Kapitel 33

 

Troy wischte sich über die Stirn. Es war zwei Stunden her, dass sie den Sumpf hinter sich gelassen hatten, und abgesehen von Insektenstichen und ein paar bananengroßen Blutegeln waren sie in Ruhe gelassen worden.

Troy führte die Gruppe weiterhin an, gefolgt von Elrik, und er stolperte, weil er die Baumwurzeln in den Schatten nicht sah.

»Bilde ich mir das nur ein, oder wird es immer dunkler?«, fragte Elle.

»Das bildest du dir nicht ein.« Er sah sich um. »Alle unsere Uhren sind stehen geblieben, aber es muss bald Nacht werden.«

»Es ist vielleicht nicht die klügste Idee, hier draußen zu übernachten«, sagte Anne.

»Ich glaube nicht, dass das unsere Entscheidung ist.« Troy sah über die Schulter zu Ord, der den Arm ausstreckte, um ihm einen Stoß mitten in den Rücken zu verpassen.

Einige Minuten später erreichten sie einen Teil des Waldes, in dem mehr offenes Land zwischen den riesigen Bäumen lag. Das Blätterdach über ihnen war nähergerückt, und wegen des ohnehin schwachen Lichts bedeutete das, dass sie fast im Dunkeln unterwegs waren. Und Troy wusste, dass das an diesem urtümlichen Ort Wahnsinn war.

Anne zog eine Nachtsichtbrille aus ihrer Tasche, und Elrik, Elle und Troy taten das Gleiche. Augenblicklich nahmen Ord und Tygo Elrik und Elle ihre Brillen ab und zogen sie selbst auf.

Troy ging langsam, und da alles grün fluoreszierte, war es schwierig, eine vernünftige Tiefensicht zu erhalten. Nachdem sie einige Minuten weiter gewandert waren, schlug ihm der Geruch entgegen. Und er gefiel ihm nicht.

Troy drehte sich langsam um, suchte zuerst den Boden ab und hob dann den Blick. Dann höher. Sein Herz zersprang fast in seiner Brust, und er streckte die Hand aus, um Elle zu packen, die in der Dunkelheit nahezu blind war.

»Geht alle …«, flüsterte er, »… hinter einen Baumstamm.«

»Was ist?« Anne schlich vor und stellte sich neben ihn.

Tygo und Ord blieben auf freiem Feld und sahen sich um, was Troy nur recht war, und Elrik drückte sich rasch an Troys Baumstamm.

Elle stand mit dem Rücken am Baum neben ihm. »Ich kann überhaupt nichts sehen«, sagte sie. »Aber ich kann etwas riechen.«

Ord und Tygo suchten sich ihren eigenen, riesigen Stamm. Troy nahm seine Brille ab und setzte sie Elle auf. Anne beugte sich näher.

»Schaut. Zwischen den beiden größten Bäumen, ungefähr auf elf Uhr.«

Elle und Anne drehten sich in diese Richtung.

»Nur Bäume«, flüsterte Elle.

»Seht weiter hoch«, sagte Troy leise.

Die Frauen taten wie geheißen.

»Heilige Maria.« Anne wich unwillkürlich zurück, und Troy stoppte sie, damit sie nicht wieder ins Freie stolperte.

»Ist das ein Dinosaurier?« Elles Stimme blieb ihr fast im Hals stecken.

»Groß. So groß«, sagte Anne. »Ich habe immer nur Knochen gesehen, oder vielleicht Darstellungen von Spezialeffekten in Filmen. Aber einen Lebenden zu sehen, ist …«

»Ja, ich weiß. Und es ist ein Fleischfresser, richtig?«, fragte Troy. »Es war der Geruch seines Atems, der mich gewarnt hat. Ich war schon öfter in der Nähe von Großkatzen und da ist es genauso.«

»Definitiv ein Dinosaurier. Und diese Hörner auf dem Kopf; vielleicht ein Carnosaurus oder ein Allosaurus.« Anne schüttelte den Kopf. »Nein, halt, der hier ist größer. Vielleicht ein Epanterias , eine Unterart, die sind seltener, aber größer. Neun Tonnen, fünfzehn Meter, sechs Meter Schulterhöhe, locker.«

»Warum hat er uns nicht angegriffen?«, fragte Troy. »Wir wären fast in ihn reingelaufen.«

»Der leichte Wind weht uns ins Gesicht, und sieh dir diese winzigen Augen an. Der hat keine gute Sehkraft und ist definitiv kein Nachtjäger«, antwortete sie.

»Er schläft also?«, fragte Elrik hoffnungsvoll.

Wie zur Antwort hob die riesige Kreatur den Kopf und atmete tief ein.

»Nein. Wie gesagt, er hat keine gute Nachtsicht, kann aber trotzdem nachts jagen, indem er seinen außergewöhnlichen Geruchssinn einsetzt.« Anne streckte die Hand aus und packte Troy am Arm. »Er hat unsere Fährte noch nicht aufgenommen, aber das wird er bald. Dann wird er uns finden. Wir müssen von hier verschwinden.«

»Verdammt richtig.« Troy drehte sich um, um über die Schulter zu sehen, aber ohne die Brille war er nachtblind.

»Das einzig Gute ist, dass sich hier keine kleineren Raubtiere rumtreiben sollten, solange dieses Monster in der Nähe ist«, sagte Anne.

»Wir sollten uns auch nicht hier rumtreiben.« Troy drehte sich um. »Ich kann nichts …«

Elle zog die Nachtsichtbrille vom Kopf und gab sie ihm zurück. Er setzte sie auf und entdeckte einen möglichen Weg von der Lichtung und in die Richtung, in die sie gehen mussten. Sie mussten nur einen kleinen Umweg um die Bestie machen.

»Okay, wir gehen in Richtung des großen, pelzigen Baumstamms. Direkt dahinter kann ich eine Reihe kleinerer Bäume sehen, die uns Deckung geben können. Wenn wir es bis dorthin schaffen, können wir uns tief halten und etwas Abstand zwischen uns bringen.« Er atmete aus. »Es würde unsere Chancen verbessern, wenn wir eine Ablenkung hätten.«

»Was ist los?«, sagte Tygo in einem rauen Flüstern.

Es war laut genug, dass alle es deutlich hören konnten. Der riesige Dinosaurier eingeschlossen. Er senkte seinen massiven, eckigen Kopf und schnüffelte eingehend in ihre Richtung.

»Arschloch«, zischte Troy.

»Gleich wird er uns sehen. Er sucht uns.« Anne stupste ihn an. »Uns läuft die Zeit davon, und wenn dieser große Kerl loslegt, kann er wahrscheinlich mit vierzig, fünfzig Stundenkilometern rennen.«

»Okay. Okay.« Troy drehte sich um. »Dann brauchen wir eine Ablenkung.« Er sah sich um und hob einen faustgroßen Stein auf.

Währenddessen schuf Ord seine eigene Ablenkung: Er entzündete eine Leuchtrakete und warf sie. Auf sie. Tygo und Ord rannten davon. Troy war sicher, dass er sie lachen hörte.

»Diese Scheißkerle«, spie Troy aus. Er sprang auf, schnappte sich die Fackel und warf sie in Richtung der riesigen Kreatur.

Ihr riesiger Kopf drehte sich ihr nach. Sie starrte auf den winzigen Punkt aus flackerndem, rotem Licht und war wahrscheinlich für wenige Sekunden geblendet.

»Los!«, rief Troy, und die vier rannten zu dem großen Baum, umrundeten ihn und suchten Schutz in den kleineren Büschen.

Hinter ihnen ertönte das donnernde Geräusch von Bäumen, die zertrümmert wurden, und unter ihren Füßen spürten sie die Vibrationen der stampfenden Schritte der riesigen Kreatur.

»Schneller!«, schrie Troy. Er hielt Elle am Arm, um sie zu führen.

Anne lief neben Elrik und führte ihn genauso durch den dunklen Wald, und gemeinsam folgten sie einem Weg, aber zu langsam, denn das Geräusch des tödlichen Verfolgers kam immer näher.

Rechts von ihnen sahen sie Tygo und Ord in die gleiche Richtung rennen, und gemeinsam erreichten sie eine kleine Lichtung von etwa dreißig Metern Durchmesser. Troy betrat sie als Erster, und weiter unten am Waldrand sah er Tygo und Ord, die dabei waren, sich für einen Weg auf die andere Seite zu entscheiden.

Troy wollte sein kleines Team hinüberführen, doch dann sah er etwas, das ihn abschreckte. »Anhalten!«, rief er.

»Wir haben keine Zeit zum Anhalten!«, rief Anne zurück.

Troy holte eine Signalfackel heraus und zündete sie an. Er warf sie auf die Lichtung und sah die vielen hundert spitzen Beine, die unter kanalschachtgroßen Deckeln hervorragten und von seidenen Netzen umgeben waren.

»Sind das Spinnen?« Elle verzog das Gesicht, sodass ihr Zähne zu sehen waren.

»Für mich sehen sie so aus«, sagte Troy. Er drehte sich um. »Anne?«

»Falls ja, sind es wahrscheinlich Nephila jurassica. Megarachnen. Es gab mehrere riesige Arten von Spinnentieren. Wir wissen nur nicht, ob sie tödliches Gift hatten oder nicht«, antwortete Anne. »Aber tödlich oder nicht, Gift hatten sie alle, und die Größe bedeutet, dass sie eine Menge in einen reinpumpen konnten.«

»Selbst wenn das Gift einen nur betäubt, bin ich jetzt wirklich nicht scharf auf ein steifes Bein.« Troy sah über die Schulter zurück, als ein Baum keine dreißig Meter hinter ihnen umgestoßen wurde. »Scheiße.« Er wirbelte wieder zum Feld herum, um eine Entscheidung zu treffen.

»Schaut mal, um die Fackel herum«, sagte Elrik.

Tatsächlich, die Falltüren, die der hellen Fackel am nächsten waren, waren fest verschlossen, und ein Stück weiter weg im dunklen Feld warteten die Spinnen weiterhin in ihren Fallen.

»Nachtjäger also«, sagte Anne. Sie nahm zwei Fackeln, eine in jeder Hand, und zündete beide. »Geronimo!«, rief sie und hielt sie vor sich, während sie auf die Lichtung hinaus rannte.

»Verrückt.« Troy grinste voll Bewunderung. Doch dann zündete er seine eigene Fackel.

Die anderen taten das Gleiche, und die vier Menschen rasten auf die Lichtung. Wann immer sie sich einer Falltür näherten, schlug der Deckel zu, und die muskulös aussehenden Riesenspinnen zogen sich darunter zurück, um dem Licht zu entfliehen.

Als sich die Gruppe der anderen Seite der Lichtung näherte, nahmen explodierendes Laub und splitternde Äste den riesigen Fleischfresser in Empfang. Er brüllte, als seine winzigen Augen die zurückweichenden Menschen mit den Fackeln erblickten, und das Geräusch war wie eine physische Kraft, die Troy tief im Magen Übelkeit bescherte.

Es erinnerte Troy an eine Mission, bei der sie an einem Strand in Südaustralien tief tauchen mussten, um empfindliche Fracht aus einem abgestürzten Flugzeug zu bergen. Er und seine Taucherkollegen waren von einem fast sieben Meter langen Weißen Hai bedroht worden. Mit dem Monster im Wasser zu sein, hatte ihm eine Heidenangst eingejagt, weil er wusste, dass es viel schneller und aggressiver war, als er es je sein konnte. Und schlimmer noch, er befand sich in seiner Welt, und der Hai wusste das.

Genau so fühlte er sich jetzt.

Die Gruppe rannte vom Feld in den Wald. Zum Glück wurde das Terrain überwucherter und verworrener, und auch wenn genug Platz war, dass Menschen zwischen den knorrigen Ästen, Lianen und dichten Farnen hindurchkamen, verlangsamte es den riesigen Theropoden genug, damit sie ihren Vorsprung halten konnten.

Troy war klar, dass sich etwas ändern musste, denn wenn das Tier langsamer würde, dürften sie noch ein wenig länger überleben. Aber wenn sie langsamer würden, wären sie tot. Und gefressen.

Im nächsten Augenblick durchdrangen sie den letzten Schleier aus dichten Waldranken. Die Gruppe hielt an und starrte.

Dreißig Meter weiter unten kam Tygo ebenfalls durch die grüne Wand. Auch der große Mann starrte, dann streckte er die Hände aus, als wollte er zu beten beginnen.

»Odins Festung«, flüsterte Elle.

Das Gebäude sah so alt aus wie die Zeit selbst. Es stand auf einer Anhöhe direkt hinter einer morastig aussehenden Ebene voller breiter, funkelnder Seerosenblätter. Es war mit massiven Säulen, Bogenfenstern und kolossalen Stufen geschmückt, und alles war aus gigantischen Blöcken errichtet, die aus Granit sein mochten, der sicher einst poliert gewesen war, wie Troy gewettet hätte, nun aber von unzähligen Jahrtausenden verwittert war.

Doch der interessanteste Aspekt war ein rotes Leuchten, welches aus der Türöffnung und durch die gewölbten Fenster kam. Und es pulsierte sanft.

Tygo und Ord kamen zu ihnen.

»Die Festung des Allvaters.« Tygo kniff für einen Moment die Augen zusammen, als wäre er in religiöser Ekstase. »Sie bewacht das Herz eines Gottes.«

»Wir haben es geschafft«, flüsterte Ord.

Troy fletschte die Zähne. »Aber nicht dank dir und deiner Fackel, du elender …«

Ein allmächtiges Brüllen kündigte die Ankunft des Carnosaurus an, und die Gruppe fuhr zusammen, als ein großer Baum nur wenige Meter hinter ihnen im Dickicht umgestoßen wurde.

»Los, los, los!«, rief Troy.

Er wandte sich dem freien Gelände zu, ging ein paar Schritte und erkannte, dass die großen, flachen Blätter von einer Art Schleim glitzerten. Er erkannte auch, dass die Ranken, die zwischen den Blättern verliefen, grausige, zentimeterlange Dornen hatten, aber die sollten ihren Lederstiefel nichts anhaben können.

»Tretet nicht auf die Blätter«, sagte er. »Das könnte eine Art Venusfliegenfalle sein.«

Die Gruppe rannte vorsichtig zwischen ihnen hindurch. Troy führte Elle und Anne führte Elrik. Das sanfte, rote Leuchten aus der Burg oder der Festung vor ihnen spendete ihnen jetzt etwas mehr Licht. Auch Tygo und Ord bewegten sich vorwärts und überholten die Gruppe dank ihrer längeren Beine rasch.

»Auf offenem Gelände erwischt er uns«, sagte Elrik, als der Waldrand hinter ihnen explodierte, als Kopf und Schultern der riesigen Bestie hindurchbrachen. Sein limousinengroßer, eckiger Kopf reckte sich vor, seine winzigen Augen suchten das Feld ab, und sein Maul öffnete sich.

Troy warf einen Blick über die Schulter und sah, dass das Monster einen Schritt machen wollte, dann aber stehen blieb. Seltsam, dachte Troy. Er rührt sich nicht. Die riesige Kreatur atmete ein, schnüffelte eingehend, dann zog sie sich unerklärlicherweise lautlos in den Wald zurück. Nach wenigen Sekunden war sie verschwunden.

Die ganze Gruppe war stehen geblieben, um zuzusehen, erleichtert, aber auch verwirrt. Troy wusste, dass alle erwarteten, das Ding wieder auftauchen zu sehen, aber seine bebenden Schritte wurden leiser, bis es fort war. Dann war es wieder still.

Tygo und Ord zuckten mit den Schultern und machten sich wieder auf den Weg zum Gebäude.

Troy beobachtete weiterhin die Waldgrenze. »Was ist gerade passiert?«

»Irgendwas hat ihm nicht gefallen«, sagte Anne. »Etwas, das er gerochen oder gespürt hat.«

Sie hockte sich vor eines der großen, flachen Blätter, streckte eine Hand aus und berührte den Rand. Sie zog sie zurück, und ihr Finger blieb einen Moment lang kleben, dann zogen sie lange Fäden aus zähflüssigem, leimartigem Material mit sich.

Sie stand auf und wischte sich die Hand am Hosenbein ab. »Gute Idee, nicht draufzutreten. Das sind Fallen.«

»Vielleicht hat der große Dinosaurier schon Erfahrung damit«, bemerkte Elle.

Anne schüttelte den Kopf. »Das Ding wiegt zehn Tonnen. Diese Blätter, oder die Dornen, würden ihm nichts ausmachen.«

Elle drehte sich zu Troy um und bedeckte ihre Augenklappe mit einer Hand. Sie verzog das Gesicht.

»Wund?«, fragte er.

»Die Kugel, sie spielt verrückt«, flüsterte sie zurück. »Und sie fühlt sich heiß an.«

»Nimm sie raus. Ich gebe dir Deckung.« Troy trat einige Schritte zur Seite und hielt Wache, während Elle rasch die Kugel herausnahm und sie durch ihr Glasauge ersetzte. Sie wollte sie in die Tasche stecken, aber Troy streckte die Hand aus. Elle zögerte einen Moment, dann reichte sie sie ihm und er steckte sie ein.

Troy nickte und machte sich auf den Weg dorthin, wo Tygo und Ord etwa dreißig Meter vor dem Bauwerk entfernt stehen geblieben waren, das vollkommen von den Wurzeln eines gigantischen Baumes umschlossen war, und die massiven Stufen hinauf starrten. In kürzester Zeit stand die Gruppe neben ihnen.

Tygo sprach, ohne sich umzudrehen. »Ich denke, wir werden gemeinsam gehen. Aber natürlich haben Sie die Ehre, uns hineinzuführen, Mr. Strom.« Dann zeigte Tygo auf Elle und ihren älteren Bruder. »Sie gehen auch. Ich will, dass Sie drei vor uns hergehen. Die Wissenschaftlerin kann an meiner Seite bleiben. Sie hat sich als wertvoller erwiesen als Sie alle drei zusammen.«

»Großartig«, sagte Anne mit wenig Begeisterung.

Troy drehte sich um. »Geben Sie mir einen Moment.«

Er ging vorwärts, wich sorgsam den klebrigen Blättern aus und stand bald vor der ersten der massiven Stufen, von denen jede über einen Meter hoch war.

Das Heim eines Gottes trifft es, dachte er.

Die Neugier, nachzusehen, was dort im Inneren sanft pulsierte, quälte ihn. Falls es das riesige Rubinherz war, würde er auf keinen Fall ohne es nach Hause gehen. Tygo hin oder her, er hatte vor, den Preis einzuheimsen. Er brauchte ihn.

Ohne Troys Sicherheitsbewertung abzuwarten, schob der große Wikinger Elle und Elrik vorwärts. Er gab ihnen einige Schritte Vorsprung, bevor er, Ord und Anne folgten.

Troy erklomm die erste der riesigen Stufen und drehte sich um, um den umliegenden Wald noch einmal zu betrachten. Was ihm auffiel, war die scheinbare Abwesenheit anderen tierischen Lebens. Er hatte erwartet, dass sich die nächtlichen Aktivitäten hier in Grenzen halten würden, aber es gab überhaupt keine Bewegung und nur sehr wenige Geräusche.

Er zog sich noch ein paar Stufen hinauf und blieb stehen, um zur Gruppe zurückzusehen. Alle waren still, und die meisten sahen zu ihm auf, beobachteten ihn aufmerksam und warteten. Er legte den Finger an die Lippen und drehte sich wieder um, um sich die nächsten Stufen hochzuziehen.

Es waren etwa zwanzig, die sich über zwanzig Meter hoch über die Seerosenebene erhoben, und oben angekommen machte er sich nicht die Mühe, sich umzudrehen oder gar zu warten, sondern spähte stattdessen durch die Tür ins Innere.

»Oh, wow.« Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und er trat ein.

Der gesamte Raum war in einen sanften, roten Schein von dem pulsierenden Licht in seinem Zentrum getaucht. Troy warf einen Blick auf die Schätze im Raum: riesige Wannen und Truhen, übervoll mit Goldmünzen und Edelsteinen, manche roh und ungeschliffen, und in allen Farben. Es gab silberne Waffen und Schmuckstücke, von denen er annahm, dass sie geplündert und dem höchsten Wikingergott, Odin, als Tribut dargereicht worden waren.

Er sah auch seltsame Flecken auf dem Boden, aus deren Rändern Knochen ragten. Etwas war dort verbrannt worden. Oder eher geschmolzen, dachte er.

Doch sein Blick wurde von dem gewaltigen roten Stein auf dem Sockel angezogen. Sein Schein pulsierte mit einem Eigenleben, und als er sich ihm näherte, spürte er, wie seine Backenzähne zu schmerzen begannen, und seine Augen tränten, wie wenn man einem Kamin zu nahe kommt und die Hitze die Augen austrocknet.

Wie in Trance näherte sich Troy dem riesigen, blutfarbenen Edelstein. Er sah, dass er bearbeitet war, gewissermaßen. Statt eines facettierten oder rohen Steins war er geschliffen und leicht oval, und seine Reinheit war atemberaubend.

Als Troy keine zwei Meter von dem Stein entfernt war, hob er wie in Trance einen Arm und streckte langsam eine Hand aus.

»Stopp.«

Troy erstarrte.

Tygo hatte seine Waffe direkt auf ihn gerichtet. »Berühren Sie das Herz des Allvaters nicht mit Ihren unwürdigen Händen.«

Troy schnaubte und drehte sich um. Er senkte den Arm. »Wie Sie wollen.« Er trat einen Schritt zurück.

Tygo sprach kurz mit Ord, der seine Waffe zog und von Elrik zu Troy sah, um sie beide abzusichern.

Dann näherte sich der Wikinger-Anführer langsam dem großen, roten Stein. Sein Gesicht wurde von seinem Schein erhellt und seine Augen waren weit geöffnet.

Troy erkannte den Ausdruck des großen Mannes als Verzückung.

»Ich kann es spüren«, flüsterte Tygo, und dann lauter: »Ich kann es spüren!«

Hinter ihm füllte Ord seine Taschen mit Münzen und Edelsteinen. Elrik zuckte mit den Schultern und tat das Gleiche.

Mit schmalen Augen trat Tygo direkt an den glühenden Edelstein heran und umfasste ihn mit beiden Händen. Er stöhnte, beinahe sinnlich. »Es. Fühlt. Sich. Seltsam. An.«

»Vielleicht ist er radioaktiv. Oder hoch magnetisch«, flüsterte Anne.

Dann hob der Wikinger den Edelstein an, und sobald er ihn vom Sockel nahm, hörte er auf zu pulsieren und sein Schein verblasste. Als Tygo ihn jedoch in die Höhe hielt, war er trotzdem noch das Schönste, das Troy je gesehen hatte.

»Manche sagen, der Herzstein sei vom Himmel gefallen.« Er blickte auf den Edelstein. »Aber wahre Wikinger wissen, dass er aus der mächtigen Brust des Alten Vaters stammt.« Tygo drehte sich um und bemerkte, dass die Gruppe ihn anstarrte. Er runzelte die Stirn. »Seht weg, Abschaum. Ihr seid nicht würdig.«

Troy schnaubte. »Sie auch nicht.«

Tygo ignorierte ihn und starrte weiter wie gebannt auf den Rubin. Troy war klar, dass er jetzt, wo er seinen Edelstein hatte, keinen von ihnen mehr brauchte. Jetzt begriff er, dass der Wikinger sie nur am Leben gelassen hatte, um sie als menschliche Schutzschilde gegen etwaige Angriffe zu benutzen. Je mehr sie waren, desto größer waren die Chancen, dass er selbst mit dem Leben davonkam.

Während er über seine Flucht nachdachte, bemerkte er plötzlich den überwältigenden Gestank, der sich über den Raum legte. Er drehte sich zu Anne um, die die Stirn runzelte, und wandte sich jedem Eingang und jeder Tür zu, um die Quelle des üblen Geruchs zu finden.

Da war ein Geräusch wie ein feuchter Husten. Und dann schrie Elrik.