Überhaupt habe ich euch mit meiner Lebensführung gezeigt, dass
wir hart arbeiten müssen, um auch den Bedürftigen etwas abgeben
zu können. Wir sollen uns immer an das erinnern, was Jesus, der
Herr, darüber gesagt hat. Von ihm stammt das Wort: »Auf dem
Geben liegt mehr Segen als auf dem Nehmen.«
Apostelgeschichte 20,35 (GNB)
Das ist eine sehr schlichte Wahrheit und sollte eindeutig lieber umgesetzt als diskutiert werden. Ich glaube, für diese Weisheit braucht niemand eine theologische Auslegung. Es macht uns kein Stück zum besseren Jünger, wenn wir wissen, welche griechischen Spitzfindigkeiten Paulus in diese Worte legen wollte. (Obwohl ich Sie Ihnen natürlich zu gern erklärt hätte. Aber ich halte mich vornehm zurück.)
Ich dachte, ich könnte stattdessen einfach die Seiten leer lassen, damit Sie den Vers jetzt sofort in die Tat umsetzen und hier anschließend Ihre praktischen Erlebnisse aufschreiben. Aber dann war ich mir doch nicht sicher, was der Herausgeber dazu sagen würde. Außerdem trifft die schnelle Umsetzbarkeit womöglich auf viele Weisheitsgedanken aus diesem Buch zu. Sie können sich Ihre eigenen Erlebnisse ja dann ins Tagebuch schreiben (oder auf die Rückseite eines alten Parkscheins, wenn Ihnen Stichworte genügen).
Nur zwei Gedanken noch vorab: Diesen griffigen Satz von Jesus, den Paulus hier zitiert: Auf dem Geben liegt mehr Segen als auf dem Nehmen, haben die Schreiber der Evangelien vergessen zu überliefern. Wir können uns also glücklich schätzen, dass Paulus ihn hier aufgreift.
Und als wäre diese Zusage nicht steil genug, setzt er auch noch eins oben drauf: Wir sollen nicht nur abgeben von dem, was wir haben, sondern auch noch ein paar Überstunden einlegen, um diesen Lohn an Notleidende zu verschenken. Will heißen: Wir sollen nicht einfach geben, sondern auch noch nachdenken und etwas dafür tun, dass wir denen, die es brauchen, noch mehr abgeben können! »Schatz, könntest du nicht nächsten Monat noch einen zusätzlichen Auftrag übernehmen, dann könnten wir dem Obdachlosenprojekt noch mehr überweisen …« Radikale Gedankenwindung.
Ich erzähle Ihnen jetzt aber lieber mein letztes Verschenk-Erlebnis und senke damit die Hürde wieder auf das Anfängerniveau, auf dem ich mich selbst befinde: Ich liebe Berliner (damit meine ich an dieser Stelle die in Fett gebackenen Ballen mit Zucker oder Glasur, sonst liegen mir Hamburger näher, also die Bewohner der norddeutschen Großstadt). Am liebsten mag ich sie mit unterschiedlichen Füllungen, wie es sie in manchen Regionen zu bestimmten Feiertagen gibt. An einem Samstag fuhr ich mit meinem vierjährigen Sohn los, um welche zu besorgen. Als die Verkäuferin schon das Papptablett eingepackt hatte, war ich mir nicht sicher, ob sie für alle reichen würden, also kaufte ich noch einen mehr, und die Verkäuferin steckte ihn in eine Extratüte. Anschließend gingen wir noch in einen anderen Laden und die Verkäuferin dort schmunzelte, als sie das Papptablett sah: »Na, Berliner? Sind die für mich?« Bingo – solche Gelegenheiten sind selten! Ich schenkte ihr meinen Berliner in der Extratüte – und wurde belohnt: Mein kleiner Sohn fragte draußen: »Warum haben wir der Frau den Berliner geschenkt, Mama?« – »Weil wir ihr eine Freude machen wollten. Wie Jesus. Der hat anderen auch immer eine Freude gemacht und sie geheilt oder ihnen geholfen.« Solche Lektionen mitten im Alltag lassen sich durch die beste Kindergottesdienststunde nicht ersetzen!
Noch mehr Spaß machen heimliche Geschenke, weil wir uns nur für uns selbst darüber freuen können. Niemand dankt uns, niemand zahlt es uns zurück – wir tun es einfach nur zum Spaß! (Und weil Gott genauso drauf ist.)
Eine gute Möglichkeit ist zum Beispiel, beim McDrive für das nächste Auto mitzubezahlen: Wenn man am Schalter steht, kann die Kassiererin schon die Bestellung für das nächste Auto sehen und mit auf die Rechnung setzen. Als mein Mann das zum ersten Mal ausprobierte, ließ er glatt seine eigene Tüte stehen! Er freute sich einfach schon so sehr auf das verdutzte Gesicht des Autofahrers, wenn die Bedienung ihm erzählte, dass sein Essen bereits bezahlt war … – er hat ihn heimlich aus der Entfernung beobachtet.
Die günstigere Variante: den Euro im Einkaufswagen für den nächsten Nutzer stecken lassen. Und kürzlich sah ich einen Zettel, den ein Kellner einer jungen Familie im Restaurant überreichte. Ein älteres Ehepaar hatte heimlich ihr Essen bezahlt und ihnen dafür eine Notiz bringen lassen: »Als wir junge Eltern waren, hat jemand unser Essen bezahlt. Das hat damals großen Eindruck bei uns hinterlassen und uns zu ein bisschen besseren Eltern gemacht. Jetzt wünschen wir Ihnen alles Gute für Ihre Familie. Und vergessen Sie nie: Es gehört zum Allerwichtigsten, Zeit mit Ihren Lieben zu verbringen.« Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich habe immer sofort feuchte Augen, wenn ich solche Geschichten höre. Und mich überfällt der unbändige Wunsch, es gleich nachzumachen!
Irgendjemand erzählte vor einigen Jahren wieder einmal eins dieser Erlebnisse, wie er hundert Euro im Briefkasten fand, just zu dem Zeitpunkt, als er sie dringend brauchte. Und er sprach von einem Wunder, das Gott getan hatte. Meine Freundin flüsterte mir erbost zu: »Wir sollten endlich aufhören, so etwas Wunder zu nennen! Da hat jemand ganz simpel hundert Euro in einen Umschlag gesteckt. Wenn wir das nicht mehr für ein Wunder halten, sondern einfach tun, passiert das auch viel öfter!« (Andererseits kann es auch ein Wunder sein, wenn Gott Menschen bewegt, hundert Euro zu verschenken.)
Dass Geben unabhängig ist von Finanzen, beweist nicht nur die Geschichte von Jesus und der armen Witwe, die ihr letztes Scherflein in den Opferkasten warf: Irgendwann musste ich mir reumütig eingestehen, dass ich im Straßenverkehr keinerlei jesusmäßige Großzügigkeit an den Tag lege. Seither bemühe ich mich, rücksichtsvoller zu sein und beispielsweise Fußgängern viel häufiger Vorfahrt einzuräumen. Nicht nur wartende Eltern mit Kindern sind dankbar, wenn sie sicher die Straße überqueren können, weil wir sie vorüberlassen. (Und ich beanspruche auch hier nicht, bisher über den Anfängerstatus des Vorfahrtgebens hinweggekommen zu sein!) Natürlich kann ich auch einem Obdachlosen in der Fußgängerzone ein Gespräch und einen Kaffee schenken – oder einer schüchternen Mutter im Kindergarten Aufmerksamkeit. Geben kann ein Lebensstil werden, der alle denkbaren Möglichkeiten nutzt, um mitten im Alltag etwas zweckfrei anzubieten.
Man könnte auch Lehrer oder Lehrerinnen fragen, ob sie in ihrer Klasse Schüler haben, von denen sie wissen, dass sich die Familie nur wenig leisten kann – und diesen Schülern einen Sportkurs oder Ähnliches finanzieren. Man könnte sich der afrikanischen Hungergebiete annehmen und einer vertrauenserweckenden Organisation eine unvernünftig hohe Summe überweisen. Man könnte sich vor dem Gottesdienst eine große Portion Luftballons in die Hosentasche stecken und nach dem Gottesdienst an alle Kinder verschenken. Einfach so! Denn in Gottes Welt ist alles anders: Hier soll, kann und darf Großzügigkeit statt Gier herrschen.
Geben ist seliger als nehmen. Wenn jeder mitmacht, ist für alle bestens gesorgt. Und glücklich macht’s auch. Denn 2008 hat eine kanadisch-amerikanische Studie bewiesen, dass Schenken glücklich macht: Sie belegte, grob gesagt, dass Menschen, die mehr Geld als andere spendeten, sich glücklicher fühlten. Und sogar Versuchspersonen, die zwanzig Dollar erhielten und sie am gleichen Tag verschenken oder spenden sollten, fühlten sich glücklicher als andere Versuchspersonen, die das Geld für sich selbst ausgeben durften. Bibelleser wussten ja schon lange, dass Gottes Prinzipien funktionieren – aber manchmal bestätigt sie sogar die Wissenschaft!
• Hat Ihnen schon einmal jemand ganz unerwartet etwas geschenkt? Wie haben Sie sich gefühlt?
• Fanden Sie eine der genannten Ideen so gut, dass Sie sie gleich umsetzen möchten? (Ich bin nicht böse, wenn nicht. Dann haben Sie bestimmt bessere!)
• Wenn Sie eine Gemeinde und einen Hauskreis haben, dann fragen Sie doch mal, ob die Gemeinde jedem Hauskreismitglied zwanzig Euro gibt, die man kreativ zum Weitergeben einsetzen kann (oder jedes Mitglied bringt diesen Betrag selbst auf): Eine Freundin schenkte gestressten Frauen, die sie auf dem Weg zur Arbeit traf, bei so einer Aktion beispielsweise Rosen, an die sie einen Bibelvers gebunden hatte. Manchmal brauchen wir nur eine konkrete Herausforderung, um kreativ und aktiv zu werden!
• Gibt es Waren oder Dienstleistungen, die Sie durch Ihren Beruf oder Beziehungen günstiger bekommen? Eignen sie sich möglicherweise, um sie sozialen Organisationen zur Verfügung zu stellen?
• Und wenn Sie noch mehr Inspiration zum Thema »Geben« brauchen, schauen Sie sich doch mal (wieder) den Film »Das Glücksprinzip« an.
Anja Schäfer, Jahrgang 1973, wohnt in Hamburg, ist gelernte Pastorin, feiert das Leben in einer kleinen christlichen Gemeinschaft in Hamburg und arbeitet als freie Lektorin, Übersetzerin und Autorin (www.schaefer-texte.de).