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25. Woche

Lasten abgeben

Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen.

Psalm 37,5 (LUT)

Wir schätzten unser Auto. Es war ein amerikanischer Van mit unheimlich viel Platz. Ein echtes Geschenk, wenn man mit vier Kindern unterwegs ist! Es gab allerdings ein Problem: Der Motor konnte manchmal unvermittelt seinen Dienst einstellen. Kurz vorher leuchtete dann immer die Anzeige auf »service engine soon«, was so viel bedeutete wie: »Begeben Sie sich sofort in die nächste Werkstatt!« Meist tauchte diese Angst einflößende Information auf, wenn wir irgendwo mitten in Deutschland unterwegs waren.

Es ist zwar übertrieben zu behaupten, dass dieses Auto nur noch wegen unserer Gebete gefahren ist, aber es konnte einen schon ins Gebet treiben. Auf jeden Fall sagte meine Frau vor längeren Fahrten gern zu mir: »Bete noch!« Meine Bitten klangen dann immer recht ähnlich: »Herr, lass uns ankommen. Lass uns bitte heil ankommen!«

Es war im Grunde nichts anderes als eine etwas sehr direkte Anwendung von Psalm 37,5 in freier Übertragung: Befiehl dem HERRN deine (Reise-)Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen.

Aber eigentlich hat der Psalmvers viel mehr im Blick. Er spricht davon, dass wir Gott die gesamte Lebensführung, alle unsere Lebenswege überlassen dürfen. Das kann der Wechsel an eine neue Arbeitsstelle, der Umzug an einen neuen Studienort oder der Weg in eine neue Lebenssituation sein. Dieses Wort bietet uns an, alles in Gottes Hände zu legen: Überlass dem Herrn die Führung deines Lebens und vertraue auf ihn, er wird es richtig machen.

Wälze die Last deines Weges auf den Herrn

Beim noch genaueren Hinschauen entdecken wir, dass dieser Vers insbesondere von schwierigen Wegen spricht, für die wir Gott um Hilfe bitten dürfen. Was Luther mit den bekannten Worten Befiehl dem Herrn deine Wege und andere mit Überlass dem Herrn die Führung deines Lebens übersetzen, heißt wörtlich im Hebräischen: Wälze die Last deines Weges auf den Herrn und im Vertrauen auf ihn ruhe.

Das Wort, das hier für Last steht, benutzte man sonst, wenn man von großen Felsstücken sprach. Steine, die so groß waren, dass man damit einen Brunnen zudecken oder eine Höhle verschließen konnte, das heißt richtig große Brocken. Solche Lasten dürfen wir, ja, sollen wir auf den wälzen, der damit besser als wir selbst umgehen kann, auf unseren Herrn.

Der Ausdruck »wälzen« macht allerdings deutlich: Sorgen abzugeben ist nicht unbedingt easy. Es ist manchmal gar nicht so leicht, Gott die Verantwortung zu überlassen. Es kann vorkommen, dass uns solch ein Gebet viel Kraft kostet.

Es kann uns auch passieren, dass das, was wir noch gestern an Jesus Christus abgegeben haben, heute schon wieder als Last vor uns liegt. Manchmal sind es nicht die großen Probleme, sondern die immer wiederkehrenden Alltagslasten, die uns müde machen.

Oft sind es auch andere Menschen, die uns das Leben schwer machen können. König David, der den Psalm 37 betete, musste erleben, wie andere auf seine Kosten machen konnten, was sie wollten, und Gott sie nicht daran hinderte. Das machte ihm zu schaffen. Ungerechtigkeiten, die wir intensiv erfahren, können unsere Gefühle auf Siedetemperatur bringen. Da schmiedet selbst der Frömmste Rachegedanken, um es dem anderen heimzuzahlen. Aber auch dafür gilt: Überlass dem Herrn die Führung deines Lebens und vertraue auf ihn, er wird es richtig machen.

Er wird es richtig machen

Wie auch immer unsere Last aussieht, dieser Psalm lädt uns ein, sie nicht selbst zu schultern, sondern sie innerlich an den abzugeben, von dem es hier heißt: Er wird es richtig machen.

Der Psalm will uns dabei helfen, auf Gottes Führung und Handeln zu vertrauen. Damit berührt er einen der entscheidenden Punkte in der Umsetzung unseres Glaubens. Denn es kann sein, dass wir auf der einen Seite Gott alles zutrauen und keinen Zweifel an seiner Kraft haben. Wir sehen in ihm den Schöpfer und Herrn dieser Welt. Wir sind überzeugt, dass er allmächtig ist. Aber sobald wir das auf unsere Alltagssituation anwenden sollen, beginnt das Problem. Im Allgemeinen ist unser Vertrauen auf die Allmacht Gottes wahrscheinlich grenzenlos. Aber sobald es um die Herausforderungen geht, in denen wir uns gerade befinden, wird es schwierig. Genau darauf geht dieser Psalm ein. Er spricht nicht allgemein über Gottes Handeln, sondern er bezieht es auf den Weg, den wir gerade zu gehen haben. Wir dürfen die Lasten unseres Weges, den wir diese Woche zu gehen haben, auf ihn wälzen. Genau dafür sagt uns dieses Wort zu: Er wird’s wohlmachen.

Wir können Psalm 37,5 ganz praktisch anwenden, indem wir zum Beispiel am Morgen beten: »Herr, ich möchte dir die Aufgaben, die Lasten des kommenden Tages anvertrauen. Ich will gern das tun, was ich vermag, aber die Verantwortung, die Last, die sollst du tragen.«

So sicher, wie es morgens hell wird, so gewiss, wie die Sonne mittags im Zenit steht, wird der lebendige Gott für uns sorgen. Und zwar genau da, wo wir ihn jetzt brauchen: Er wird deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht und dein Recht wie den Mittag (Psalm 37,6; LUT).

Das heißt nicht, dass alles so klappt, wie wir uns das wünschen, aber wir werden eines Tages zurückschauen und sagen können: Es war gut so. Gott hat es richtig gemacht.

Sei stille dem Herrn und warte auf ihn

Aber etwas müssen wir beachten, damit wir nicht scheitern. Psalm 37 ist aus der Spannung des Wartens entstanden, in der jemand zu sich sagt: Sei stille dem Herrn und warte auf ihn (Vers 7; LUT).

Was »auf den Herrn warten« bedeuten kann, das können wir an Paul Gerhardt sehen. An ihm wird deutlich, dass es manchmal Zeit braucht, bis uns solch ein großartiges Wort wie Psalm 37,5 innerlich erreicht.

Paul Gerhardt wuchs in der Zeit des 30-jährigen Krieges auf. Mit 12 verlor er seinen Vater, mit 14 die Mutter und später noch drei Geschwister. Paul Gerhardt studierte Theologie. Aber erst nach Ende des Krieges, als er schon 44 Jahre alt war, bekam er eine Pastorenstelle. Gern hätte er auch geheiratet, aber mit seinem Anfangsgehalt konnte er keine Familie ernähren. Erst 1655 konnte er Anna Maria heiraten. Ein Jahr später wurde beiden eine Tochter geboren. Aber dann kam die totale Katastrophe: Dieses Kind starb nach nur neun Monaten.

Können wir uns vorstellen, was das heißt: Ein Mann muss sich durch die Wirren des Krieges schlagen und kann deshalb seinen eigentlichen Beruf nicht aufnehmen. Er wird 44 Jahre, bis er eine Stelle antreten kann. Er muss drei Jahre warten, um heiraten zu können, weil erst dann die Kirchengemeinde genügend Geld hat, um davon auch seine Frau ernähren zu können. Dann wird ihr Kind Anna Maria geboren. Aber es stirbt nach nicht einmal einem Jahr.

Paul Gerhardt hat das nicht verwunden. Er hat es nicht verstanden. Er war verbittert. Als er ein halbes Jahr später über den Psalm 37 predigen sollte, da konnte er nicht sagen: Befiehl dem Herrn deine Wege, er wird’s wohl machen. Er empfand, dass das so nicht stimmte, und klagte es Gott.

Aber dann passierte während der Predigtvorbereitung ein Wunder. Psalm 37 begann sich in ihm zu entfalten. Am Sonntag predigte er sich die Bitterkeit aus dem Herzen. Es war ein neuer Anfang. Er wagte wieder, Gott zu vertrauen. Er hatte eine neue Perspektive geschenkt bekommen. Am Abend setzte er sich und brachte den Inhalt seiner Predigt in Versform. Am folgenden Morgen fand seine Frau zwölf Verse auf dem Schreibtisch, deren jeweilige Anfänge Psalm 37,5 ergaben.

Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt!

Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es lohnt sich, diese Verse einmal auswendig zu lernen.

Lothar Bublitz, Jahrgang 1954, ist Pastor der Ev. St. Matthäus-Gemeinde in Bremen, die zur Bremischen Ev. Kirche gehört. Er hat das Sozialprojekt der Gemeinde »Ein Zuhause für Kinder« mit entwickelt. Er ist gleichzeitig Gesellschafter der Projektgesellschaft »Kirche mit Vision« und hat mitgeholfen, die 40-Tage-Aktionen der Saddleback Church nach Deutschland zu bringen. Er und seine Frau haben vier Kinder.