Krumme Geschäfte

Ralf atmete erleichtert auf.

»Halt!« Klößchen hob den Zeigefinger. »Vielleicht kann ich dir doch nicht so einfach verzeihen. Was sagst du zum Stichwort Salz in der Schokolade?«

»Das war ich nicht. Aber mir fällt noch was ein. Im Bürgerpark hatte ich mich im Gebüsch versteckt und zufällig ein Telefongespräch belauscht. Dieser Herr Fröhlich ist aus dem Auto ausgestiegen, während euer Chauffeur die Schokomaskottchen zur alten Linde gebracht hat. Er hat mit dem stellvertretenden Bürgermeister Scheel telefoniert. Es ging darum, dass das Maskottchen ein Waschbär ist«, berichtete Ralf.

Klößchen starrte ihn entsetzt an. »Was?«

»Ja, und dann sagten sie noch was von ›E-Mail-Verkehr löschen‹, damit niemand etwas erfährt.«

Klößchen war fassungslos. »Was mauschelt Fröhlich mit dem stellvertretenden Bürgermeister?«

Gaby klappte die Kiste mit den Schokoladeneichhörnchen zu. »Und welches Tier wird denn nun das Maskottchen?«

»Wenn es ein Waschbär wird, müssen wir die Eichhörnchenproduktion anhalten!«, rief Klößchen aufgeregt.

»Lasst uns zum Rathaus fahren«, schlug Tim vor.

Gaby nickte. »Vielleicht bekommen wir da etwas raus.«

Karl sah auf seine Uhr. »Es ist fast sechs Uhr. Die haben doch längst Feierabend.«

»Gut. Dann morgen nach der Schule.« Klößchen versuchte, die Kiste mit den Eichhörnchen anzuheben. »Puh, ist die schwer.« Er überlegte. »Passt auf, ich habe eine Idee: Ich lasse die Kiste hier. Und wenn das neue Maskottchen tatsächlich ein Waschbär wird, dürft ihr sie behalten. Bis dahin rührt ihr sie nicht an. Okay?«

Ralfs Brüder jubelten.

»Möchtest du dafür noch ein bisschen Blumenkohl mitnehmen?« Ralf zwinkerte Klößchen zu. Der winkte heftig ab.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Herr Fröhlich krumme Dinger drehen soll«, sagte Klößchen, als die vier am nächsten Tag nach der Schule auf den Rathausplatz fuhren.

Karl stellte sein Rad in den gusseisernen Ständer und betrachtete die Löwenstatue vor dem Rathaus. »Ob da bald ein Waschbär steht?«

Gaby hob den bellenden Oskar aus dem Fahrradkorb. »Oder ein Eichhörnchen?«

Tim lehnte sein Rad neben Karls. »Oskar, du wärst auch ein tolles Maskottchen.«

»Meint ihr, Fröhlich hat die Schokolade versalzen?«, überlegte Klößchen. »Aber warum?«

»Kommt, jetzt reden wir erst mal mit diesem Scheel.« Gaby leinte Oskar am Fahrradständer an und lief die Treppe zur alten, großen Rathaustür hinauf. Die anderen folgten ihr.

In der Eingangshalle saß hinter einer Glasscheibe der Pförtner. »Hallo. Was kann ich für euch tun?«

»Guten Tag.« Gaby lächelte den grauhaarigen Mann an. »Wir würden gern Herrn Scheel sprechen.«

»Habt ihr einen Termin?«

»Nein, aber es ist wichtig«, versicherte Tim.

»Ich sehe mal, was ich tun kann, ihr könnt dahinten warten.« Der Pförtner zeigte auf eine Tür.

»Warum dauert das denn so lange?«, beschwerte sich Klößchen, als sie ein paar Minuten im Warteraum gesessen hatten. Dann horchte er auf. »Irgendwas fiept hier.«

»War das Oskar?« Gaby lief den Flur entlang. »Oskar! Bist du hier?«

Plötzlich war ein typisches Oskar-Knurren zu hören. TKKG folgten dem Geräusch und landeten in einem kleinen Büro.

»Wie kommst du denn hier rein?« Gaby rannte zu ihrem Hund. »Hast du dich etwa losgerissen? Das ist aber nicht sehr brav!«

»Was hat er denn da gefunden?« Klößchen sah von Oskar zu einem Haufen Pelze, der auf einer Bank lag. Oskar stand schwanzwedelnd davor und knurrte.

»Das sind Waschbärenkostüme«, stellte Karl fest. »Für unseren Waschbären.« Er stülpte Klößchen eines über den Kopf. Der zwängte seine Arme durch die Öffnungen und setzte sich den Kopf auf.

Tim, Gaby und Karl prusteten los.

»Putzig!«, lachte Gaby.

Oskar kläffte. »Du bist natürlich viel süßer, Oskar.«

»Da sind noch drei Kostüme!« Tim hielt sich eines an.

»Könnte passen«, überlegte Gaby.

Tim streifte sich das Fell über den Kopf. »Denkt ihr, was ich denke?«

Fünf Minuten später standen vier Waschbären in einem langen Flur des Rathauses. (Oskar musste schon wieder draußen warten.)

3603-001.tif

»Irgendwo muss sein Büro doch sein«, flüsterte der größte Waschbär alias Tim.

»Dahinten, das könnte es sein«, flüsterte Karl. Er hatte sich seine Brille auf die Waschbärennase gesetzt.

»Stimmt.« Tim zeigte auf das Türschild. »Benedikt Scheel.«

Im selben Moment flog die Tür auf. Ein großer Mann im Anzug kam heraus und erschrak. »Huch, da sind ja schon die Waschbären. Ihr seid leider etwas zu früh.« Herr Scheel begrüßte jeden der vier Waschbären mit Handschlag. »Aber glücklicherweise hat sich mein Termin mit dem Bürgermeister soeben verschoben.«

Klößchen hielt seine Pfote nach oben und die vier nickten sich beim Betreten von Scheels Büro kurz triumphierend zu.

Auf einem runden Tisch standen einige Gläser und eine Flasche Wasser. »Wollt ihr etwas trinken?«, fragte Herr Scheel. Klößchen nickte, aber die anderen schüttelten den Kopf. »Gut. Dann können wir jetzt den Ablauf besprechen. Auf dem Stadtfest wird verkündet, dass das Maskottchen ein Waschbär wird, und dann kommt ihr auf die Bühne«, erklärte Herr Scheel und schenkte Klößchen ein Glas Wasser ein. Scheels Handy klingelte. Er warf einen Blick darauf. »Ihr entschuldigt mich kurz?« Er verließ den Raum. »Hallo, Mäuschen!«, hörten sie ihn sagen.

»Los, Karl, schnell.« Gaby zeigte auf den aufgeklappten Laptop. »Kannst du seine gelöschten E-Mails wiederherstellen?«

»Ich versuche es.« Karl setzte sich an Scheels Schreibtisch und vertiefte sich in dessen Computer.

Klößchen merkte, wie ihm unter der Maske der Schweiß von der Stirn tropfte.

»Mist, ich kann sein Passwort nicht knacken«, fluchte Karl.

Klößchen trank das Wasser aus. »Haben nicht die meisten Leute ihr Geburtsdatum als Passwort, kombiniert mit ihrem Namen?«

Karl sah konzentriert auf den Bildschirm. Seine Finger flogen über die Tastatur.

»Oder den Namen ihres Partners?« Gaby nahm ein gerahmtes Foto von einer blonden Frau in die Hand. »Ist das …?«

»Mäuschen!«, wurde sie von Karl unterbrochen.

»Sehr originell.« Gaby spähte in den Flur hinaus und sah dann wieder zu Karl. »Hast du schon was gefunden?«

»Ich stelle jetzt die gelöschten E-Mails der letzten beiden Wochen wieder her«, flüsterte Karl. »Hier! Eine E-Mail von Scheel an Fröhlich. Er schreibt, dass er die Idee gut findet, Schokoeichhörnchen herstellen zu lassen. Dann würden Herr Sauerlich und der Bürgermeister beim Stadtfest blöd dastehen.«

»Was?«, Klößchen war entsetzt. »Dieser schnöselige Wichtigtuer will meinen Vater bloßstellen?«

»Das verhindern wir«, sagte Tim entschlossen zu Klößchen.

Klößchen verschränkte die Arme vor der Brust. »Jawoll!« Überlegend fügte er hinzu: »Und unserem Bürgermeister Wichtigmann retten wir damit auch noch den Allerwertesten.« Tim grinste.

»Klößchen, dann wirst du vielleicht doch noch das Maskottchen der Millionenstadt.« Gaby kicherte, wurde dann aber wieder ernst.

»Kannst du die E-Mail an meinen Vater weiterleiten?«, bat sie.

»Wird gemacht!«, antwortete Karl.

»Warte! Hier ist noch eine E-Mail.« Karl starrte auf den Bildschirm.

»Bis später!«, sagte Scheel im Nebenraum.

»Er kommt zurück!«, japste Klößchen. »Schnell!«

Karls Finger wirbelten über die Tasten. Als Scheel das Büro betrat, sprang er auf. »Was machst du da?«

»Nichts.« Karl lief zur Tür.

Keiner sagte etwas. Karl wollte an Scheel vorbei, aber der packte seinen Arm. »Was hast du an meinem Laptop zu suchen?«

Die vier warfen sich Blicke zu. Karl versuchte sich loszureißen, aber Scheels Griff wurde fester.

»Wer seid ihr überhaupt?« Mit seiner freien Hand wollte der stellvertretende Bürgermeister Karl die Maske vom Kopf ziehen. Aber Gaby war schneller. Sie schlug Scheels Arm zur Seite. Tim rempelte ihn an, sodass er zur Seite taumelte. »Oh, Entschuldigung.« Die vier rasten los.

»Haltet die Waschbären!«, rief Scheel über den Flur im ersten Stock. Ein paar Mitarbeiter des Rathauses guckten verwundert.

»Wir müssen zur Schokoladenfabrik, sofort!«, rief Karl.

3603-021.tif