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5. Woche

Von Gerüchtefeuern, Schwelbränden und Feuerlöschern

Feuer erlischt, wenn es kein Holz mehr gibt,

und Streit legt sich von selbst, wenn der Klatsch aufhört.

Sprüche 26,20

Schön wär’s!

Vordergründig physikalisch hast du natürlich Recht, verehrter König Salomo, und theoretisch auch. Aber ökonomisch längst nicht mehr.

Würde deinem salomonischen Wunsch gemäß der »Klatsch aufhören« – ja, was glaubst denn du, wie viele Arbeitsplätze da verloren gingen?!

Du musst nämlich wissen, dass heute, zu meiner Lebenszeit – also etwa 2977 Jahre nach deiner Thronbesteigung – der Nachschub an »Holz« ein milliardenschwerer Industriezweig geworden ist. »Boulevardmedien« nennt man diese Transportunternehmen. Sie liefern zuverlässig und rund um die Uhr neuen Brennstoff für jede Art von Zornes- und Empörungs-, Neugier-, Gier- und Gerüchtefeuer. Sie sorgen dafür, dass sich kein Streit legt. Und die erhitzten Gemüter erst dann abkühlen, wenn woanders ein heißerer Streit aufgelodert ist. Frauenzeitschriften, Regenbogenpresse, Lifestyle-Magazine, Modejournale, Promi-Talkrunden, Ekel-Wettbewerbe, Casting-Shows, ja ganze Verlagshäuser und Fernsehsender leben davon und sorgen dafür, dass der Klatsch bitteschön nie aufhört. Und das Feuer ja nicht erlischt. Krach bringt Quote, Konflikte ködern Abonnenten und Unheilsgeraune macht Umsatz. Sogar manche christliche Zeitschriften stricken diese Masche.

Denn worüber sonst sollten sich die Leute in der Betriebskantine, beim Friseur und an Omas Geburtstag unterhalten? Wenn mir das Feuer nicht unterm eigenen Hintern gemacht wird, sondern wenn der langsame Kollege, die dicke Mitschülerin und der verflossene Freund im Internet lächerlich gemacht werden – na, da knistert und prasselt es doch auf allen Funkfrequenzen. Und dieses schaurig schöne Lagerfeuer aus übler Nachrede und hämischer Schadenfreude hat eine geradezu gemeinschaftsfördernde Wirkung! Womit wir mal von den Massenmedien zu den Individuen kommen …

Wie? Ich werde sarkastisch, findest du? Entschuldige. Es ärgert mich halt.

Was sagst du? Solange sich Menschen über die Fehler anderer aufregen – brauchen sie ihre eigenen nicht eingestehen. So ist es. So lange mir immer noch jemand präsentiert wird, der unmoralischer handelt, charakterloser ist und dümmer schwätzt als ich – brauche ich meine Prinzipien, meine Eigenschaften und mein Reden ja erstmal nicht überprüfen, sondern kann mich überlegen fühlen. Leider, ja. Stimmt, Salomo. Das ist das bleibende Problem. Knapp 1000 Jahre nach dir wird der berühmteste deiner Nachfahren, Jesus aus Nazareth, von einem frommen selbstgefälligen Pharisäer erzählen, der einen Zöllner verachtet und betet: »Danke, Herr, dass ich nicht so einer bin wie der da und seinesgleichen!« Von solchem Abfälligkeits-»Holz« brennt das »Feuer« der Hochnäsigkeit bei uns heute, verstehst du?

Wie bitte? Ach, du hattest deinen Weisheitsspruch als Trost gemeint? Für die Verlierer eines Konflikts? Als Zuspruch für Mobbingopfer, Rosenkriegsgeschädigte und ungerecht Behandelte? Du wolltest den Zerstrittenen raten, nicht für neuen Konfliktstoff zu sorgen, den Streit nicht anzuheizen, kein Öl ins Feuer zu gießen? Ach so, verstehe. Aber wann weiß ich sicher, dass das »Feuer« wirklich erloschen ist?

Ja, kenn ich. So ungefähr jedenfalls. Was dein Vater David zum selben Thema gesagt hat. Psalm 32, Vers 1 nach unserer Zählung. Hilf mir mal: »Freuen dürfen sich alle, denen Gott ihr Unrecht zugedeckt hat«, stimmt’s? Hm.

Zudecken, Sauerstoff entziehen, Restglut austreten.

Das erinnert mich an einen Riesenschrecken neulich, Salomo:

Ich gehe morgens auf die Terrasse hinaus und sehe: Aus einem der grünen Plastikblumenkästen an der Holzumrandung qualmen Rauchwolken hervor! Der gestern noch rechteckige Behälter hat sich nach unten hin zu einem sackartigen Euter verformt, aus dessen Zitzen zähflüssiger Kunststoff tropft. Er stinkt widerlich und ist glühend heiß. Was war passiert? Ich hatte tags zuvor, in Ermangelung eines Aschenbechers, die letzte Pfeife des gemütlichen Sommerabends im Blumenkasten ausgeklopft. Diese Restglut muss in dem trockenen Gemisch aus Torf und Blumenerde einen Schwelbrand ausgelöst haben, der sich die Nacht über bis durch den Boden des Blumenkastens gefressen hatte. Die Holzpaneele, die Gartenmöbel – unsere ganze Wohnung hätte abbrennen können, während wir schliefen!

Genau. Du sagst es, Salomo: Mein Tun und Lassen im Alltag hinterlässt auch emotional noch gefährliche Reste, die sich beängstigend selbstständig machen können. Eine Sache ist noch nicht erledigt, wenn sie »für mich« erledigt ist. Glühender Zorn, flammende Vorwürfe und heiße Leidenschaften sind noch nicht dadurch unschädlich gemacht, dass ich sie mir »aus dem Kopf schlage«. Mein Fehlverhalten lässt möglicherweise unsichtbare Schwelbrände und verborgene Langzeitwirkungen zurück. Ich mache Fehler. Ich verletze andere. Ich bleibe Frau und Kindern, Freunden und Kollegen vieles schuldig. Ich erliege Versuchungen. Ich kann ungerecht sein und lieblos. Ich mache mich manchmal übler Nachrede und vorteilhafter Halbwahrheiten schuldig. Kurz: Ich sündige. Locker dahergeplauderte Beichten und süffisante »Bekenntnisse« in der Boulevardpresse sind nicht das, was du mit »Feuer löschen« meintest oder dein Vater David mit »Unrecht zudecken«. Aber Gottes Gnade und Gerechtigkeit tut das. Rückhaltlos und rückstandsfrei. Kein Holznachschub mehr fürs Feuer, für die schmerzhafte Seelenvereiterung. Kein Klatsch mehr für den ätzenden Streit. Sondern Gottes gnädig zudeckende Vergebung.

Danke für das Gespräch, Salomo.

Andreas Malessa, Jahrgang 1955, ist Hörfunk- und Fernsehjournalist beim DeutschlandRadio Kultur, Hessischen Rundfunk und SWR Fernsehen. Er ist evangelisch-freikirchlicher Theologe und Buchautor, verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Hochdorf bei Stuttgart.