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Kapitel 13

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Myrtle griff hinter sich, um irgendetwas zu ergreifen, als Willow sie an den Schultern packte und voller Wut schüttelte. „Ich habe immer wieder versucht, dich loszuwerden. Du schnüffelnde Wichtigtuerin“, wetterte Willow. Ihre Hände legten sich bereits um Myrtles Hals, als diese endlich das Auflaufgericht zu fassen bekam. In einer verzweifelten Bewegung schmetterte Myrtle das Geschirr mit dem Gemüseauflauf mitten in das Gesicht ihrer Angreiferin.

Willow heulte auf wie ein verletzter Hund und versuchte dann verzweifelt, den Auflauf auszuspucken. Gott weiß, was für ein Gift sie dort hineingemischt hatte, dachte Myrtle, als sie angsterfüllt und ohne ihren Stock zur Tür humpelte. Sie erreichte gerade die Tür, als Willow sie an der Schulter zu fassen bekam und Myrtle zurückzog. In diesem Moment polterte Red durch Myrtles Vordertür. Mit einem ohrenbetäubenden Schrei stürzte sich Willow auf Red.

Red drehte Willows Arme auf ihren Rücken und legte sie in Handschellen, während Willow sich noch immer heftig wehrte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde“, stieß Red zähneknirschend hervor, „aber ich bin froh, dass deine Tür nicht versperrt war, Mama.“

Myrtle rieb sich den Hals an der Stelle, an der Willows Hände sie gepackt hatten. „Eine unverschlossene Tür ist toll, wenn du auf der Schwelle stehst. Aber ich hätte auf jeden Fall die Tür verschließen sollen, nachdem Willow gegangen ist.“

Willow hatte ihren Kampf aufgegeben und stand nun mit hängenden Schultern da, als Red ihre Rechte verlas und sie zur Tür hinaus über die Straße zu dem Polizeiwagen führte, der in seiner Einfahrt stand. Myrtle beobachtete durch das Fenster, wie Red in sein Telefon sprach, nachdem er Willow auf die Rückbank bugsiert hatte.

Der erste Anruf von Red musste Miles gegolten haben, denn dieser stand nur wenige Minuten später vor ihrer Tür. Er wirkte verschlafen und trug, untypisch für ihn, einen Jogginganzug. „Komm rein“, sagte Myrtle. „Ich nehme an, Red hat dich angerufen.” Sie ging in die Küche. „Ich mache uns Kaffee.“ Sie hielt abrupt inne, als sie das Desaster in der Küche sah. Überall auf dem Tisch, den Stühlen, dem Boden und sogar bis ins Wohnzimmer war Essen verteilt. Einer der Stühle war umgestürzt. Myrtle erschauderte.

Miles sah ihr über die Schulter und sagte: „Ich weiß nicht, was hier passiert ist, Myrtle, aber ich glaube, ich sollte besser den Kaffee machen. Muss ich zuerst die Unordnung wegmachen?“

Myrtle setzte sich auf das Sofa und rieb sich die Augen. „Nein, besser nicht. Vermutlich ist das Zeug vergiftet und muss als Beweismittel verwendet werden.“ Plötzlich wurde sie von einer schweren Müdigkeit übermannt.

„Also wirklich, Myrtle, ich glaube, hier ist im Moment kein guter Ort für ein Kaffeekränzchen. Lass uns zu mir rübergehen.“ Miles sprach in seiner sanftesten Stimme und so griff Myrtle nach ihrem Stock und folgte ihm gehorsam zur Tür hinaus. Red nickte ihnen zu, als sie an ihm vorbeigingen. Er war noch immer am Telefon.

*****

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Es dauerte nicht lange, bis Lieutenant Perkins und Red ebenfalls in Milesʼ Haus saßen und gemeinsam mit Myrtle Kaffee tranken. Perkins hatte seine große, drahtige Gestalt in Milesʼ Ledersessel platziert.

„Das wird doch langsam zur Gewohnheit“, bemerkte Perkins trocken. „Hatten wir das nicht schon einmal nach dem letzten Mordfall in Bradley?“

„Ich glaube, damals hatten wir Wein“, sagte Myrtle und blickte Miles vorwurfsvoll an.

Miles verdrehte die Augen und ging in seine Küche.

„Was ich eigentlich sagen wollte“, sagte Perkins in seiner höflichen Art, „wir spielen gerade wieder die gleiche Szene durch. Und das sollten wir nicht zur Routine werden lassen.”

Red unterbrach ihn. „Du wirst irgendwann noch einmal umgebracht, Mama. Du spielst ein sehr gefährliches Spiel. Du weißt, dass ich hier der Ermittler sein sollte.“

„Ich kann ja nichts dafür, wenn ich den Fall vor dir löse“, entgegnete Myrtle kühl. „Außerdem konnte ich nichts für das, was in meinem Haus passiert ist. Ich habe den Fall gelöst, während Willow bei mir war. Es ist ja nicht so, als hätte ich sie ihn mein Haus gelockt.“ Sie zögerte für einen Augenblick. „Ich weiß nicht, ob du noch weitere Anklagepunkte gegen Willow brauchst, aber ich glaube, es ist bereits das dritte Mal, dass sie versucht hat, mich umzubringen. Vielleicht sogar das vierte Mal.“ Als Red und Perkins laut aufschrien, fuhr sie eilig fort: „Nun, sie wollte vermutlich bei dem Essen der Methodistenfrauen mich vergiften, nicht Maisy. Es war mein Eistee. Dann versuchte sie, mich mit dem Auto zu überfahren.“ Sie winkte eilig ab. „Damals wusste ich ja nicht, dass sie es war.“

„Sie hätten uns aber darüber informieren können“, sagte Perkins und zwinkerte dem wutentbrannten Red beschwichtigend zu. „Wenn Sie uns gesagt hätten, dass es jemand auf Sie abgesehen hat, dann hätten wir herausfinden können, wer es war.“

„Aber es gab ja keine Beweise. Und ich habe nichts gesehen.“

„Was“, fragte Red mit betont ruhiger Stimme, „ist denn mit dem dritten oder vierten Mal?“

„Da ist ein Gemüseauflauf in meiner Küche. Genauer gesagt in der ganzen Küche verteilt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er vergiftet ist, angesichts Willows Reaktion, als ein wenig davon in ihrem Mund landete. Und das vierte Mal wäre dann das.“ Myrtle zog den Kragen ihres Kleides runter, um die Male am Hals zu zeigen, wo Willow zugedrückt hatte.

„Was ich aber nicht wirklich verstehe“, sagte Lieutenant Perkins langsam, „ist, warum sie es denn auf Sie abgesehen hat. Es ist ja nicht so, als hätten Sie etwas gewusst.“ Er sah Myrtle mit hochgezogenen Augenbrauen an und fixierte sie mit seinen durchdringenden grauen Augen. „Nicht wahr? Oder wussten Sie etwas?“

Myrtle funkelte Perkins empört an. „Wenn ich etwas gewusst hätte, dann hätte ich Willow gewiss nicht um 21 Uhr in mein Haus gelassen. Nein, ich glaube, sie dachte, dass ich kurz davorstand, etwas herauszufinden. Und natürlich wusste sie, dass ich herumschnüffle. Erma Sherman hat überall herumerzählt, dass ich kurz davorstehe, den Fall zu lösen. Willow hat das auch mitbekommen. Dann hat Sloan im Bradley Bugle den Artikel über die ermittelnde Oma veröffentlicht, die eine heiße Spur verfolgt. Das hat nicht gerade geholfen.“

„Ich werde mich mal mit Sloan unterhalten müssen“, sagte Red. Miles kam mit einigen Weingläsern und einer Flasche Wein zurück. Er schenkte Myrtle einen mitfühlenden Blick. Dass Red sich in ihre Zeitungsarbeit einmischte, konnte nicht gut enden.

„Reden wir doch über diese Ermittlungen“, sagte Perkins und warf Red einen Blick zu, der ihn zum Schweigen bringen sollte. „Was genau haben Sie herausgefunden? Sie meinten, dass Sie bis heute Abend gar nichts gewusst hätten.“

Myrtle seufzte. „Nun, ich hatte die Puzzleteile vor mir, aber ich konnte sie erst zusammensetzen, als Willow vorbeikam. Was unglücklich war, denn ich denke, sie konnte erkennen, dass mir eine Art Erkenntnis kam. Immerhin hatte sie das ja von Anfang an erwartet.“ Sie erinnerte sich an Willows eigenartigen Blick.

„Der Gemüseauflauf hat mich drauf gebracht. Wir sprachen über ihr Biogemüse und ihren Kräutergarten. Sie ist so ein gesundheitsliebender Hippie. Ich habe mich daran erinnert, dass sie zum Mittagessen der Methodistenfrauen ihr eigenes Essen mitbrachte, weil sie kein Gemüse essen wollte, das in Hühnerbrühe gekocht war. Aber dann ist mir eingefallen, dass sie mir erzählt hat, sich am Tag nach Jills Mord am Fleisch bedient zu haben. Das ergab keinen Sinn”, schilderte Myrtle. „Es wäre viel logischer gewesen, wenn sie zurückgekommen wäre, um ihr Geschirr zu holen. Aber sie hatte zuvor gesagt, dass sie kein Geschirr vorbeigebracht hätte. Denn, wenn sie ihr eigenes Essen zu Jill gebracht hätte, wie sie es für gewöhnlich tat, dann hätte sie das mit dem Tatort in Verbindung gebracht. Und das wollte sie nicht riskieren.“

„Außerdem“, fuhr Myrtle fort, „fand ich es sehr eigenartig, als ich über ihren ach so gesunden Lebensstil nachgedacht habe, dass sie Zigaretten gekauft haben soll. Als Elaine mir davon erzählte, dachte ich einfach nur, dass Willow unberechenbar ist. Dann erinnerte ich mich daran, wie giftig Nikotin in flüssiger Form tatsächlich ist. Als frühere Krankenschwester wusste Willow das mit Sicherheit. Red, hast du mir nicht erzählt, dass Maisy mit flüssigem Nikotin vergiftet wurde?“

Perkins und Red nickten. „Aber warum“, wand Perkins ein, „hat Willow nicht einfach etwas aus ihrem Garten verwendet? Sie hatte womöglich alle möglichen giftigen Pflanzen in ihrem Gemüsegarten.”

„Das hätte sie sofort verdächtig gemacht, oder nicht? Sie ist eine Kräuter-Spezialistin. Nein, es musste etwas sein, mit dem sie normalerweise nicht in Verbindung gebracht wurde. Willow dachte dank Erma und Sloan bereits, dass ich wüsste, wer es war. Und heute Abend konnte sie erkennen, dass ich das Rätsel gelöst hatte. Sie wollte mich um die Ecke bringen, bevor ich sie als Mörderin entlarven konnte.“

„Was ich nicht verstehe“, sagte Red, „ist, warum sie ihre Schwester überhaupt umgebracht hat? Klar, sie hatten den einen oder anderen Streit, aber das ist doch kein Grund für einen Mord.“

„Alle ihre Streitereien hatten ein gemeinsames Thema“, sagte Myrtle. „Cullen. Willow war der Meinung, dass Jill ihn verlassen müsste. Sie fand, dass Cullen ihre Schwester ausnutzte, da diese zwei Jobs hatte, während er gar nichts tat.“

Perkins nickte. „Sie glauben also, dass sie an diesem Abend eigentlich Cullen umbringen wollte.“

„Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas geplant hatte. Ich denke, dass sie hinüber zu Jills Haus gegangen ist, um ein vegetarisches Gericht für sich hinzubringen.“

„Sie geht also ins Haus“, führte Myrtle aus, „Dort belauscht sie Jill und Cullen, die sich vermutlich gerade streiten. Jill ist unzufrieden, weil Cullen nicht ans Telefon ging, als sie ihn bitten wollte, nach dem Barbecue zu sehen. Vielleicht entdeckt Jill, dass Cullen eine Affäre mit Sherry hat... Sherry verließ Milesʼ Haus früh und Jill könnte Cullen dabei gesehen haben, wie er Sherrys Haus verließ, als sie nach Hause ging. Sie streiten sich. Wir wissen, dass Cullen betrunken und schlecht gelaunt war. Er könnte gewalttätig geworden sein.“

„Aber“, sagte Red, „alle sagten aus, dass Cullen total weggetreten war, als ihr rüberkamt.“

„Stimmt. Er ist vermutlich irgendwann während des Streits mit Jill weggetreten. Oder vielleicht hat Jill ihm zur Abwechslung eine gescheuert. Wie dem auch sei, Willow belauscht den Streit. Sie beschließt, ihre Schwester zu verteidigen und greift mit meinen süßen Hahn-Ofenhandschuhen nach der Bratpfanne“, bemerkte Myrtle mit einigem Zorn, „und schwingt sie, als die Küchentür geöffnet wird.“

„Aber es ist nicht Cullen“, sagte Red.

„Nein. Willow muss total entsetzt gewesen sein, als sie ihren Fehler bemerkte. Sie muss schnell handeln. Sie stellt also sicher, dass Cullen nichts gesehen oder gehört hat, dann wird ihr klar, dass sie nicht so lange von der Party fernbleiben kann, also eilt sie zurück zu Miles' Haus.“

„In einem wildbunten Outfit“, bemerkte Miles nachdenklich.

„Vielleicht war es gar nicht wildbunt“, sagte Myrtle. „Vielleicht war es mit Blut vollgespritzt. Bei diesen bunt bedruckten Kleidern, die sie trägt, ist das schwer zu sagen.“

„Und sie ist ziemlich abrupt wieder aufgebrochen“, bemerkte Miles.

„Sie nutzte den verschütteten Wein als Ausrede, um sich umzuziehen. Sie war schließlich die nächste Gastgeberin. Sie musste sich umziehen und sichergehen, dass niemand misstrauisch wurde“, sagte Myrtle. Sie hielt inne. „Ich habe meine Ofenhandschuhe bemerkt, als ich in ihrer Küche nach Eistee gesucht habe. Sie erschienen mir deplatziert in ihrer New-Age-Küche, aber ich hätte nie gedacht, dass es wirklich meine waren. Aber es hat Klick gemacht, als ich die Handschuhe sah, die sie trug, als sie den Auflauf zu mir brachte. Das war irgend so ein gefärbtes Ding im Stile der 60er. Keine kitschigen Hähne.“

„Und seither versuchte sie alles zu vertuschen“, sagte Perkins. „Ein Wunder, dass sie nicht versucht hat, alles Cullen anzuhängen.“

„Tat sie ja“, sagte Myrtle. „Aber natürlich nahm sie niemand ernst. Jeder wusste, dass sie ihn nicht ausstehen konnte. Und immerhin war Cullen weggetreten. Das schien nicht gespielt zu sein. Was ein recht gutes Alibi war.”

Red stand auf. „Ich mache mich besser auf den Weg. Ich muss Willows Fall aufnehmen.“ Er hielt inne und gab Myrtle einen unerwarteten Kuss auf die Wange. „Gute Arbeit, Mama.“

Myrtle strahlte. „Und gute Arbeit von dir, wie du diese verrückte Mörderin niedergerungen hast.“

„Du bist alleine ganz gut zurechtgekommen. Das war klug, ihr eines mit diesem vergifteten Auflauf überzuziehen.“ Red wandte sich an Miles. „Danke, dass wir uns hier treffen konnten. Und Danke für den Kaffee.“

Lieutenant Perkins folgte Red zu Tür hinaus und besprach bereits im Gehen den Fall mit ihm. Miles hatte in seinem Jogginganzug ungewöhnlich fehlplatziert gewirkt. Nun räusperte er sich und sagte: „Weißt du, Myrtle, ich glaube, ich werde ins Bett gehen. Das wollte ich eigentlich schon tun, als Red mich angerufen hat.”

„Entschuldige“, sagte Myrtle. Sie blickte sich nach einer Uhr um und sah, dass es bereits 23 Uhr war. „Die Zeit verfliegt wohl, wenn man um sein Leben kämpft.“ Sie seufzte. „Ich vermute, die halbe Stadt lungert in den Straßen herum, um etwas von der Aufregung mitzubekommen.“

Sie spähten vorsichtig zur Tür hinaus und erblickten eine menschenleere Straße. „Wo sind die ganzen Schaulustigen?“, fragte Myrtle. „Hat denn niemand bemerkt, was vorgefallen ist?“

„Offensichtlich nicht“, sagte Miles. „Aber denk doch mal nach... Es gab keine Sirenen oder Blaulicht. Red ist einfach auf die andere Seite der Straße gelaufen und hat dann Willow hinüber zu seinem Auto geführt. Lieutenant Perkins ist vermutlich unauffällig gekommen. Es gibt keinen Mord, daher auch keine Spurensicherung, die Fotos schießt oder den Tatort absperrt. Vermutlich sind nur ein paar Leute bei dir, die Beweise gegen Willow sammeln.“

„Ich vermute, ich werde sie in Ruhe arbeiten lassen müssen “, sagte Myrtle. „Was nicht schwierig sein wird, nachdem ich direkt ins Bett gehen werde. Die Ereignisse des Tages holen mich langsam ein.“

Miles begleitete sie noch nach Hause und ins Haus hinein. Zwei Beamte zeigten ihr lediglich, von welchem Bereich sie sich fernhalten sollte, dann ging Myrtle ins Bett. „Verschließen Sie einfach die Tür hinter sich“, sagte Myrtle. „Auch wenn ich nicht glaube, dass noch Gefahr besteht.“