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37. Woche

Biblische Ernährungsempfehlung

Iss Honig, mein Sohn, denn er ist gut, und Wabenhonig ist deinem
Gaumen süß. Ebenso suche die Weisheit für deine Seele!

Sprüche 24,13-14a (EÜ)

Ich erinnere mich noch vage, wie ich diese Verse zum ersten Mal bewusst gelesen habe. Über die näheren Umstände vermag ich nichts mehr zu sagen. Aber ich weiß noch um den Eindruck, den diese Sätze bei mir auslösten: Ich war überrascht! In der Bibel – so war meine persönliche Lesart – ging es doch meist um Himmel, Heiligkeit und Hoffnung. Und hier im Buch der Sprüche war ganz irdisch vom Honig die Rede. Und zwar, dass man ihn essen solle. Der Grund? Er sei einfach gesund und lecker. So wie der innere Mensch Weisheit benötige (Vers 14a), so brauche der Körper den Honig (Vers 13). Ich war, das können Sie mir glauben, richtig perplex.

Später habe ich dann die Deutung kennengelernt, hier sei gar nicht ernsthaft vom Bienenhonig die Rede. Schließlich sei dieser zur alten Zeit in Israel nur als Wildhonig bekannt gewesen. Als ausgesprochen seltene und teure Naturalie habe er nie die Kochnischen und Speisezettel der Hebräer erreicht. Wenn man schon eine Mahlzeit versüßen wollte, so hätte man notgedrungen auf zuckriges Fruchtfleisch von Datteln und Feigen zurückgegriffen. Darum sei der Honig in den biblischen Schriften eigentlich auch immer nur metaphorisch gemeint. Mit ihm verbinde sich der Eindruck der Fülle und die Haltung der Wertschätzung. Wenn etwa von Israel die Rede sei als einem Land, in dem »Milch und Honig« fließen, so drücke das die landwirtschaftliche Fruchtbarkeit aus. Mit echtem Honig habe das wenig zu tun. Und im Falle unseres Verses sei der Honig ein Synonym für die Weisheit. Wenn es also heißt: »Iss Honig«, so bedeute dies schlichtweg: »Nimm Weisheit zu dir.« Der Vers 13 sei eine bildhafte Umschreibung des folgenden Verses 14. Eine Ausnahme seien nur solche Textstellen, wo ganz unmissverständlich von Wildbienen die Rede sei, wie etwa bei den Erzählungen des Richters Simson (Richter 14,8).

Seit 2007 ist diese symbolische Deutung des Honigs aber so gut wie vom Tisch. Denn in jenem Jahr berichtete die Universität von Jerusalem, dass Archäologen im israelischen Beth-Shean-Tal die Überreste eines Bienenhauses fanden. In ihm lagerten mehr als dreißig Bienenstöcke auf mehreren Etagen. Die Bienenstöcke waren offensichtlich aus ungebranntem Ton und Stroh hergestellt und verfügten über einen abnehmbaren Deckel, mithilfe dessen die Honigwaben entnommen werden konnten. Die Forscher vermuten, dass es sich hierbei um eine professionelle Honigproduktion handelt. Die Entdeckung war eine echte Sensation. Denn bisher kannte man solche Funde nur aus Anlagen in römischer und griechischer Umgebung. In Ägypten gab es wohl auch entsprechende Darstellungen von Bienenzuchten auf alten Gemäuern. Doch für Israel waren solche Anlagen bis zu diesem Zeitpunkt schlechterdings nicht vorstellbar. Die Ausgrabungen, so die Forscher, werfen darum auch ein neues Licht auf die »Honig-Verse« in der Bibel. Israel, so ihr Resümee, war also durchaus ein Land, in dem der Honig »floss«. Sicher war er immer noch eine Delikatesse. Aber durchaus bekannt und geschätzt und wohl auch käuflich zu erwerben. Und wer weiß, vielleicht gab es damals auch schon so etwas wie private Hobby-Imker?

Darum kann dieser Satz aus dem Buch der Sprüche ganz wörtlich und handfest verstanden werden. Hier liegt kein hintergründiger Sinn vor, hier gibt es keine irgendwie geartete höhere Botschaft: Es geht schlicht und einfach um den Ratschlag, bei der Einkaufsliste den Honig keinesfalls zu vergessen. Denn der Honig, so die Argumentation des Spruchbuches, ist gut für den Menschen und versüßt ihm sein Leben. Und mit diesem Tipp liegt die alttestamentliche Weisheit ganz auf der Linie moderner Ernährungswissenschaften. Der Honig, so das übereinstimmende Resümee, ist eben nicht einfach nur ein Nahrungsmittel unter anderen – er ist »Lebensmittel« pur. Sein Mix aus Enzymen, Vitaminen und Aminosäuren verschafft ihm heilende Wirkungen. Dass er bei Halsschmerzen hilft, ist sicherlich eine Erfahrung, die viele aus Kindertagen kennen: Warme Milch mit Honig – das ist in manchen Familien ein bekanntes Hausrezept. Heute weiß man auch, dass er Viren erfolgreich bekämpft, angegriffenes Gewebe heilt, Herzschläge senkt und Blutdruck normalisiert. Wäre er nicht so süß und geschmackvoll, man müsste ihn eigentlich als natürliche Arznei würdigen. Kein Wunder, dass ein Leitsatz der römischen Ärzte früher hieß: »Iss Honig, und du bleibst gesund.« Natürlich gilt das alles nur vom kalt geschleuderten Honig. Billiger Discounter-Honig ist in der Regel zu sehr erhitzt worden, sodass alle heilsamen Stoffe verloren gegangen sind.

Nun weiß ich nicht, was bei Ihnen morgens auf dem Frühstückstisch angeboten wird. Wer Kinder hat, wird wohl meistens nicht um jene bekannte Nuss-Nougat-Creme herumkommen. Statistische Erhebungen legen nahe, dass sie in Familien mit zu den beliebtesten Brotaufstrichen zählt. Erwachsene sind hier zum Glück schon etwas wählerischer. Marmeladen, Konfitüren und auch herzhafte Brotbeläge erweitern das Spektrum. Das ist auch alles schön und recht. Aber wäre es mit Blick auf die biblische Weisheit nicht an der Zeit, einmal die morgendlichen Essgewohnheiten zu überdenken? Die Bibel zu lesen ist lobenswert. Die Ratschläge der Bibel dann auch auf den Alltag anzuwenden, ist noch besser. Diese Verse sind, so meine Deutung, für eine ernsthafte Neuaufstellung der ersten Mahlzeit des Tages.

Vielleicht geht es Ihnen so, dass einfach die Fantasie fehlt, wie gut Honig wirklich schmeckt. Ich sage Ihnen: Eine Umschau in jedem ordentlichen Lebensmittelladen ist überwältigend. Die Liste der möglichen Sorten ist wirklich lang: Vom milden, hellen Akazienhonig bis zum dunklen, kräftigen Waldhonig – hier ist eigentlich für jede Geschmacksrichtung etwas dabei. Oder Sie melden sich einmal beim Imker in der Nähe an. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Jugendlicher einem Bienenzüchter unserer Gemeinde über die Schulter schauen konnte. Mit Gesichtsschutz und Pfeife bewaffnet sah ich die unzähligen braunen Bienen emsig über die Waben laufen. Die Faszination war grenzenlos. Für ein Kilogramm Honig müssen von den possierlichen Tierchen 100 000 Ausflüge zu 150 Millionen Blüten unternommen werden. Die Flugstrecke aller beteiligten Bienen reicht dabei für eine sechsfache Erdumkreisung locker aus. Honig entsteht unter wahrer Schwerstarbeit. Kein Wunder, dass das Ergebnis so wertvoll ist.

Vielleicht können diese Sätze des Sprüchebuches zum Honigverzehr auch grundsätzlich ein Anstoß sein, die eigenen Essgewohnheiten nüchtern zu überdenken. In den genannten Sätzen werden schließlich zwei Kriterien genannt: »Gesundheit« und »Geschmack«. Bei letzterem sind wir automatisch wählerisch. Das scheint mir beinahe eine Selbstverständlichkeit zu sein. Aber wie viel wandert über unsere Tische, dass wohl voller Kalorien, aber ohne gesunde Kräfte ist? Hier neue Akzente zu setzen – das wäre Weisheit. Nicht nur für die Seele, sondern auch für den Körper.

Arndt Elmar Schnepper, Jahrgang 1966, lebt in Hamburg, ist Theologe und Buchautor.