Der Gottesfürchtige sorgt für das Wohl seiner Tiere,
die Gottlosen aber sind herzlos.
Sprüche 12,10
Ich stelle mir vor, dass eine Gruppe von Studenten der Psychologie oder Sozialwissenschaften den Auftrag erhält, eine empirische Studie durchzuführen. Die zugrunde liegende Frage lautet: Wie unterscheidet sich das Verhalten eines Menschen, der Gott als oberste Autorität anerkennt, an ihn glaubt und ihm vertraut, von dem Verhalten eines Menschen, der ohne Gott lebt?
Die Studenten machen sich fleißig ans Werk. Befragen, beobachten und werten aus. Sie begleiten Menschen an ihren Arbeitsplatz, besuchen die Familien, erforschen das Freizeit- und Konsumverhalten und registrieren den Umgang mit der Natur und den Ressourcen der Erde. Sie führen Gespräche mit Männern und Frauen, Jungen und Alten, mit Migranten und Einheimischen. Sie befragen Menschen aller sozialen Schichten sowie Personen aus unterschiedlichen politischen Lagern. Nach einigen Monaten intensivsten Forschens stellen sie der Öffentlichkeit das überraschende Ergebnis ihrer Forschungsarbeit vor. Nachzulesen auch in einem ausführlichen Artikel einer der führenden Tageszeitungen. Die Überschrift – die aufgrund ihrer stark polarisierenden Aussage für manchen Aufruhr und empörten Aufschrei sorgt – lautet:
Der Gottesfürchtige sorgt für das Wohl seiner Tiere, die Gottlosen aber sind herzlos.
Diese Überschrift ist aus einem Buch der Bibel entnommen, aus dem Buch der Sprüche. Und trifft, wenn auch sehr steil und provokant formuliert, doch genau den Punkt. Denn so wie diese Studenten hat hier jemand schon vor einigen tausend Jahren eben diese Beobachtung gemacht: Menschen, die mit Gott leben, »ticken« anders als Menschen, die ohne Gott unterwegs sind.
Eine jahrelang gewachsene Erfahrung im Umgang mit Gottesfürchtigen und Gottlosen findet in dieser Aussage ihr Fazit. Es gibt einen Unterschied! Dieser Unterschied ist durch Beobachtung, Befragung und Erleben nachweisbar und nicht vom Tisch zu wischen. Diesen Unterschied nehmen andere auch an uns, so wir denn mit Gott unterwegs sind, wahr – und zwar nicht nur in Bezug auf unseren Umgang mit Tieren, sondern auch ganz allgemein.
Ich finde diesen Vers sehr ermutigend. Hier wird nicht hinterfragt, sondern festgestellt. Hier wird nicht angezweifelt, sondern Tatsachen werden in den Raum gestellt. Ich glaube, dass wir diese Zusagen bitter nötig haben. Denn in unserer persönlichen Stillen Zeit, in Gesprächskreisen, Bibelstunden und Predigten sind viele von uns regelrecht darauf »geeicht«, sich selbst, die Intensität ihrer Beziehung zu Jesus und die Qualität ihres geistlichen Lebens infrage zu stellen und als nicht ausreichend zu befinden. Immer reicht es nicht und immer ist es nicht gut genug. In solch einem Klima der kritischen Selbstreflexion könnte es sein, dass obiger Text genommen wird, um Fragen zu stellen wie: »Können die Menschen in deinem Leben wirklich sehen und erleben, dass du mit Gott unterwegs bist?« Mit dem Ergebnis, dass die meisten von uns wahrscheinlich betrübt den Kopf schütteln und beschämt den Raum verlassen würden. Aber dieser Bibelvers will, wie so viele andere Texte der Bibel auch, nicht ein »Ich hab’s mal wieder nicht geschafft«-Gefühl vermitteln, sondern unseren Blick auf das bereits Vorhandene, auf das Starke und Gute richten. Auf das, was Gott bereits an Tatsachen in uns und unserem Leben geschaffen hat. Es gibt einen Unterschied!
Dieser Unterschied wird hier an einer sehr banalen Sache festgemacht und auf den Punkt gebracht: Derjenige, der mit Gott unterwegs ist, versorgt seine Tiere gut. Füttert sie regelmäßig, sorgt für Sauberkeit in den Ställen und pflegt kranke Tiere gesund. Der Gottlose dagegen – so wird hier wagemutig behauptet – verhält sich achtlos, schlimmstenfalls sogar grausam gegenüber dem Vieh und lässt es verwahrlosen. Das finde ich, gelinde gesagt, etwas eigenartig. Der Umgang mit Haus- und Nutztieren soll ein Gradmesser für meine Beziehung zu Gott sein? Ob ich regelmäßig ausmiste, pünktlich zum Melken erscheine, mich nachts todmüde aus dem Bett hieve, um einer Kuh beim Kalben beizustehen, ob ich störrischen Tieren keinen deftigen Tritt verleihe, sondern ihnen gut zurede – das alles soll etwas über mein geistliches Leben aussagen? Nicht die Häufigkeit unserer Gottesdienstbesuche, nicht unsere Disziplin in Sachen Gebet und Stille Zeit oder wortgewaltige Zeugnisse am Arbeitsplatz sind entscheidend? Nicht unser Einsatz in Gemeinde und bei evangelistischen Veranstaltungen, nicht unser »offizielles« soziales Engagement macht den Unterschied, sondern unser Umgang mit Kühen, Schweinen, Schafen und Hühnern? Das ist doch verrückt!
Aber die Messlatte hängt hier tatsächlich so tief oder – je nach Betrachtungsweise – so hoch. Unsere Frömmigkeit wird herausgeholt aus unseren Kirchen, Gemeindeveranstaltungen und vorzeigbaren sozialen Projekten und mit unserem ganz banalen Alltag in Zusammenhang gebracht. In einem stinkenden Stall outet sich Gott. (Das kennen wir doch irgendwoher …) Hier wird er sichtbar. Für uns und für andere. Mittendrin: im Stall, im Garten, im Haus, am Arbeitsplatz. Beim Wickeln des Babys, beim Gezänk der älteren Geschwister, beim Einkaufen, beim feuchtfröhlichen Geschäftsessen mit den Kollegen, beim Fußballspiel, im Büro, beim Streit mit einem unserer Teenagerkinder und bei der Arbeit auf der Baustelle. Mittendrin zeigt sich Gott. Durch uns. Weil Gott durch Jesus in uns lebt und unser Denken, Reden und Verhalten prägt.
Da ist das freundliche Wort über einen schwierigen Kollegen, während alle anderen Mitarbeiter Stimmung gegen ihn machen. Da ist die Provokation, die wir uns in einer hitzigen Diskussion mit einem unserer Teenagerkinder verkneifen, weil wir spüren, dass diese jetzt alles andere als hilfreich wäre. Da sind das liebevolle Wort, der aufmunternde Blick, die anteilnehmende Umarmung, der schnelle, helfende Handgriff. Da sind eingefleischte Verhaltensmuster im Umgang mit unserem Partner, unseren Kindern oder Eltern, die wir uns mit viel Übung, Gebet und Disziplin beginnen abzugewöhnen, weil sie uns und anderen nicht guttun. »Stallarbeit«, in der sich unser Glaube und die Beziehung zu Jesus bewähren. Es ist genau diese Alltagstauglichkeit unseres Glaubens, die den Unterschied macht.
Deswegen ist unser Alltag auch kein notwendiges Übel, welches zwischen Gottesdienstbesuchen, Bibel- und Gebetsstunden irgendwie überstanden werden muss. Nein, unser Alltag ist die Bühne, auf der unser geistliches Leben spielt. Damit verdient jede Minute, jede Stunde und jeder Tag der Woche unsere Achtung und unsere Wertschätzung. Damit sind all die kleinen Verrichtungen in der Normalität unseres Alltages keine unbedeutenden Nebensächlichkeiten, sondern Möglichkeiten, geistliches Leben zu gestalten, Gott unsere Liebe zu zeigen und ihm Raum zu geben. Weil Gott selbst sich unserem Alltag zuwendet und hier wirken will.
Diese Wertschätzung des Lebens, aller Menschen, Tiere und Arbeiten, wurzelt im Tiefsten in unserer Ehrfurcht vor Gott, der uns dieses Leben gegeben hat. »Gott ist Gott und ich nur ein Mensch.« Damit erkennen wir Gott als uneingeschränkten Herrscher an und reihen uns in den Kreis seiner Geschöpfe ein. Es steht uns nicht zu, mit einem anderen Geschöpf achtlos umzugehen. Aber wir machen auch die Erfahrung, von diesem großen Gott geliebt und wertgeschätzt zu sein. Jeden Tag, vom Morgen bis zum Abend, bekommen wir Liebe und ungeteilte Zuwendung von ihm. Damit ist es in uns angelegt, dass wir allen anderen, ob Mensch, ob Tier, mit gleicher Aufmerksamkeit und Liebe begegnen. Wie könnte es auch anders sein?
Wenn ich in dieser Woche meine alltäglichen Arbeiten verrichte, will ich daran denken: Es gibt einen Unterschied! Denn mit mir und durch mich betritt Gott die Bühne des Alltags!
Tamara Hinz, Jahrgang 63, wohnt in Schwalmtal am Niederrhein und ist Mitglied in der Baptistengemeinde Brüggen-Bracht. Sie ist freie Mitarbeiterin im Bundes-Verlag, Buchautorin und Referentin bei Frauenfrühstückstreffen.