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52. Woche

Eine andere Art von Wissen

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.

Psalm 90,12 (LUT)

Mit »Klugheit« wird in deutschen Quizshows viel Quote gemacht und eine Menge Geld verdient. Der »klügste Deutsche 2011« war Sebastian Runde aus Duisburg. Der 26-jährige Student setzte sich in mehreren Runden gegen seine Konkurrenten durch und gewann 100 000 Euro Preisgeld. Moderiert wurde die Show von Kai Pflaume. Vorausgegangen war eine wochenlange Castingtour der ARD durch 50 deutsche Städte, für die keine Kosten und Mühen gescheut wurden. Die Anforderungen an den »klügsten Deutschen« waren u.a. angeborene Grundintelligenz, schnelle Auffassungsgabe, gute Menschenkenntnis, verschiedene Problemlösungsstrategien, Kreativität und Lebenserfahrung. Entwickelt wurden die Aufgaben von Prof. Dr. Martin Korte, Professor für zelluläre Neurobiologie an der TU Braunschweig und Direktor des Zoologischen Instituts.

Geige und Bohrmaschine

Es gibt nicht wenige Menschen, die auf Sebastian Runde neidisch sind – nicht nur wegen des Preisgeldes. Wir alle hätten gern ein fantastisches Gedächtnis; und kreative Fähigkeiten zur Problemlösung; und eine Begabung für logisches Kombinieren; und eine unschlagbare Geistesgegenwart … Denn in dieser Welt gewinnen die Klugen, die Schnellen, die Selbstbewussten. Was zählt, sind gute Schulabschlüsse, Stipendien, akademische Titel – und die entsprechend hochdotierten Stellen dazu.

Doch die Frage stellt sich: Wozu? Was nützt mir Intelligenz und Klugheit, wenn ich nicht weiß, wozu ich lebe? Eine Bohrmaschine ist nicht schlecht – aber wenn ich Geige spielen möchte, brauche ich dazu einen passenden Bogen; mit der Bohrmaschine wird das nichts … Eine bestimmte Art von Intelligenz mag für bestimmte Aufgabenstellungen ganz brauchbar sein. Aber hilft sie mir auch, mein Leben richtig zu leben? Erschließt sie mir den Sinn des Lebens? Macht sie mich tüchtiger für die wirklich existenziellen Herausforderungen des Lebens?

Es gibt viele intelligente Lungenfachärzte, die Kettenraucher sind. Sie wissen, wie schädlich das Rauchen ist. Viele von ihnen können faszinierende Vorträge halten und passende Bilder und Statistiken auffahren, garniert mit einer Reihe von schrecklichen Sterbefällen, die sie hautnah miterlebt haben. Und trotzdem rauchen sie … Warum? Kann es sein, dass es eine Art wertloses Wissen gibt? Hilflose Hochbegabung? Ignorante Intelligenz? Kleinkarierte Klugheit? Willenlose Weisheit?

Eine andere Art von Klugheit

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Wenn die Bibel von Klugheit spricht, meint sie eine andere Art von Wissen. Diese Intelligenz können wir nicht mit dem IQ messen. Sie taucht nicht im Schulzeugnis auf und wird mit keinem Sonderpreis belohnt. Es ist zunächst das Wissen um die eigene Endlichkeit. Jeder muss sterben. Eine Binsenwahrheit. Jeder weiß es. Unser Leben ist wie der Sand in einer Sanduhr: Die Lebenszeit nimmt ständig ab. Es ist nicht die Frage, ob es endet – sondern nur wann. Der Tod ist uns einprogrammiert. Jede Zelle unseres Körpers »weiß«, dass sie nur eine begrenzte Lebenszeit hat. Sobald wir geboren sind, fangen wir zu sterben an!

Und doch – wir sind Weltmeister im Verdrängen! Wir leben so, als ob es immer so weitergehen würde. Sterben? Das tun die anderen! Sterben? Das hat morgen noch Zeit! Sich vorbereiten auf den Abschied? Wieso die gute Stimmung verderben? Im Blick auf den eigenen Tod verhalten sich viele Menschen wie Kinder: Sie halten die Hände vor das Gesicht und meinen, die Gefahr sei nicht mehr da. Und von dieser unvorstellbaren Dummheit sind gerade auch die »Klugen« dieser Welt nicht ausgenommen, seien sie Nobelpreisträger oder Professoren …

Wenn Weihnachten ausfällt …

Aber es geht der biblischen Weisheit nicht nur um die Endlichkeit an sich. Wie gesagt – das ist eine Binsenwahrheit. Doch dieses Wissen könnte uns auch verrückt machen, depressiv und verzweifelt. Ich kann mich an eine Phase in meiner Jugendzeit erinnern, in der ich radikal konsequent sein wollte. Deshalb stellte ich mir die Frage: Wenn es sowieso nur eine Frage der Zeit ist, bis ich sterbe – warum eigentlich dann nicht sofort? Was bringen mir noch 20 oder 50 weitere Jahre? Wieso feige sein und das Ende noch aufschieben? Und vor allem: Wenn am Ende »Weihnachten« ausfällt – wieso soll ich dann noch täglich brav die Türchen des Adventskalenders aufmachen? Bloß weil die Erwachsenen mich auf »später« vertrösten möchten?

Es kommt doch alles darauf an, was »nach« dem Tod kommt! Es stellt sich mit aller Vehemenz die Frage, ob es noch etwas anderes gibt als den Tod! Ob es ein Leben gibt, das stärker ist als die schreckliche Todesgewissheit! Und genau mit dieser Perspektive beginnt Psalm 90: Herr, du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit (Verse 1-2; LUT). Klug – wirklich klug! – ist also der, der sein Leben mit Gott lebt. Der nicht nur den Tod, sondern Gott selbst mit auf der Rechnung hat. Nein, der vielmehr schon in diesem Leben mit Gott »rechnet«. Und das bedeutet: ihm zu vertrauen und seine Zuflucht bei ihm zu suchen.

Doch wer mit Gott rechnet, macht eine überraschende und auch erschreckende Entdeckung: Gott ist nicht einfach das Pluszeichen, mit dem wir am Ende unsere Lebensbilanz ins Positive bringen. Er ist nicht eine Lebensversicherung, die wir uns kaufen können. O nein! Es könnte genau umgekehrt sein: Gott könnte unser Leben ins Minus setzen! Denn wer es mit Gott zu tun bekommt, der weiß schlagartig um seine Schuld. Der wird konfrontiert mit den Verfehlungen seines Lebens. Der begegnet einem unbestechlichen Maßstab. Daran erinnert der Psalm ebenfalls: Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahinmüssen. Denn unsre Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht. Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn (Verse 7-8; LUT).

Mich wundert’s, dass ich lebe …

Der Tod ist ein tiefes Rätsel. Und doch – das Leben ist noch wunderlicher! Dass ich angesichts meiner Schuld leben darf! Dass es Vergebung gibt! Dass Gott mir gnädig ist und ewige Gemeinschaft anbietet – das ist wirklich unbegreiflich! Im Kreuzestod und in der Auferstehung seines Sohnes Jesus Christus hat Gott ein für allemal die Zeichen der Barmherzigkeit aufgerichtet. Dort hat er bewiesen, dass das Leben stärker ist als der Tod und dass die Gnade mächtiger ist als die Schuld.

Und das ist echte Klugheit: Nicht nur mit dem Tod rechnen; nicht nur mit Gott angesichts des Todes rechnen. Sondern – und das ist der Gipfel! – mit dem gnädigen Gott rechnen! Wer alles auf die Gnade setzt – der ist wirklich klug. Wer Gott bei seiner Barmherzigkeit packt – der ist weise. Das ist eine Perspektive, mit der ich leben und sterben kann. Das ist Hoffnung pur. Und so sieht es auch der Psalmbeter des dieses Psalms: Herr, kehre dich doch endlich wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig! Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang (Verse 13-14; LUT).

Die Freude ins Leben einladen

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Wer Psalm 90,12 liest, könnte auf den ersten Blick meinen, dass es hier um eine Art Lebenspessimismus geht. Nach dem Motto: Rechne mit dem Schlimmsten, dann kann es nur noch besser werden! Aber nichts verfehlt den Grundton dieses Psalms mehr als diese Negativstrategie. Denn am Ende steht die Freude über die Gnade. Das freundliche Angesicht Gottes leuchtet über einem Leben, das in dieser Perspektive gelebt wird. Und der Segen Gottes ruht auf einem solchen Menschen. Die biblische Weisheit und Klugheit entfaltet gerade von hieraus eine unglaubliche Lebenskraft und Lebensfreude. Die beste Einübung ins Sterben ist, die Freude ins Leben einzuladen. Und diese Freude kommt daher, dass der Ewige bereits jetzt in meinem Leben gegenwärtig ist. Wenn mein Leben wie der Sand in einer Sanduhr ist – dann ist Gott die Sanduhr selbst. Mein Leben geht von Gott zu Gott. Und in den »Engstellen« meines Lebens will ich mit der Gnade und Barmherzigkeit Gottes rechnen. Herr, lass mich auf diese Weise klug werden!

Fragen zum Nachdenken

•  Auf wen oder was bin ich neidisch? Welche Form von »Lebensgier« könnte ich loslassen, wenn mich die Weisheit von Psalm 90 regieren würde?

•  Gibt es eine Lebensberufung, der ich nachstreben soll? Weiß ich um eine Beauftragung Gottes in meinem Leben? Denn nach Psalm 90 »weise« zu werden, bedeutet nicht, nichts gewollt zu haben und nichts zu erstreben! Die Weisheit Gottes macht uns nicht passiv, sondern aktiv!

•  Traue ich mich, mein ganzes Leben radikal auf die Gnade Gottes zu setzen? Was bedeutete das im Blick auf die Brüche, Abstürze und Sackgassen meines Lebens?

•  Welche Rolle spielt die Freude in meinem Leben? Was hindert mich, die Freude in mein Leben einzuladen?

Dr. Christoph Schrodt, Jahrgang 1966, ist verheiratet mit Annette. Er hat vier Kinder zwischen 11 und 17 Jahren, ein Kind im Himmel. Er ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Böblingen.