einer inneren Revolution um den Sieg gebracht worden. Es war aber nur der Anfang, das erste Stück des Dramas, das zweite und der Schluss werden jetzt geschrieben, und wir werden diesmal nun das einholen, um was man uns damals betrogen hat.»[35] Goebbels notierte: «Die alten Marschierer vom 9. November bereiten dem Führer stürmische Ovationen.»[36]
Als Hitler am 7. November 1942 wieder nach München reiste, um am folgenden Tag seine traditionelle Rede zu halten, hatte der deutsche Herrschaftsbereich zwar seine größte Ausdehnung erreicht. Doch in der Sowjetunion wurde erbittert um Stalingrad gekämpft, und auch die aktuellen Nachrichten aus Nordafrika waren denkbar schlecht für das NS-Regime. Am 2. November hatten britische Panzer die deutsche Front durchbrochen, und Rommel hatte den Rückzug befohlen, noch bevor Hitlers strikter «Sieg-oder-Tod-Befehl» bei ihm eingetroffen war. Während der Bahnfahrt wurde Hitler nun auch noch gemeldet, dass Truppen der Alliierten in Algerien landeten. Damit griffen amerikanische Bodentruppen in die Kämpfe auf dem europäischen Kriegsschauplatz ein. Die Idee seines Außenministers Ribbentrop, Friedensfühler zu Stalin auszustrecken, lehnte Hitler kategorisch ab. «Ein Augenblick der Schwäche sei nicht der angemessene Zeitpunkt für Verhandlungen mit dem Feind.»[37]
Wenige Stunden vor dem Beginn des Treffens im Löwenbräukeller wurde die Meldung von der Landung der amerikanischen Truppen in Nordafrika im Rundfunk verbreitet, und sie rief nicht nur in der Bevölkerung Bedenken und Sorgen hervor, sondern beunruhigte auch die «Alten Kämpfer». Dass der Beginn von Hitlers Rede um eine Stunde auf 18 Uhr verschoben wurde, erhöhte die Nervosität noch. Die Parteiversammlung sei «elektrisiert», hielt Goebbels in seinem Tagebuch fest, «jetzt muss der Führer reden. Er zieht sich kurz zu einer Ausarbeitung seiner Rede zurück; sie wird sozusagen aus dem Stegreif entworfen.»[38]
Hitler kam auf die Landung in Algerien kaum zu sprechen und konzentrierte sich ganz auf die Eroberung und das Halten von Stalingrad. Er verstieg sich zu der Behauptung, er habe Stalingrad bis auf «ein paar ganz kleine Plätzchen» bereits erobert und machte aus der Stadt einen «gigantischen Umschlagplatz» der sowjetischen Kriegsindustrie, der endlich ausgeschaltet werden müsste. Mit dieser Rede verbaute Hitler sich selbst die letzte Möglichkeit, die deutschen Armeen vor dem Einbruch des Winters aus Stalingrad zurückzuziehen, die Frontlinie nach Westen zurückzunehmen und so weniger anfällig zu machen. Er wollte jedes Anzeichen von Schwäche vermeiden und setzte alles auf die vage Hoffnung, dass die sowjetische Verteidigung bald irgendwie zusammenbrechen würde.
In Anspielung auf den November 1918 erklärte er: «Das Deutschland von einst hat um drei Viertel 12 die Waffen niedergelegt – ich höre grundsätzlich erst 5 Minuten nach zwölf auf!»[39] Hinter ihm stehe «die deutsche Heimat» und «die ganze Nationalsozialistische Partei als eine verschworene Gemeinschaft». Das unterscheide die jetzige Zeit von der einstigen.[40] Hitler zog auch Parallelen zwischen dem 9. November 1923 und dem Winterfeldzug 1941/42. So wie der 9. November 1923 schließlich zum 30. Januar 1933 geführt habe, so gelte: «Der Sturm, der uns im vergangenen Winter nicht umgeworfen hat, der hat (…) uns nur stärker gemacht!»[41] Die bereits seit Jahren von der Propaganda verkündete «Logik», dass Niederlagen am Ende zum Sieg führten, wenn man nur willensstark, kompromisslos und fanatisch sei, war nun besonders gefordert. «Ich verlange von jedem Parteigenossen, dass er mit äußerstem Fanatismus genau so wie in der Kampfzeit der Träger des Glaubens an den Sieg und an den Erfolg ist.»[42]
Goebbels schwärmte im Tagebuch in den höchsten Tönen von dieser Rede Hitlers, für die ihm die «Alten Kämpfer» eine Ovation nach der anderen gebracht hätten. Die Berichte des SD belegen dagegen, dass Hitlerreden bei den meisten Deutschen jetzt «nur noch oberflächliche Wirkungen» auslösen konnten. Das galt nach dem Urteil von Ian Kershaw ganz besonders für die vom 8. November 1942. «Diese Rede zählte nicht zu Hitlers rhetorischen Glanzleistungen. Er war stets dann ein überzeugender Redner, wenn es ihm gelang, die Wirklichkeit auf eine für sein Publikum plausible Weise zurechtzubiegen. Aber jetzt klammerte er Tatsachen aus oder stellte sie auf den Kopf. Die Kluft zwischen Rhetorik und Realität war zu breit geworden.»[43]
Dieses Urteil lässt sich durchaus auch auf Hitlers Rede im Jahr 1943 beziehen, die letzte, die er an einem 8. November gehalten hat. Hitler gab sich kompromisslos und siegessicher. Wieder kam er auch auf den November 1918 zu sprechen und wiederholte fast wörtlich, was er bereits im Vorjahr erklärt hatte. Auch 1943 kannte Goebbels’ Begeisterung keine Grenzen: «Bei seiner Rede befindet der Führer sich in bester Form. (…) In dieser Versammlung übt diese Rede eine ganz ungeahnte Faszination aus. Das ist schon deshalb gut, weil sie damit auch in der Rundfunkübertragung sehr tiefgehend wirken wird. (…) Ich bin sehr froh, dass der Führer nach so langer Zeit wieder einmal vor der Öffentlichkeit das Wort ergriffen hat. Es war auch die höchste Zeit. Bei dieser Rede handelte es sich sozusagen um das erlösende Wort.»[44] Wirkung zeigte die Hitler-Rede vom 8. November 1943 dem Bericht des SD zufolge vor allem unter fanatischen Nationalsozialisten. Ihre Stimmung besserte sich zeitweise. «Nur wenige andere Deutsche konnten in dem leeren Wust dieser Rede irgendeine Tröstung für all die Verluste und Entbehrungen durch den Krieg finden, von dem sie wussten, dass er in jeder Hinsicht verloren war.»[45]
Ein Jahr später, am 9. November 1944 standen amerikanische Truppen bereits seit zwei Monaten auf deutschem Boden. Im Osten näherte sich die Rote Armee bis auf 100 Kilometer dem Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen. Hitler verließ es endgültig am 20. November 1944. Die NS-Führung konnte nur noch auf ein Wunder hoffen, zum Beispiel auf ein grundsätzliches Zerwürfnis zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion. Goebbels wünschte sich zwar möglichst bald eine Rede des «Führers», die er im Rundfunk übertragen lassen konnte, aber 1944 kam Hitler im November nicht nach München. Vermutlich war die Gefahr eines Bombenangriffs während der Rede zu groß.[46] Offiziell hieß es, die Arbeit im Hauptquartier lasse eine Fahrt nach München nicht zu.[47]
Hauptziel der Propaganda war es 1944, den Mythos des 9. November 1923 für den «Deutschen Volkssturm» zu nutzen, dessen Bildung im Oktober verkündet worden war. Deshalb sollte eine Vereidigung dieses letzten Aufgebots an wehrfähigen Männern zwischen 16 und 60 symbolträchtig im Rahmen der Feierlichkeiten für die «Gefallenen der Bewegung» stattfinden. Weil aber diese Vereidigungen stets nach Arbeitsende oder an Sonntagen durchgeführt wurden, fand die Novemberfeier erstmals nicht am 8./9. statt, sondern wurde auf den folgenden Sonntag, 12. November, verlegt. Offizielle Begründung waren «die Erfordernisse der totalen Kriegführung». So legten im Münchner Zirkusgebäude am Marsfeld «symbolisch für alle im Reich» – die drei jüngsten und die drei ältesten Volkssturmmänner jeder Kompanie den Eid auf die «Blutfahne» ab. Sie wurde bei dieser Gelegenheit das letzte Mal eingesetzt. Die Veranstaltung wurde im Rundfunk übertragen.[48]
Die Propaganda betonte jetzt, es habe sich bei den Gefallenen des 9. November 1923 um «deutsche Jedermänner»[49] gehandelt, und empfahl sie den Volkssturmmännern zur Nachahmung. Der Völkische Beobachter verglich den Volkssturm ganz unmittelbar mit den Männern von 1923: «Die Erhebung derer von 1923 war kein Parademarsch, und auch der Deutsche Volkssturm ist kein Gardekorps mit trainierten Körpern und glänzenden Uniformknöpfen. (…) Der heutige Massenaufmarsch der Volkssturmsoldaten, jene drei jüngsten und drei ältesten Volkssturmmänner jeder Kompanie, die bei der Vereidigung vor die geweihte Fahne treten, (…) erinnern schon äußerlich an das bunte und doch so entschlossene Bild derer von 1923.»[50] Die Umdeutung des gescheiterten Putsches zum Opfergang mit anschließender Auferstehung bot der Propaganda besonders in den Kriegszeiten vielfältige Möglichkeiten.
Am 8. Mai 1945 war auch dieses Kapitel beendet. In München standen noch eineinhalb Jahre die «Ehrentempel», an denen das Regime zehn Jahre lang am 9. November seine Propagandaspektakel um die «Gefallenen der Bewegung» inszeniert hatte, aber sie hatten nun endgültig ausgedient. Anfang 1947 wurden sie auf Weisung der US-Militärregierung gesprengt. Die Sockel blieben erhalten und entwickelten sich zu bewachsenen Biotopen, die unter Naturschutz stehen. In unmittelbarer Nähe entstand auf dem Gelände des im Krieg zerstörten «Braunen Hauses», der NSDAP-Parteizentrale von 1931 bis 1937, das NS-Dokumentationszentrum München, das 2015 eingeweiht wurde.