Image

41. Woche

Seelenhygiene im Alltag

Alles, was wahrhaftig ist und Respekt gebietet,

alles, was wirklich gerecht ist und ohne falsche Motive,

alles, was es sich lohnt zu lieben und zu loben,

sei es eine gute Eigenschaft

oder vorbildliches Verhalten,

beschäftigt euch mit solchen Dingen!

Dies alles habt ihr ja von mir gelernt und als verbindlich übernommen. Ihr habt es von mir gehört und in meinem Verhalten gesehen.

So setzt es in die Tat um!

Dann wird Gott, dessen Wesen Friede ist, mit euch sein!

Philipper 4,8-9 (DBU)

Zu Recht sind manche Leute skeptisch, wenn es um das Thema »positives Denken« geht. Sich einfach die Dinge schönreden, das hilft nicht wirklich weiter. Es kann ziemlich krampfhaft sein, wenn man versucht, eine Situation, die schlimm und schwierig ist, durch bewusst eingeübtes »positives Denken« besser erscheinen zu lassen. Das mag eine gewisse Zeitlang gelingen und vielleicht auch eine Lebenslage erleichtern. Aber wirklich weiterhelfen wird es nicht.

Dunkle Schatten, tiefe Wunden

Es ist noch keine Stunde her, da hatte ich eine Unterhaltung auf Facebook. Diese Kommunikationsplattform des 21. Jahrhunderts ist nicht jedermanns Sache. Und muss es auch nicht sein. Ich habe mich aber dafür entschieden, ein vorsichtiger und auch weitsichtiger Nutzer dieses »Gesichtsbuchs« zu sein. Weit über 3000 »Freunde« haben inzwischen bei mir angeklopft und mich gebeten, mit ihnen in Kontakt zu treten. Das Schöne ist, dass ich die meisten auch wirklich persönlich kenne. Wie gesagt, vor einer Stunde stattete ich meiner Facebook-Seite einen kurzen Besuch ab. Meist bleibe ich nur drei bis fünf Minuten in dieser virtuellen Welt. Diesmal dauerte es aber länger. Denn kaum hatte ich mich eingeloggt, schrieb mich ein junger Mann an. Er lebt auf dem Balkan, in einem der Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien. Vor ein paar Jahren war ich dort als Redner auf einer christlichen Jugendkonferenz. Daniel, so nenne ich ihn jetzt, schüttete mir sein Herz aus. Vor einem Monat war etwas Schreckliches passiert. Seine Mutter war erschossen worden. Offenbar von einem Freund der Familie. Kein Wunder, dass Daniel völlig durcheinander ist. Wie soll es weitergehen? Sein Vater hatte die Familie schon lange verlassen und lebt mit einer neuen Frau und deren Kindern in einem anderen Land. Daniel steht jetzt ganz ohne Familie da.

Eine furchtbare, schreckliche Geschichte. Und sie ist nur eine unter Millionen ähnlichen. Vor Kurzem sprach ich mit einem eriträischäthiopischen Flüchtling. Seine Mutter lebt in Eritrea, der Vater auf der anderen Seite der Grenze in Äthiopien. Die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen verhindern, dass die beiden zusammenkommen können. Ihre Kinder sind in aller Welt verstreut. Eine Familie ohne gemeinsame Zukunft. Auseinandergerissen ohne Hoffnung darauf, je wieder zusammenzufinden.

Die Wirklichkeit des Bösen

Unsere Welt ist voll von solchen furchtbaren Geschichten. Leid, Schmerz, Krankheit, Ungerechtigkeit, Versagen, ungelöste und scheinbar unlösbare Fragen und Probleme bestimmen das Leben der Menschen. Nein, es ist nicht alles positiv. Es gibt sehr viel Negatives in der Welt. Auch Christen sind davon nicht ausgenommen.

Das weiß auch die Bibel. Das wusste auch Paulus, der frühchristliche Missionar, der Autor dieser Sätze, in seinem Ermutigungsbrief an die jungen Christen in der nordgriechischen Stadt Philippi. Übrigens schrieb er ihn in einer schwierigen, ungewissen Lage, als er selbst im Gefängnis war. Nicht wegen eines Verbrechens, sondern um seines Glaubens willen.

Die Melodie der Hoffnung

Und dennoch ist der Brief kein Klagegesang und keine Übung in Selbstmitleid. Stattdessen ermutigt Paulus seine Freunde in Philippi immer wieder, der Freude in ihrem Herzen Raum zu geben. Freut euch zu jeder Zeit, denn ihr gehört zum Herrn! Ich wiederhole es: Lebt voller Freude! Verhaltet euch so, dass alle Menschen erkennen, wie liebevoll ihr mit anderen umgeht!Jesus, der Herr, ist ganz nahe! Lasst euch nicht von Sorgen kaputt machen! (Philipper 4,4-5; DBU).

Hier zeigt Paulus eine ganz neue Perspektive auf. Es geht nicht darum, dass wir unsere Sorgen und Probleme wegdrängen oder durch gezwungenes »positives Denken« übertünchen. Vielmehr wird uns eine Möglichkeit gezeigt, wie wir auch mit den Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens umgehen können. Das, was uns dabei hilft, kommt nicht aus uns selbst, nicht aus unserer Willenskraft oder Fähigkeit, uns die Welt rosarot zu malen. Vielmehr haben wir einen Verbündeten in unseren Kämpfen, die das tägliche Leben mit sich bringt. Deshalb ermutigt Paulus weiter:

Lasst euch nicht von Sorgen kaputt machen!Stattdessen sagt Gott in eurem Zwiegespräch mit ihm und in euren Bitten an ihn frei und offen das, was ihr braucht, und drückt dabei eure Dankbarkeit aus! Dann wird auch der Friede, der von Gott kommt und alles übersteigt, was wir uns vorstellen können, eure Herzen und eure Gedanken mit seinem Schutz umhüllen, in dem Kraftbereich des Messias Jesus (Philipper 4,6-7; DBU).

Jesus ist da. Seine Nähe ist der Faktor, der alles verändert. In Jesus kommt Gott uns nahe, an jedem Tag und in jeder Lebenssituation.

Eine neue Lebenseinstellung

Aus dieser Gewissheit der Nähe Gottes ist auch eine neue Lebenseinstellung möglich. In der Mitte unserer Denkkoordinaten stehen wir nicht mehr selbst. Deshalb müssen wir uns auch nicht selbst mit Denkübungen aus dem Sumpf ziehen. Wir brauchen nichts zu verdrängen und können dem Schwierigen und scheinbar Unmöglichen mutig ins Auge schauen.

Weil Jesus Gottes Wirklichkeit in unser Leben bringt, eröffnet sich uns eine andere Sicht auf das Leben. Weil Jesus da ist, mittendrin, scheint sein Licht auch auf unser Leben, unseren Alltag, unsere Arbeit, unsere Aufgaben, unsere Beziehungen. In diesem Licht lernen wir, neu zu sehen und neu zu denken. Deshalb fährt Paulus genau an dieser Stelle fort und gibt ganz praktische Ratschläge:

Alles, was wahrhaftig ist und Respekt gebietet,

alles, was wirklich gerecht ist und ohne falsche Motive,

alles, was es sich lohnt zu lieben und zu loben,

sei es eine gute Eigenschaft

oder vorbildliches Verhalten,

beschäftigt euch mit solchen Dingen. (Philiper 4,8)

Dies ist kein »positives Denken«, bei dem wir uns unsere Wirklichkeit wegzudenken, schönzureden oder umzudeuten versuchen. Sondern wir lernen hier einen Weg des neuen Denkens, der dann auch zu einem neuen Fühlen führt.

Eine geistliche Grundentscheidung

Diesen Weg könnte man vielleicht am besten mit dem Begriff einer »geistlichen Seelenhygiene« beschreiben. Es ist der bewusste Entschluss, auch angesichts alles Negativen das Hauptaugenmerk auf das Positive zu richten. Es ist die Entscheidung, beim Nächsten nicht zuerst das Schlechte, sondern das Gute vorauszusetzen. Noch einmal: Hier wird kein Wegsehen, keine Leugnung oder Übermalung des Bösen, das auch im eigenen Herzen und in dem des Nächsten zu finden ist, gefordert. Sondern es geht um den Frieden in der eigenen Seele. Um das, was dem Frieden dient.

Wenn wir uns so bewusst, gerade in Begegnungen mit anderen, ja, auch in Auseinandersetzungen, auf das Gute konzentrieren, das sicher auch bei ihnen zu finden ist, dann entwickeln wir die Kraft, auch für das Gute zu arbeiten.

Das fängt bei uns selbst an. Indem wir uns auf Gutes konzentrieren, erziehen wir uns selbst zum Guten. Indem wir anfangen, anderen bewusst zu danken, wächst in uns die Dankbarkeit. Indem wir einüben, andere zu loben, entwickeln wir Sekundärtugenden wie Freundlichkeit und Höflichkeit.

Es ist bemerkenswert, dass derselbe Paulus, der so eindringlich von dem Sündersein aller Menschen und der Verlorenheit einer Menschheit, die ohne Gott lebt, schreiben konnte, der Paulus also, der als ein Prophet auftrat, als ein Sprachrohr für Gottes Wahrheit, zugleich von der Fähigkeit des Menschen überzeugt war, sich für das Gute zu entscheiden. Die Seelenhygiene, die er im Brief an die Philipper beschreibt, ist ein Schlüssel zum Seelenfrieden und damit zum Frieden untereinander.

Dr. phil. Dr. theol. des. Roland Werner, Jahrgang 1957, lebt in Marburg. Er ist Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland und Prior der Christus-Treff-Gemeinschaften. Seine Hobbys: Lesen, Sprachen lernen, Reisen, Musik, Schreiben.